Wenig Besserung in Sicht |
24.10.2005 00:00 Uhr |
Trotz der günstigeren Preise je Tagesdosis sind Patienten mit Fettstoffwechselstörungen verglichen mit 2002 nicht besser mit Lipidsenkern versorgt worden. So das Ergebnis einer Untersuchung der Bayerischen Landesapothekerkammer und der Verrechnungsstelle der Süddeutschen Apotheken (VSA).
1) Bayerische Landesapothekerkammer, München; 2) VSA Verrechnungsstelle der Süddeutschen Apotheken GmbH, München; 3) InForMed GmbH Outcomes Research and Health Economics
Eine im Jahr 2003 von der Bayerischen Landesapothekerkammer und der Verrechnungsstelle der Süddeutschen Apotheken (VSA) durchgeführte Studie zur Versorgung mit Lipidsenkern stellte anhand von Rezeptabrechnungen fest, dass im Jahr 2002 eine gravierende Unterversorgung mit diesen Arzneimitteln vorlag (1). Dies war umso unverständlicher, als dass der Zusammenhang zwischen LDL- und HDL-Lipoproteinen und koronarer Herzkrankheit (KHK) überzeugend belegt ist und die Reduktion des relativen Risikos (RRR) kardiovaskulärer Ereignisse vor allem durch die Statintherapie in einer Vielzahl von Studien nachgewiesen ist (2, 3).
Ziel der aktuellen Studie
Eine Aktualisierung der damaligen Untersuchung bot sich zum einen aus gesundheitsökonomischen Überlegungen an, da zwei umsatzstarke Statine, Simvastatin und Lovastatin, 2003 aus dem Patentschutz entlassen wurden. Allein durch Simvastatin-Generika wurden 2003 in neun Monaten Einsparungen in Höhe von 220 Millionen Euro erreicht (4). Dementsprechend verringerten sich die Kosten je Tagesdosis bei den Statinen zwischen 2002 und 2004 von circa 1,6 auf 1,3 Euro; über alle untersuchten lipidsenkenden Arzneimittel hinweg sanken die Kosten je Tagesdosis von 1,44 auf 1,15 Euro.
Zum anderen sollten in der aktuellen Versorgungsstudie Behandlungsunterschiede in Abhängigkeit von der Arztgruppe des verschreibenden Arztes untersucht sowie ein internationaler Vergleich des Versorgungsgrads mit Lipidsenkern erstellt werden.
Methodisches Vorgehen
Grundsätzlich wurde das methodische Vorgehen von 2003 befolgt. Dies umfasst als erstes die Analyse des Anteils der medikamentös behandelten Personen an dem Kollektiv, das nach allgemein anerkannten Leitlinien an behandlungsbedürftigen Fettstoffwechselstörungen leidet. Anschließend wird ermittelt, ob die therapierten Patienten eine ausreichende Anzahl an Tagesdosen erhalten, um eine durchgängige Therapie zu gewährleisten.
Als Datengrundlagen wurden die über die Verrechnungsstelle der VSA abgerechneten GKV-Rezepte mit Verordnungsdatum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2004 aus Apotheken in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen sowie demografische Statistiken, epidemiologische Studien und die Mitgliederstatistik der GKV herangezogen. Dem Datenschutz wurde bei der Erhebung und Analyse der Daten Rechnung getragen. Einbezogen wurden alle Arzneimittel mit den ATC Codes C10AA (HMG-CoA-Reduktasehemmer, im Folgenden auch als »Statine« bezeichnet), C10AB (Fibrate), C10AC (Gallensäurebindende Mittel), C10AD (Nicotinsäure und Derivate) sowie die Präparate Ezetrol® (im Folgenden als »Cholesterolresorptionshemmer« bezeichnet) und Omacor® (im Folgenden als »Omega-3-Säurenethylester« bezeichnet). Die Selektion erfolgte anhand der PZN (Pharmazentralnummer). Die nicht in die Analyse eingegangenen Lipidsenker, hauptsächlich pflanzliche Präparate, machten in 2004 weniger als 0,05 Prozent Umsatzanteil an den Arzneimitteln des ATC Codes C10 »Lipidsenkende Mittel« aus.
