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Pharmazeutische Betreuung von Patienten mit Fettstoffwechselstörungen

20.10.2003  00:00 Uhr
LipoPharm-Projekt

Pharmazeutische Betreuung von Patienten mit Fettstoffwechselstörungen

von Ulrike Birnbaum, Marion Schaefer, Berlin, Frank Verheyen, Hamburg, Martin Schulz, Berlin, Oliver Mast, Mannheim, und Thomas Evers, Leverkusen

In einem Gemeinschaftsprojekt entwickelten Bayer Vital, die Berliner Humboldt-Universität und das ZAPP der ABDA das LipoPharm-Projekt zur Pharmazeutischen Betreuung von Patienten mit Fettstoffwechselstörungen, das anschließend in Apotheken durchgeführt wurde.

Kardiovaskuläre Erkrankungen gehören in Deutschland zu den häufigsten Krankheits- und Todesursachen. Über 200.000 Menschen sterben jährlich an Herzinfarkt oder Schlaganfall. Deshalb weisen nationale und internationale Fachgremien seit längerem darauf hin, dass bei Patienten mit einem hohem kardiovaskulären Risiko und einer Fettstoffwechselstörung die für Cholesterol beziehungsweise Lipide definierten Zielwerte nicht überschritten werden sollen (1 - 3).

Umfangreiche Interventionsstudien belegen, dass erfolgreiche Cholesterolsenkung die Morbidität und Mortalität deutlich reduziert (4 - 8). Da Fettstoffwechselstörungen beziehungsweise Arteriosklerose eng mit Aspekten des Lebensstils (zum Beispiel Rauchen, Ernährung) sowie weiteren Risikofaktoren (zum Beispiel Diabetes) verbunden sind, ist hier eine umfassende Betreuung und Beratung sinnvoll. Dabei stellt die medikamentöse und nicht medikamentöse Therapie auch hohe Ansprüche an die Patienten. Ohne ihre aktive Mitarbeit lässt sich nur schwer eine sinnvolle Therapie durchführen. Auf Grund der Komplexität ist eine sinnvolle Betreuung nur realisierbar, wenn Arzt, Patient und Apotheker intensiv zusammenarbeiten.

In der Routinepraxis erreichen jedoch nur etwa 30 Prozent der Patienten ihre Lipid-Zielwerte, sodass weitere Maßnahmen, wie zum Beispiel Pharmazeutische Betreuung evaluiert werden sollten (9 - 12). In den USA konnte im Rahmen der ImPACT-Studie gezeigt werden, dass sich durch Pharmazeutische Betreuung von Patienten mit Dyslipidämie die Patienten-Compliance verbessert. Des Weiteren erreichte ein größerer Teil der Patienten die Lipid-Zielwerte nach den Richtlinien des National Cholesterol Education Program (NCEP) (13).

Zielsetzung

Primäres Ziel des Projekts war es, eine optimale Anwendung der Lipidsenker einschließlich der Compliance zu gewährleisten, um die Zielwerte nach den NCEP-Richtlinien zu erreichen. Indirekt sollten durch die intensive Beratung, das Selbstmanagement gefördert und das Patientenwissen über die Erkrankung und die eingesetzten Arzneimittel verbessert werden.

Projektablauf

Das Projekt wurde von September 2000 bis April 2002 in 28 Apotheken durchgeführt. Die Vorbereitungsphase bis September 2000 diente zur Projekteinführung und Fortbildung der Apotheker. Das Trainingsprogramm umfasste einen Tag und vermittelte folgende Inhalte:

  • Medizinische Aspekte der Dyslipidämie
  • Medikamentöse und nicht medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten
  • Psycho-soziale Einflussfaktoren
  • Problematik der Compliance (Akzeptanz, Anwenderdisziplin)
  • Aufgaben und Ziele der Pharmazeutischen Betreuung von Patienten mit Dyslipidämie
  • Zweck und Handhabung der Projektunterlagen (Frage- und Dokumentationsbögen).

