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Infliximab hilft Patienten mit Bechterew-Krankheit

30.09.2002  00:00 Uhr

Infliximab hilft Patienten mit Bechterew-Krankheit

von Wolfgang Kappler, Homburg

Rheumatologen aus Herne und Berlin haben mit dem erfolgreichen Einsatz des Wirkstoffes Infliximab eine Lücke in der Behandlung der Bechterew-Krankheit (Spondylitis ankylosans) geschlossen. Von dieser rheumatischen Erkrankung der Wirbelsäule sind in Deutschland wahrscheinlich bis zu 500.000 Menschen betroffen.

Die Ärzte blockierten den Tumornekrosefaktor a und konnten so die Ausdehnung der Gelenkentzündungen auf die Hälfte reduzieren. Schmerzen verschwanden, die Lebensqualität der Patienten erreichte wieder ein nahezu normales Niveau. Die im Medizinjournal Lancet (2002, Band 359, S.1187) vorgestellte Studie mit 70 Patienten wird von Experten als Meilenstein in der Behandlung dieser Erkrankung gewertet.

Der zum rheumatischen Formenkreis gehörende Morbus Bechterew beginnt vorwiegend im Alter zwischen 20 und 40 Jahren mit Entzündungen der Kreuzdarmbein- und Wirbelgelenke, die zunehmend schmerzen. Im fortgeschrittenen Stadium verknöchern die Wirbelkörper, die Wirbelsäule versteift. Die Entzündungen können später auch auf andere Gelenke und im Einzelfall auch auf innere Organe übergreifen. Bislang standen den Rheumatologen lediglich Schmerzmittel und entzündungshemmende Substanzen, hauptsächlich nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) , zur Verfügung. Krankengymnastik kann allenfalls die Beschwerden lindern. Die Teams um Professor Dr. Jürgen Braun vom Rheumazentrum Ruhrgebiet am St. Josefs-Krankenhaus in Herne und Professor Dr. Jochen Sieper vom Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Berlin wählten einen anderen Weg. Seit Jahren weiß die Medizin, dass TNF a an der Entstehung vieler Entzündungskrankheiten beteiligt ist. Bei Sepsis-Patienten, bei denen im ganzen Körper ablaufende Entzündungen nach und nach zum Ausfall lebenswichtiger Organe führen, versuchten deshalb Wissenschaftler Ende der 80er Jahre das Cytokin mit einem Gegenspieler zu blockieren und entwickelten die Substanz Infliximab. Ihre Bemühungen erbrachten jedoch nicht den erwünschten Erfolg. In Tierexperimenten zeigte sich dann aber die Stärke der Substanz: Bei Ratten mit rheumatischen Gelenkerkrankungen bildeten sich die Entzündungen zurück. Wissenschaftler vom Kennedy-Institut in London fanden dann heraus, dass Infliximab auch bei Patienten mit rheumatoider Arthritis wirksam ist.

Nachdem auch in den entzündlichen Kreuzdarmbeingelenken von Bechterew-Patienten vermehrt TNF a nachgewiesen wurde, lag es für Braun und Sieper nahe, Infliximab im Rahmen einer klinischen Studie einzusetzen. Bei 18 der 35 zunächst mit Infliximab behandelten Patienten konnte die Entzündung um die Hälfte reduziert werden. Insgesamt 28 Patienten berichteten über einen Rückgang der Schmerzen und einen deutlichen Zugewinn an Lebensqualität. Patienten einer Kontrollgruppe, die statt Infliximab Placebo erhielten, verspürten dagegen keine Besserung.

Aber auch unerwünschte Störungen des Immunsystems beobachteten die Ärzte bei einigen Patienten. Sie berichten von einem Tuberkulose-Fall und einem Patienten mit einer allergisch bedingten Lungen-Gewebeveränderung (Granulomatose). Nach Ansicht von Braun ist die vermehrte Infektanfälligkeit bei einigen Patienten am ehesten auf genetische Ursachen zurückzuführen: "TNF a spielt eine wichtige physiologische Rolle in der Abwehr von bakteriellen Infektionen. Wird der Botenstoff gehemmt, können bei manchen Patienten vermehrt durch Bakterien verursachte Entzündungen auftreten. Infliximab eignet sich insgesamt zur Behandlung von verschiedenen Entzündungszuständen, nicht aber zur Behandlung von Multiple Sklerose-Patienten, bei denen die Hemmung von TNF a den Krankheitsprozess sogar eher beschleunigt". Brauns Hoffnung: "Vielleicht kann man in ferner Zukunft Patienten vor einer Behandlung mit Infliximab auf ihre für TNF a zuständigen genetischen Merkmale testen. Heute ist das noch nicht möglich".

Braun und Sieper fanden bei ihren Untersuchungen auch heraus, dass Infliximab bei Bechterew-Patienten deutlich besser wirkt als bei der rheumatoiden Arthritis. Mit der Substanz Infliximab stehe jetzt erstmals ein Behandlungsweg offen, der nahe an den Ursachen der Bechterew-Krankheit ansetzt und die von den Entzündungen hervorgerufenen Beschwerden beseitigt. Gegen Schmerzen und Beeinträchtigungen durch bereits entstandene Verknöcherungen der Wirbelsäule ist der Wirkstoff hingegen machtlos. Derzeit werden weitere Studien zur Zulassung von Infliximab für die Bechterew-Krankheit vorbereitet. Betroffene können sich im Rahmen der Studien behandeln lassen oder in Erfahrung bringen, ob ihre Versicherung die Kosten für die übers Jahr gesehen rund 25.000 Euro teure Behandlung übernimmt. Der Preis wird letztlich über die Verbreitung der Behandlung wesentlich mit entscheiden. Gesetzlich Versicherte dürften dabei, wie auch bei anderen teuren Rheuma-Therapien, das Nachsehen haben. Top

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