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Potente Option in der Selbstmedikation

16.05.2005  00:00 Uhr
Diclofenac-Kalium

Potente Option in der Selbstmedikation

von Burkhard Hinz und Kay Brune, Erlangen

Diclofenac-Kalium ist in Deutschland seit dem 1. Januar 2004 als nicht-verschreibungspflichtiges Arzneimittel erhältlich. Diese Übersicht stellt wesentliche pharmakologische Aspekte dieser Option für die Selbstmedikation leichter bis mäßig starker Schmerzen und Fieber vor.

Die Selbstmedikation bei geringen bis mittelstarken Schmerzen findet vor allem bei Kopf- und Rückenschmerzen, grippalen Infekten und Menstruationsbeschwerden Anwendung. Rezeptfrei erhältliche Analgetika werden als Monopräparate oder in Form von Kombinationspräparaten angeboten. In Deutschland standen bisher sechs Wirkstoffe (Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Naproxen-Natrium, Paracetamol, Propyphenazon und Phenazon) für die rezeptfreie Schmerztherapie zur Verfügung (Tabelle).

 

Tabelle: Pharmakokinetische Kenndaten nicht-verschreibungspflichtiger Analgetika

Wirkstoff
(Markenname, Beispiel)
Einzeldosis bei Erwachsenen
(maximale Tagesdosis)
Orale Bioverfügbarkeit
(Prozent)
t1/2 a
(Stunden)
Acetylsalicylsäure
(Aspirin®) 500 bis 1000 mg
(3 g) 80 bis 100 b 2,5 bis 4,5 b Diclofenac-Kalium
(Voltaren® Dolo 12,5 mg) 12,5 bis 25 mg
(75 mg) circa 60 1 bis 2 Ibuprofen
(Aktren®) 200 bis 400 mg
(1, 2 g) 100 2 Naproxen-Natrium
(Aleve®) 220 mg
(660 mg) 90 bis 100 12 bis 15 Paracetamol
(Benuron®) 500 bis 1000 mg
(≤4 g) 70 bis 100 1,5 bis 2,5 Propyphenazon
(Demex®) 500 bis 1000 mg
(≤4 g) 100 1 bis 2,5 Phenazon
(Migräne-Kranit®-mono) 500 bis 1000 mg
(≤4 g) 100 11 bis 12

a) terminale Eliminationshalbwertszeit; b) Daten beziehen sich auf den Metaboliten Salicylsäure

 

Diese Substanzen unterscheiden sich in ihrer Wirksamkeit und Pharmakokinetik und sind mit Vor- und Nachteilen für bestimmte Schmerzen beziehungsweise bestimmte Patientengruppen verbunden. So führt Acetylsalicylsäure über eine anhaltende Hemmung der Plättchenaggregation zu einem vergleichsweise erhöhten Blutungsrisiko, besonders bei Patienten mit eingeschränkter Blutgerinnung oder Ulcus. Dieser Effekt kann nach Unfällen oder bei unaufschiebbaren Operationen lebensgefährlich sein.

Paracetamol bewirkt zwar keine gastrointestinalen Ulcerationen, kann aber bei Überdosierung (oberhalb der zugelassenen Tagesdosis von 4 g) lebensgefährlich sein. Hinzu kommt, dass die Substanz in der geringen Dosis von 500 mg oft nicht wirksam ist. Hinsichtlich der unterschiedlichen Pharmakokinetik können Substanzen mit relativ langsamer Elimination wie Naproxen bei länger anhaltenden Schmerzen (zum Beispiel Menstruationsbeschwerden) von Vorteil sein.

Auf der anderen Seite ist bei vorübergehend auftretenden Schmerzzuständen ein schnell anflutendes und ebenso schnell eliminierbares Analgetikum wie Ibuprofen vorzuziehen. In diese Gruppe reiht sich auch Diclofenac-Kalium ein.

Wirkmechanismus

Diclofenac ist ein potentes nicht steroidales Antiphlogistikum (NSAID), das sich seit nahezu drei Jahrzehnten in der Rheumatherapie bewährt hat. Wie alle NSAIDs hemmt Diclofenac die Aktivität der Cyclooxygenase-(COX)-Isoenzyme, die den ersten Schritt in der Biosynthese der Prostaglandine und Thromboxane katalysieren. Während eine Reihe unerwünschter NSAID-Effekte (gastrointestinale Ulcerationen und Blutungen, Plättchendysfunktionen) auf einer Hemmung der konstitutiv exprimierten COX-1-Isoform beruhen, wird eine Unterdrückung der Bildung COX-2-abhängiger Prostaglandine als Basis der analgetischen, antipyretischen und antiinflammatorischen Wirkung von NSAIDs angesehen (1). In diesem Zusammenhang konnte gezeigt werden, dass Diclofenac die COX-2-Isoform etwa 18fach stärker hemmt als die COX-1 und somit als präferentieller COX-2-Hemmstoff klassifiziert werden kann (2). Damit verfügt Diclofenac unter den für die Selbstmedikation zugelassenen Substanzen über die größte COX-2-Selektivität.

