Erleichterte Nachsorge bei Schilddrüsenkrebs |
14.01.2002 00:00 Uhr |
von Brigitte M. Gensthaler, München
Patienten mit Schilddrüsenkrebs benötigen nach der Therapie eine lebenslange Nachsorge. Die Prognose ist beim differenzierten Karzinom zwar gut, Rezidive treten jedoch häufig noch nach vielen Jahren auf. Das rekombinant gewonnene Hormon Thyrotropin-a (rhTSH; Thyrogen®) könnte den Patienten die Phase der Nachuntersuchung erleichtern.
Schilddrüsenkrebs ist selten. Etwa ein Prozent aller Tumoren betrifft die große endokrine Drüse. Pro Jahr wird der Tumor in Deutschland etwa 2500 bis 3000 Mal neu diagnostiziert - mit steigender Tendenz. Dies führt Professor Dr. Christoph Reiners, Direktor der Klinik für Nuklearmedizin der Universität Würzburg, auf die bessere Diagnostik, vor allem die Früherkennung im Ultraschall zurück. Am häufigsten erkranken Menschen zwischen 20 und 40 Jahren, sagte der Arzt bei der Einführungspressekonferenz von Thyrogen® Ende November in München.
Circa 80 Prozent der Schilddrüsenkarzinome sind gut differenziert. Diese papillären und follikulären Formen sprechen am besten auf die Therapie an, die in der Regel mit der radikalen Entfernung der erkrankten Drüse beginnt. Nach drei bis sechs Wochen folgt eine Radio-Iodtherapie, bei der noch vorhandenes Iod-speicherndes Restgewebe und Metastasen zerstört werden. Da der Patient nun kein Drüsengewebe mehr hat, muss er lebenslang Schilddrüsenhormone, meist Levothyroxin, einnehmen (siehe Kasten).
Wie wird die Schilddrüse reguliert?
In den Follikelzellen der Schilddrüse (Thyreozyten) werden die Hormone Triiodthyronin (T3) und Levothyroxin (T4) synthetisiert. Dazu sind die Zellen auf Iodid aus der Nahrung angewiesen. Aus der Speicherform Thyreoglobulin werden die Hormone bei Bedarf ins Blut abgegeben. Zwischen den Follikeln liegen die C-Zellen, die Calcitonin produzieren. In den Nebenschilddrüsen wird dessen Gegenspieler, das Parathormon, gebildet.
Ein komplexer Regelkreis steuert die Sekretion der Hormone. Der Hypophysenvorderlappen setzt das Thyreoidea-stimulierende Hormon (Thyrotropin, TSH) frei. TSH aktiviert nach Bindung an seinen Rezeptor das Wachstum sowie die Hormonproduktion und -sekretion aus der Schilddrüse. T4 und vor allem das daraus gebildete T3 aktivieren zahlreiche Stoffwechselvorgänge. Nach totaler Entfernung der Schilddrüse bei differenzierten Tumoren müssen die Patienten die Hormone substituieren, um die postoperative Hypothyreose auszugleichen. Levothyroxin wird dabei in mäßigem Überschuss gegeben, um die TSH-Produktion zu stoppen, da Thyrotropin restliches Schilddrüsen- und Tumorgewebe zum Wachstum anregen kann. Ohne TSH wird auch kein Thyreoglobulin mehr gebildet.
Kontrolluntersuchung belastet
Die Heilungschancen sind beim differenzierten Karzinom sehr gut. Allerdings treten häufig Rezidive auf. Immerhin jeder fünfte Patient erleidet innerhalb von zehn Jahren nach der Operation ein Rezidiv. Nach vierzig Jahren ist sogar ein Drittel betroffen. Dies macht regelmäßige Kontrolluntersuchungen nötig. Dabei setzt man bildgebende Verfahren wie die Sonographie des Halsbereichs und die Ganzkörper-Szintigraphie (GKS) ein. Als Tumormarker im Blut dient das Speicherprotein Thyreoglobulin, das bei vollständig therapierten Patienten nicht mehr nachweisbar sein darf (Werte unter 0,5 ng/ml).
