Carglumsäure, Duloxetin, Etoricoxib, Fosamprenavir, Levobupivacain, Pregabalin und Solifenacin |
11.10.2004 00:00 Uhr |
Eine ganze Reihe neuer Arzneistoffe bereichert das Arsenal der deutschen Apotheke, darunter ein Orphan drug gegen eine Harnstoffwechselstörung, zwei Medikamente zur Therapie der Harninkontinenz, ein weiterer selektiver COX-2-Hemmer, ein Proteaseinhibitor sowie ein Antiepileptikum und ein Lokalanästhetikum.
Carglumsäure
Mit Carglumsäure kam im September ein Orphan drug gegen eine sehr seltene Störung des Harnstoffzyklus auf den deutschen Markt (Carbaglu® 200 mg Tabletten; Orphan Europe). Das Medikament senkt den erhöhten Ammoniakspiegel im Plasma (Hyperammonämie), der durch Mangel an N-Acetylglutamat-Synthase (NAGS) entsteht.
In der Leber wird Ammoniak zu Harnstoff umgewandelt, der mit dem Urin ausgeschieden wird. An diesem Harnstoffzyklus sind sechs Enzyme beteiligt. Wenn eines davon fehlt oder nicht richtig arbeitet, reichert sich Ammoniak im Körper an und wirkt toxisch. Der erste Teil des Harnstoffzyklus findet in den Mitochondrien statt, der zweite im Cytosol. Als erster Schritt wird N-Acetylglutamat (NAG) aus Acetyl-CoA und L-Glutamat gebildet. NAG ist als Coaktivator für das nachfolgende Enzym Carbamylphosphat-Synthetase (CPS) und damit den ganzen Zyklus unentbehrlich. Ist das NAGS-Enzym defekt, verringert sich die Syntheserate von NAG, der Harnstoffzyklus funktioniert nicht und Ammoniak reichert sich an.
Je nach Alter bei der Manifestation wirkt sich die Hyperammonämie unterschiedlich aus. Die ersten Symptome bei Neugeborenen sind Trinkunlust, Erbrechen, Lethargie, Hypotonie, erhöhte Atemfrequenz, Reizbarkeit und Krampfanfälle. Unbehandelt führt die Krankheit zum Koma und zum Tod. Bei späteren Manifestationen im Kleinkind- bis Erwachsenenalter treten hauptsächlich Anfälle von Erbrechen, Migräne, Schläfrigkeit, Erregung, Desorientiertheit, Sehstörung und eingeschränktem Bewusstsein auf. Oft ist das Wachstum verzögert und die Patienten sind geistig retardiert.
Die Häufigkeit von Störungen des Harnstoffzyklus liegt bei 1 zu 25.000 bis 1 zu 50.000 Geburten. Die Dunkelziffer könnte groß sein, da vermutlich viele Patienten sterben, bevor überhaupt eine exakte Diagnose gestellt wird. Die Erkrankungen werden vererbt; das Gen für den NAGS-Mangel wurde auf Chromosom 17 lokalisiert. Von den möglichen Störungen ist dieser Defekt am seltensten, allerdings kann nur hier der Harnstoffzyklus durch eine Therapie wieder hergestellt werden. Carglumsäure (N-Carbamoyl-L-Glutaminsäure) ähnelt strukturell dem N-Acetylglutamat und kann dieses in vivo ersetzen. Dadurch wird das CPS-Enzym aktiviert und der Harnstoffzyklus kommt in Gang. In der Folge sinken die Ammoniakspiegel im Plasma, meist bis auf Normniveau. Das Mittel wurde bislang als Pulver eingesetzt und liegt jetzt erstmals als teilbare Tablette vor.
