Der kubanische Lipidsenker Policosanol |
11.08.2003 00:00 Uhr |
Policosanol, ein aus Zuckerrohr gewonnener Mix verschiedener Alkohole, kann die Blutfettwerte deutlich verbessern. Wie kubanische Wissenschaftler herausfanden, senkt Policosanol das Gesamt- und LDL-Cholesterol, erhöht das HDL-Cholesterol und soll bezüglich ausgewählter Lipidparameter ebenso wirksam wie einige Statine sein.
Bei Policosanol handelt es sich um eine Mischung höherer aliphatischer, primärer Alkohole, die aus Zuckerrohr isoliert und aufgereinigt werden. Die Hauptkomponente ist Octacosanol (Summenformel C28H58O), das ein Molekulargewicht von 410,8 Dalton besitzt. Weitere Bestandteile sind Triacontanol, Hexacosanol, Tetracosanol, Heptacosanol, Nonacosanol, Dotriacontanol und Tetratriacontanol. Policosanol darf nicht mit dem antibakteriell und lokalanästhetisch wirkenden Polidocanol verwechselt werden, das heute wegen seiner juckreizstillenden Eigenschaften noch topisch genutzt wird (1).
Wirkungen auf den Lipidstoffwechsel
Policosanol inhibiert die Cholesterolsynthese und erhöht die Aufnahme von LDL aus dem Blut. Es soll dabei auch andere Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen, wie beispielsweise LDL-Oxidationserniedrigung, endotheliale Schädigungen und Proliferationen der glatten Muskulatur hemmen. Darüber hinaus hemmt es die Thrombozytenaggregation.
In-vitro-Studien weisen darauf hin, dass Policosanol die hepatische Cholesterolsynthese an einem Angriffspunkt vor der Mevalonatbildung inhibieren könnte. Eine direkte Hemmung der HMG-CoA-Reduktase gilt jedoch als unwahrscheinlich. Ferner lassen experimentelle Befunde vermuten, dass rezeptorvermittelte Mechanismen den LDL-Katabolismus verstärken (2, 3).
Policosanol versus Statine
In einer randomisierten einfachblinden Parallelgruppen-Studie (6) verglichen Wissenschaftler vom Medical Surgical Research Center in Havanna, Kuba, Policosanol in einer Dosierung von 10 mg pro Tag mit dem HMG-CoA-Reduktase-Inhibitor Atorvastatin in Dosierungen zwischen 10 und 80 mg pro Tag. Die Patienten waren zwischen 60 und 80 Jahren alt und wiesen eine Typ-II-Hypercholesterolämie auf. Nach einer sechswöchigen Cholesterol senkenden Diät erhielten 75 Patienten über acht Wochen Policosanol oder Atorvastatin einmal täglich abends. Die Wissenschaftler führten eine Anfangs- und Enduntersuchung nach vier und acht Wochen durch. Policosanol senkte den LDL-Cholesterolspiegel signifikant um 17,5 Prozent (vier Wochen) und 23,1 Prozent (acht Wochen) gegenüber dem Ausgangswert. Atorvastatin erreichte 28,4 und 29,8 Prozent. Atorvastatin reduzierte den LDL- sowie den Gesamt-Cholesterolspiegel signifikant besser als Policosanol. Das Gemisch erwies sich jedoch als gleichwertig in der Reduktion des atherogenen Ratios und der Triglyceridspiegel. Policosanol, nicht aber Atorvastatin, erhöhte den HDL-Cholesterolspiegel signifikant (um 5,3 Prozent).
Die Patienten vertrugen beide Behandlungen gut. Atorvastatin erhöhte die Spiegel der Creatin-Phosphokinase (CPK) und des Creatinins leicht, aber statistisch signifikant. Policosanol hingegen erniedrigte die AST-Glucose- und CPK-Konzentration. Drei Patienten in der Atorvastatin – aber kein Patient in der Policosanol-Gruppe brachen die Studie ab. In der Atorvastatin-Gruppe führten Muskelkrämpfe, Gastritis, Blutdruckerhöhungen, abdominelle Schmerzen und Myalgie zum Therapieabbruch.