Vor der Szintigraphie muss TSH die Schilddrüsenzellen und Metastasen anregen, radioaktives Iod zu absorbieren. Die markierten Metastasen werden dann im Röntgenbild sichtbar. Dafür genügen kleine Mengen des Isotops. TSH erhöht auch die Empfindlichkeit des Serumthyreoglobulin-Tests. Ist der Tumormarker nach Stimulation messbar, weist dies auf Schilddrüsenrestgewebe oder Tumorgewebe hin. Die Kombination der Ergebnisse erhöht die Aussagekraft.
Der Haken für den Patienten: Vor Untersuchungsbeginn sollten die TSH-Spiegel ansteigen. Dazu mussten die Betroffenen bislang für circa vier Wochen die Einnahme der Schilddrüsenhormone unterbrechen. Bei der daraufhin entstehenden Hypothyreose stiegen dann die TSH-Spiegel an. Diese Phase erleben die meisten Patienten als sehr unangenehm; Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Gewichtszunahme oder Verstopfung sind typische Symptome. Viele sind in dieser Zeit arbeitsunfähig, berichtete Universitätsdozent Dr. Peter Lind von der Abteilung für Nuklearmedizin im Landeskrankenhaus Klagenfurt. Kardiale und psychiatrische Erkrankungen könnten sich deutlich verschlechtern. Außerdem könne der anhaltend hohe TSH-Spiegel das Tumorwachstum anregen.
Messung im euthyreoten Zustand
Die zweimalige Injektion des rekombinant gewonnenen humanen TSH (rhTSH) kann den Patienten diese Belastung ersparen, da der TSH-Spiegel trotz Euthyreose ansteigt. Das Szintigramm nach rhTSH-Gabe war bei den meisten Patienten vergleichbar mit dem nach Hormonentzug, berichtete Reiners, der an der klinischen Studie* teilnahm.
Das Zeitschema der Nachsorge
Der Patient erhält an zwei aufeinander folgenden Tagen je 0,9 mg Thyrotropin-a intramuskulär. 24 Stunden nach der letzten Injektion erfolgt die perorale Gabe von Radio-Iod (I131). Nach 48 bis 72 Stunden werden das Szintigramm aufgenommen und der Serumthyreoglobulin-Wert bestimmt. Das gesamte Testverfahren kann in fünf Tagen abgeschlossen werden.
229 Patienten mit differenziertem Schilddrüsenkrebs unterzogen sich dabei einer anstrengenden Prozedur: Zuerst wurden nach Gabe von rhTSH das Szintigramm angefertigt und die Thyreoglobulin-Spiegel gemessen. Dann wurden die Untersuchungen nach Hormonentzug wiederholt. Bei 93 Prozent der Patienten lieferte die Szintigraphie nach TSH-Gabe ein vergleichbares oder besseres Ergebnis als in der Hypothyreose. Auch die Thyreoglobulin-Bestimmung war vergleichbar. Die Patienten vertrugen das rekombinante Glykoprotein gut. 9 Prozent klagten über Kopfschmerzen, seltener waren Übelkeit und Schwächegefühl. In klinischen Studien mit 420 Patienten entwickelte kein Patient nach einzelner oder mehrfacher Gabe Antikörper. Der Haken aus Sicht der Krankenkassen: Zwei Ampullen mit je 0,9 mg Thyrotropin-a kosten über 1200 Euro.
*) Haugen, B. R., et al., A comparison of rekombinant human Thyrotropin and Thyroid hormone withdrawal for the detection of thyroid remnant or cancer. J. Clin. Endocrin. Metabol. Vol. 84, No. 11 (1999) 3877 - 3885.
© 2002 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de