Der erste Fall eines NAGS-Mangels wurde 1981 publiziert. Seither identifizierte Orphan Europe weltweit 42 Patienten, von denen 17 sehr jung starben. In einer retrospektiven Analyse wertete das Unternehmen die Daten von 12 Patienten mit nachgewiesenem NAGS-Mangel, die Carglumsäure erhielten, aus. Die Ammoniakspiegel konnten über einen Zeitraum von 0,7 bis 9,8 Jahre (im Mittel 3,1 Jahre) weitgehend normalisiert werden. Alle Kinder überlebten, wuchsen und entwickelten sich normal (Ausnahme: ein Kind, das bereits mental retardiert war). Die Patienten brauchten keine oder nur eine moderate Diät und keine weitere Medikation. Die Dosis wird individuell angepasst und kann im Lauf der Therapie meist schrittweise reduziert werden. Nebenwirkungen wurden nicht gemeldet.
Duloxetin
Die Belastungsinkontinenz (stress urinary incontinence; SUI) ist die häufigste Form der Harninkontinenz bei Frauen. Für Frauen mit mittelschwerer bis schwerer SUI ist Duloxetin zugelassen (Yentreve® 20 und 40 mg; Boehringer Ingelheim; Lilly). Standarddosierung sind zweimal täglich 40 mg.
Duloxetin ist ein zentral wirksamer, kombinierter Serotonin (5-HT)- und Noradrenalin (NA)-Wiederaufnahmehemmer. Er soll die Wiederaufnahme der beiden Neurotransmitter im sakralen Rückenmark (am präsynaptischen Neuron im so genannten Onuf-Nukleus) hemmen und somit deren Konzentration im synaptischen Spalt erhöhen. Dies steigerte im Tierversuch den Tonus der quergestreiften Muskulatur des Harnröhrenschließmuskels während der Speicherphase des Miktionszyklus. Beim Menschen wird ein ähnlicher Mechanismus angenommen, der zu einem stärkeren Verschluss der Harnröhre führt und damit dem unfreiwilligen Harnabgang vorbeugt.
Obwohl Männer selbstverständlich keine anderen Rezeptoren haben als Frauen und ebenfalls unter Stressinkontinenz leiden können, wurde Duloxetin nur bei Frauen getestet und ist daher nur für diese Zielgruppe zugelassen. In-vitro- und In-vivo-Studien haben gezeigt, dass Duloxetin den 5-HT- und NA-Reuptake stärker hemmt als das Antidepressivum Venlafaxin. Der Arzneistoff wurde auch in dieser Indikation ausgiebig erprobt, hat dafür aber keine Zulassung.
Die Pharmakokinetik von Duloxetin schwankt interindividuell stark. Die absolute Bioverfügbarkeit liegt zwischen 32 und 80 Prozent; Nahrungsaufnahme vermindert die Resorption geringfügig. Der Arzneistoff wird stark metabolisiert, hauptsächlich über die Enzyme CYP2D6 und -1A2 in der Leber, und renal ausgeschieden. Die Eliminationshalbwertszeit liegt zwischen 8 und 17 Stunden. Bei Menschen mit Leberinsuffizienz war die Halbwertszeit mehr als verdoppelt und die AUC knapp vervierfacht. Bei diesen Patienten darf das Medikament nicht eingesetzt werden. Ferner darf es nicht mit CYP1A2-Hemmern wie Fluvoxamin, Ciprofloxacin und Enoxacin sowie mit irreversiblen MAO-Hemmern wie Tranylcypromin kombiniert werden. Wegen der Gefahr eines Serotonin-Syndroms ist Vorsicht geboten, wenn Duloxetin mit anderen Antidepressiva (SSRI, Trizyklika), Triptanen oder Tramadol eingenommen wird.
