Der Proteasom-Inhibitor Bortezomib |
27.09.2004 00:00 Uhr |
*) unter Mitarbeit von Hartmut Morck, Rolf Thesen und Petra Zagermann-Muncke
Das multiple Myelom ist eine Krebserkrankung, bei der Knochen zerstört und die normale Blutbildung zurückdrängt werden. Mit dem Proteasom-Inhibitor Bortezomib steht hier seit kurzem ein völlig neues Therapiekonzept zur Verfügung. Der Wirkstoff wird daher am Rande des Apothekertags in Köln mit dem Innovationspreis der Pharmazeutischen Zeitung 2004 ausgezeichnet.
Beim multiplen Myelom (Plasmozytom) handelt es sich um eine Krebserkrankung, die ihren Ausgang in einem Klon maligner transfomierter B-Lymphozyten hat. Diese Plasmazellen vermehren sich im Knochenmark und bilden monoklonale Antikörper. So werden der Knochen zerstört und die normale Blutbildung zurückgedrängt (siehe auch Kasten). Für die Behandlung stehen Strahlen- und Chemotherapie zur Verfügung, die zur Remission führen können. Um die Osteolyse und daraus resultierende Frakturen zu verhindern, werden palliativ Biphosphonate eingesetzt.
Multiples Myelom – ein niedrigmalignes B-Zell-LymphomCharakterisierung, Ursachen, Inzidenz
Das multiples Myelom (Plasmozytom) gehört zu der großen Gruppe der Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) und zur Untergruppe der niedrigmalignen B-Zell-Lymphome. Es entsteht aus einem Klon bösartig entarteter B-Lymphozyten (Plasmazellen), die den Knochen zerstören und die normale Blutbildung zurückdrängen. Die Ursachen für die Entstehung des multiplen Myeloms sind noch ungeklärt, genetische Faktoren und ionisierende Strahlungen werden als Auslöser diskutiert. Die Inzidenz beträgt circa drei Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner und Jahr, wobei Männer etwas häufiger als Frauen erkranken. Meist tritt die Erkrankung nach dem 40. Lebensjahr auf, der Häufigkeitsgipfel liegt um das 60. Lebensjahr.
Diagnose
Es gibt drei Kardinalsymptome des malignen Myeloms, von denen mindestens zwei zur Diagnosestellung erfüllt sein müssen (Ossermann-Kriterien):
Stadien und Symptome
Die Krebserkrankung wird nach Durie und Salmon in drei Stadien eingeteilt – abhängig von Hämoglobinwert, Serumcalcium, Knochenveränderungen und Vorkommen monoklonaler Antikörper. Die Patienten leiden zunehmend unter Müdigkeit, Gewichtsabnahme und verminderte Leistungsfähigkeit. Der gesteigerten Knochenabbau kann zu einer allgemeinen Osteoporose führen, die am deutlichsten an der Wirbelsäule festzustellen ist, oder zu einzelnen umschriebenen Osteolysen. Mit fortschreitender Erkrankung stehen deswegen Knochenschmerzen im Vordergrund, wobei vor allem bewegungs- und belastungsabhängige Rückenschmerzen den Patienten belasten.
Komplikationen
Patienten mit multiplem Myelom haben ein erhöhtes Risiko für Knochenbrüche. Da vermehrt Calcium aus dem Knochen freigesetzt wird, besteht die Gefahr eines erhöhten Calciumspiegels im Blut und somit eines Hypercalcämie-Syndroms. Die Patienten leiden zudem unter häufigen und schwer verlaufenden Infektionen, da die Vermehrung der Plasmazellen im Knochenmark die übrige Blutbildung einschließlich der Bildung von Abwehrzellen unterdrückt. Auf Grund der Überproduktion von monoklonalen Antikörpern, müssen diese über die Niere ausgeschieden werden, was die Nierenfunktion beeinträchtigen kann. Die Immunglobuline können als so genanntes Amyloid auch in anderen Organen des Körpers abgelagert werden und deren Funktion beeinträchtigen.