Zur Ermittlung des Anteils der medikamentös behandelten Personen an dem Kollektiv, das nach allgemein anerkannten Leitlinien an behandlungsbedürftigen Fettstoffwechselstörungen leidet, wurde zunächst ein Erwartungswert für die Anzahl der an Fettstoffwechselstörungen leidenden GKV-Versicherten errechnet, deren Verordnungen über die VSA abgerechnet werden. Dieser Wert errechnet sich für Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen aus dem Produkt der GKV-Versicherten des Bundeslands, der Prävalenz von behandlungsbedürftigen Fettstoffwechselstörungen und dem Marktanteil der VSA in dem jeweiligen Bundesland. Diesem Erwartungswert wurde die tatsächliche Anzahl an GKV-Versicherten mit mindestens einer Verordnung eines lipidsenkenden Arzneimittels im Laufe des Jahres 2004 gegenübergestellt.
Hinsichtlich der Prävalenz behandlungsbedürftiger Fettstoffwechselstörungen wurde aus Gründen der Vergleichbarkeit auf die in der Studie von 2003 verwendete Definition einer behandlungsbedürftigen Fettstoffwechselstörung und korrespondierende Prävalenzdaten zurückgegriffen: Nach den allgemein anerkannten ATP-III-Richtlinien ist ein Gesamtcholesterolwert von über 240 mg/dl unter Berücksichtigung der individuellen Risikokonstellation therapiebedürftig (5). Im Rahmen der Bayerischen Cholesterol-Aktion (BCA), bei der die Cholesterolwerte von 214\x0f479 Personen (entsprechend 1,73 Prozent der bayerischen Bevölkerung, keine randomisierte, repräsentative Stichprobe) erhoben wurden, ergab sich bei 26 Prozent der Untersuchten ein Cholesterolwert von über 250 mg/dl (6). Dieser Prozentsatz wird durch neuere epidemiologische Untersuchungen, zum Beispiel des Robert-Koch-Instituts (7), gestützt und wurde als Prävalenz der behandlungsbedürftigen Fettstoffwechselstörung für alle Bundesländer zu Grunde gelegt.
Gemäß der amtlichen Mitgliederstatistik der GKV gab es zum Stichtag 1. Juli 2004 in Baden-Württemberg 8,94 Millionen, in Bayern 10,36 Millionen und in Sachsen 3,89 Millionen GKV-Versicherte (8). Unter der Prämisse, dass 26 Prozent der Bevölkerung laut BCA-Studie und ATP-III-Richtlinien an Dyslipoproteinämien leiden und der Marktanteile der VSA in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen von 89 Prozent, 90 Prozent und 82 Prozent kann man für 2004 in Baden-Württemberg mit 2,07 Millionen, in Bayern mit 2,42 Millionen und in Sachsen mit 0,83 Millionen GKV-Versicherten mit behandlungsbedürftiger Fettstoffwechselstörung rechnen, deren Rezepte über die VSA abgerechnet werden.
Zur Analyse, ob die tatsächlich therapierten Patienten eine ausreichende Anzahl an Tagesdosen erhalten, um eine durchgängige Therapie zu gewährleisten, wurde präparategruppenspezifisch der Versorgungsgrad mit cholesterolsenkenden Arzneimitteln pro Jahr und therapiertem Versicherten wie folgt errechnet: Versorgungsgrad = Anzahl der Tagesdosen/365 Tage in Prozent. Der Versorgungsgrad wurde zudem differenziert für Internisten beziehungsweise Allgemein- und Praktische Ärzte als Verordner ermittelt. Doppelzählungen von Versicherten in verschiedenen Präparategruppen/bei verschiedenen Ärztegruppen traten in vernachlässigbarem Umfang auf (4 Prozent beziehungsweise 6 Prozent).
Als Tagesdosen wurden in den Arzneistoffgruppen Fibrate, Nicotinsäure und Derivate sowie Gallensäurebindende Arzneistoffe die in den ATP-III-Empfehlungen (5) angegebenen Dosierungen beziehungsweise DDD (defined daily dose) der WHO und des WidO (9, 10) zu Grunde gelegt. Bei den Statinen wurde auf Grund des großen Dosierungsbereiches zwischen Initial- und Tageshöchstdosis der ATP-III-Empfehlungen die in der jeweils aktuellen Fachinformation angegebene Dosierung verwendet. Für den Arzneistoff Ezetimib (Ezetrol® und das Kombinationspräparat Inegy®) sowie das Präparat Omacor® wurden die Dosierungen der Fachinformation verwendet.
Weiterhin wurde ein vernachlässigbarer Einfluss durch Therapieabbrecher und -beginner angenommen, da es sich bei der Medikation von Fettstoffwechselstörungen um eine langfristige, meist lebenslange Therapie handelt. Selbst, wenn man für die Behandelten eine mehrfache Mortalität der Gesamtbevölkerung, die derzeit bei circa 1 Prozent liegt, annimmt, liegt die Zahl der in die Analyse eingegangenen nur unwesentlich über derjenigen der tatsächlich behandelten Versicherten.