In vier Studien über zwölf Wochen erhielten insgesamt 1913 Frauen das Verum, meist zweimal täglich 40 mg, oder Placebo. Zielparameter waren die Inkontinenzhäufigkeit und die Inkontinenz-bezogene Lebensqualität, die in einem speziellen Fragebogen erhoben wurde. In allen Studien ging die Häufigkeit des unfreiwilligen Harnabgangs unter Verum um rund die Hälfte (50 bis 64 Prozent), unter Placebo um 27 bis 40 Prozent zurück. Signifikant größer war der Nutzen für Frauen mit schwerer Inkontinenz, die zu Beginn mehr als 14 Episoden pro Woche angaben (Rückgang der Häufigkeit um 56 versus 27 Prozent). Die Unterschiede waren nach vier Wochen deutlich erkennbar. Die Frauen der Verumgruppe gaben in allen Studien eine signifikant bessere Lebensqualität an.
Häufigste Nebenwirkung war Übelkeit, die bei jeder fünften Frau vorübergehend auftrat und häufigster Grund für einen Abbruch der Studie war. Weitere Nebeneffekte waren Schlaflosigkeit, trockener Mund, Müdigkeit und Obstipation.
Ein Vergleich von Duloxetin versus Beckenbodentrainung oder Biofeedback-Therapie bei Frauen mit leichter Inkontinenz liegt nicht vor. Ebenso wäre interessant, ob das Medikament den Effekt des Trainings verbessern kann.
Etoricoxib
Seit 15. September steht ein weiterer selektiver COX-2-Hemmer zur Verfügung. Etoricoxib ist zugelassen zur Behandlung von Patienten mit Arthrose, rheumatoider Arthritis sowie mit Schmerzen und Entzündung bei einem akuten Gichtanfall, hier nur in der akuten symptomatischen Phase (Arcoxia® Filmtabletten; MSD).
Nach peroraler Gabe wird Etoricoxib rasch und vollständig aufgenommen. Bei Nüchterngabe von 120 mg sind im Steady-State bereits nach einer Stunde maximale Plasmaspiegel erreicht. Der Wirkstoff wird über CYP-Enzyme fast vollständig metabolisiert und renal ausgeschieden. Für die Therapie bedeutet dies, dass die Wirkung schnell, meist innerhalb von einer Stunde, eintritt und über 24 Stunden anhält. Dank der langen Halbwertszeit von 22 Stunden genügt die einmal tägliche Einnahme. Zwar kann der Wirkstoff unabhängig von der Nahrung geschluckt werden, jedoch tritt die Wirkung bei Nüchterngabe schneller ein.
Wirksamkeit und Verträglichkeit der Einmalgabe wurden in zahlreichen Studien geprüft. Bei 189 Patienten mit akuter Gichtarthritis reduzierte Etoricoxib (120 mg) Gelenkschmerzen und klinische Entzündungszeichen bei achttägiger Gabe ebenso effektiv wie dreimal täglich 50 mg Indometacin. In einer Dosisfindungsstudie mit 617 Patienten mit Kniegelenksarthrose war das NSAR in jeder Dosis dem Placebo überlegen. Den besten Effekt erreichten 60 mg. Tagesdosen von 30, 60 oder 90 mg Etoricoxib linderten den Gelenkschmerz ebenso gut wie dreimal täglich 50 mg Diclofenac. Außerdem konnte sich Etoricoxib (60 mg) gegen zweimal täglich 500 mg Naproxen behaupten. In einer zwölfwöchigen Studie mit 816 Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) schnitt Etoricoxib 90 mg signifikant besser ab als Naproxen (500 mg zweimal täglich). Allerdings schieden 368 Patienten vorzeitig aus; mangelnde Wirksamkeit gaben 21 Prozent in Etoricoxib-Gruppe und 37 Prozent in Naproxen-Gruppe an.
Die Verträglichkeit wurde in allen Studien als gut bewertet. Häufigste Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen, gastrointestinale Beschwerden (Diarrhöe, Übelkeit, Dyspepsie), Müdigkeit und grippeartige Erkrankungen. In einer kombinierten Analyse der Daten aus zehn klinischen Studien war die Inzidenz von Perforationen, Ulzera und Blutungen des oberen Magen-Darm-Traktes weniger als halb so hoch wie unter nicht COX-selektiven NSAR (Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen).