Anwendungsgebiete und Dosierung

Diclofenac-Kalium (Voltaren® Dolo 12,5 mg) ist indiziert bei kurzzeitiger Behandlung leichter bis mäßig starker Schmerzen und Fieber. Eine Tablette enthält 12,5 mg Diclofenac-Kalium. Als Initialdosis für Erwachsene und Jugendliche ab 14 Jahren werden zwei Filmtabletten empfohlen. Falls erforderlich, ist nach circa vier bis sechs Stunden eine weitere Einnahme von einer oder zwei Filmtabletten möglich. Die maximale Tagesdosis beträgt sechs Tabletten (75 mg Diclofenac-Kalium).

Ohne ärztlichen Rat sollte Diclofenac-Kalium nicht länger als drei (bei Fieber) beziehungsweise vier Tage (bei Schmerzen) eingenommen werden. Das geeignete Dosierungsschema wurde anhand verschiedener Schmerzmodelle erarbeitet. Bei der Therapie von fiebrigen Erkältungskrankheiten (3) und akuten Rückenschmerzen (4) konnten vergleichbare Effekte nach Initialdosen von 2 x 12,5 mg Diclofenac-Kalium oder 2 x 200 mg Ibuprofen registriert werden.

Vergleichbare, nicht signifikant unterschiedliche Effekte zeigten Initialdosen von 12,5 mg Diclofenac-Kalium, 2 x 12,5 mg Diclofenac-Kalium sowie 2 x 200 mg Ibuprofen auch bei der Behandlung von Spannungskopfschmerzen (5). Bei der Kupierung postoperativer Schmerzen nach Weisheitszahnextraktion erwiesen sich Dosen von 2 x 12,5 mg Diclofenac-Kalium und 2 x 500 mg Paracetamol als vergleichbar analgetisch wirksam (6).

Pharmakokinetik

Das Kaliumsalz der Säure zeigt eine gute Löslichkeit und wird in Form einer schnell freisetzenden Darreichungsform bereits seit einigen Jahren erfolgreich zur Migränetherapie eingesetzt. Diclofenac-Kalium wird äußerst schnell resorbiert, so dass maximale Plasmaspiegel und der gewünschte analgetische Effekt innerhalb einer Stunde nach Applikation erreicht werden (7). Messbare Diclofenac-Plasmaspiegel lassen sich bereits 15 Minuten nach Applikation nachweisen (7). Neben der schnellen Anflutungsgeschwindigkeit weist Diclofenac mit einer bei circa einer Stunde liegenden Halbwertszeit eine relativ schnelle Elimination auf. Bei einer Wirkdauer von etwa sechs Stunden hat der Patient somit die Möglichkeit einer flexiblen, bedarfsgerechten Dosierung. Ein kinetischer Schwachpunkt von Diclofenac ist sein ausgeprägter First-pass-Effekt, durch den ­ in Abhängigkeit von der galenischen Formulierung ­ nur 35 bis 70 Prozent des resorbierten Wirkstoffs die posthepatische Zirkulation unverändert erreichen. Befürchtungen, dass die in der Selbstmedikation verwendete geringe Einzeldosis von 12,5 mg nicht zuverlässig resorbiert wird, konnten in einer aktuellen Cross-over-Probandenstudie widerlegt werden. In dieser Arbeit ließen sich nach Einmalgabe von 12,5 beziehungsweise 2 x 12,5 mg Diclofenac-Kalium absolute Bioverfügbarkeiten von 63 beziehungsweise 65 Prozent nachweisen (7). Vor diesem Hintergrund ist auch bei niedriger analgetischer Dosierung von einer zuverlässigen Wirksamkeit auszugehen. Eine Dosisproportionalität zwischen beiden Dosen zeigen auch Berechnungen zur Bioäquivalenz. So erfüllen die für 12,5- und 2 x 12,5 mg Diclofenac-Kalium-Dosierungen ermittelten AUC-Werte internationale Bioäquivalenzkriterien, das heißt, das 90 Prozent-Konfidenzintervall der Mittelwerte der logarithmierten Zielgröße AUC liegt innerhalb des Bereichs von 80 bis 125 Prozent (7).