Prognose
Die Prognose ist vom Tumorstadium abhängig und beträgt im Mittel 64 Monate im Stadium I, 32 Monate im Stadium II und sechs bis zwölf Monate im Stadium III. Die Erkrankung ist nur in Einzelfällen heilbar. Solitäre extramedulläre Plasmozytome metastasieren langsamer und haben eine bessere Prognose. Insbesondere wenn schlecht differenzierte Myelome vorliegen oder bestimmte Antigene oder Gendeletionen nachgewiesen werden können, ist die Prognose ungünstig. Mit Chemotherapie sind heute langanhaltende Remissionen, also ein Rückgang der Krankheitssymptome ohne dauerhafte Heilung, möglich. Patienten mit einem multiplen Myelom haben ein erhöhtes Risiko an einer akuten Leukämie zu erkranken, das abhängig von der Therapiedauer nach vier Jahren auf bis zu 20 Prozent ansteigen kann (1, 2).
Das multiple Myelom ist wie alle anderen Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) strahlensensibel. Die Strahlentherapie ist jedoch eine nur lokal wirksame Therapie. Daher ist eine Heilung nur in den seltenen Fällen möglich, bei denen ein einzelner Plasmozytomherd vorliegt. Da das multiple Myelom jedoch überwiegend an mehreren Stellen im Knochenmark auftritt, wird die Strahlentherapie vorwiegend begleitend zur Chemotherapie eingesetzt, um Knochenschmerzen zu lindern und Knochenbrüche zu vermeiden.
In Anfangsstadien der Krebserkrankung ist die Tumorzellaktivität häufig niedrig und die Proliferationsrate über längere Zeit gering. Da eine Chemotherapie die Lebensqualität erheblich einschränkt, ist diese erst dann indiziert, wenn die Konzentration des monoklonalen Antikörpers um mehr als 5 g/dl ansteigt oder progressive Knochenläsionen erkennbar werden. Indikation für eine konventionelle Chemotherapie ist ein progredientes Myelom ab Stadium II. Wegen der Gefahr einer Nierenschädigung auch schon früher therapiert werden Patienten mit Bence-Jones-Plasmozytom (Synonym: Leichtkettenkrankheit, bei der die Patienten niedermolekulare, nephrotoxische Paraproteine bilden und ausscheiden, die ausschließlich aus leichten Ketten der Immunglobuline bestehen). Die Chemotherapie wird somit oft erst eingesetzt, wenn sich Beschwerden beziehungsweise Komplikationen wie Knochenschmerzen, eine Einschränkung der Nierenfunktion oder ein Anstieg des Calciumspiegels ergeben.
Arzneimittelprofil Bortezomib ist als Velcade® 3,5 mg Pulver zur Herstellung einer Injektionslösung auf dem Markt. Jede Durchstechflasche enthält 3,5 mg Bortezomib (als einen Mannitol-Borsäureester). Nach Zubereitung enthält 1 ml der Injektionslösung 1 mg Bortezomib. Der pharmazeutische Unternehmer ist Millennium Pharmaceuticals, London, Großbritannien, Vertreiber in Deutschland ist Ortho Biotech/Janssen Cilag GmbH (3).
Die Standardchemotherapie erfolgt nach dem ALEXANIAN-Schema und besteht in der Gabe von Melphalan (zum Beispiel Alkaran®) und Prednison (zum Beispiel Decortin®). Melphalan sollte allerdings bei jüngeren Patienten, die noch für eine Stammzelltransplantation infrage kommen, auf Grund seiner Stammzelltoxizität nicht eingesetzt werden. Andere wirksame Substanzen sind Vincristin (zum Beispiel Farmistin®) und Doxorubicin (zum Beispiel Adriblastin®) sowie Dexamethason (zum Beispiel Fortecortin®) entsprechend dem VAD-Schema. Patienten, die jünger als etwa 65 Jahre alt sind, können eine Hochdosis-Chemotherapie mit anschließender Stammzelltransplantation erhalten, womit die Fünf-Jahres-Überlebensraten im Vergleich zur konventionellen Chemotherapie deutlich verbessert werden können. Als Reservemittel zeigt Thalidomid (ehemals Contergan®) in Kombination mit Dexamethason teilweise gute klinische Erfolge. Bortezomib stellt als erster Proteasom-Inhibitor nun ein völlig neues Behandlungskonzept dar (1, 2).
