Hydrochlorothiazid-Präparate im Vergleich |
11.08.2003 00:00 Uhr |
Das ZL hat eine vergleichende Untersuchung von schnell freisetzenden Fertigarzneimitteln mit 25 mg Hydrochlorothiazid (HCT) durchgeführt. Zudem wurde der Wirkstoff im Rahmen des biopharmazeutischen Klassifizierungssystems bewertet.
Die vorliegende Arbeit setzt die Reihe entsprechender Publikationen des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker fort (1-5). Das in den USA entwickelte biopharmazeutische Klassifizierungssystem (BCS) (6) ist inzwischen Bestandteil sowohl einer US-FDA Richtlinie (7) als auch einer europäischen Leitlinie zur Beurteilung der Bioverfügbarkeit/Bioäquivalenz (8). Das BCS-Konzept wurde bereits ausführlich in einem Artikel in der PZ vorgestellt (9). Es hat zum Ziel, dass unter bestimmten Voraussetzungen auf einen klinischen Nachweis der Bioäquivalenz verzichtet werden kann (7, 8, 10). Dem BCS-Konzept folgend ist die orale Bioverfügbarkeit durch die drei wesentlichen Kenngrößen Löslichkeit, Permeabilität sowie Freisetzung des Arzneistoffs aus der Arzneiform bestimmt. Dabei wird die Löslichkeit der höchsten Einzeldosis in 250 ml Medium in einem pH-Bereich zwischen 1 und 7,5 bewertet. Eine gute Permeabilität ist in vivo einer Absorption von wenigstens 90 Prozent zugeordnet. Diese kann alternativ auch durch geeignete In-vitro-Methoden wie zum Beispiel in einer Caco-2 Zellkultur bestimmt werden, für die entsprechende Korrelationen mit Humandaten erarbeitet wurden (11-15). Vor diesem Hintergrund ergeben sich die in Tabelle 1 dargestellten vier Arzneistoff-„Klassen“.
Tabelle 1: Klassifizierung von Arzneistoffen gemäß BCS Konzept
BCS-Klasse Löslichkeit Permeabilität I hoch hoch II niedrig hoch III hoch niedrig IV niedrig niedrig
Für schnell freisetzende Fertigprodukte, die Arzneistoffe der BCS-Klasse I enthalten, kann unter bestimmten Voraussetzungen auf vergleichende In-vivo-Untersuchungen verzichtet beziehungsweise diese durch geeignete Daten zur In-vitro-Freisetzung ersetzt werden. Die Möglichkeit mithilfe sachgerechter Akzeptanzkriterien auch Fertigprodukte mit Arzneistoffen der BCS-Klasse II und III auf der Basis von In-vitro-Untersuchungen zu bewerten, ist noch in der Diskussion (16, 17, 18).
HCT gehört zur Gruppe der Benzothiadiazine. Wie die übrigen Diuretika dieser Gruppe hemmt die Substanz die Resorption von Natrium- und Chlorid-Ionen im distalen Tubulus von der luminalen Seite her. Eine Veränderung des Säure-Base-Status tritt nur selten auf (19).
Nach oraler Gabe erfolgt eine rasche, aber nicht vollständige Absorption aus dem Magen-Darm-Trakt, die Bioverfügbarkeit liegt bei circa 70 Prozent. Die diuretische Wirkung tritt innerhalb von 45 bis 90 Minuten ein. Maximale Plasmakonzentrationen werden zwei bis vier Stunden, bei höheren Dosierungen vier bis sechs Stunden nach Verabreichung gemessen, die Plasmaeiweißbindung beträgt 64 Prozent. HCT wird nahezu vollständig unverändert renal eliminiert (20).
Mit Bezug auf das eingangs beschriebene BCS-Konzept kann HCT den Wirkstoffen mit guter Löslichkeit, jedoch unzureichender Permeabilität, also der BCS-Klasse III, zugeordnet werden. Basierend auf In-vitro-Experimenten scheint die Permeabilität auch durch Hilfsstoffe nicht wesentlich beeinflussbar zu sein (21).
Material und Methoden
Alle in die Untersuchung einbezogenen Fertigarzneimittel (Tabelle 2) wurden über den pharmazeutischen Fachhandel bezogen. Die Untersuchungen erfolgten nach einer in Anlehnung an die Monographie zu HCT-Tabletten im US-amerikanischen Arzneibuch (USP 25) erstellten ZL-Prüfanweisung.