Fosamprenavir
Der neue Proteaseinhibitor (PI) Fosamprenavir ist ein guter Bekannter in der Behandlung von HIV-1-infizierten-Menschen. Das Phosphatester-Prodrug wird in vivo rasch zu anorganischem Phosphat und Amprenavir hydrolisiert. Dieses ist seit November 2000 als Agenerase® in Deutschland auf dem Markt. Amprenavir hemmt kompetitiv die virale Aspartatprotease und verhindert damit die Proteinsynthese und die Reifung infektiöser Viruspartikel. Fosamprenavir selbst wirkt in vitro nicht antiviral (Telzir® 700 mg Filmtabletten, GlaxoSmithKline).
Der neue Wirkstoff darf nur in Kombination mit niedrig dosiertem Ritonavir sowie anderen antiretroviralen Arzneistoffen angewendet werden. Ritonavir ist ein starker Hemmstoff des CYP3A4-Isoenzyms und verzögert so den Abbau von Amprenavir. Somit werden höhere und gleichmäßigere Plasmaspiegel des PI erreicht („geboosterter PI“). Da Ritonavir auch CYP2D6 und Amprenavir das CYP3A4 blockiert und beide Arzneistoffe selbst in der Leber vorwiegend über CYP3A4 metabolisiert werden, ist eine Fülle von Interaktionen möglich. Die gleichzeitige Gabe von CYP3A4- oder 2D6-Substraten mit geringer therapeutischer Breite, zum Beispiel Amiodaron, Astemizol, Ergotamin, Terfenadin, Rifampicin sowie von Johanniskraut, ist kontraindiziert.
Die Patienten nehmen zweimal täglich eine Tablette Fosamprenavir plus 100 mg Ritonavir ein. Dies ist der einzige Vorteil des Prodrugs, denn von Amprenavir muss der Patient zweimal täglich vier bis acht Kapseln schlucken. Die Einnahme ist unabhängig von den Mahlzeiten.
In einer 48-wöchigen Studie erhielten 649 therapienaive Patienten entweder einmal täglich 1400 mg Fosamprenavir plus 200 mg Ritonavir oder zweimal täglich 1250 mg Nelfinavir, jeweils kombiniert mit Lamivudin und Abacavir. Das virologische Ansprechen war vergleichbar: Knapp 70 Prozent der Patienten in beiden Gruppen erreichten eine Viruslast unter 400 Kopien/ml, rund die Hälfte sogar unter 50 Kopien/ml. Auch das immunologische Ansprechen, gemessen am Anstieg der CD4-Zellen, war vergleichbar. In einer offenen Verlängerungsstudie über 96 Wochen blieb die Wirksamkeit bestehen.
In einer Studie mit Patienten, die unter PI-Therapie bereits ein Therapieversagen erlebt hatten, reduzierte die Kombination von Fosamprenavir/Ritonavir (täglich einmal 1400/200 mg oder zweimal 700/100 mg) die Viruslast etwas weniger als Lopinavir/Ritonavir. Bei Patienten mit sehr hoher Viruslast zu Studienbeginn (über 100.000 Kopien/ml) erreichte die Hälfte aus der Lopinavir-Gruppe die angestrebten HIV-RNA-Werte unter 400 Kopien/ml Serum, aber nur 32 Prozent unter Fosamprenavir. Das immunologische Ansprechen war in beiden Gruppen vergleichbar gut.
Die Nebenwirkungen entsprechen denen von Amprenavir. Am häufigsten waren Diarrhöe, andere gastrointestinale Beschwerden, Hautausschlag, Müdigkeit, Kopfschmerzen und Schwindel.