Neuartiger Wirkmechanismus
Bortezomib, auch bekannt unter dem Studienkürzel PS-341, ist ein Borsäure-haltiges Dipeptid (Dipeptidylborsäure). Der Wirkstoff liegt als gefriergetrocknetes Pulver in Form eines dipeptidischen Mannitol-Borsäureesters vor. Das Borsäuremolekül ist für die hochselektive Bindung von Bortezomib an das 26S-Proteasom verantwortlich, durch die das Proteasom in seinen zahlreichen Funktionen auf das Zellwachstum inhibiert wird. Dabei ist die Proteasomenhemmung dosisabhängig und reversibel; eine bis zu 80-prozentige Hemmung wurde in Studien gut vertragen.
Der 26S-Proteasomkomplex ist ein in allen Säugetierzellen vorkommender Multienzymkomplex, der in malignen Zellen allerdings in höheren Konzentrationen vorhanden ist als in normalen Zellen. Er baut Ubiquitin-gebundene Proteine ab und spielt damit eine wichtige Rolle für die Zellhomöostase. Das 26S-Proteasom beeinflusst außerdem Signalkaskaden, die den Zellzyklus steuern. Die gesteigerte Aktivität in malignen Zellen trägt daher zu einem ungehemmten Ablauf der Zellteilung bei.
Eine Hemmung der Proteasomen durch Bortezomib führt zum Stillstand der Zellteilung, wobei über bestimmte Kinasen (Caspasen) die Apoptose eingeleitet wird, so dass die Zellen schließlich absterben. Die Hemmung wirkt sich auf vielfältige Weise auf die Krebszellen aus, unter anderem auch durch eine Veränderung der Regulatorproteine, die den Verlauf der Zellzyklen und die Aktivierung des Nukleären Faktors kappa B (NF-kB) kontrollieren. NF-kB ist ein Transkriptionsfaktor, der für viele Schritte der Tumorentstehung aktiviert werden muss: für Zellwachstum und Überleben, Angioneogenese (Gefäßneubildung), Zell-Zell-Interaktion und Metastasierung.
In Experimenten konnte gezeigt werden, dass Bortezomib auf eine Reihe von Krebszelltypen zytotoxisch wirkt und dass Krebszellen anfälliger für die Apoptose-induzierenden Wirkungen der Proteasom-Hemmung sind als normale Zellen. Beim Myelom beeinflusst Bortezomib darüber hinaus die Fähigkeit der Myelomzellen, mit dem Knochenmark in Wechselwirkung zu treten (3-6).
Bortezomib beim multiplen Myelom
Zugelassen ist Bortezomib für die Behandlung von Patienten mit multiplem Myelom, die mindestens zwei vorangehende Therapien durchlaufen und während der letzten Behandlung eine Krankheitsprogression erlitten haben.
Die zubereitete Lösung soll als intravenöse Bolusinjektion über drei bis fünf Sekunden über einen peripher- oder zentralvenösen Katheter gegeben werden, gefolgt von einer Spülung des Zugangs mit 0,9-prozentiger Natriumchlorid-Injektionslösung. Bortezomib wird in der Anfangsdosis von 1,3 mg/m2 Körperoberfläche zweimal wöchentlich zwei Wochen lang angewendet. Eine zehntägige Therapiepause bildet den Abschluss des insgesamt dreiwöchigen Behandlungszyklus. Zwischen zwei aufeinander folgenden Dosen von Bortezomib soll eine Mindestzeitspanne von 72 Stunden eingehalten werden. Dadurch wird insbesondere die Toxizität auf die nichtmalignen Zellen gemindert. Insgesamt ist eine Therapie mit acht Zyklen vorgesehen, wobei Patienten, die vollständig auf die Therapie angesprochen haben, zwei weitere Zyklen erhalten sollten (3).
