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Forderung nach Transparenz

17.11.2003  00:00 Uhr

Forderung nach Transparenz

von Beate Kern, Berlin

Beim Erfassen von unerwünschten Arzneimittelwirkungen hinkt Deutschland im europäischen Vergleich hinterher. Dies ergab ein Workshop zur Arzneimittelüberwachung, den die vier deutschen Mitglieder der Internationalen Gesellschaft der Arzneimittelzeitschriften (ISDB) Ende Oktober veranstalteten.

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Adverse Drug Reactions, ADR), werden in klinischen Studien vor der Zulassung nur unzureichend erfasst, da die Patientengruppen zu klein sind, um seltene Ereignisse von unter 1:1000 aufzuweisen. Zusätzliche Studien sind vom Design her (Zeitdauer und Zielkriterien) oft nicht dazu geeignet, durch Arzneimittel verursachte Krankheiten zu erkennen. Spontanerfassungssysteme und Pharmakovigilanz-Studien in speziellen Zentren sind deshalb zwingend erforderlich, um die Arzneimittelsicherheit zu verbessern. Die Thalidomid-Tragödie (Contergan®) in den 60er-Jahren war in vielen Ländern der Anlass, um Strukturen zum Erfassen von ADRs aufzubauen.

Auf dem Pharmakovigilanz-Workshop stellten Experten aus Großbritannien, Schweden, Frankreich und Deutschland die jeweiligen Systeme ihrer Länder detailliert vor. Die Melderaten unterschieden sich dabei zum Teil beträchtlich, anscheinend jedoch unabhängig von einer nationalen gesetzlichen Verpflichtung zur Meldung. Derzeit scheint Schweden das am besten strukturierte Land mit den höchsten Melderaten zu sein. Die Ergebnisse der Spontanerfassung korrelieren hier mit Daten aus Fallkontrollstudien. In Großbritannien geht man von bis zu 20 Prozent gemeldeter ADRs im freiwilligen Spontanerfassungssystem für medizinisches Fachpersonal aus. Zusätzlich wird ein Direktmeldesystem für Patienten aufgebaut. Die Einbeziehung von Patientenberichten wird als wesentliche Chance erachtet, ADRs besser zu entdecken.

Auf Grund von Ergebnissen einzelner Pharmakovigilanz-Zentren, wie zum Beispiel dem Bremer Modell, muss man in Deutschland von Melderaten von nur 2 bis 5 Prozent ausgehen, in Pharmakovigilanz-Zentren bis 20 Prozent. Für einen praktizierenden Arzt beträgt die Wahrscheinlichkeit, eine durch Arzneimittel bedingte schwer wiegende Krankheit zu sehen, 1:3000 Arzt-Patienten-Kontakte. Deshalb ist es für ihn schwierig, solche Krankheitsursachen zu erkennen. In spezialisierten Zentren gelingt dies besser. Beispiele aus drei vernetzten französischen Pharmakovigilanz-Zentren zeigen deutlich, wie neue ADRs und Risikofaktoren aufgespürt werden können.

Ziel der ADR-Erfassung ist, die Therapie zu verbessern, nicht Daten zu sammeln. Der Erkenntnisgewinn zu Gunsten der Sicherheit der Patienten und das Verhindern schwer wiegender ADRs rechtfertigen den zusätzlichen finanziellen Aufwand für gezielte Pharmakovigilanz-Studien über die Spontanerfassungssysteme hinaus. Ein hilfreiches Werkzeug ist auch das supranationale Drug Monitoring Programm der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Jährlich gehen bei diesem circa 250.000 Meldungen von nationalen Erfassungssystemen weltweit ein. Der jetzige Bestand von über drei Millionen Daten wird regelmäßig mit großem technischen Aufwand ausgewertet (Data Mining). Die so erhaltenen Hinweise (Signale) werden zwar an die nationalen WHO-Zentren und an Pharmafirmen weitergeleitet, Fachkreisen wie den Arzneimittel-Bulletins werden sie jedoch nicht zugänglich gemacht.

Auch bei der Kommunikation zwischen den ISDB-Journalen (siehe Kasten) und den Zulassungsbehörden bestehen noch Defizite, so der Tenor des Workshops. Auf nationaler Ebene wurden allerdings Fortschritte gemacht. Bedenken bestehen hinsichtlich der europäischen Zulassungsbehörde EMEA, vor allem in Hinblick auf die angestrebte Zusammenfassung der Spontanerfassungssysteme auf europäischer Ebene. Meldungen zu Arzneimittelzwischenfällen und -risiken werden dort teilweise als für die Hersteller vertraulich behandelt, obwohl Arzneimittelrisiken ein öffentliches Problem sind. Mehr Transparenz im Umgang mit Pharmakovigilanz-Daten ist gefordert. Dies wird auch ein Bestandteil der in Vorbereitung befindlichen Deklaration der ISDB zur Pharmakovigilanz sein. Diese soll die Schwachpunkte der jetzigen Systeme aufzeigen und konkrete Verbesserungen vorschlagen, um die Therapien für die Patienten möglichst risikoarm zu gestalten.

 

ISDB Die Internationalen Gesellschaft der Arzneimittelzeitschriften (International Society of Drug Bulletin, ISDB) ist ein weltweites Netzwerk von Bulletins und Fachzeitschriften zu dem Thema Arzneimittel und Therapeutika, die finanziell und redaktionell unabhängig von der pharmazeutischen Industrie sind. Die Gesellschaft wurde 1986 mit Unterstützung des WHO-Regionalbüros für Europa gegründet. Die deutschen Vertreter sind arznei-telegramm, Arzneimittelbrief, Pharmabrief und Arzneiverordnung in der Praxis. Hauptziel ist es, die Entwicklung unabhängiger Arzneimittelzeitschriften in allen Ländern zu fördern und die Zusammenarbeit unter diesen zu erleichtern. Unter anderem setzt sich die ISDB dafür ein, dass sich Zulassungsbehörden zuerst und vorwiegend um das öffentliche Wohl bemühen.

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