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Arzneimittelallergien systematisch betrachten

03.01.2005  00:00 Uhr
ABDATA Pharma-Daten-Service

Arzneimittelallergien systematisch betrachten

von Carsten D. Siebert, Eschborn

Zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit ist im Modul CAVE ein Allergie-Check vorgesehen, um vor möglichen allergischen Ereignissen bei der Einnahme von Arzneimitteln zu warnen. Grundlage sind Herstellerangaben und aktuelle Literaturdaten, die durch chemisch-pharmakologische Betrachtungen ergänzt wurden.

Die Vorgehensweise leitet sich vom Prinzip der so genannten Ligand-Rezeptor-Interaktion her und wird am Beispiel von Furosemid erläutert. Furosemid ist ein Schleifendiuretikum, das bei Hypertonie, verschiedenen oligurischen Zuständen, Ödemen unterschiedlicher Genese sowie drohendem Nierenversagen angewendet wird. Neben der erwünschten Wirkung können auch eine Reihe von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) allergischer Genese auftreten. Im Einzelnen sind dies fieberhafte Zustände, Juckreiz, Exantheme, Purpura, Erythema multiforme, exfoliative Dermatitis, Urtikaria, Photosensibilität, anaphylaktischer Schock und Vaskulitis.

Hier stellt sich die Frage, ob ein bestimmtes Strukturelement von Furosemid für diese Überempfindlichkeitsreaktionen verantwortlich zeichnet. Dass diese Frage nicht leicht zu beantworten ist, zeigt der Vergleich mit einer Auswahl anderer Arzneistoffe mit gewisser struktureller Verwandtschaft, die zum größten Teil gleiche allergische UAW hervorrufen können. Prinzipiell kommt der blau markierte Molekülteil von Furosemid als antigene Determinante (Epitop) in Frage. Möglicherweise lässt sich dieser aber in weitere Substrukturen zerlegen, die ebenfalls als Epitope fungieren können, da sie in Arzneistoffen vorkommen, für die auch eine Reihe von allergischen Reaktionen beschrieben ist. Eventuell existiert ein Zusammenhang zwischen bestimmten allergischen UAW und definierten Substitutionsmustern, vielleicht gibt es im Sinne der Allergenität dominierende Substrukturen.

Strukturverwandte Stoffe betrachten

Zur Beantwortung der Frage wurden Arzneistoffe ermittelt, die einen Benzolkern besitzen, der mit jeweils zwei oder drei Resten substituiert ist, die auch in Furosemid vorliegen. Die zu diesen Substitutionsmustern passenden und exemplarisch ausgewählten Arzneistoffe sind Probenecid, Sulfadiazin, Hydrochlorothiazid, Indapamid und Mefenaminsäure. Mit den jeweils auftretenden Allergien sind sie in der Tabelle aufgelistet.

 

Arzneistoff Einsatzgebiet Nachgewiesenermaßen aufgetretene Allergien (1) Probenecid Urikosurikum Erythem, Exantheme, Lyell Syndrom, Stevens-Johnson Syndrom Furosemid Diuretikum Pruritus, Exantheme, Purpura, Erythema multiforme, exfoliative Dermatitis, Photosensibilität, Urtikaria, anaphylaktischer Schock, Vaskulitis Indapamid Diuretikum Pruritus, Erythema multiforme, Photosensibilität, Urtikaria, Lyell Syndrom Sulfadiazin Antibiotikum Erythem, makulatöse und morbilliforme Hautausschläge, Purpura, Erythema nodosum, exfoliative Dermatitis, Photodermatose, Urtikaria, Lyell Syndrom, Stevens-Johnson Syndrom Mefenaminsäure Antiphlogistikum Exantheme, allergische Ödeme, Blutdruckabfall bis hin zum Schock Hydrochlorothiazid Diuretikum Pruritus, Erythem, photoallergisches Exanthem, Purpura, Urtikaria, Lyell Syndrom, Vaskulitis

 

Die Arzneimittel-Unverträglichkeiten treten überwiegend auf der Haut auf. Diese sind vor allem Urtikaria, Exantheme, Erytheme, zum Teil mit sehr floriden Verläufen, und Pruritus. Mit Ausnahme von Mefenaminsäure, das nur noch in ausländischen Fertigarzneimitteln eingesetzt wird, handelt es sich bei den anderen Arzneistoffen um Benzolsulfonsäureamide, bei denen keine allergischen Ödeme auftreten. Der anaphylaktische Schock ist außer für Furosemid nur bei Mefen-aminsäure beschrieben. Beim Vergleich der übrigen fünf Verbindungen zeigt sich, dass sie alle substituierte Benzolsulfonsäureamide sind. Für die Allergenität ist jedoch nicht zwingend notwendig, dass alle Substituenten nebeneinander vorliegen (Chloratom, Carboxyfunktion, Aminofunktion, Aminosulfonsäurerest). Deutlich wird auch, dass erst bei Betrachtung verschieden substituierter Benzolkerne das Epitop definiert werden kann. Natürlich tragen auch die übrigen chemischen Substituenten zu den Stoffeigenschaften bei, aber es kann davon ausgegangen werden, dass bei den ausgewählten Verbindungen kein weiteres Epitop vorliegt, da es sich um kleine Moleküle handelt.