Besondere Dosisanpassungen
Treten toxikologische Effekte auf, kann je nach Lokalisation und Schweregrad ein Behandlungsabbruch erforderlich sein. Sind die Toxizitätssymptome wieder abgeklungen, ist ein erneuter Therapieversuch mit Bortezomib in einer um 25 Prozent reduzierten Dosis möglich. Leiden die Behandelten unter neuropathischen Schmerzen oder peripheren Neuropathien, muss entsprechend den Angaben in der Tabelle gehandelt werden. Bei Patienten mit vorbestehender, schwerer Neuropathie sind Chancen und Risiken einer Behandlung mit Bortezomib besonders sorgfältig abzuwägen.
Tabelle: Empfohlene Dosisanpassungen bei Bortezomib-assoziiertem neuropathischen Schmerz oder peripherer sensorischer Neuropathie (basierend auf Dosisanpassungen in Studien der Phase II beim multiplen Myelom) (3)
Schweregrad der peripheren Neuropathie Anpassung der Dosis und des Behandlungsschemas Schweregrad 1 ohne Schmerzen Keine Anpassung erforderlich. Schweregrad 1 mit Schmerzen oder Schweregrad 2 Dosisabsenkung auf 1 mg/m2 Schweregrad 2 mit Schmerzen oder Schweregrad 3 Absetzen der Behandlung mit Bortezomib bis die Toxizitätssymptome abgeklungen sind. Dann erneuter Beginn der Behandlung mit nur einmal wöchentliche Gabe und verringerter Dosis (0,7 mg/m2). Schweregrad 4 Abbruch der Behandlung mit Bortezomib.
Eine Dosisanpassung bei älteren Patienten ist nicht erforderlich. Die Anwendung von Bortezomib bei Kindern und Jugendlichen ist nicht untersucht worden. Bei Patienten mit leichten bis mittelschweren Nierenfunktionsstörungen, die bei Patienten mit multiplem Myelom häufig sind, traten schwerwiegende Nebenwirkungen mit einer höheren Inzidenz auf als bei Patienten mit normaler Nierenfunktion. Leberfunktionsstörungen können die Elimination von Bortezomib beeinflussen und Arzneimittelwechselwirkungen verstärken.
Männer in zeugungsfähigem und Frauen in gebärfähigem Alter sollten während und drei Monate nach Abschluss der Behandlung sicher verhüten. Da schwerwiegende Nebenwirkungen bei gestillten Kindern nicht auszuschließen sind, darf während der Behandlung mit Bortezomib nicht gestillt werden (3).
Monitoring auf Nebenwirkungen
Während der gesamten Behandlung sollten regelmäßig Blutbilder, einschließlich Thrombozytenzählungen, erstellt werden, da eine hämatologische Toxizität in Form einer Thrombozytopenie, Neutropenie oder Anämie unter Bortezomib sehr häufig ist.
Übelkeit, Diarrhö, Erbrechen und Obstipation treten ebenfalls sehr häufig auf, lassen sich jedoch medikamentös behandeln. Auch Fälle eines Ileus (Darmverschluss) wurden berichtet. Daher sollten insbesondere Patienten mit rezidivierender Diarrhö oder Erbrechen, die Gefahr laufen zu dehydrieren, frühzeitig Flüssigkeit und Elektrolyte gegeben werden.
Sehr häufig ist eine periphere Neuropathie zu beobachten, die unter der Behandlung frühzeitig ansteigt und im 5. Behandlungszyklus ein Maximum erreicht. Patienten müssen sorgfältig auf Anzeichen einer Neuropathie wie Gefühl von Brennen, Über- oder Unterempfindlichkeit gegenüber Schmerz-, Temperatur- und Berührungsreize, Unwohlsein oder neuropathischer Schmerz überwacht werden. Dies gilt besonders, wenn sie zusätzlich noch andere Arzneimittel, insbesondere Zytostatika einnehmen, die selbst auch eine Neuropathie verursachen können.
