Pharmazeutische Zeitung online

Anwendung auf eigene Gefahr

20.06.2005  00:00 Uhr
Produkt-Überprüfung

Anwendung auf eigene Gefahr

von Astrid Kaunzinger, Sylvia Grebe, Andrea Roth, Elke Will und Manfred Schubert-Zsilavecz, Eschborn

Das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) untersuchte ein Komplettpaket zur Herstellung magensaftresistenter Kapseln, bestehend aus Hartgelatinesteckkapseln und einer Versiegelungsflüssigkeit. Das Ergebnis: Das Produkt erfüllte keineswegs die Anforderungen an »magensaftresistente Kapseln« des Ph. Eur.

Magensaftresistente Arzneiformen werden eingesetzt, um den Arzneistoff vor Inaktivierung durch den stark sauren, enzymatisch aktiven Magensaft zu schützen, um Irritationen der Magenschleimhaut zu vermeiden oder um die Wirkstoffabgabe aus der Arzneiform zu steuern beziehungsweise zu modifizieren (1). Bei der Herstellung magensaftresistent überzogener Hartgelatinekapseln können verschiedene Probleme auftreten. Die Quelleigenschaften der Kapselhüllen müssen bedacht werden und die Haftung zwischen Gelatine und Filmbildner muss ausreichend stark sein. Weiterhin können ein langer Trocknungsprozess und zu hohe Temperaturen zur Versprödung der Kapselhülle führen (2). Zudem ist die Pharmakokinetik monolithischer magensaftresistenter Arzneiformen nur schwer vorhersagbar. Bereits bei Nüchterneinnahme können sie bis zu zwei Stunden im Magen verweilen. Bei Einnahme zum oder nach dem Essen sind Gesamtverweilzeiten von drei bis zu zehn Stunden möglich (3). Daraus resultiert die Gefahr der zu frühen Freisetzung des Wirkstoffs bereits im Magen, der verspäteten oder gar ausbleibenden Freisetzung sowie der Überdosierung (4).

Dagegen können Multiple-Unit-Formulierungen mit magensaftresistenten Pellets oder Teilchen, die kleiner als 2 mm sind, den Magen auch bei geschlossenem Pylorus passieren und werden wegen ihrer Mahlzeiten-unabhängigen Kinetik bevorzugt. In Nachschlagewerken wie der Roten Liste finden sich oft keine Angaben darüber, ob es sich bei der Arzneiform um eine magensaftresistent überzogene Hart- beziehungsweise Weichgelatinekapsel oder um magensaftresistente Partikel in einer magensaftlöslichen Kapsel handelt. Auch die Terminologie des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes sah keine Abgrenzung zwischen magensaftresistentem Kapselinhalt oder magensaftresistenter Kapselhülle vor (5). Eine nähere Betrachtung des Fertigarzneimittelmarktes zeigte, dass die zugelassenen magensaftresistenten Hartgelatinekapseln nahezu ausschließlich aus einer magensaftlöslichen Hülle mit magensaftresistenten Mikrotabletten, Mikropellets oder Granulaten bestehen.

Rezepturmäßige Herstellung

Zur Herstellung magensaftresistenter Hartgelatinekapseln in der Apotheke befindet sich nur ein Produkt (Firma LGA, Bandol, Frankreich) auf dem Markt. Das Herstellungs-Set enthält magensaftresistente Hartgelatinesteckkapseln, deren Körper/Kopf-Verbindung mit einer Eudragitlösung zu versiegeln ist. Laut Herstellungsanweisung werden die befüllten Kapseln 10 Sekunden in die Flüssigkeit getaucht und auf einem Tuch getrocknet. Bei Bedarf wird ein weiteres Mal (nicht mehr als 5 Sekunden) in die Überzugslösung eingetaucht.

Von der Firma wird zur Überprüfung der Magensaftresistenz ein In-vivo-Test vorgeschlagen, da dieser repräsentativer und realistischer als eine In-vitro-Untersuchung sei. Dazu werden die Kapseln mit Vanillin und Methylenblau gefüllt und gemäß Vorschrift versiegelt. Zur Prüfung sollen die Kapseln von Freiwilligen geschluckt werden. Besitzt deren Atem einen aromatischen Geruch, ist dies ein Hinweis dafür, dass sich die Kapseln bereits im Magen geöffnet haben. Ein blau gefärbter Urin zeigt dagegen an, dass die Kapseln den Wirkstoff erst im Darm freigesetzt haben. Diese Methode wurde vom ZL nicht angewandt, sondern nach Vorgaben des Europäischen Arzneibuches getestet.

Material und Methoden

Das ZL untersuchte zwei Komplettpakete, bestehend aus magensaftresistenten Hartgelatinesteckkapseln und Versiegelungsflüssigkeit. Dabei handelte es sich um die Kapselgrößen 0 (Chargenbezeichnung Kit: 900013, Kapseln: 040026) und 00 (Chargenbezeichnung Kit: 900011, Kapseln: 840015). Die Kapseln der Größe 00 wurden mit einer Mischung aus 99,5 Teilen Mannitol und 0,5 Teilen Aerosil, die der Größe 0 mit Mannitol und Methylenblau befüllt und anschließend gemäß Anweisung des Herstellers LGA einmal beziehungsweise zweimal in die mitgelieferte Flüssigkeit getaucht. Eine vom NRF beschriebene Methode (6) wurde zusätzlich angewendet. In einem weiteren Versuch wurde lediglich die Verbindung zwischen Ober- und Unterteil der Steckkapsel durch zweimaliges Auftragen der Flüssigkeit versiegelt. Um personenspezifische Aufarbeitungsfehler auszuschließen, wurden die Versiegelungsverfahren unabhängig voneinander von zwei Mitarbeitern durchgeführt. Die so hergestellten Kapseln (jeweils n = 6 Stück) wurden gemäß Europäischem Arzneibuch einem Zerfallstest in 0,1 N Salzsäure unterzogen.