Einschlusskriterien

Einbezogen wurden Frauen und Männer im Alter von 12 bis 70 Jahren mit einer Lipobay®-Verordnung (Cerivastatin), wobei die bisherige Einnahmezeit nicht mehr als acht Wochen betragen sollte. Die Patienten mussten zu regelmäßigen Beratungsgesprächen in der Apotheke bereit sein. Ferner war eine unterschriebene Einverständniserklärung Voraussetzung für die Teilnahme. Ein Cholestech L.D.X®-Messgerät musste in der Apotheke verfügbar sein.

Beschreibung der Stichprobe

Insgesamt waren 28 öffentliche Apotheken aus den Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Berlin an dem Projekt beteiligt. 76 Patienten konnten für das Projekt gewonnen werden. Der durchschnittliche Betreuungszeitraum betrug 7,7 Monate (1 bis 13,8 Monate). Am Ende des Projektes lagen statistisch auswertbare Datensätze von 68 Patienten, 29 Frauen und 39 Männer, vor. Von den Patienten lebten 88,2 Prozent in einer Partnerschaft / Familie und 10,3 Prozent allein. Bei einer Spannweite von 32 bis 76 Jahren betrug das mittlere Alter (± SD) 58,9 ± 9,9 Jahre.

Drop outs

Apotheken:

Das Ausscheiden von 51 Apotheken zu Beginn des Projektes beruhte hauptsächlich auf Zeit- und Personalmangel sowie „kritischen“ Ärzten im Umfeld. Besonders in kleineren Orten fühlten sich die Ärzte in ihrer Therapiefreiheit eingeschränkt, sodass die Apotheker schließlich vom Projekt Abstand genommen haben.

Patienten:

Bei der Auswertung der Daten wurden alle zur Verfügung stehenden Patientendaten einbezogen, sofern der Patient mehr als einen Termin wahrgenommen hatte. Hierbei sind drei Gruppen von Projektabbrüchen zu betrachten:

  • Unvollständige Datensätze
  • Unerwünschte Arzneimittelwirkungen/sonstige Ereignisse
  • Abbrecher durch die Marktrücknahme von Lipobay®

Zu Beginn wurden 76 Patienten in die Untersuchung aufgenommen. 6 Datensätze waren unvollständig und mussten daher von der weiteren Betrachtung ausgeschlossen werden. Zwei Patienten brachen das Projekt auf Grund unerwünschter Arzneimittelwirkungen (Oberbauchbeschwerden/Übelkeit, Lebererkrankung) schon nach kurzer Zeit ab. Bei einer Patientin führten „private Belastungen“ zum Abbruch. Ein Patient verstarb während des Projekts an einem Herzinfarkt. Zwei Patienten kamen ohne Angabe von Gründen nicht wieder in die Apotheke zurück. Auf Grund der Marktrücknahme von Lipobay® beendeten zwei Patienten das Projekt vorzeitig.

Risikofaktoren

Das Gesamtrisiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, erhöht sich durch entsprechende Risikofaktoren wie Diabetes mellitus, Adipositas, arterielle Hypertonie sowie die familiäre Disposition. Rauchen, sowie ein Alter über 55 Jahre bei Frauen und über 45 Jahre bei Männern werden gemäß den NCEP (National Cholesterol Education Program) Richtlinien ebenfalls als Risikofaktoren gewertet (1). Für die anschließende Zielwerterreichung unter einer lipidsenkenden Therapie ist das individuelle Risikoprofil der Patienten von entscheidender Bedeutung.

Unter den Patienten befanden sich 19,1 Prozent Diabetiker, 58,8 Prozent übergewichtige (BMI ≥ 25 kg/m2) sowie 11,8 Prozent adipöse (BMI ≥ 30 kg/m2) Patienten. 10,3 Prozent der Patienten waren Raucher. Die Verteilung der Risikofaktoren zeigt, dass ein Drittel der Patienten keinen beziehungsweise nur das Alter als Risikofaktor aufwies. Zwei Drittel der Patienten hatte zwei bis vier Risikofaktoren.

Liegen mehrere Risikofaktoren vor, ist zwischen nicht beeinflussbaren Faktoren (Alter, Geschlecht, positive Familienanamnese) und beeinflussbaren Faktoren (Rauchen, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Adipositas) zu differenzieren (14), da letztere die weitere Strategie der Therapiezielerreichung bestimmen. Je mehr Risikofaktoren vorliegen, desto komplexer wird das Krankheitsgeschehen, und desto schwieriger wird es für den einzelnen Patienten, seine Zielwerte zu erreichen. Während der Pharmazeutischen Betreuung sollte gemeinsam mit dem Patienten über die individuell vorliegenden Risikofaktoren gesprochen werden und umsetzbare Ziele in einem bestimmten Zeitrahmen festlegt werden.

Umsetzung des Betreuungsprozesses

Zur Beurteilung der Pharmazeutischen Betreuung wurden unterschiedliche Erhebungsinstrumente erarbeitet und eingesetzt, um interventionsbezogene Veränderungen darzustellen. Diese wurden in fünf Betreuungsgesprächen in unterschiedlicher Weise angewendet.

Beim Erstgespräch erfolgte die Erhebung der Basisdaten zur Bestimmung der Ausgangssituation. Hierzu erfassten die Apotheker therapierelevante Patientenmerkmale wie Geschlecht, Alter, Begleiterkrankungen und bereits bestehende Risikofaktoren. Ferner setzten sie Fragebögen ein, um das individuelle Risiko eines Patienten für die Entwicklung eines Herzinfarktes zu bestimmen sowie die grundsätzliche Einstellung des Patienten zur Arzneimittelanwendung einzuschätzen. Zu diesem Zweck verwendeten sie den Herzligafragebogen der Deutschen Herzstiftung sowie einen Fragebogen zur Erfassung der Selbstwirksamkeit und Compliance.

In allen Beratungsgesprächen wurde die Medikation der Patienten erfasst sowie ein Nüchternlipidprofil (Kapillarblut) mit dem Cholestech L.D.X®-Messgerät, bestehend aus Gesamt-Cholesterol, LDL-Cholesterol, HDL-Cholesterol und Triglyceriden erstellt. Im gleichen Messvorgang wurde auch die Blutglucose bestimmt.

Das zweite und dritte Betreuungsgespräch erfolgte im Abstand von jeweils vier bis sechs Wochen. Da nach diesem Zeitpunkt davon ausgegangen werden konnte, dass die entsprechenden Therapiezielwerte erreicht worden waren, vergrößerte sich der Betreuungsabstand der beiden letzten Gespräche auf jeweils drei Monate. Zusätzlich wurde im letzten Gespräch ein Meinungsbild der Patienten und Apotheker zum Betreuungskonzept in Form eines Zufriedenheitsfragebogens ermittelt.

Begleitmedikation

Neben dem CSE-Hemmer erhielten 58 von 68 Patienten weitere Arzneimittel. Alle Arzneimittel der Begleitmedikation wurden nach dem ATC-Code (Anatomical Therapeutic Chemical classification index) gemäß WHO Collaborating Centre for Drug Statistics Methodology klassifiziert. Bedingt durch die Studienpopulation lagen die Verordnungen, die das kardiovaskuläre System beeinflussen, mit 57,4 Prozent an der Spitze. Die größte Bedeutung innerhalb dieser Gruppe kam den Medikamenten zu, die auf das Renin-Angiotensin-System wirken. Diese wurden häufig mit Betablockern beziehungsweise Calciumkanalblockern kombiniert. Oft wurden auch Antithrombosemittel, vor allem Acetylsalicylsäure, verordnet.