Levobupivacain
Seit Mitte September steht das Lokalanästhetikum Levobupivacain (Chirocain® 2,5 mg/ml Injektionslösung, Abbott) für Erwachsene zur Anästhesie bei chirurgischen Eingriffen sowie zur Schmerztherapie zur Verfügung. Für Kinder erhielt das linksdrehende Enantiomer des Bupivacains die Zulassung zur Analgesie.
Levobupivacain ist ein Lokalanästhetikum vom Amidtyp und ein Analgetikum mit langer Wirkdauer. Es blockiert die Reizleitung in den sensorischen und motorischen Nervenfasern, indem es mit den spannungsabhängigen Natrium-Kanälen in der Zellmembran interagiert, aber auch Kalium- und Calcium-Kanäle blockiert. Des Weiteren greift die Substanz in die Reizübertragung und Erregungsleitung in anderen Geweben ein, wobei die Effekte auf das kardiovaskuläre und zentralnervöse System für das Auftreten klinisch relevanter Nebenwirkungen am wichtigsten sind.
Laut klinischer Studien entspricht die Verteilungskinetik von Levobupivacain nach intravenöser Applikation der von Bupivacain. Dabei hängt der Plasmaspiegel von der Dosis und Art der Anwendung ab, da die Resorption an der Injektionsstelle von der Anzahl der dort vorhandenen Gefäße beeinflusst wird. Die Plasmaproteinbindung beträgt bei Konzentrationen zwischen 0,1 und 1,0 mg/ml 97 Prozent, die mittlere Halbwertszeit circa 80 Minuten.
Das Lokalanästhetikum wird extensiv metabolisiert, sodass unverändertes Levobupivacain weder im Urin noch in den Fäzes zu entdecken ist. Der Hauptmetabolit 3-Hydroxy-Levobupivacain wird als Glucuronsäure- und Sulfatester-Konjugat über den Urin ausgeschieden. In-vitro-Studien zeigten, dass Levobupivacain ähnlich wie Bupivacain über CYP3A4- und CYP1A2-Isoenzyme zu Desbutyl-Levobupivacain und 3-hydroxy-Levobupivacain metabolisiert wird. Obwohl keine klinischen Studien durchgeführt wurden, kann die Metabolisierung von Levobupivacain durch CYP3A4-Inhibitoren wie Ketoconazol und CYP1A2-Inhibitoren wie Methylxanthine beeinflusst werden. Die Substanz sollte bei Patienten, die Antiarrhythmika mit lokalanästhetischer Wirkung wie Mexiletin oder Antiarrhythmika der Klasse III erhalten, mit Vorsicht angewendet werden, da sich die toxischen Wirkungen addieren können. Es gibt keine Anhaltspunkte für eine In-vivo-Razematbildung von Levobupivacain.
Die empfohlene maximale Einzeldosis beträgt 150 mg. Wenn eine länger anhaltende motorische und sensorische Blockade erforderlich ist, werden maximal 400 mg in 24 Stunden empfohlen. Bei postoperativer Schmerztherapie sollte die Dosis 18,75 mg/Stunde nicht überschreiten. Zur Analgesie bei Kindern beträgt die maximale empfohlene Dosis 1,25 mg/kg/Stunde.
In klinischen Studien mit dem Nervus-ulnaris-Blockade-Modell zeigte Levobupivacain in denselben Nominalkonzentrationen den gleichen klinischen Effekt wie Bupivacain.
Pregabalin
Anfang September hat das GABA-Analogon Gabapentin mit Pregabalin (Lyrica®, Pfizer) einen Nachfolger bekommen. Wie sein Vorgänger, jedoch stärker, bindet das S-Enantiomer der 3-Isobutyl-γ-aminobuttersäure an die α2δ-Untereinheit spannungsabhängiger Calciumkanäle und wirkt hemmend auf Neurone im ZNS. Zugelassen ist es zur Therapie von peripheren neuropathischen Schmerzen sowie zur Zusatztherapie von partiellen epileptischen Anfällen mit und ohne sekundäre Generalisierung im Erwachsenenalter.
