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Heroin für Schwerstabhängige

22.07.2002  00:00 Uhr

Heroin für Schwerstabhängige

von Brigitte M. Gensthaler, München

In Bonn begann im März die erste Therapiestudie zur Heroinvergabe an schwerst drogenabhängige Menschen. Sechs weitere deutsche Städte folgen in diesen Wochen. In München sollen 60 Patienten aufgenommen werden.

Mit der multizentrischen, randomisierten und kontrollierten Studie (RCT) werde erstmals Suchtforschung in relevantem Ausmaß in Deutschland betrieben. Zusätzlich solle die Studie einen Beitrag zur internationalen Forschung leisten, sagte Professor Dr. Michael Krausz, Direktor des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung der Uni Hamburg, bei einem Vortrag in München. Anlässlich des bevorstehenden Studienstarts in der bayerischen Landeshauptstadt hatte die BAS – Bayerische Akademie für Suchtfragen in Forschung und Praxis e.V. Ärzte und Apotheker zu einem Info-Abend eingeladen.

Bundesweit werden etwa 1120 Menschen in das Modellprojekt aufgenommen. Die Patienten müssen älter als 23 Jahre und seit mindestens fünf Jahren opiatabhängig sein. Weitere Kriterien sind unter anderem ein vorwiegend intravenöser Gebrauch sowie eine bislang erfolglose Substitution. Gemäß Studienprotokoll werden zwei Zielgruppen anvisiert: Patienten, denen die Methadon-Substitution keinen Nutzen brachte, sowie bislang vom Drogenhilfesystem nicht erreichbare Heroinabhängige.

„Das bestehende Versorgungssystem erfasst viele Abhängige nicht“, erklärte Krausz dazu. Vermutlich wird ein Drittel der Drogenkonsumenten gar nicht erreicht, und jeder fünfte Methadon-Patient hat von dem Medikament keinen oder nur geringen Nutzen. Mindestens 35.000 Opiatabhängige sind derzeit nicht in Behandlung, schätzte der Arzt. Doch gerade diese Gruppe habe ein hohes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko. Mehr als die Hälfte habe bereits einen Selbstmordversuch hinter sich, bei 6 bis 10 Prozent der Drogentoten sei ein Suizid dokumentiert. Sehr häufig sind Begleiterkrankungen wie HIV- und Hepatitis-C-Infektion, Angina pectoris oder Krampfanfälle.

Methadon oder Heroin

In der Arzneimittelstudie werden die Patienten randomisiert in zwei Gruppen eingeteilt: die eine bekommt nur Methadon einmal täglich per os, die andere Heroin zur Injektion. In den hoch spezialisierten Ambulanzen kann der Abhängige bis zu dreimal täglich jeweils maximal 400 mg reines Heroin injizieren; die Tagesdosis ist auf ein Gramm beschränkt, erklärte der Studienleiter. Zugleich werden Methoden der psychosozialen Begleitung miteinander verglichen: Drogenberatung in Verbindung mit Psychoedukation, einer gruppentherapeutischen Interventionsform, oder Case Management, ein individuell nachgehendes Betreuungskonzept.

In der Studie soll konkret festgestellt werden, ob die heroingestützte Behandlung im Vergleich zur Methadon-Substitution größere Effekte erzielt bei der Verbesserung der Gesundheit, der Reduktion illegalen Drogenkonsums und der Delinquenz sowie einer besseren Erreichbarkeit und Haltekraft in der Therapie. Weitere Kriterien sind die Loslösung aus dem Drogenmilieu, soziale Stabilisierung und vermehrte Arbeitsfähigkeit, finanzielle Sicherung, Stabilisierung der Wohnsituation und Aufnahme weiterführender Therapien.

Nach einjährigem Verlauf besteht für die Methadon-substituierten Patienten die Möglichkeit, für ein weiteres Jahr randomisiert in die Heroingruppe aufgenommen zu werden, erklärte Krausz das komplexe Studiendesign. „Satellitenstudien“ sollen zudem wertvolle Informationen zur Pharmakologie, Neuropsychologie, Gesundheitsökonomie, Pharmakogenetik und Kriminalitätsentwicklung liefern.

Die Rekrutierung der Patienten soll bis Ende des Jahres abgeschlossen sein. Das Studienende ist für 2005 geplant.

Keine Zugangshürden

Ausschlusskriterien gibt es keine. „Wir setzen bewusst keine Hürden, denn wir wollen ein gezieltes Behandlungsangebot für Schwerstabhängige mit risikoreichem Konsumverhalten machen“, erklärte Krausz in der lebhaften Diskussion. Es gehe nicht darum, Methadon oder Buprenorphin zu verdrängen; vielmehr wolle man neben der Substitution und den Abstinenz-orientierten Therapien einen weiteren Ansatz für eine klar definierte Stichprobe anbieten und prüfen.

Wie erreicht man die Zielgruppe der „nicht erreichbaren“ Abhängigen? Dies gelinge über Systeme der Drogennothilfe, Notschlafstellen oder Beratungsstellen recht gut, berichtete Privatdozent Dr. Michael Soyka, der den Münchner Teil der Studie leitet. Etwa 15 der geplanten 60 Studienteilnehmer seien bereits rekrutiert. Dabei seien Opiatabhängige „aufgetaucht“, die vorher völlig unbekannt waren. Die Ambulanz in der Nähe des Sendlinger Tors erfülle die „astronomischen Sicherheitsauflagen“, das Fachpersonal stehe bereit. Laut Soyka kann die Vergabe in München beginnen.

Wissenschaftlich betreut

Das bundesdeutsche Modellprojekt wird von einer gemeinsamen Initiative des Bundesministeriums für Gesundheit, der Länder Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sowie der Städte Bonn, Frankfurt, Hannover, Karlsruhe, Köln und München getragen und von der Bundesärztekammer begleitet. Die wissenschaftliche Planung und Durchführung der Studie liegt bei Professor Michael Krausz vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS). Nähere Informationen unter www.heroinstudie.deTop

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