 

Tabelle: Prüfung der Zerfallszeit der versiegelten Kapseln nach Ph. Eur. 4.00

Versiegelungsmethoden Größe 00 Größe 0 Tauchen 1-mal (10 Sekunden) 5 3 Tauchen 2-mal (10 + 5 Sekunden) 7 6 NRF-Methode 25 16 Versiegelung der Nahtstellen 2-mal 1 1

angegeben ist die Zeit (Minuten), nach der Zeichen eines Zerfalls oder Risse auftraten

 

Die Ergebnisse der Prüfungen sind in der Tabelle zusammengefasst. Keine der Kapseln erfüllte die Anforderungen an magensaftresistente Kapseln der Monographie 4.00/0016 Kapseln/Magensaftresistente Kapseln der Ph. Eur. 4.00.

Fazit

Die von der Firma LGA hergestellten »magensaftresistenten Kapseln« mit Versiegelungsflüssigkeit erfüllen nicht die Anforderungen des Europäischen Arzneibuchs und sind somit nicht zur Herstellung magensaftresistenter Kapseln geeignet.

Stellungnahme der Firma LGA

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden der Firma LGA mitgeteilt und diese zu einer Stellungnahme aufgefordert. LGA hat Ende 2004 die Gebrauchsanweisung zu dem Produkt geändert und macht in seinen neuen Unterlagen sehr deutlich, dass die Kapseln nicht dem Europäischen Arzneibuch entsprechen. Die Kapseln werden nicht mehr als »magensaftresistent«, sondern nur noch mit der Bezeichnung »Kapseln mit verzögerter Wirkstofffreisetzung« angeboten.

Die Warnungen im Begleittext des Herstellungs-Kits sind deutlich. Auf den Etiketten gibt es keine Angaben, die den Eindruck erwecken könnten, dass die Kapseln magensaftresistent oder arzneibuchkonform sind. Kapseln, die lediglich eine verzögerte oder veränderte Wirkstofffreisetzung aufweisen, müssen keine speziellen Anforderungen des Arzneibuchs erfüllen. Letztendlich liegt es nun in der Entscheidung des Apothekers, ob und für welche Zwecke er diese Kapseln verwendet.

ZL-Kommentar

Die Firma beruft sich in Ihrer Stellungnahme darauf, dass die Kapseln während der Prüfung nicht von der Säure beschädigt werden, sondern von der bei der Zerfallsprüfung verwendeten Scheibe. Diese Aussage scheint allerdings nicht relevant, da die Belastung der Kapseln in vivo durch die Magenmotilität vermutlich viel größer ist als durch die Scheibe der Zerfallsapparatur. Weiterhin wird auf die In-vivo-Tests an der eigenen Person verwiesen, die nach Aussage des Herstellers meistens befriedigende Ergebnisse lieferten. Leider entzieht es sich unserer Kenntnis, wie oft der Test durchgeführt wurde und ob dieser somit reproduzierbar ist. Auch ob wirklich sichergestellt ist, dass sich die Kapseln tatsächlich nicht öffnen, bleibt offen. Der fehlende aromatische Geruch und ein blau gefärbter Urin sind hierfür sicherlich kein Beweis. Der Hersteller weist darauf hin, dass die Kapseln sehr sorgfältig hergestellt werden müssen, lehnt aber dennoch jegliche Verantwortung ab, falls sich die Kapseln doch im Magen öffnen sollten. LGA gibt zudem noch den Rat, keine Arzneistoffe zu verarbeiten, die ernsthafte gesundheitliche Schäden bei Öffnen im Magen auslösen könnten. Der Anwender wird deutlich darauf aufmerksam gemacht, dass die Verwendung und Einnahme der Kapseln nur auf eigene Gefahr geschieht.

 

Literatur

  1. Bauer, Frömming, Führer, Lehrbuch der Pharmazeutischen Technologie. 6. Auflage (1999). Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart
  2. Magensaftresistent überzogene Hartgelatinekapseln, Produktinformation Eudragit L 12,5. Röhm Pharma Polymere
  3. Wunderer, H., Monolithen nüchtern einnehmen. Pharm. Ztg. (2002)
  4. Rauws, A.G., Wie sinnvoll sind magensaftresistent überzogene Arzneiformen?. Pharm. Ztg. 137, Nr. 6 (1992) 319-327
  5. Krämer, J., Pfefferle, H., Blume, H., Magensaftresistent überzogene Zubereitungen. Pharm. Ztg. 139, Nr. 46 (1994) 52-61
  6. Reimann, H., Nickel, C., Magensaftresistente Hartgelatine-Steckkapseln. Pharm. Ztg. 141, Nr. 48 (1996) 72-73
Top

© 2005 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa