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Imatinib der neuen Generation

02.08.2004  00:00 Uhr

Imatinib der neuen Generation

von Dagmar Knopf, Limburg

Bei knapp 20 Prozent der mit Imatinib behandelten Leukämiepatienten versagt der Tyrosinkinasehemmer, weil die Betroffenen immun geworden sind. Eine neue Variante des Wirkstoffs, die im Tiermodell und Zellkulturversuchen bereits sehr erfolgreich war und sich jetzt in Phase-I-Studien befindet, könnte diesen Patienten vielleicht helfen.

Imatinib (Glivec®) gilt heute als Medikament der ersten Wahl zur Behandlung der chronisch myeloischen Leukämie (CML). Das kleine Molekül hemmt die überaktive Tyrosinkinase Bcr-Abl, die den Krebszellen permanent den Befehl zur Zellteilung übermittelt. Auf das präzise wirkende und nebenwirkungsarme Imatinib sprechen jedoch fast 20 Prozent der CML-Patienten auf Grund von Resistenzen nicht mehr an. Schuld sind einzelne Mutationen im Gen der Tyrosinkinase, die zu einer Formveränderung des Proteins führen, sodass Imatinib nicht mehr binden kann. Die Hemmung unterbleibt und die Krebszellen teilen sich weiterhin ungebremst.

Weniger spezifisch und wirksam

Neil Shah und seine Kollegen von der University of California haben gemeinsam mit Wissenschaftlern des Pharmaunternehmens Bristol-Myers Squibb einen neuen Wirkstoff entwickelt. Das potenzielle Krebsmittel BMS-354825 bindet ebenso wie Imatinib an die Tyrosinkinase, ist jedoch nicht ganz so spezifisch. Daher kann es auch an das Protein binden, wenn es nach Mutationen in seiner Form leicht verändert ist. Momentan sind 17 unterschiedliche Positionen innerhalb der Aminosäuresequenz bekannt, deren Veränderung mit einer klinischen Resistenz gegen Imatinib bei CML-Patienten einhergeht. Die meisten Aminosäuresubstitutionen, so die Wissenschaftler, verhindern die spezifische geschlossene Struktur der Kinase, die für die Bindung von Imatinib essenziell ist.

Das synthetische Molekül BMS-354825 zeigte sich in Zellkultur als potenter Hemmstoff mit breitem Wirkungsspektrum, da es die Teilung sowohl von Blutkrebs- als auch von Krebszellen solider Tumoren unterbinden konnte. Auf Grund dieser Beobachtung vermuteten die Forscher, dass der unspezifische Inhibitor gegen die Imatinib-resistenten Mutanten aktiv sein könnte. Wie erhofft, war BMS-354825 bei der Hemmung der nicht mutierten Kinase wirksamer als die Vorläufersubstanz. Zusätzlich schaltete der neue Wirkstoff bei 14 von 15 verschiedenen, klinisch relevanten Mutanten die überaktive Tyrosinkinase ab. Nur bei einer einzigen Mutante, der so genannten Mutante T315I, blieb das Enzym sogar in hohen Konzentrationen des zugesetzten Wirkstoffs aktiv. Damit erweist sich allerdings eine Mutation als immun, die allein für rund ein Fünftel der Imatinib-Resistenzen verantwortlich ist.

Im Tiermodell verabreichten die Forscher Mäusen 10 mg/kg Wirkstoff oder Placebo über zwei Wochen, nachdem sie ihnen Leukämiezellen injiziert hatten, die zu aggressiven Tumoren mit Infiltration in Leber und Milz führten. Während sich bei allen mit Placebo behandelten Mäusen die Erkrankung verschlechterte, stoppte der neue Wirkstoff das Fortschreiten des Krebsleidens. Die Tiere erschienen gesund ohne Gewichtsverlust, Lethargie oder zerzaustem Fell. Die Tumoren hatten sich sogar verkleinert.

In Übereinstimmung mit den In-vitro-Tests zeigte sich bei Tieren, die Zellen der Mutante T315I injiziert bekommen hatten, keine signifikante Antwort auf die Verbindung. Mäuse mit nicht resistenten Krebszellen und Leukämiezellen der Mutation M351T, bei der Imatinib nicht anspricht, lebten nach Gabe des Wirkstoffs hingegen signifikant länger. Zudem veränderte sich bei diesen Mäusen das Gewicht der Milz nicht, während es sich bei unbehandelten Tiere um das 10fache erhöhte.

Erste klinische Studie

Des Weiteren untersuchten die Wissenschaftler, ob BMS-354825 wie Imatinib nur entartete humane Stammzellen des Knochenmarks angreift. In einer 5 nanomolaren Lösung hemmte BMS-354825 das Wachstum der von gesunden Spendern isolierten Knochenmarksstammzellen nicht, zu 60 bis 80 Prozent aber das der Knochenmarksvorläuferzellen von Patienten mit CML. Hier inhibierte der Wirkstoff sowohl die Imatinib-sensitiven Zellen, als auch die Imatinib-resistenten Zellen (M351T-Mutante). Außerdem zeigte sich bei 75 Prozent der sich aus den Vorläuferzellen der CML-Patienten entwickelnden weißen Blutkörperchen keine Boten-RNA der Tyrosinkinase Bcr-Abl. Wie auch bei Imatinib deutet dies auf eine potente Selektion des Wachstums der seltenen normalen Vorläuferzellen hin, die in den Knochenmarkproben der Leukämiepatienten vorhanden sind.

Im letzten November startete eine Phase-I-Studie mit BMS-354825, an der bislang 30 Patienten mit CML teilnehmen. Falls sich der Wirkstoff in der Klinik als sicher und effektiv herausstellen sollte, könnte die zukünftige Behandlung von Patienten mit chronisch myeloischer Leukämie aus einer Kombination der Kinaseinhibitoren bestehen. So könnte auch den Patienten geholfen werden, die im Laufe ihrer Imatinibtherapie eine Resistenz gegen den Wirkstoff entwickeln.

Quelle:
Shah, N. P., et al., Overriding imatinib resistance with a novel ABL kinase inhibitor. Science 305 (2004) 399-401. Top

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