COX-2-Hemmer in der Tumortherapie |
30.12.2002 00:00 Uhr |
von Christina Hohmann, Eschborn
Cyclooxygenase-Inhibitoren sind als Antirheumatika und Analgetika schon lange in Gebrauch. Nun könnten die Wirkstoffe in einen ganz anderen Bereich vordringen: die Prävention und Therapie von Krebs. In den USA ist der COX-2-Inhibitor Celecoxib bereits zur Behandlung einer erblichen Form von Darmkrebs zugelassen.
Eine Reihe von Studien weist darauf hin, dass nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) einen antineoplastischen Effekt haben. Einer der ersten Hinweise hierfür war die Fallstudie eines Patienten mit Rektalkrebs, dessen Polypen unter der Therapie mit einer Kombination aus den beiden NSAR Indometacin und Sulindac, die er gegen seine Schmerzen einnahm, verschwanden. Aber auch große epidemiologische - sowohl retrospektive als auch prospektive - Studien ergaben, dass die Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika wie ASS über 10 bis 15 Jahre das Risiko für Darmkrebs um bis zu 50 Prozent senkt.
Wie aber kommen diese antineoplastischen Eigenschaften der Wirkstoffe zustande? Da NSAR die Cyclooxygenase (COX, siehe Kasten) hemmen – das Enzym, das den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt der Prostaglandinsynthese katalysiert – ging man davon aus, dass Prostaglandine eine tumorpromovierende Wirkung haben. Vor allem COX-2, die erst Anfang der 90er-Jahre entdeckte induzierbare Isoform der Cyclooxygenase, scheint in der Kanzerogenese eine entscheidende Rolle zu spielen. Ein Hinweis hierfür ist, dass es in einer ganzen Reihe von Tumorvorstufen und Tumoren verstärkt produziert wird.
Cyclooxygenase COX-1: Die lange Zeit einzige bekannte Isoform des Enzyms wird in fast allen Geweben konstitutiv exprimiert. Die von diesem Isozym synthetisierten Prostaglandine erfüllen unterschiedliche grundlegende Aufgaben wie den Schutz der Magenschleimhaut und die Regulation der Nierendurchblutung.
COX-2: Anfang der 90er-Jahre entdeckte man eine zweite, induzierbare Isoform. Deren Produktion wird erst durch bestimmte proinflammatorische und mitogene Reize ausgelöst.
COX-3: Mittlerweile wurde auch eine dritte Cyclooxygenase-Form entdeckt, die vermutlich die Angriffsstelle für den Wirkstoff Paracetamol darstellt.
Die Überexpression der COX-2 kann sogar die Entstehung von Tumoren auslösen, wie genetische Studien an Mäusen zeigen. Genmanipulierte Tiere, die gezielt im Brustgewebe große Mengen des Enzyms exprimieren, entwickeln sehr häufig Mammakarzinome. Im Umkehrschluss konnten Wissenschaftler zeigen, dass Tiere ohne intaktes COX-2-Gen, die das Enzym somit nicht produzieren können, vor Krebs geschützt sind: COX-2-Knock-out-Mäuse entwickelten nach chemischer Reizung 75 Prozent weniger Hautpapillome als Kontrolltiere.
Auch pharmakologische Daten sprechen dafür, dass das Isozym an der Tumorgenese beteiligt ist. Die selektiven COX-2-Hemmer Celecoxib und Rofecoxib unterdrücken in Tierversuchen die Bildung von Tumoren in Dünndarm, Brust, Lunge, Haut, Zunge und Blase. Weiterhin bremsen sie das Wachstum bereits bestehender Geschwülste in verschiedenen Organen wie Kopf, Lunge, Brust, Dickdarm, Magen und Prostata.