Arzneimittelkombinationen üben einen deutlich negativen Einfluss auf die Patienten-Compliance aus. In verschiedenen Studien konnte nachgewiesen werden, dass mit zunehmender Therapiekomplexität die unsachgemäße Arzneimittelanwendung (Non-Compliance) steigt (15). Bereits bei einer Einnahme von drei Arzneimitteln beträgt die Non-Compliance-Rate etwa 35 Prozent. Bei vier einzunehmenden Arzneimitteln steigt diese sogar auf 49 Prozent (16, 17).

Analyse der Beratungsgespräche

Insgesamt fanden 303 Beratungsgespräche in den beteiligten Apotheken statt. Bezogen auf die Gesamtzahl der Patienten (n = 68) wurde demnach jeder Patient im Mittel 4,5 mal projektbezogen beraten. Zu Projektbeginn betrug die durchschnittliche Beratungszeit pro Patient und Gespräch 30 Minuten inklusive Messung des Lipidprofils und Ausfüllen der Fragebögen. In den folgenden Beratungsgesprächen reduzierte sich diese Zeit auf 23 bis 24 Minuten pro Patientengespräch. Der höhere Beratungsaufwand beim Erstgespräch lässt sich durch die Erfassung der Patientenstammdaten sowie das Ausfüllen der Fragebögen erklären.

Beratungsinhalte

Obwohl die Inhalte der Beratungsgespräche individuell auf jeden Patienten abgestimmt wurden, konnten mit Hilfe eines Zufriedenheitsfragebogens zu Projektende Beratungsschwerpunkte festgestellt werden. 44 der 68 Patienten hatten diesen Fragebogen ausgefüllt zurückgesandt. Die Mehrzahl der Patienten bewertete die Beratung in allen Punkten als ausreichend. Die besten Werte ergaben sich beim Beratungsumfang zur korrekten Anwendung (86,4 Prozent) und zur Wirkung der Arzneimittel (84,1 Prozent). Allerdings gaben auch 20,9 Prozent der Patienten an, während des Projektes vom Apotheker keine Informationen zu Arzneimittelnebenwirkungen erhalten zu haben (Tabelle 1).

 

Tabelle 1: Patientenaussagen zum Beratungsinhalt und -umfang während der Betreuung

In welchem Umfang haben Sie
mit Ihrem Apotheker gesprochen über...
nzu viel [%]ausreichend [%]zu wenig [%]gar nicht [%] die Wirkung Ihrer Arzneimittel? 44 4,5 84,1 4,5 6,8 die Nebenwirkungen Ihrer Arzneimittel? 43 2,3 65,1 11,6 20,9 deren korrekte Anwendung? 44 0,0 86,4 4,5 9,1 die Wichtigkeit korrekter Einnahme? 44 6,8 77,3 2,3 13,6 Ihre Krankheiten und Beschwerden? 43 4,7 67,4 18,6 9,3 Ihren Lebensstil (Diät, Bewegung)? 44 4,5 77,3 13,6 4,5 alternative Behandlungsformen? 41 0,0 58,5 22,0 19,5

 

Marktrücknahme des Lipidsenkers

Am 8. August 2001 nahm die Firma Bayer den CSE-Hemmer Lipobay® vom Markt, weil es unter der Behandlung in sehr seltenen Fällen zu schwer wiegenden Nebenwirkungen gekommen war. Sehr wahrscheinlich wurde diese Nebenwirkung durch die gleichzeitige Einnahme des Wirkstoffs Gemfibrozil ausgelöst beziehungsweise verstärkt. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits 25 Patienten das Projekt abgeschlossen. Zwei Drittel der Patienten, die sich noch innerhalb des Betreuungsprozesses befanden, wurden auf andere CSE-Hemmer umgestellt. Ein Drittel der Patienten erhielt keine lipidsenkende Therapie mehr. Da es in erster Linie bei diesem Projekt, um den Prozess der Pharmazeutischen Betreuung ging, bei dem der Patient mit seinen Bedürfnissen und seiner Erkrankung und nicht das Produkt im Mittelpunkt stand, wurde das Projekt nicht abgebrochen. Alle Patienten, das heißt, 29 Patienten mit und 14 Patienten ohne Lipidsenkertherapie, wurden weiter pharmazeutisch betreut. Bei den Patienten, die nach dem 8. August 2001 keine Lipidsenkertherapie mehr erhalten hatten, stiegen, wie erwartet und im Gegensatz zu den mit anderen CSE-Hemmern behandelten Patienten, die Blutlipide wieder an.

Lipidprofil

Die Messung der Lipidprofile erfolgte mit dem Cholestech L.D.X®-Messgerät in der Apotheke. Dabei konnte unter der Therapie mit dem CSE-Hemmer eine Senkung der Gesamt- und LDL-Cholesterolwerte beobachtet werden. Mittels eines statistischen Verfahrens, mit dem auch Daten von Patienten einbezogen werden können, von denen nicht alle Messwerte vorlagen, (Mixed Models, Autokovarianzstruktur mit SBC-Fit: AR (1), SAS®) wurden die Unterschiede zwischen den einzelnen Messzeitpunkten untersucht.

Sowohl beim Gesamt-Cholesterol (Gesamt-C) als auch beim LDL-Cholesterol (LDL-C) konnten signifikante Abnahmen zwischen dem ersten und vierten Messzeitpunkt festgestellt werden (Gesamt-C: t1 - t2 und t1 - t3 p < 0,007; t1 - t4 p < 0,013; LDL-C: t1 - t2 p < 0,039; t1 - t3 p < 0,028; t1 - t4 p < 0,012). Die Marktrücknahme von Lipobay® und die damit verbundene Therapieveränderung sowie Patientenverunsicherung spiegelten sich auch in den Messwerten wider. So veränderte sich der mittlere Gesamt-C Wert der 4. Messung im Vergleich zur 3. Messung nicht signifikant und stieg anschließend etwas über den der 2. Messung. Ähnlich verhielt sich der mittlere LDL-C Wert. In einem weiteren Testverfahren (Test nach Wilcoxon) konnte jedoch in beiden Fällen gezeigt werden, dass sich der erste Messwert zum letzten Messwert signifikant reduzierte (Tabelle 2). In beiden statistischen Verfahren waren bei den Triglyceriden und HDL-C Werten keine signifikanten Veränderungen zu verzeichnen.

 

Tabelle 2: Veränderungen (t1-t5) der Gesamt- und LDL-Cholesterinwerte unter Lipidsenkertherapie

VariableGespräch 1
mg/dl (SD)
Gespräch 5
mg/dl (SD)
absolute Differenz
mg/dl (SD)

P-Wert* Gesamt-C (n=34) 230,1 (40,9) 207,7 (39,8) -22,4 (38,1) 0,0012 LDL-C (n=29) 138,1 (39,0) 117,5 (31,1) -20,6 (33,5) 0,0027

*) Durchschnittliche Betreuungsdauer 7,7 Monate; Test nach Wilcoxon für nicht parametrisch abhängige Messwerte.

 

Auswertung der Studienergebnisse

Zur Beantwortung der Frage, wie viele Patienten die Zielwerte unter Lipidsenker erreicht hatten, wurde das Risikoprofil der Patienten nach den NCEP-Richtlinien (1) bestimmt. Danach sollten Patienten ohne koronare Herzkrankheit beziehungsweise Erkrankung der peripheren Gefäße, die weniger als zwei Risikofaktoren aufweisen, ein LDL-Cholesterol (LDL-C) kleiner als 160 mg/dl besitzen. Patienten ohne koronare Herzkrankheit beziehungsweise Erkrankung der peripheren Gefäße mit zwei oder mehr Risikofaktoren sollten einen Wert kleiner als 130 mg/dl erzielen. Besitzen Patienten ein HDL-Cholesterol (HDL-C) kleiner als 40 mg/dl, so kommt ein weiterer Risikofaktor dazu. Dementsprechend wird bei einem HDL-C ≥ 60 mg/dl ein Risikofaktor gestrichen. Bei KHK-Patienten mit Arteriosklerose sowie Diabetikern sollte ein LDL-C Wert kleiner als 100 mg/dl angestrebt werden (Tabelle 3).

 

Tabelle 3: NCEP-Richtlinien für LDL-Cholesterin

 Diätetische Therapie und BeratungLDL-C ZielwertRisikokategorie bei bestehender KHK
oder Diabetes
plus sofortige Medikation <100 mg/dl
< 2,6 mmol/l hoch ohne KHK*
2 Risikofaktoren** und mehr
3-6 Monate <130 mg/dl
< 3,4 mmol/l mittel ohne KHK*
0 oder 1 Risikofaktor**
6-12 Monate <160 mg/dl
< 4,1 mmol/l gering

*) oder Erkrankung der peripheren Gefäße oder Diabetes; **) Rauchen, Hypertonie, HDL < 40 mg/dl, familiäre Disposition, Alter (>55 Jahre Frauen, >45 Jahre Männer)

 

Basierend auf diesen Richtlinien erreichten am Ende des Projekts 12 von 26 Patienten der Risikokategorie „hoch“ (46,2 Prozent), 7 von 10 Patienten der Kategorie „mittel“ (70,0 Prozent) und 13 von 19 Patienten der Kategorie „gering“ (68,4 Prozent) die Zielwerte. Insgesamt erlangten 32 von 55 Patienten (58,2 Prozent) ihre LDL-C-Zielwerte unter Lipidsenkertherapie.

Störungen des Glucosehaushaltes

Neben der Ermittlung des Lipidprofils erlaubte die Verwendung des Cholestech L.D.X®-Geräts auch die Messung der Glucose im Nüchtern-Kapillarblut. Nach Selbstangaben befanden sich unter den eingeschlossenen Studienpatienten 13 Diabetiker. Dokumentierte Messwerte lagen von elf Diabetikern vor. Während der Pharmazeutischen Betreuung konnte festgestellt werden, dass acht Diabetiker unzureichend eingestellt waren. Davon war es im Verlauf des Projekts fünf Diabetikern möglich, ihre Blutglucosewerte zu verbessern. Zudem wurde eine Patientin neu als Diabetikerin identifiziert und von einer diabetischen Schwerpunktpraxis auf Insulin eingestellt.

Patientenbefragung

Am Ende des Projektes wurde ein Meinungsbild der Patienten zum Betreuungskonzept in Form eines Fragebogens ermittelt. 44 der 68 Patienten hatten den Fragebogen zurückgeschickt. Davon beschrieben 97,8 Prozent der Patienten eine Verbesserung der Betreuung durch ihren Apotheker. Die Gespräche zwischen Patient und Apotheker wurden im allgemeinen als sehr informativ, ausführlich, nützlich sowie gut verständlich bewertet. 66,7 Prozent der Patienten gaben an, seit der Projektteilnahme ihre Arzneimitteltherapie besser handhaben zu können. Zudem sagten 62,2 Prozent der Patienten aus, seit Projektbeginn die Anwendungshinweise zu ihren Arzneimitteln besser zu befolgen.

Apothekerbefragung

24 der 28 Apotheken äußerten ihre Meinung in einem Abschlussfragebogen. Darin gaben alle Apotheker an, auch zukünftig an Projekten zur Pharmazeutischen Betreuung teilnehmen zu wollen, obwohl die Dokumentation und Umsetzung der Betreuung zeitaufwendig waren. Zudem befürworteten die Apotheker die Entwicklung von Beratungskonzepten für die Indikationen Diabetes (58,3 Prozent), Hypertonie (29,2 Prozent) und Asthma (29,2 Prozent).

Zusammenfassung

Mit dem LipoPharm-Projekt konnte gezeigt werden, dass Pharmazeutische Betreuung von Patienten mit Fettstoffwechselstörungen in der öffentlichen Apotheke ein erfolgversprechender Ansatz ist. Das Wissen der Patienten über die eigene Erkrankung sowie die eingesetzten Arzneimittel konnte vergrößert werden und ihr Selbstmanagement und somit der Gesundheitszustand verbessert werden.