Tabelle 2: Untersuchte schnell freisetzende Hydrochlorothiazid 25 mg Fertigarzneimittel
Produktname Charge Verfallsdatum pharmazeutischer Unternehmer Esidrex® B2001 01/2007 Pharma Westen GmbH Esidrex B2004 03/2007 Eurim-Pharm Arzneimittel GmbH Esidrix® WC005 05/2007 Novartis Pharma GmbH HCT-ISIS® 25 2205801 01/2005 Alpharma-ISIS GmbH & Co. KG HCT25 – 1 A Pharma 22619 01/2005 1A Pharma GmbH HCT Hexal 25 mg 22D598 01/2004 Hexal AG HCT Biochemie® 25 mg 1414013 10/2003 BC Biochemie Pharma GmbH HCT von ct C15074 05/2005 ct-Arzneimittel GmbH HCT-beta 25 404033 12/2004 Betapharm Arzneimittel GmbH HCT-gamma 25 011163/01 10/2003 Wörwag Pharma GmbH & Co. KG diu-melusin 2135004 11/2003 Schwarz Pharma Deutschland GmbH Esidrex B2006 04/2007 EMRA-MED Arzneimittel GmbH Disalunil® 13003 09/2006 Berlin-Chemie AG
Aus einem Mischmuster von 20 sorgfältig pulverisierten Tabletten wurde ein Aliquot, das 30 mg Hydrochlorothiazid enthält, genau eingewogen und in einen 200 ml Messkolben überführt. Anschließend wurden circa 20 ml mobile Phase dazugegeben und die Lösung für fünf Minuten ins Ultraschallbad gestellt. Danach wurden 20 ml Acetonitril hinzugefügt und die Lösung erneut für fünf Minuten im Ultraschallbad behandelt. Nach Zugabe von 50 ml mobiler Phase wurde die Lösung zehn Minuten geschüttelt. Nach Auffüllen des Messkolbens mit mobiler Phase wurde die Lösung vor der Analyse filtriert, die ersten 10 ml des Filtrats wurden verworfen. Der Gehalt an 4-Amino-6-chloro-1,3-benzendisulfonamid wurde aus der gleichen Aufarbeitung bestimmt.
Die Quantifizierung des Arzneistoffs sowie der Verunreinigung im jeweiligen Filtrat erfolgte mittels HPLC-UV bei einer Wellenlänge von 254 nm. Als stationäre Phase diente eine LiChrospher RP-18 Säule (250 x 4 mm).
Die In-vitro-Freisetzung wurde mit einer Blattrührerapparatur (n=6) in 0,1 N Salzsäure durchgeführt. Die Agitation betrug 100 Umdrehungen pro Minute, die Probenentnahme erfolgte nach 15, 30 und 60 Minuten. Die Proben für jeden Prüfzeitpunkt von 4 ml wurden filtriert und spektralphotometrisch bei einer Wellenlänge von 272 nm vermessen.
Ergebnis der Messungen
Wie der Tabelle 2 zu entnehmen ist, ergab die Gehaltsbestimmung für alle untersuchten Fertigarzneimittel einen Arzneistoffgehalt, der den Vorgaben der Arzneimittelprüfrichtlinien (95 bis 105 Prozent der Deklaration) entspricht. Die Messwerte liegen in einem Bereich von 96,2 bis 101,3 Prozent der Deklaration.
In keinem der untersuchten Präparate lag die Konzentration an 4-Amino-6-chloro-1,3-benzendisulfonamid oberhalb des zulässigen Grenzwerts von 1,0 Prozent. In der Regel wurden zwischen 0,01 und 0,02 Prozent der Verunreinigung quantifiziert, nur in einer Probe konnte eine Konzentration von 0,27 Prozent nachgewiesen werden, die aber immer noch deutlich unterhalb des akzeptierten Grenzwertes lag.
Die Monographie für schnell freisetzende HCT-Tabletten der USP fordert eine Freisetzung von 60 Prozent des deklarierten Wirkstoffgehaltes innerhalb von 60 Minuten. Dagegen sind entsprechend den Anforderungen des biopharmazeutischen Klassifizierungssystems BCS schnell freisetzende Arzneiformen durch eine In-vitro-Freisetzung von mindestens 85 Prozent der Deklaration innerhalb von 30 Minuten charakterisiert. Wird diese Arzneistoffmenge bereits innerhalb von 15 Minuten freigesetzt, so ist kein statistischer Vergleich (zum Beispiel mittels F2-Test) zwischen Präparaten erforderlich, da Gleichheit der In-vitro-Freisetzung angenommen wird.