Ergebnisse
In der Untersuchung wurden insgesamt 3.104.695 Rezeptpositionen (Datensätze) analysiert, davon 1.145.642 aus Baden-Württemberg, 1.354.039 aus Bayern und 605.014 aus Sachsen. 2004 erhielten in den drei Bundesländern insgesamt 1.350.279 GKV-Versicherte mit Fettstoffwechselstörungen, deren Rezepte über die VSA abgerechnet wurden, mindestens eine lipidsenkende Medikation. Im Durchschnitt erhielten die therapierten Patienten in Baden-Württemberg 2,36, in Bayern 2,24 und in Sachsen 2,30 Verordnungen eines lipidsenkenden Mittels pro Jahr (Tabelle 1 - nur in der Druck-Ausgabe).
Vergleicht man die Zahlen der GKV-Versicherten mit lipidsenkender Therapie mit den GKV-Versicherten je Bundesland, die auf Grund der Prävalenzdaten an behandlungsbedürftigen Fettstoffwechselstörungen leiden und deren Rezepte über die VSA abgerechnet werden (Baden-Württemberg 2,068 Millionen, Bayern 2,423 Millionen, Sachsen 0,831 Millionen GKV-Versicherte), so haben in Baden-Württemberg lediglich 23,4 Prozent, in Bayern 24,9 Prozent und in Sachsen 31,6 Prozent der Personen, die erwartungsgemäß ein Medikament gegen Dyslipoproteinämien hätten bekommen sollen, ein solches erhalten. Gegenüber 2002 hat sich damit die Versorgung der Versicherten in der Breite verbessert.
Der Versorgungsgrad innerhalb der tatsächlich therapierten Versicherten liegt ebenfalls weit unter dem Notwendigen und weist je nach Präparategruppe und Bundesland erhebliche Unterschiede auf. Der Anteil der verordneten Tagesdosen, relativ zu den für eine durchgängige Therapie erforderlichen Tagesdosen reicht von lediglich knapp 12 Prozent bis zu circa 50 Prozent. Für die einzelnen Präparategruppen ergeben sich folgende Werte (Baden-Württemberg/Bayern/Sachsen): Statine 44,1 Prozent/38,7 Prozent/40,7 Prozent, Fibrate 49,6 Prozent/45,3 Prozent/49,0 Prozent, Gallensäurebindende Mittel 17,0 Prozent/16,6 Prozent/15,6 Prozent, Nicotinsäure und Derivate 27,6 Prozent/18,9 Prozent/17,1 Prozent, Cholesterolresorptionshemmer 30,4 Prozent/30,3 Prozent/25,9 Prozent und Omega-3-Säurenethylester 13,0 Prozent/15,8 Prozent/11,7 Prozent. Der Anteil der therapierten GKV-Versicherten, die im Jahresdurchschnitt weniger als 20 Prozent bis zu 100 Prozent der benötigten Therapie erhalten hat, ist in 20er-Prozentschritten in Tabelle 2 (nur in der Druck-Ausgabe) ausgewiesen.
In den Arzneistoffgruppen Statine und Fibrate ist das Verhältnis der Versorgungsgrade zwischen den untersuchten Bundesländern in etwa gleich: Ein Drittel bis ein Viertel der Versicherten sind über 80 Prozent des Jahres versorgt und circa 50 Prozent der Versicherten erhalten die benötigten Medikamente für weniger als fünf Monate. Auffällig ist jedoch die Tatsache, dass Fibrate offenbar konstanter für einen längeren Zeitraum verordnet werden als Statine. Weit über 90 Prozent der Versicherten der untersuchten Bundesländer, die mit Gallensäurebindenden Arzneistoffen versorgt wurden, erhielten die Therapie für maximal fünf Monate. Annähernd das Gleiche gilt für die Therapie mit Omega-3-Säurenethylester. Der Versorgungsgrad mit Nicotinsäure weist innerhalb der untersuchten Bundesländer größere Differenzen auf etwa 70 bis 90 Prozent der behandelten Versicherten sind für maximal fünf Monate versorgt. Bei den Cholesterolresorptionshemmern sind 80 Prozent der Behandelten nur für höchstens fünf Monate voll versorgt.