COX-2 in der Tumorgenese
An fast allen Prozessen der Kanzerogenese ist COX-2 beteiligt – von der Bildung von Tumoren, über deren Blutversorgung bis hin zur Metastasenbildung. Zur Entstehung von Tumoren trägt COX durch seine Peroxidase-Aktivität bei. Als bifunktionelles Enzym fungiert COX nicht nur als Cyclooxygenase sondern auch als Peroxidase. Mit dieser Aktivität kann es Prokanzerogene wie Benzpyren in Kanzerogene umwandeln und produziert somit Mutagene im Gewebe. Vor allem in Organen, die mit Tabak-Prokanzerogenen in Berührung kommen wie Lunge, Mundhöhle und Blase, kann COX so die Bildung von Tumoren fördern.
In bereits bestehenden Geschwüren scheint COX-2 an der Angiogenese beteiligt zu sein. Die Überexpression des Enzyms führt zu einer vermehrten Produktion von Wachstumsfaktoren wie VEGF (vascular endothelial growth factor), die die Neubildung von Gefäßen anregen. Außerdem fördert COX-2 die Wanderung der benötigten Endothelzellen und die Bildung eines gefäßähnlichen Netzwerkes, wie In-vitro-Untersuchungen ergaben.
Weiterhin unterdrückt eine Überexpression von COX-2 die Apoptose in Krebszellen. Anscheinend bewirken die hohen Konzentrationen des Enzyms, dass das antiapoptotische Protein BCL-2 vermehrt exprimiert wird, was verhindert, dass sich die Zellen durch den programmierten Zelltod selbst abschalten. Auch an der Metastasenbildung scheint COX-2 beteiligt zu sein. Die Überexpression des Enzyms lässt Krebszellen in Zellkultur invasiver und mobiler werden. Dies bestätigten auch Tierversuchen, in denen die Gabe von selektiven COX-2-Hemmern die Metastasenbildung verhinderte.
Wirkmechanismen der Inhibitoren
Entsprechend der verschiedenen Prozesse, die Cyclooxygenase-2 in der Tumorgenese beeinflusst, üben COX-2-Inhibitoren ihren antineoplastischen Effekt auf vielfältige Weisen aus – sie hemmen die Angiogenese, lösen Apoptose aus und unterdrücken die Metastasenbildung. Allerdings scheinen die Wirkstoffe auch COX-unabhängige Effekte zu haben. Denn hohe Konzentrationen der NSAR hemmen selbst das Wachstum von Zelllinien, die weder COX-1 noch COX-2 exprimieren. Auch Sulindac-Sulfon, ein Metabolit des NSAR Sulindac, der nachweislich keines der beiden COX-Enzyme hemmt, löst in Krebszelllinien Apoptose aus.
Verschiedene COX-unabhängige Mechanismen werden zurzeit diskutiert. So könnten die COX-Inhibitoren die Aktivierung des nukleären Transkriptionsfaktors NF-kB verhindern. Das Molekül reguliert die Expression einer Reihe von Genen, die an der Angiogenese und an Entzündungsprozessen beteiligt sind. Zumindest einige der NSAR (ASS, Sulindac) konnten in Kolonkrebs-Zellen Apoptose auslösen, indem sie die Aktivierung von NF-kB hemmten. Außerdem inhibieren NSAR die Expression des antiapoptotischen Proteins BCL-LX. Dadurch verschiebt sich das Verhältnis der antiapoptotischen gegenüber den proapoptotischen Faktoren zu Gunsten der Letzteren – der programmierte Zelltod läuft ab.
Ob diese In-vitro-Beobachtungen allerdings für die Situation im tierischen Organismus relevant sind, ist noch ungeklärt. Die benötigten Konzentrationen der NSAR, die in Zellkultur nachweisbar Apoptose auslösen konnten, waren um ein Vielfaches höher als die Serumlevel, die in Tierversuchen tumorreduktiv wirkten. Somit ist die Hemmung der COX-2 vermutlich der Hauptmechanismus des antineoplastischen Effekts.