In einer einfachblinden Studie (7) erhielten 70 Patientinnen im Alter von 60 bis 80 Jahren mit Hypercholesterolämie 10 mg Policosanol pro Tag oder Fluvastatin in einer niedrigen Dosierung von 20 mg pro Tag einmal täglich mit dem Abendessen. Dabei senkte Policosanol den LDL-Cholesterolspiegel signifikant besser (29,2 Prozent gegenüber 22 Prozent) und verbesserte das LDL/HDL-Verhältnis (39,8 Prozent gegenüber 28,4 Prozent) deutlich stärker als Fluvastatin. Policosanol erhöhte auch HDL-Cholesterol in höherem Ausmaß als Fluvastatin (19,8 Prozent gegenüber 9,2 Prozent).
In einer Subgruppe wurde auch die Lipidperoxidation untersucht. Diese konnte in der Policosanolgruppe um 36,5 Prozent respektive 6,6 Prozent in der Fluvastatingruppe verzögert werden. Drei Nebenwirkungen traten unter Policosanol, sieben in der Fluvastatingruppe auf. Drei Patienten in der Fluvastatingruppe brachen die Therapie ab. Vergleichbare Ergebnisse haben auch die Vergleiche des Policosanols mit Lovastatin und Pravastatin erbracht (8, 9).
Policosanol im Review
In einem Review (2) wurden placebokontrollierte, lipidsenkende Studien mit Policosanol bewertet. In Dosierungen von 10 bis 20 mg pro Tag erniedrigt das Gemisch den Gesamt-Cholesterolspiegel um 17 bis 21 Prozent und LDL-Cholesterol um 21 bis 29 Prozent und erhöhte HDL-Cholesterol um 8 bis 15 Prozent. Da Studienergebnisse zu höheren Dosierungen noch nicht vorlagen, konnten die Autoren nicht ausschließen, dass die Effektivität bei entsprechend höherer Dosierung sogar noch größer ist. Tägliche Dosen von 10 mg Policosanol senken laut den Autoren das Gesamt- und LDL-Cholesterol ebenso effektiv wie gleiche Dosierungen von Simvastatin und Pravastatin. Die Triglyceridspiegel werden durch Policosanol nicht beeinflusst. In Studien, die bis zu drei Jahren umfassten, erwies sich das Extrakt bei Dosen bis 20 mg pro Tag als sicher und gut verträglich. Da Daten mit klinischen Endpunkten wie Raten von kardiovaskulären Ereignissen und Mortalität fehlen, konnten solche Auswertungen nicht in den Review aufgenommen werden.
Höhere Dosierung nicht effektiver
In einer randomisierten, doppelblinden Studie (10) wurde der Cholesterol senkende Effekt und die Verträglichkeit von 20 mg Policosanol pro Tag mit 40 mg pro Tag verglichen. Primärer Endpunkt waren Veränderungen im LDL-Cholesterolprofil. Die in der Studie eingeschlossenen Patienten mit Typ-II-Hypercholesterolämie mussten zunächst für sechs Wochen eine Cholesterol senkende Diät einhalten. Danach erhielten 89 Patienten entweder Placebo (n = 30), 20 mg Policosanol pro Tag (n = 29) oder 40 mg pro Tag (n = 30). Nach 24 Wochen senkten 20 und 40 mg Policosanol pro Tag die LDL-Cholesterolspiegel signifikant um 27,4 respektive 28,1 Prozent. Das Gesamt-Cholesterol senkten das Extrakt um 15,6 beziehungsweise 17,3 Prozent und das LDL-Cholesterol um 37,2 beziehungsweise 36,5 Prozent. Dagegen stieg das HDL-Cholesterol mit 17,6 und 17,0 Prozent signifikant an. Die Triglyceridspiegel wurden verglichen mit der Baseline-Therapie um 12,7 Prozent respektive 15,6 Prozent durch Policosanol 20 oder 40 mg pro Tag gesenkt.