Sicherheit und Kontraindikationen

Im Rahmen der Untersuchung der analgetischen Wirksamkeit von niedrig dosiertem Diclofenac-Kalium in verschiedenen Schmerzmodellen, die für eine OTC-Medikation relevant sind, wurde auch das Verträglichkeitsprofil von Diclofenac-Kalium geprüft. Herstellerunterlagen zufolge zeigten niedrig dosiertes Diclofenac (75 mg/Tag) und Ibuprofen (1200 mg/Tag) keine Unterschiede in der Häufigkeit unerwünschter Arzneimittelwirkungen einschließlich gastrointestinaler Symptome. Bei der Kurzzeittherapie akuter Schmerzen waren Art und Häufigkeit der unerwünschten Wirkungen vergleichbar gering wie bei Placebo.

Wie alle NSAIDs ist auch Diclofenac-Kalium bei Magen- und Darmgeschwüren, gastrointestinalen oder anderen aktiven Blutungen, ungeklärten Blutgerinnungsstörungen sowie in der Schwangerschaft im 3. Trimenon kontraindiziert.

Keine Wechselwirkung mit ASS

Untersuchungen der Gruppe um Garret FitzGerald haben gezeigt, dass niedrig dosierte Acetylsalicylsäure bei vorheriger Gabe von Ibuprofen die COX-1 und damit die Thrombozytenaggregation nicht ausreichend hemmt (8). Diese Interaktion beruht wahrscheinlich darauf, dass die Bindung von Ibuprofen im katalytischen Zentrum der COX-1 nicht nur mit der Anlagerung des COX-1-Substrats Arachidonsäure, sondern auch mit der Bindung von Acetylsalicylsäure interferiert. Ein Verlust der kardioprotektiven Wirkung von Acetylsalicylsäure könnte sich als nachteilig bei Patienten mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko erweisen.

Wenngleich in den letzten vier Jahren widersprüchliche epidemiologische Daten hinsichtlich einer klinischen Relevanz dieser Interaktion publiziert worden sind (9), wird von einer gleichzeitigen Anwendung von Ibuprofen und niedrig dosierter Acetylsalicylsäure weiterhin abgeraten. Eine entsprechende Interaktion lässt sich bei kombinierter Gabe von Acetylsalicylsäure und Diclofenac nicht nachweisen.

 

Fazit Diclofenac-Kalium ist nach heutigem Kenntnisstand ein schnell wirksames, zuverlässig eliminierbares, gut untersuchtes und vielseitig einsetzbares Schmerzmittel für die Selbstmedikation. Darüber hinaus ist mit der Zulassung einer zusätzlichen analgetischen Reinsubstanz für den OTC-Sektor ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer rationalen Therapie leichter bis mäßig starker Schmerzen vollzogen worden.

 

Literatur

  1. Hinz, B., Brune, K., Non-steroidal anti-inflammatory drugs ­ old and new. In: Isenberg DH, Maddison PJ, Woo P, Glass D, Breedveld FC (eds) Oxford Textbook of Rheumatology. 3rd edition, Oxford University Press, Oxford (2004) 442-450.
  2. Hinz, B., et al., Aceclofenac spares cyclooxygenase 1 as a result of limited but sustained biotransformation to diclofenac. Clin Pharmacol Ther 74 (2003) 222-235.
  3. Grebe, W., et al., A multicenter, randomized, double-blind, double-dummy, placebo- and active-controlled, parallel-group comparison of diclofenac-K and ibuprofen for the treatment of adults with influenza-like symptoms. Clin Ther 25 (2003) 444-458.
  4. Dreiser, R. L., et al., Relief of acute low back pain with diclofenac-K 12.5 mg tablets: a flexible dose, ibuprofen 200 mg and placebo-controlled clinical trial. Int J Clin Pharmacol Ther 41 (2003) 375-385.
  5. Kubitzek, F., et al., Low-dose diclofenac potassium in the treatment of episodic tension-type headache. Eur J Pain 7 (2003) 155-162.
  6. Kubitzek, F., et al., Analgesic efficacy of low-dose diclofenac versus paracetamol and placebo in postoperative dental pain. J Orofac Pain 17 (2003) 237-244.
  7. Hinz, B., et al., Bioavailability of diclofenac potassium at low doses. Br J Clin Pharmacol 59 (2005) 80-84.
  8. Catella-Lawson, F., et al., Cyclooxygenase inhibitors and the antiplatelet effects of aspirin. N Engl J Med 345 (2001) 1809-1817.
  9. Ibuprofen für ASS-Anwender? arznei-telegramm 35 (2004) 140.

 

Für die Verfasser:
Privatdozent Dr. Burkhard Hinz
Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Fahrstraße 17
91054 Erlangen
hinz@pharmakologie.uni-erlangen.de
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