Valide Daten aus klinischen Studien |
15.07.2002 00:00 Uhr |
von Hartmut Morck, Eschborn
Glucosaminsulfat wird seit viele Jahren bei Osteoarthritis eingesetzt. In der Vergangenheit stellten Kritiker die Wirksamkeit immer wieder in Frage, so dass es notwendig erschien, mit neueren Studien die Wirksamkeit zu belegen. Eine im Medizinjournal Lancet publizierte Untersuchung entspricht nun den Kriterien der evidenzbasierten Medizin.
Glucosaminsulfat ist das Salz des natürlich vorkommenden Glucosamins, das in der Biochemie des Knorpels eine wichtige Rolle spielt. Es ist Bestandteil der Glykosaminoglykane, Polysaccharidketten, die in der Synovialflüssigkeit und der Knorpelmatrix nachgewiesen werden können. In-vitro- Studien bestätigen, dass exogen zugeführtes Glucosamin die Aufnahme von Sulfat, einem Marker der Glykosaminoglykan-Synthese durch die Chondrozyten, stimuliert. Weiteren Studien belegten, dass Glucosamin die Synthese von Glykosaminoglykanen und in vitro sowie ex vivo die Aufnahme von markiertem Sulfat und Prolin in den Gelenkknorpel des Femurkopfes der Ratte steigert. Daraus kann geschlossen werden, dass Glucosamin nicht nur die Synthese der Glykosaminoglykane, sondern auch die Synthese von Proteoglykanen stimuliert. Glucosaminsulfat ist zudem in der Lage, die katabolen Aktivitäten des Knorpels durch Hemmung der Wirkung einiger Enzyme wie Stromelysin, Aggrecanase und Kollagenase zu verringern. Außerdem senkt Glucosaminsulfat die Konzentration von Interleukin-1b in der Synovialflüssigkeit und hat damit antiinflammatorische Eigenschaften durch einen von der Prostaglandin-Synthese unabhängigen Mechanismus.
Dosis-Wirkungs-Experimente an humanen Chondrozyten-Kulturen bestätigten diese Ergebnisse und ließen Glucosaminsulfat als ein geeignetes Therapeutikum bei der Osteoarthritis in Monotherapie oder in Kombination mit nicht steroidalen Antirheumatika erscheinen. Die langsam voranschreitende Gelenkerkrankung tritt insbesondere bei älteren Menschen auf, und ist begleitet von Knorpeldestruktionen und gleichzeitigen knöchernen Veränderungen einschließlich Sklerose und Osteophyten.
Glucosaminsulfat ist ein chemisch definiertes, kleines Molekül mit einer Molmasse von 456,42. Die chemisch-physikalischen Eigenschaften ermöglichen nach systemischer Verabreichung eine schnelle Verteilung des Wirkstoffs im gesamten Organismus mit einem Tropismus zum Gelenkknorpel. Nach peroraler Applikation wird Glucosaminsulfat über den Gastrointestinaltrakt gut resorbiert. Die absolute Bioverfügbarkeit beträgt auf Grund des hohen First-pass-Effekts in der Leber 26 Prozent. Freies Glucosaminsulfat war in den bislang vorliegenden Studien wahrscheinlich auf Grund der verwendeten Methode nicht nachweisbar, dagegen erreichte das an Plasmaproteine gebundene Glucosaminsulfat nach acht bis zehn Stunden ein Maximum und fiel danach wieder ab, bei einer Halbwertszeit von 68 Stunden. Nach peroraler Applikation werden 10 Prozent der Dosis mit dem Urin ausgeschieden, während die über den Stuhl ausgeschiedene Menge nur bei 11 Prozent liegt.
Wirkungsnachweis in klinischen Studien
In der Vergangenheit wurden immer wieder die klinischen Studien mit Glucosaminsulfat kontrovers diskutiert und die Wirksamkeit in Frage gestellt. Es erschien notwendig, Richtlinien zu erstellen, die als Standard für die Durchführung von Studien bei Osteoarthritis anerkannt werden. Als solche können die Empfehlungen der von der Osteoarthritis Research Society International (OARSI) einberufenen Projektgruppe angesehen werden, die im April 1996 auf dem Kongress „Outcome Measures in Arthritis Clinical Trials III“ (OMERACT III) in Cairns, Australien, vorgestellt wurden.
