Therapeutische Lücken lassen sich schließen |
12.07.1999 00:00 Uhr |
Etwa 8000 Stiftungen gibt es in Deutschland. Die Dr. August und Dr. Anni Lesmüller-Stiftung wird sich künftig mit ihrem Leistungsvolumen zum oberen Fünftel der Stiftungen zählen können.
"Diese Leistungen kommen allein unserem Berufsstand, der wissenschaftlichen Pharmazie und der Apothekerschaft, zugute." Dafür dankte Dr. Hermann Vogel, Vorsitzender des Stiftungsrates, bei der 2. Lesmüller-Vorlesung am 5. Juli in München der Stifterin Dr. Anni Lesmüller. Erstmals traf man sich im Johann-Andreas-Buchner-Hörsaal der neuen Fakultät für Chemie und Pharmazie - übrigens der einzige Hörsaal, der nach einem Pharmazeuten benannt ist, sagte Professor Dr. Franz Bracher, Geschäftsführender Vorstand des Instituts für Pharmazie, bei der Begrüßung der zahlreichen Gäste.
Die Aktivitäten orientieren sich am Stiftungszweck: Förderung der pharmazeutischen Wissenschaft unter besonderer Berücksichtigung des Arzneimittels und der Aufgabenstellung des Apothekers. So treffen sich beispielsweise in Augsburg etwa zwanzig Apotheker in einem von der Stiftung unterstützten Pilot-Qualitätszirkel Pharmazeutische Betreuung, der zugleich die Idee bayernweiter Qualitätszirkel entwickelt, berichtete Vogel. Sie bearbeiten zwei Projekte: Umsetzung der Pharmazeutischen Betreuung modellhaft mit wenigen Patienten und richtige Beratung bei der Abgabe von Antibiotika. Erste Ergebnisse sollen im September vorliegen. Eine geplante Studie mit Patienten mit Fettstoffwechselstörungen wird derzeit noch mit Vertretern aus der Ärzteschaft besprochen.
Stipendien werden ausgeschrieben
Ferner haben die Stiftungsgremien zwei Reisestipendien beschlossen, die sich an Habilitanden sowie an Pharmaziestudenten richten. Gefördert werden Forschungs- und Studienaufenthalte im Ausland. Mit einem Buchpreis sollen Studenten für besondere Leistungen ausgezeichnet werden. Die Stipendien werden demnächst in der PZ ausgeschrieben.
Neben Pharmazeutischer Betreuung sei die Qualitätssicherung in den Apotheken, in Aus-, Fort- und Weiterbildung erforderlich, sagte Vogel mit Blick auf aktuelle gesundheitspolitische Gefahren. Die Ziele der Apotheker wolle die Stiftung fördern.
Fortschritt mit Defiziten
Wir verfügen heute über Arzneimittel, um die uns unsere Großeltern zutiefst beneidet hätten. Doch es gibt noch viele Defizite, auf die Professor Dr. Dr. Ernst Mutschler in seinem temperamentvollen Vortrag hinwies. So sind eine kausale Therapie chronisch inflammatorischer Erkrankungen, die Progressionsverlangsamung degenerativer Prozesse im Gehirn, eine Therapie von Prionen-Erkrankungen, von Tumoren oder genetischer Leiden bislang Zukunftsmusik. Technologien wie kombinatorische Chemie, Hochdurchsatz-Screening, Genomanalyse und die Entwicklung transgener Tiere führen zu Unmengen neuer Stoffe, Testverfahren, spezifischer Targets und Krankheitsmodelle - immer mit dem Ziel, die Lücken zu schließen.
Mutschler griff einige Bereiche heraus. Zunehmend wichtiger werden Peptidominetika, kleine, leicht zu handhabende Moleküle, die wie Peptide wirken. Ein natürliches Mimetikum ist zum Beispiel Morphin, das die Enkephaline nachahmt. Körpereigene Stoffe hätten sich "als sprudelnde Quelle neuer Arzneistoffe" entpuppt. Zwei Beispiele: In Phase III der klinischen Prüfung ist der Basic Fibroblast Growth Factor zur Schlaganfalltherapie; der Glial Derived Neurotrophic Factor wird bei Morbus Parkinson geprüft.
Im Bereich ZNS-Erkrankungen läuft die Arbeit am NMDA-Subtyp des Glutamatrezeptors auf Hochtouren. Hier gibt es zwei Ansätze: Nichtkompetitive NMDA-Antagonisten blockieren den offenen Kanal an seiner Magnesium-(MK-801)-Bindestelle; an der Glycin-Bindestelle greifen spezielle Rezeptorantagonisten an. Die Stoffe könnten unter anderem eingesetzt werden gegen Epilepsie, Angst oder Psychosen.
Auch die Alzheimertherapie wird verfeinert. Mit Acetylcholinesterase-Hemmstoffen stimuliert man alle Acetylcholin-Rezeptorsubtypen. Wünschenswert sind laut Mutschler aber Stoffe, die agonistisch am postsynaptischen M1-Rezeptoren und antagonistisch an präsynaptischen M2-Rezeptoren wirken. Der M1-Agonist Talsaclidine befindet sich bereits in Phase III der Prüfung. M1-Agonisten sollen auch den Abbau des Amyloid-Precursor-Proteins zugunsten neuroprotektiver Spaltprodukte verschieben. Doch wie könnte die Frühdiagnose gelingen? Mutschler bezeichnete die Entwicklung eines spezifischen M2-Antagonisten, der für die Positronen-Emissions-Tomographie eingesetzt werden kann, als sein großes Forschungsziel.
Neben der Behandlung von Autoimmunerkrankungen, Endothelschäden und der Herzinsuffizienz ging der Pharmakologe besonders auf die Tumorpathogenese ein. "Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Statt auf die Tumorzelle selbst müssen wir uns auf das Bindegewebe konzentrieren." Ein Tumor kann nämlich nur über mikroskopische Größe anwachsen, wenn er das umliegende Gewebe anregen kann, Blutgefäße zu bilden (Angiogenese). Direkte und indirekte Angiogenese-Hemmstoffe greifen in diese Versorgungsprozesse ein.
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