Gelegentlich wurde über das Auftreten von Krampfanfällen bei Patienten ohne entsprechende Anamnese berichtet. Somit ist bei Patienten mit einem Risiko für Krampfanfälle eine besondere Überwachung notwendig. Des Weiteren tritt unter Bortezomib häufig eine orthostatische Hypotonie auf, die selten zu Synkopen (kurze Bewusstlosigkeiten) führten. Zur Linderung können die Dosis gleichzeitig angewandter blutdrucksenkender Arzneimittel angepasst, Flüssigkeit ersetzt oder Mineralocorticoide gegeben werden. Im Vorfeld gilt es, die Patienten darüber aufzuklären, sich nach Schwindel, Benommenheit oder Ohnmachtsanfällen schnellstmöglich an ihren Arzt zu wenden.
Es wurde beobachtet, dass eine dekompensierte Herzinsuffizienz auftrat oder sich verschlechterte. Bortezomib kann als zytotoxische Substanz besonders bei Patienten mit hoher Tumorlast ein Tumor-Lyse-Syndrom auslösen. Diabetiker, die orale Antidiabetika erhielten, berichteten von Hypo- und Hyperglykämien, weshalb bei diesen Patienten eine engmaschige Blutglucosekontrolle und möglicherweise eine Dosisanpassung der Antidiabetika notwendig ist (3).
Nur zweimal pro Woche
Bortezomib wird rasch aus dem Blut eliminiert und reichert sich insbesondere im Gastrointestinaltrakt und der Leber an. Das Verteilungsvolumen von mindestens 500 Litern ist folglich immens groß. Die Proteinbindung beträgt etwa 83 Prozent.
Nach einmaliger intravenöser Gabe nehmen die Plasmakonzentrationen von Bortezomib biphasisch ab. Es lässt sich eine schnelle Verteilungsphase von einer langsameren terminalen Eliminationsphase unterscheiden. Die schnelle Verteilung hat eine Halbwertzeit von weniger als zehn Minuten, die Halbwertzeit der terminalen Elimination wird auf fünf bis 15 Stunden geschätzt. Nach mehrfacher Gabe hält die Proteasomenhemmung 48 bis 72 Stunden an. Diese Besonderheit ermöglicht eine zweimal wöchentliche Applikation.
Bortezomib wird vorwiegend in der Leber über Cytochrom-P450-Isoenzyme, hauptsächlich CYP 3A4 und CYP 2C19, metabolisiert. Deswegen muss die Therapie bei Kombinationen mit potenten CYP-3A4-Hemmern (wie Ketoconazol, Ritonavir) oder CYP-2C19-Hemmern (wie Fluoxetin) oder CYP-3A4-Induktoren (wie Rifampicin) besonders intensiv überwacht werden. Auch eine Kombination von Bortezomib mit CYP-3A4- oder CYP-2C19-Substraten sollte sorgsam überlegt sein. Bortezomib selbst ist ein schwacher Inhibitor von CYP 1A2, 2C9, 2C19, 2D6 und 3A4.
Über 90 Prozent einer Bortezomib-Bolusgabe werden innerhalb von 15 Minuten aus dem Plasma entfernt. Bortezomib wird wahrscheinlich sowohl renal als auch biliär ausgeschieden (3, 6).
Wenn keine Therapie mehr anschlägt
Eine Phase-I-Studie untersuchte die maximal-tolerierte Dosis, Dosis-limitierende Toxizität und Wirkung von Bortezomib an Patienten mit refraktären hämatologischen Erkrankungen. Der Proteasom-Inhibitor wurde in Dosierungen von etwa 1 mg/m2 gut vertragen (7). Die Patienten mussten allerdings im Hinblick auf Elektrolytabweichungen und verzögerte Toxizität genau beobachtet werden. Bortezomib schien vor allem bei Patienten mit refraktärem multiplem Myelom zu wirken.