Beteiligung von COX-1
Inwieweit auch COX-1 zur Tumorgenese beiträgt, ist ebenfalls noch ungewiss. Da COX-2 in verschiedenen Tumorarten überexprimiert wird, während COX-1 in nahezu allen Geweben vorkommt, sollte diese Isoform eine eher untergeordnete Rolle spielen. Dem widersprechen jedoch die Ergebnisse einiger Tierversuche. So schützte sowohl das Ausschalten des COX-2- als auch des COX-1-Gens Mäuse mit einer erblichen Form von Darmkrebs davor, Polypen zu entwickeln. Außerdem reicht die COX-2-Inhibition nicht aus, um die gesamte Prostaglandinsynthese zu unterdrücken. Daher vermuten einige Wissenschaftler, dass NSAR, die sowohl COX-1 als auch COX-2 hemmen, sogar effektiver gegen Krebs wirken könnten als selektive COX-2-Inhibitoren.
Erste Zulassung
Allerdings ist der selektive COX-2-Hemmer Celecoxib (Celebrex®) das erste NSAR, das für eine onkologische Indikation zugelassen wurde. In den USA kann der Wirkstoff seit Dezember 1999 zur Behandlung von familiärer adenomatöser Polypose (FAP) eingesetzt werden. Patienten mit der seltenen Erbkrankheit entwickeln schon im Jugendalter eine große Zahl von Polypen im Dickdarm. Unbehandelt erkranken die Betroffenen mit spätestens 40 bis 50 Jahren an einem Kolonkarzinom.
Familiäre adenomatöse Polypose Die familiäre adenomatöse Polypose (FAP) ist eine seltene autosomal dominant vererbte Krankheit, die auf eine Mutation in einem Tumorsuppressor-Gen, dem APC-Gen (adenomatous polyposis coli gene), zurückgeht. Die für die Erkrankung typischen Wucherungen (Polypen) in Kolon und Rektum treten bereits in der Jugend auf. Unbehandelt entwickeln alle Patienten bis zum Alter von etwa 50 Jahren Kolonkrebs, zum Teil auch Duodenalkarzinome oder Bindegewebstumoren. FAP-Patienten machen etwa ein Prozent aller jährlich entdeckten Kolonkrebsfälle aus.
Grundlage der Zulassung war eine doppelblinde, placebokontrollierte Phase-III-Studie an 83 Patienten mit FAP. Über einen Zeitraum von sechs Monaten erhielten die Studienteilnehmer entweder 400 mg Celecoxib, 100 mg Celecoxib oder Placebo zweimal täglich. Unter der Behandlung mit 400 mg des COX-2-Inhibitors zweimal täglich reduzierte sich die Zahl der Darmpolypen um etwa 28 Prozent, unter Placebo um etwa 4,5 Prozent. Ähnlich gut nahm auch die totale Polypenlast ab: Die betroffene Darmoberfläche reduzierte sich um 31 Prozent (Placebo 4,9 Prozent).
Celecoxib ist der erste Wirkstoff überhaupt, der zur Reduktion der Polypen bei Patienten mit FAP zugelassen wurde. Er soll als Zusatztherapie zur herkömmlichen Behandlung dienen, die in endoskopischer Kontrolle und eventuellen chirurgischen Eingriffen besteht. Auch in Europa soll Celecoxib für diese Indikation zugelassen werden. Ein entsprechendes Verfahren läuft bereits. Der Handelsname für die onkologische Indikationen soll Onsenal® sein.
Der Einsatz von Celecoxib wird zurzeit auch bei verschiedenen anderen Tumorvorstufen und Tumoren diskutiert und untersucht, teilt das Unternehmen Pharmacia, das Celebrex® zusammen mit Pfizer vermarktet, auf Anfrage mit. Klinische Studien laufen zu den Indikationen kolorektales Karzinom, nichtkleinzelliges Bronchialkarzinom sowie Mamma- und Prostatakarzinom. Abschließende Daten fehlten allerdings noch, so dass für einen breiten Einsatz von Celecoxib in der Tumortherapie im klinischen Alltag noch die Grundlage fehlt, so Pharmacia weiter.
Literatur
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