Unterschiede des Versorgungsgrades therapierter Versicherter bei Verordnung durch Internisten gegenüber Allgemein- und Praktischen Ärzten können nicht festgestellt werden. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass Lipidsenker sowohl bei den Allgemein- und Praktischen Ärzten, als auch bei den Internisten zu den gängigsten Verordnungen zählen: Mit einem Verordnungsvolumen von 567 Millionen Euro bilden Statine die umsatzstärkste Gruppe unter den 50 führenden Arzneimitteln bei Allgemeinärzten, bei den durch Internisten verordneten Arzneimitteln stehen die Statine mit einem Umsatzvolumen von 276,6 Millionen Euro auf dem dritten Platz der verordneten Präparategruppen (4, S. 927 ff.). Als Einschränkung dieses Ergebnisses muss darauf hingewiesen werden, dass innerhalb der Internisten nicht zwischen fach- und hausärztlichen Internisten unterschieden wurde.
Gegenüber 2002 hat sich die Versorgungskontinuität der behandelten Patienten teils erheblich verschlechtert. Dies betrifft speziell die besonders häufig verordneten Kategorien der Statine und Fibrate.
Glossar ATC Code: Anatomisch-therapeutisch-chemischer Code
Bei den Omega-3-Säurenethylestern ist zu berücksichtigen, dass sich das Präparat Omacor® im Vergleichszeitraum 2002 noch nicht auf dem Markt befunden hat. Zudem wurde in Anlehnung an die Fachinformation eine DDD von 3 g zur Behandlung von Fettstoffwechselstörungen angesetzt, das Präparat wird jedoch in nicht unerheblichem Maße auch zur Behandlung des Zustands nach Herzinfarkt mit einer DDD von 1 g eingesetzt. Genaue Angaben zur Anwendungshäufigkeit für die beiden Indikationen lagen auch dem Hersteller nicht vor; sollte das Präparat jedoch hauptsächlich für den Zustand nach Herzinfarkt verwendet werden, ist der errechnete Versorgungsgrad als tendenziell zu gering einzustufen. Bei der Gruppe der Cholesterolresorptionshemmer ist zu beachten, dass sich die auf dem Markt befindlichen Präparate in 2002 noch in der Einführungsphase befanden, so dass die bessere Versorgung auch auf das Einpendeln der Zahl der behandelten Versicherten zurückzuführen sein sollte. Ähnlich muss bei der Interpretation des Versorgungsgrads mit Nicotinsäure und ihren Derivaten darauf hingewiesen werden, dass diese Präparategruppe gegenüber 2002 erheblich mehr Versicherten verordnet wurde, so dass ein Überschuss an Neueinstellungen als mögliche Erklärung für das beobachtete Abfallen des Versorgungsgrads infrage kommt.
Internationaler Vergleich
Ein Ländervergleich im Statinverbrauch kann nur grob zu einem fundierten Ergebnis kommen, da die Datenerhebung multinational nicht korrespondiert und allein durch unterschiedliche Gesundheitssysteme und Reimbursement-Situationen große Differenzen entstehen. Für Deutschland, Frankreich, Niederlande und Portugal stehen Daten der Sozialversicherungsträger zur Verfügung, die 75 bis 90 Prozent der Bevölkerung abdecken; Daten aus Irland stammen vom »general medical services scheme«, das allerdings nur das ärmste Drittel der irischen Bevölkerung umfasst. Österreich und Belgien steuern aggregierte Daten von Gesamtverbrauch beziehungsweise Gesamtausgaben an Statinen bei. Basierend auf den erhobenen Daten kann festgestellt werden, dass der Gesamtverbrauch an Statinen in 13 EU-Ländern und in Norwegen von 11,12 DDD/1000 Einwohner in 1997 auf 41,80 DDD/1000 in 2002 gestiegen ist, was einen jährlichen Zuwachs von 31 Prozent bedeutet (11). Im Zeitraum von 2000 bis 2003 kann man europaweit eine Zunahme des Statinverbrauchs zwischen 56 Prozent (Frankreich) und 274 Prozent (Irland) feststellen; für Deutschland beträgt diese Zuwachsrate 74 Prozent und liegt somit eher im unteren Bereich. Die DDD haben sich in allen betrachteten Ländern erhöht, liegen aber immer noch unter den Dosen der großen Statinstudien. Die Patientenbehandlungstage zeigen einen wesentlich geringeren Zuwachs, als durch die gestiegenen Verbrauchszahlen vermutet werden kann. So stiegen die Behandlungstage in Irland zwischen 2000 und 2003 um 192 Prozent, in Frankreich um 35 Prozent; auch bei den Behandlungstagen liegt die Zunahme für Deutschland mit 44 Prozent deutlich unter der anderer EU Länder. Walley, Folino-Gallo et al. erklären den erhöhten Verbrauch in Europa zu einem Drittel durch Verschreibung von über den DDD liegenden Tagesdosen und zu zwei Dritteln durch eine Ausweitung der Behandlungstage, wobei der Annahme, dass mehr Patienten insgesamt mit Statinen behandelt wurden der Vorzug gegenüber der Annahme einer erhöhten Adhärenz zu geben ist (12).