Die Projektapotheken konnten mithilfe dokumentierter Messwerte und Medikationsdaten sowie regelmäßiger Beratungsgespräche den Verlauf der Arzneimitteltherapie verfolgen und Problemschwerpunkte identifizieren. Dabei konnten im LipoPharm-Projekt ähnliche Ergebnisse wie in der ImPACT-Studie in den USA erzielt werden. Im LipoPharm-Projekt erreichten 58,2 Prozent der Patienten die Lipidzielwerte entsprechend den NCEP-Richtlinien (1), in der ImPACT-Studie 62,5 Prozent (13). Ohne Betreuungskonzepte ist es nur ungefähr 30 Prozent der Patienten möglich, ihre Lipidzielwerte zu erreichen (9 - 12). Da das Erreichen der Lipid-Zielwerte auch von der Therapieoptimierung durch den Arzt (zum Beispiel in Form einer Dosisanpassung) abhängt, könnte eine enge Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker ebenfalls einen positiven Einfluss auf derartige Zielwerterreichungen haben.

Vor dem Hintergrund, dass 30 Prozent der Patienten mit einer CSE-Hemmer-Neuverordnung bereits nach drei Monaten beziehungsweise 50 Prozent der Patienten nach einem Jahr keinen Lipidsenker mehr verschrieben bekommen (18, 19), sollte in diesem Projekt auch untersucht werden, ob durch Pharmazeutische Betreuung eine Verbesserung der Compliance und Einnahmedauer (Persistenz) erreichbar ist. Dazu konnte auf Grund der Marktrücknahme von Lipobay® und den damit verbundenen Therapieumstellungen sowie -abbrüchen keine statistisch abgesicherte Aussage getroffen werden.

Die Ergebnisse des LipoPharm-Projekts belegen, dass eine verantwortungsvolle, fachlich kompetente Beratung und Betreuung durch den Apotheker die Patienten in die Lage versetzt, ihre Krankheit und deren Therapie besser zu verstehen. Die Betreuungsintensität und -schwerpunkte richteten sich dabei nach den Bedürfnissen der Patienten. Allerdings wurde im Zufriedenheitsfragebogen festgestellt, dass bei den Patienten ein erhöhter Beratungsbedarf zu Arzneimittelnebenwirkungen, Aspekten des Lebensstils sowie alternativen Behandlungsmethoden bestand. Diese Erkenntnisse sollten in Folgeprojekten und vor allem in der täglichen Praxis bei der Beratung berücksichtigt werden.

Ausblick

Die inzwischen vorliegenden Ergebnisse bei der Pharmazeutischen Betreuung von Patienten mit unterschiedlichen Erkrankungen belegen, dass die Einbindung von Apothekern auch in Disease-Management-Programme sinnvoll und unerlässlich ist. Denn nur in Kooperation zwischen Ärzten, Apothekern und Krankenkassen lässt sich die sektorübergreifende Betreuung möglichst nahtlos realisieren. Allerdings muss Pharmazeutische Betreuung auch flächendeckend in den Apotheken umgesetzt und öffentlichkeitswirksam angeboten werden. Die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Beratungsleistung muss dabei gleichermaßen durch Politik, Kostenträger und Patient erreicht werden.

 

Dank: Wir danken herzlich den Projektapotheken und Patienten für deren Teilnahme sowie der Firma MICRO-MEDical.

 

Literatur

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Anschriften der Autoren:

Professor Dr. Marion Schaefer, Dipl.-Pharm. Ulrike Birnbaum
Institut für Klinische Pharmakologie
Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität/Charité
Invalidenstraße 115
10115 Berlin

Dr. Frank Verheyen
TKK Hauptverwaltung
Bramfelderstraße 140
22305 Hamburg

Dr. Martin Schulz
ZAPP der ABDA
Jägerstraße 49/50
10117 Berlin

Dipl.-Inform. Med. Oliver Mast
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Dr. Thomas Evers
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