Pregabalin steht als Hartkapseln in den Stärken 25, 50, 75, 100, 150, 200 und 300 mg zur Verfügung und wird in zwei oder drei Einzeldosen pro Tag verabreicht. Dabei muss die Substanz im Gegensatz zu Gabapentin nicht auftitriert werden. Die empfohlene, bereits wirksame Tagesdosis liegt zu Beginn der Behandlung bei 150 mg und kann auf insgesamt 600 mg gesteigert werden. Beim Absetzen wird empfohlen, die Dosis ausschleichend über mindestens eine Woche zu verringern.
Pregabalin unterliegt einer linearen Pharmakokinetik. Nach der oralen Einnahme wird die Substanz rasch resorbiert und erreicht maximale Plasmakonzentrationen innerhalb einer Stunde. Mit einem geschätzten Wert von über 90 Prozent ist die Bioverfügbarkeit hoch und zudem dosisabhängig. Die Halbwertszeit beträgt 6,3 Stunden. Bei wiederholter Anwendung bildet sich nach ein bis zwei Tagen ein Steady-state aus.
Patienten können das Medikament während oder zwischen den Mahlzeiten einnehmen, da sich die verringerte Resorptionsrate klinisch nicht signifikant auswirkt. Da Pregabalin nicht an Plasmaproteine bindet und in der Leber kaum metabolisiert wird, sind bisher keine relevanten pharmakokinetischen Interaktionen mit anderen Arzneimitteln wie weiteren Antiepileptika oder Kontrazeptiva aufgetreten. Allerdings kann die Substanz die Wirkung von Ethanol, Lorazepam und Oxycodon verstärken. Sie wird nahezu vollständig (zu 98 Prozent) unverändert renal ausgeschieden, eine Dosisanpassung ist nur bei eingeschränkter Nierenfunktion notwendig.
Zum Einsatz von Pregabalin bei peripheren neuropathischen Schmerzen liegen mehrere randomisierte kontrollierte Studien vor. Demnach reduzierten tägliche Dosen von 150, 300 oder 600 mg bei Patienten mit diabetischer Polyneuropathie beziehungsweise Postzoster-Neuralgie die Schmerzen signifikant gegenüber Placebo. Zudem besserte die achtwöchige Therapie die Lebensqualität der Patienten sowie die häufigen Schlafstörungen. Die Effekte zeigten sich in der Regel innerhalb der ersten Woche, zum Teil bereits nach dem ersten vollen Behandlungstag.
In der zwölfwöchigen Behandlung von Erwachsenen mit partiellen oder fokalen epileptischen Anfällen zeigten sich die Dosierungen von 150, 300 und 600 mg zusätzlich zur bisherigen Therapie der Placebogabe ebenfalls signifikant überlegen. Dabei nahm die Anfallsfrequenz dosisabhängig ab, die 600-mg-Dosis konnte sie im Mittel halbieren.
Als Nebenwirkungen wurden in den klinischen Studien in erster Linie Benommenheit sowie Somnolenz, häufig (> 1 Prozent) auch Ataxie, Schwindel oder verschwommenes Sehen, Mundtrockenheit und gastrointestinale Nebenwirkungen, erektile Dysfunktion sowie periphere Ödeme genannt. Zudem nahmen vor allem Patienten mit Epilepsie abhängig von der Dosis an Gewicht zu. Im Allgemeinen waren die Nebenwirkungen leicht bis mittelschwer ausgeprägt und führten selten zum Therapieabbruch.
Solifenacin
Einen anderen Wirkmechanismus als Duloxetin bietet der Muskarinrezeptor-Antagonist Solifenacin, der zur symptomatischen Therapie von Dranginkontinenz, Pollakisurie und imperativem Harndrang zugelassen ist (Vesikur®; Yamanouchi). Empfohlen werden 5 mg einmal täglich, unabhängig von der Nahrung; bei Bedarf kann die Tagesdosis auf 10 mg erhöht werden.