Die Ergebnisse der In-vitro-Freisetzung der untersuchten 25 mg HCT-Fertigarzneimittel zeigen, dass die in der USP geforderte Freisetzung von allen untersuchten Präparaten erfüllt wird. Darüber hinaus sind der Definition des BCS-Konzeptes folgend mit Ausnahme von Esidrix® von Novartis Pharma GmbH alle untersuchten Produkte schnell freisetzend (85 Prozent der Deklaration nach 30 Minuten). Nach 15 Minuten setzen neun der 13 analysierten Präparate bereits mehr als 85 Prozent des deklarierten Gehaltes frei (siehe Tabelle 2).
Diskussion der Ergebnisse
Alle untersuchten Präparate entsprechen bezüglich Gehalt, Reinheit und Freisetzungsverhalten den Anforderungen der Monographie der US-amerikanischen Pharmakopoe. Unter den gegebenen experimentellen Bedingungen können zwölf von 13 Produkten darüber hinaus als schnell freisetzend im Sinne des BCS-Konzeptes bezeichnet werden, neun der 13 Fertigarzneimittel setzen bereits nach 15 Minuten mehr als 85 Prozent ihres deklarierten Gehaltes frei, womit für diese ein statistischer Vergleich verzichtbar ist.
Publizierten Untersuchungsergebnissen zu Permeabilität und Löslichkeit entsprechend (22), ist HCT den Arzneistoffen der BCS-Klasse III zuzuordnen, begründet durch die gute Löslichkeit und die unzureichende Permeabilität. Aus den zitierten regulatorischen Publikationen (7, 8, 10) kann abgeleitet werden, dass eine gute Löslichkeit und eine rasche Permeation grundsätzlich wichtige physikochemische Voraussetzungen für den Verzicht auf vergleichende In-vivo-Studien darstellen. Darüber hinaus wird diese Möglichkeit jedoch auch für gut lösliche, schlecht permeable Wirkstoffe (wie HCT) diskutiert, sofern für die entsprechenden Fertigarzneimittel eine sehr rasche Freisetzung (> 85 Prozent in 15 Minuten) sichergestellt ist (18). Vor diesem Hintergrund könnten insbesondere die besonders schnell freisetzenden neun Fertigarzneimittel positiv beurteilt werden.
Kenngrößen von HCT (22)
Eine zusammenfassende Darstellung der am Beispiel schnell freisetzender HCT-Präparate erhobenen Charakteristika beziehungsweise Kenngrößen soll als Bewertungsgrundlage für die pharmazeutische Praxis dienen.
Höchste therapeutische Einzeldosis: 50 mg
Maximale Dosierung in schnell freisetzenden Produkten: 25 mg
Löslichkeit in 250 ml wässerigem Medium bei pH-Werten zwischen 1 und 7,5 bei 37 °C: > 50 mg
Physikochemische Kenngrößen: pKa1: 8,6 - 9,5; pKa2: 9,9 - 11,3 (zweibasige Säure)
Permeabilität:
BCS-Klasse: (I - IV) – III (unzureichende Permeabilität; gute Löslichkeit)
Vergleichende In-vitro-Freisetzung von schnell freisetzenden Fertigarzneimitteln: ³ 85 Prozent in 15 min (zurzeit vorgeschlagene Anforderung im Rahmen des BCS)
Biopharmazeutische Gesamtbeurteilung: HCT kann den Wirkstoffen der BCS-Klasse III zugeordnet werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Humandaten eher auf eine „mittlere Absorption“ hinweisen, das BCS-Konzept eine entsprechende Klassifizierung derzeit jedoch nicht vorsieht. Damit ist nach dem derzeitigen Stand der Diskussion für schnell freisetzende Fertigarzneimittel mit HCT ein Verzicht auf in-vivo-Studien nur dann denkbar, wenn der Wirkstoff nahezu vollständig (> 85 Prozent) innerhalb von 15 Minuten dem System zur Verfügung steht, die unzureichende Permeabilität also nicht durch die Arzneiform weiter eingeschränkt wird.
Appendix
Die Ergebnisse dieser Reihenuntersuchung wurden vor der Veröffentlichung den betreffenden Herstellern zur Stellungnahme übersandt. Darauf erreichte uns die folgende Mitteilung:
Die Firma Eurim-Pharm Arzneimittel GmbH, Piding, teilte mit, dass die vom ZL erhobenen Daten zur Gehaltsprüfung und Freisetzung den firmeninternen Untersuchungen entsprechen.
Dank: Für die sorgfältige Durchführung der experimentellen Arbeiten danken wir Frau Susann Haufe und Herrn Manfred Reinhardt herzlich.
Literatur
Für die Verfasser:
Dr. Volker Glaab
Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker
Carl-Mannich-Straße 20
65760 Eschborn
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