Diskussion
Ähnlich wie die Untersuchung des Jahres 2003 deckt die aktuelle Studie zur Versorgung der GKV-Versicherten mit lipidsenkenden Arzneimitteln gravierende Defizite in der medikamentösen Therapie der Fettstoffwechselstörungen auf. Auch wenn sich der Anteil der therapierten Patienten mit behandlungsbedürftiger Fettstoffwechselstörung seit 2002 verbessert hat, erhält immer noch lediglich jeder dritte bis vierte therapiebedürftige Patient eine lipidsenkende Arzneimitteltherapie. Als Einschränkung dieses Ergebnisses ist anzumerken, dass die Prävalenz behandlungsbedürftiger Fettstoffwechselstörungen allein am Gesamtcholesterolwert festgemacht und damit nicht zwischen Primär- (Verringerung des Risikofaktors Cholesterol zur Krankheitsvermeidung) und Sekundärprävention (Verhinderung des Fortschreitens eines Frühstadiums zum Beispiel einer Atherosklerose) unterschieden wurde. Dies ist auch bedeutsam, da der Einsatz von Statinen zur reinen Primärprävention durch das SGB V nicht gedeckt ist (4, S. 930). Das Ergebnis, dass in erheblichem Maße behandlungsbedürftige Patienten keine lipidsenkende Therapie erhalten, würde jedoch auch dann Bestand haben, wenn man von erheblich konservativeren Werten für die Prävalenz behandlungsbedürftiger Fettstoffwechselstörungen im Sinne einer reinen Sekundärprävention ausginge.
Die mäßige Ausweitung des Anteils der behandelten Patienten zwischen 2002 und 2004 hat zudem auf Kosten der durchgängigen Versorgung der behandelten Patienten stattgefunden. Gerade bei den besonders häufig verordneten Statinen und Fibraten hat sich die Zahl der Versorgungstage der behandelten Patienten gegenüber 2002 erheblich verschlechtert. Teilweise lässt sich der Rückgang der Versorgungstage zweifellos auf das In-Kraft-Treten des Gesundheits-Modernisierungsgesetzes zum 1. Januar 2004 und die damit verbundenen Vorzieheffekte im letzten Quartal 2003 zurückführen. So scheint es denkbar, dass sich viele mit Lipidsenkern behandelte Patienten auf Grund der Einführung der Praxisgebühr und der neuen Zuzahlungsregelungen gegen Ende 2003 mit Medikamenten eingedeckt haben, doch auch dann hätten sich zum Beispiel alle mit Statinen therapierten Patienten in 2003 für das komplette erste Quartal 2004 eindecken müssen, um den Rückgang der Versorgungstage in 2004 erklären zu können. Dies scheint jedoch unwahrscheinlich, da die Gesamtausgaben zum Beispiel im Dezember 2003 nur 33 Prozent über dem Vorjahr lagen (13). Hätten sich die Patienten für das komplette erste Quartal 2004 eingedeckt, hätte in den letzten Monaten des Jahres 2003 das Ausgabenniveau etwa 100 Prozent über dem Vorjahr liegen müssen.
Ohne Zweifel ist die unbefriedigende Versorgung mit Lipidsenkern zu einem erheblichen Teil auf die wirtschaftlichen Zwänge des deutschen Gesundheitssystems zurückzuführen. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass auch Fragen der Compliance und des Funktionierens von Versorgungsstrukturen eine wesentliche Rolle für die Qualität der Therapie mit Lipidsenkern spielen.