Das Tetrahydroisochinolin-Derivat wird zu 90 Prozent resorbiert und in der Leber hauptsächlich über CYP3A4-Enzyme verstoffwechselt. Dies birgt zahlreiche Interaktionsrisiken. Die gleichzeitige Gabe von CYP3A4-Inhibitoren wie Ketoconazol, Itraconazol und Ritonavir steigert die AUC von Solifenacin erheblich; in diesen Fällen ist die Tagesdosis auf 5 mg begrenzt. Die terminale Halbwertszeit ist mit 45 bis 68 Stunden sehr lang.
Etwa jeder fünfte Erwachsene, vorwiegend im höheren Lebensalter, leidet an einer überaktiven (instabilen) Blase mit Harndrang, der auch bei geringer Blasenfüllung auftritt, häufigem und nächtlichem Wasserlassen (Pollakisurie, Nykturie) sowie Inkontinenz. Die Beschwerden beeinträchtigen die Lebensqualität deutlich.
Die Harnblase wird von parasympatischen cholinergen Nerven innerviert. Der Neurotransmitter Acetylcholin löst über Muskarinrezeptoren, vor allem den Subtyp M3, eine Kontraktion der glatten Muskulatur (Musculus detrusor) in der Blasenwand aus. Anticholinergika dämpfen die Blasenübererregbarkeit durch Blockade dieser Rezeptoren. Der neue Antagonist besetzt kompetitiv den Subtyp M3 und hat keine Affinität zu anderen Rezeptoren oder Ionenkanälen. Eine Selektivität für Blasenzellen ist vorhanden, aber gering ausgeprägt. In Blasenmuskelzellen von Affen hemmte Solifenacin in vitro die Carbachol-induzierte Ca2+-Freisetzung (als Maß für die Muskelkontraktion) ebenso stark wie Oxybutynin, Tolterodin und Darifenacin, war aber im Gegensatz zu den älteren Anticholinergika schwächer wirksam an Speicheldrüsenzellen. Im Tierversuch mit Ratten hemmte Solifenacin die Blasenzellen 3,7- bis 6,5fach stärker als die Drüsenzellen (Tolterodin 2,2- bis 2,4fach).
In einer Phase-3-Studie erhielten mehr als 1000 Teilnehmer entweder Placebo, 5 oder 10 mg Solifenacin einmal täglich oder zweimal täglich 2 mg Tolterodin über zwölf Wochen. Die Zahl der Drangepisoden ging unter Solifenacin signifikant zurück, aber nicht unter Tolterodin. Ebenso reduzierte sich die Zahl der Inkontinenzfälle deutlicher, und die Patienten der Solifenacin-Gruppen mussten signifikant seltener die Blase entleeren. In der Regel war die höhere Dosis effektiver. Beide Medikamente erhöhten signifikant das mittlere Entleerungsvolumen. Erwartungsgemäß dominierten anticholinerge Nebenwirkungen. Über trockenen Mund klagten 14 bis 21 Prozent in den Verumgruppen (5 Prozent unter Placebo). Weitere, meist milde Effekte waren Verstopfung und verschwommenes Sehen, die unter Tolterodin jedoch seltener waren.
In einer gepoolten Analyse der Daten von 943 inkontinenten Patienten aus zwei Studien reduzierte Solifenacin die Vorfälle im Vergleich zu Placebo signifikant. Rund die Hälfte der Patienten wurde kontinent (38 Prozent unter Placebo). In einer offenen Verlängerungsstudie über 40 Wochen stabilisierten sich die Erfolge. In dieser Studie, die insgesamt 1637 Patienten einschloss, behielten vier von zehn Teilnehmern die 5-mg-Dosis bei, die anderen wechselten auf 10 mg. 80 Prozent schlossen die Studie ab. Davon waren 74 bis 83 Prozent mit der Wirksamkeit und Verträglichkeit zufrieden.
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