Arzneimittelsicherheit erhöhen

Prinzipiell stellt die systematische Behandlung und Vorhersage von Allergien eine große Herausforderung dar, und demzufolge ist die Datenlage in der Literatur oft uneinheitlich. Grundlage der Betrachtung von Allergenität auf Molekülebene ist die Übertragung des Prinzips der Ligand-Rezeptor-Interaktion auf eine Hapten-Protein-Interaktion. Nach dem in der Wirkstoffentwicklung gängigen Pharmakophor-Modell, das die Bindung eines Arzneistoffliganden an ein Rezeptorprotein beschreibt, ist vorstellbar, dass Arzneistoffe als zumeist kleine Moleküle (M < 600 g/mol) eine definierte strukturelle Voraussetzung mitbringen müssen, um an ein körpereigenes Protein zu binden, da sie selbst nicht als Allergen wirken. Das daraus entstehende Komplexantigen löst dann eine in Kaskaden verlaufende Immunantwort aus. Der strukturelle Vergleich der aufgeführten Arzneistoffe zeigt jedoch, dass eine gewisse Varianz in der Abgrenzung eines Epitops berücksichtigt werden muss.

Eine weitere Schwierigkeit ist die individuelle Prädisposition des Patienten, der ein Arzneimittel einnimmt. Diese kann nur statistisch erfasst werden – mit dem Manko, dass sie im Einzelfall eine unwägbare Größe darstellt. Und weil aus diesen Gründen ein Parameter fest geschrieben werden und als Basis betrachtet werden muss, ist die Betrachtung ausgehend von der chemischen Struktur des Allergens sinnvoll. Es ist jedoch nicht möglich aus den allergischen Symptomen exakt auf die Konstitution des Epitops zu schließen, aber bei Kenntnis eines Epitops ist eine erhöhte Wachsamkeit möglich und die Anwendung eines Arzneimittels kann mit größerer Sicherheit erfolgen.

 

Der Risiko-Check auf Allergien mit CAVE Eine systematische Erhebung der antigenen Determinanten in Arzneistoffen dient nicht nur dem Erkenntnisgewinn im Sinne einer Epitop-Allergie-Beziehung, sondern hat darüber hinaus bereits heute Einsatzmöglichkeiten im Apotheken- und Klinikbereich. ABDATA Pharma-Daten-Service hat basierend auf der ABDA-Datenbank ein Modul entwickelt, das eine patientenspezifische Prüfung auf persönliche Arzneimittelrisiken erlaubt. Diese Risiken beinhalten Anwendungsausschlüsse und -beschränkungen, die im Zusammenhang mit der medizinischen Vorgeschichte des Patienten stehen. Das von ABDATA entwickelte Datenmodul CAVE prüft in vier Teilmodulen (Erkrankung inklusive besonderer Lebensumstände, Alter, Geschlecht und Allergie), ob ein individuelles Risiko mit der Einnahme eines speziellen Arzneimittels verbunden ist (2). Voraussetzung ist die freiwillige Erhebung des Geburtsdatums und des Geschlechts, eventuell bestehender Vor- oder Grunderkrankungen (Herzinfarkt in der Anamnese, Ulcus ventriculi, Diabetes mellitus) oder eines besonderen Lebensumstandes (Schwangerschaft, Leistungssportler, Kontaktlinsenträger) und einer bekannten Allergie auf einen definierten Stoff. Im Rahmen der Risikoprüfung durch CAVE erfolgt bei der Abgabe des Arzneimittels in der Apotheke, angeschlossen an das Apotheken-Warenwirtschaftssystem, ein individueller Check, der vor einer möglichen Anwendungsbeschränkung warnt. Das weitere Vorgehen ist dann mit dem Kunden beziehungsweise dem Arzt abzustimmen. Besteht ein Anwendungsrisiko bei einem bestimmten Stoff, so wird bei der Abgabe eines Arzneimittels, das diesen Stoff als Wirk- oder Hilfsstoff enthält, mit einer kurzen Erklärung gewarnt. Dies trägt maßgeblich zur Arzneimittelsicherheit bei. Grundlage für CAVE sind die seitens der Hersteller erstellten Fachinformationen. Neben den absoluten und relativen Gegenanzeigen werden auch Warnhinweise berücksichtigt. In den CAVE-Check des Teilmoduls Allergie fließen bereits heute zusätzlich die chemischen Strukturbetrachtungen mit ein. So werden zu Arzneistoffklassen Gruppeneigenschaften definiert und mit deren Hilfe nach strukturell verwandten Stoffen recherchiert, um vor möglichen Allergien indikationsübergreifend zu warnen (3, 4).

 

Anschrift des Verfassers:
Dr. Carsten D. Siebert
ABDATA Pharma-Daten-Service
Carl-Mannich-Straße 26
65760 Eschborn
Info@abdata.aponet.de
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