Ein wesentlicher Anteil an der Qualität der Versorgung mit Lipidsenkern kommt der zeitlichen Therapiebefolgung durch den Patienten zu (»Adhärenz«). Wie in einer Studie, die die gleichzeitige Einnahme von blutdrucksenkenden Mitteln und Lipidsenkern über fünf Jahre beobachtet hat, gezeigt werden konnte, sinkt die Einnahme der Medikation rapide nach drei, sechs und zwölf Monaten. (14). Chapman et al. gehen in dieser Studie von einer ausreichenden Adhärenz aus, wenn die Therapie an mindestens 80 Prozent der verschriebenen Tage befolgt wurde (14). Die vorliegenden Ergebnisse der Versorgung mit Lipidsenkern für Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen könnten demnach zum Teil auch auf mangelndes Adhärenzverhalten der Patienten zurückgeführt werden. Niedrige Adhärenz wird im Arzneimittelsektor allgemein als ein wichtiger Faktor angesehen, um eine beeinträchtigte Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit zu erklären (15).
Eine auf die Versorgungsstrukturen gerichtete Erklärung der schlechten Versorgung mit Lipidsenkern bieten die Ergebnisse der prospektiven PIN (Post-Infarkt-Studie); hier konnte an 2441 Patienten in über 2000 Praxen gezeigt werden, dass die »insgesamt leitliniengerechte Prozessqualität der stationären kardiologischen Rehabilitation ambulant bereits im ersten Jahr nicht entsprechend fortgeführt wird« (16).
Zusammenfassung und Ausblick
Die günstigeren Preise je Tagesdosis in 2004 haben zu keiner verbesserten Versorgung gegenüber 2002 geführt der Preis der Lipidsenker scheint in keinem Zusammenhang mit der Qualität der Versorgung zu stehen. Zwar wurden die Patienten in der Breite besser versorgt, die durchgehende Versorgung der behandelten Patienten hat sich im Gegenzug gegenüber 2002 jedoch verschlechtert.
Mit der Einbeziehung von Sortis® in die Festbetragsregelung zum 1. Januar 2005 werden die Preise je Tagesdosis 2005 weiter sinken, da eine Substitution vor allem zu günstigeren und generischen Statinen stattfindet. Ob sich die Versorgungsqualität dadurch verbessern wird, kann basierend auf den Ergebnissen dieser Untersuchung bezweifelt werden.
Die schlechte Versorgungslage ist umso unverständlicher, als die Defizite nicht nur in der vorangegangenen Studie aus dem Jahr 2003, sondern auch in zahlreichen weiteren Veröffentlichungen kritisiert wurden. So deckten sich die Ergebnisse der Vorgängerstudie weitgehend mit denen einer retrospektiven Studie (17). Sogar der Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, der bekanntermaßen mit Nachdruck für die Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen eintritt, spricht in seinem Addendum zum Gutachten 2000/2001 von einem unbefriedigenden Einsatz von Lipidsenkern (18).
Publikationen zur Wirtschaftlichkeit der Statinbehandlung weisen bei kontinuierlicher Behandlung einen Aufwand von etwa 8200 Euro (19) beziehungsweise 9500 Euro (20) je gewonnenem Lebensjahr auf. Dieser im Verhältnis zu anderen Therapieformen bereits durchaus günstige Wert wird durch die zunehmende Verschreibung von Generika noch verringert. Pharmakoökonomische Untersuchungen beziffern das Einsparpotenzial durch den optimalen Einsatz von Statinen mit Beträgen in Höhe von etwa 1,1 Milliarden Euro (21).
Die Wirtschaftlichkeit ergibt sich allerdings nur bei bestimmungsgemäßem Gebrauch, Mittel für unterbrochene Therapien dürfen als ineffizient eingesetzt gelten. Gesundheitspolitische Maßnahmen wie die in 2005 anlaufenden strukturierten Versorgungsprogramme für Patienten mit Herz-Kreislauf-Krankheiten könnten eine Verbesserung der Versorgungskontinuität bei Lipidsenkern erreichen, nicht zuletzt befinden sich aber auch die Apotheker in einer Schlüsselstellung, um eine konsequente Therapieverfolgung mit lipidsenkenden Mitteln zu forcieren. Wie in England gezeigt wurde, konnte durch eine gezieltere Betreuung der Patienten durch den Apotheker (durch Beratung, Information und Bezugnahme auf den behandelnden Arzt, dreimalig alle zwei Monate) eine erheblich bessere Adhärenz bei den Patienten erzielt werden (22). Durch Einsatz seines pharmazeutischen Fachwissens und die Nachfrage nach der Blutdruckkontrolle und dem Einnahmeverhalten kann der Apotheker dazu beitragen, dass die Wirksamkeit und ökonomische Effizienz der Versorgung mit lipidsenkenden Arzneimitteln sichergestellt wird.
Literatur
© 2005 GOVI-Verlag
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