In eine multizentrische, offene, nicht randomisierte Phase-II-Studie, der SUMMIT-Studie, wurden 202 Patienten mit rezidivierendem Myelom aufgenommen, die auf die letzte Therapie nicht angesprochen hatten (8). Sie erhielten 1,3 mg Bortezomib pro Quadratmeter Körperoberfläche zweimal wöchentlich über zwei Wochen, gefolgt von einer Woche Behandlungspause, für bis zu acht Zyklen (24 Wochen). Patienten, die nicht optimal auf die Therapie ansprachen, nahmen zusätzlich 20 mg Dexamethason am Tag der Bortezomib-Gabe und am Tag danach peroral ein. Von 193 auswertbaren Patienten zeigten 35 Prozent ein vollständiges, partielles oder minimales, 10 Prozent ein vollständiges oder nahezu vollständiges Ansprechen auf Bortezomib. Für zwölf dieser 19 Patienten war die Response unter Bortezomib besser als in den bisherigen Therapien. Das mediane Gesamtüberleben aller 202 Patienten betrug 16 Monate; eine weitere Analyse dieser Patienten im April 2004 ergab 17,5 Monate. Die mediane Responsedauer betrug unabhängig von Dauer und Art der Vorbehandlung zwölf Monate. Daneben konnte die Therapie die Lebensqualität der Patienten (n = 143) entscheidend verbessern. Nebenwirkungen zeigten sich insbesondere in Thrombozytopenie (28 Prozent), Fatigue (12 Prozent), periphere Neuropathie (12 Prozent) und Neutropenie (11 Prozent). Weitere Studien zum multiplen Myelom laufen derzeit.
Neben der Kombination mit Glucocorticoiden wird auch die gemeinsame Anwendung mit anderen Zytostatika untersucht (9). Auch zur Therapie von Nierenzellkarzinomen existieren Studien (10), wobei Bortezomib in dieser Indikation allerdings bislang nicht überzeugen konnte. Eine Untersuchung bei Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom zeigte in der maximal tolerierten Dosierung von 1,6 mg/m2 eine biologische Wirkung (Inhibition von NF-κB-Markern) und Antitumoraktivität auch bei Androgen-unabhängigen Tumoren (11).
Fazit: Neuer Wirkmechanismus – limitierte Datenlage Bortezomib ist der erste in die Therapie eingeführte Proteasom-Inhibitor. Proteasome regulieren in allen Zellen Zellwachstums- und Apoptosevorgänge und sind in stoffwechselaktiven Tumorzellen besonders zahlreich. Bortezomib hemmt gezielt das in Säugetierzellen vorkommende 26S-Proteasom und induziert dadurch insbesondere in schnell wachsenden Tumorzellen den Zelltod. Aber auch andere schnell proliferierende Gewebe werden in Mitleidenschaft gezogen, weshalb auch Bortezomib zu den für viele Zytostatika bekannte Nebenwirkungen führen kann.
Bislang liegen nur wenige publizierte klinische Daten vor, die allerdings in nicht kontrollierten Studien beim multiplen Myelom positive Effekte zeigen. Bortezomib konnte hier unter anderem auch die Lebensqualität positiv beeinflussen. Bei der Bewertung muss berücksichtigt werden, dass die SUMMIT-Studie nur solche Patienten einschloss, die anders nicht mehr suffizient therapierbar waren. Dass noch fast ein Drittel dieser Patienten mehr oder weniger ausgeprägt auf die Therapie ansprachen, ist daher positiv zu bewerten. Eine Heilung des multiplen Myeloms ist durch Bortezomib allerdings nicht zu erwarten. Die Substanz kann eine Option darstellen, wenn etablierte Regime keine ausreichende Wirkung mehr zeigen; selbst Thalidomid-refraktäre Patienten können noch auf den Proteasom-Inhibitor ansprechen. Die vollständigen Ergebnisse aus kontrollierten Studien der Phase III, auch zur Rezidivtherapie des multiplen Myeloms, müssen abgewartet werden. Darüber hinaus sind weitere Studien, insbesondere bei anderen malignen Erkrankungen wie dem Kolon- und Bronchialkarzinom wünschenswert, um den Stellenwert von Bortezomib in der Hämatologie/Onkologie eingehender beurteilen zu können.
Literatur
Anschrift der Verfasser:
Dr. Thilo Bertsche und Dr. Martin Schulz
Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) der ABDA
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