Nach diesen Kriterien war Glucosaminsulfat in mehreren klinischen Studien bezüglich der Symptome der Osteoarthritis im Vergleich zu Placebo signifikant wirksamer und im Vergleich zu nicht steroidalen Antirheumatika mindestens genauso wirksam. Insgesamt konnte festgestellt werden, dass Glucosaminsulfat die Progression der Arthrose gemessen an der Breite des Gelenkspalts verlangsamt.
Zwei neue Studien unterstreichen die Ergebnisse früherer Studien. Die erste wurde von Jean Yves Reginster und Kollegen im Lancet (2001 (357), 251 – 256) veröffentlicht. In dieser Studie wurden 212 Patienten mit Gonarthrose randomisiert zwei Behandlungsgruppen zugeteilt. Ein Teil erhielt über drei Jahre einmal täglich 1,5 g Glucosaminsulfat per os, die anderen Placebo. Zu Studienbeginn sowie nach einem und nach drei Jahren nahm man bei jedem Knie unter Belastung in Streckstellung Röntgenbilder auf. Mittels digitaler Bildanalyse wurde die durchschnittliche Gelenkspaltbreite des medialen tibiofemoralen Gelenkbereiches beurteilt. Zudem wurden die Parameter des Western Ontario and McMaster Universities (WOMAC) Arthroseindex herangezogen.
Bei den 106 Patienten in der Placebogruppe beobachteten die Forscher eine fortschreitende Verschmälerung des Gelenkspaltes, die nach drei Jahren im Mittel – 0,31 mm betrug. Bei den mit Glucosaminsulfat behandelten Patienten konnte man hingegen mit im Mittel – 0,06 mm keine signifikante Gelenkspaltverschmälerung erkennen. In der Punktewertung nach WOMAC erfuhr die Symptomatik in der Placebogruppe eine geringfügige Verschlechterung, während die Behandlung mit Glucosaminsulfat zu einer Besserung führte. Verträglichkeit und Abbruchraten waren in bei Gruppen vergleichbar.
In einer weiteren Studie von Karel Pavelka aus Prag, deren Publikation in Vorbereitung ist, wurden die Ergebnisse der Reginster-Studie bestätigt. In dieser ebenfalls prospektiven, randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie erhielten 202 nach ACR-Kriterien ausgewählte Patienten mit Gonarthrose ambulant über einen Zeitraum von drei Jahren Glucosaminsulfat per os in einer Dosis von täglich 1,5 g oder Placebo. Auch hier wurden nach den gleichen Methoden wie in der Reginster-Studie die Veränderungen der Gelenkspaltbreite gemessen und die Symptomatik nach WOMAC-Index bestimmt.
Beide Gruppen mit je 101 Patienten waren hinsichtlich ihrer demographischen Daten und Krankheitsmerkmale weitgehend identisch. Im Verlauf des dreijährigen Untersuchungszeitraumes kam es in der Placebogruppe zu einer Gelenkspaltverengung von 0,2 mm. Im Unterschied dazu war in der Glucosaminsulfat-Gruppe durchschnittlich kein Knorpelabbau feststellbar, was statistisch hoch signifikant ist.
Die Patienten beider Gruppen profitierten von einer Beschwerdelinderung, die allerdings unter Glucosaminsulfat signifikant deutlicher ausfiel als unter Placebo.
Beide Studien bestätigen, dass die natürliche Gelenkspaltverengung bei der Arthrose recht langsam fortschreitet und dass der Knorpelabbau durch die tägliche perorale Gabe von 1,5 g Glucosaminsulfat verhindert und das Beschwerdebild signifikant gelindert werden kann. Beide Studien sind damit nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin geeignet, den therapeutischen Einsatz von Glucosaminsulfat bei Osteoarthritis zu rechtfertigen.
© 2002 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de