In der Placebogruppe wurden keine signifikanten Änderungen des Lipidprofils beobachtet. Die 40-mg-Dosierung erwies sich im Vergleich zur 20-mg-Dosierung nicht als wirksamer. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen traten bei beiden Dosierungen nicht auf.
Vergleich mit ASS
In einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie untersuchten kubanische Forscher an gesunden Probanden den Effekt von Policosanol auf die Plättchenaggregation im Vergleich zu Acetylsalicylsäure. Die 43 gesunden Freiwilligen erhielten sieben Tage lange entweder 20 mg Policosanol pro Tag, 100 mg ASS pro Tag oder eine Kombination der beiden Therapien. Die Mediziner maßen die Blättchenaggregation und Koagulation zu Beginn und nach Ende der Therapie. Dabei zeigte sich, dass Policosanol ebenso effektiv wie ASS wirkt. Die Kombination war sogar noch wirksamer als die beiden Monotherapien (11).
Toxizität im Tierversuch
In tierexperimentellen Toxizitätsstudien (4) wurden bezogen auf das Körpergewicht 1500fache Dosierungen der normalen Gabe beim Menschen untersucht. Eine Kanzerogenität sowie negative Effekte auf Reproduktion, Wachstum und Entwicklung wurden nicht beobachtet.
Experimentelle Befunde (5) bestätigen, dass bei Ratten selbst in Dosierungen von bis zu 5000 mg pro kg Körpergewicht über sechs Monate keine signifikanten toxikologischen Veränderungen auftreten. Policosanol könnte deswegen auch zur Langzeittherapie therapeutisch geeignet sein.
Policosanolprodukte
Policosanol wird als Cholestin® (12) oder PPG® (13) im Ausland angeboten. Im Internet werden zahlreiche weitere Produkte beworben. Aussagen zur pharmazeutischen Qualität in Bezug auf Identität, Reinheit und Gehalt sind für nicht zugelassene Arzneimittel meist nicht möglich (1).
Zusammenfassung
Policosanol ist ersten klinischen Studien und tierexperimentellen Befunden zufolge eine toxikologisch unbedenkliche Substanz, die Gesamt-Cholesterol, LDL-Cholesterol und Triglyceride erniedrigt und HDL erhöht. Außerdem soll Policosanol Effekte auf die Thrombozytenaggregation besitzen. 40 mg des Extrakts pro Tag waren nicht wirksamer als die üblichen 20 mg. Die bislang untersuchte Dosierung scheint deswegen die maximal möglichen Effekte zu erzielen. Policosanol verbessert Studien zufolge bei besserer Verträglichkeit das Lipidprofil mindestens so gut wie zahlreiche Statine. Die Dosierungen der Statine lagen jedoch meist unter den als optimal geltenden. Effekte auf Morbidität und Mortalität sind für Policosanol im Gegensatz zu den Statinen bislang nicht dokumentiert. Die derzeit vorliegenden klinischen Untersuchungen mit geringen Patientenzahlen entsprechen in vielen Punkten nicht den Grundsätzen guter klinischer Studien (GCP). Als Arzneimittel verkehrsfähige Präparate mit Policosanol sind in Deutschland derzeit nicht auf dem Markt.
Fazit
Policosanol besitzt bei guter Verträglichkeit klinische Effekte auf das Lipdprofil, vielleicht auch auf die Thrombozytenaggregation. Die Aussagekraft der Studien ist jedoch eingeschränkt. Eine therapeutische Anwendung ohne ärztliche Kontrolle, als Ersatz einer indizierten Statintherapie oder unter Verwendung von Produkten ohne gesicherte pharmazeutische Qualität sollte aus den positiven Ansatzpunkten nicht abgeleitet werden. Weitere größere Studien erscheinen jedoch lohnenswert.
Literatur
Anschrift der Verfasser:
Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) der ABDA
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