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Aids in Entwicklungsländern

09.07.2001  00:00 Uhr

Aids in Entwicklungsländern

von Stephanie Czajka, Berlin

Aids ist zu einem umfassenden Problem der Entwicklungshilfe geworden. Das Thema zieht immer weitere Kreise. In New York fand eine Sondersitzung der Vereinten Nationen zu HIV und Aids statt. Der Bundestag debattierte über einen Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Förderung der Aids-Bekämpfung in Entwicklungsländern. Vergangene Woche nahm sich der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Bundestages in einer öffentlichen Anhörung des Themas an.

Jede Art von Entwicklungshilfe werde "zur Farce", wenn sie die Immunschwächekrankheit nicht berücksichtige, sagte der Vorsitzende des Entwicklungsausschusses Rudolf Kraus, CSU, während der Anhörung. Besonders der produktive Teil der Bevölkerung ist betroffen, also junge Erwachsene, deren Arbeitskraft in den armen Staaten dringend gebraucht wird. In manchen Branchen sind 60 bis 70 Prozent aller Arbeiter infiziert, so zum Beispiel in der Transportindustrie, in den Minen oder auch in den Armeen, berichtete Josef Gorgels von SAFRI (Südliches Afrika Initiative der Deutschen Wirtschaft). Überlebende müssen sich oft um die Kinder verstorbener Angehöriger kümmern, was selbst besser Verdienende an die Grenzen der Belastbarkeit bringt.

Die Qualität der Arbeit leide massiv, die Existenz der Unternehmen hänge davon ab, dass sie sich um Aufklärung und Behandlung ihrer Mitarbeiter kümmern. Ausländische Firmen müssten Inseln der Versorgung bilden, sagte Gorgels. Außerhalb dieser Inseln ist die Situation meist deutlich schlechter. Armut, fehlende Infrastruktur und mangelnde Bildung ergeben zusammen mit der Erkrankung einen Teufelskreis, der schwer zu durchbrechen ist. Von den 36 Millionen HIV-infizierten Menschen weltweit leben 95 Prozent in Entwicklungsländern.

Teure Medikamente

In den Fokus internationaler Aufmerksamkeit sind die Preise für Medikamente gegen HIV/Aids gerückt. Antiretrovirale Medikamente gehören auch in den Industrieländern zu den besonders teuren Arzneimitteln, für Entwicklungsländer waren sie bislang unerschwinglich. Daher wurden, teils legal, teils illegal, Generika hergestellt und importiert. Was legal, was illegal ist, regelt in Ländern, die der Welthandelsorganisation (WTO) angehören, das Abkommen über handelsbezogene Rechte an geistigem Eigentum (Trade-related Aspects of Intellectual Property Rights, TRIPS). Das Abkommen sieht vor, dass die Staaten sich in Notsituationen über dieses internationale Patentrecht hinwegsetzen können. Darauf berief sich Südafrika in seinem Rechtsstreit mit den Pharmaunternehmen.

Der öffentliche Druck der daraufhin ausgeübt wurde sowie der Wettbewerb mit Generika-Anbietern haben dazu geführt, dass inzwischen die Preise vieler Originalpräparate deutlich abgesenkt wurden. Zudem spenden einige Unternehmen Arzneimittel in Einzel- oder Gemeinschaftsaktionen. Die Firma Boehringer Ingelheim stellt für Projekte der Bundesregierung in Kenia, Uganda und Tansania zur Verhinderung der Mutter-Kind Übertragung Nevirapin kostenlos zur Verfügung. Die Firma Abbott hat angekündigt, zwei antiretrovirale Präparate sowie einen Schnelltest in Afrika ab sofort zum Selbstkostenpreis anzubieten.

In eine ähnliche Richtung zielt die Accelerated Access Initiative (AAI, siehe Kasten). Die daran beteiligten Firmen bieten eine Tripel-Therapie für 790 bis 1400 Dollar pro Jahr an. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF) hält auch diesen Rabatt noch nicht für ausreichend. Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines ugandischen Staatsbürgers zum Beispiel liege mit 320 US-Dollar noch deutlich unter diesen Preisen.

Ludmilla Schlageter, als Vertreterin von Ärzte ohne Grenzen (MFS) zur Anhörung geladen, forderte transparente und weder räumlich noch zeitlich begrenzte Arzneimittelpreise. Sie müssten sich an der Kaufkraft der Patienten in den verschiedenen Ländern orientieren. Ein funktionierendes differenziertes Preissystem müsse sich "klar von der momentanen Preisreduktions- und Spendenpraxis unterscheiden", sagte Schlageter.

Ein solches System wird auch von der Industrie weitgehend akzeptiert. Es basiere unter anderem auf großvolumigen Einkäufen und verlässlichen und angemessenen Finanzierungsmöglichkeiten, sagte Dr. Carola Fink-Anthe von Boehringer Ingelheim vor den Abgeordneten. Ein differenziertes Preissystem sollte jedoch "aus Marktkräften resultieren" und durch Einzelverhandlungen der Länder mit den jeweiligen Unternehmen zustande kommen. Ein zentrales Kontrollsystem sei zu unflexibel, bedeute einen ungeheuren administrativen Aufwand und könnte zudem wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten nach sich ziehen.

Möglich, aber auch erforderlich sei es, Verwaltungs- und Logistikstrukturen so zu regeln, dass billige Arzneimittel aus Entwicklungsländern nicht zurück in Industrieländer importiert werden können. Internationale Zollbestimmungen und Importlizenzkontrollen müssten besser auf die Herkunft der Produkte ausgerichtet werden. Die Präparate selbst könnten je nach Bestimmungsland gekennzeichnet werden, sei es durch Nummern, Art der Verpackungen oder Farbe der Tabletten.

Fink-Anthe wies auch darauf hin, dass für die Herstellung der Aids-Medikamente oft hochtechnologische Verfahren, ausgebildetes Personal und hohe Investitionen nötig seien. Lokale Produktion und Lizenzvergaben seien daher eher langfristige Lösungen und nicht für jedes Land geeignet.

Millionen für die Prävention

Behandlung ist die eine, Prävention die andere Säule der Aids-Bekämpfung. In diese Richtung fließen die meisten Mittel des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Zurzeit stehen dem BMZ 140 Millionen Mark für die Bekämpfung von Aids in Entwicklungsländern zur Verfügung. Über die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) werden auf lokaler Ebene, besonders in Tansania und Uganda, zum Beispiel Information und Beratung, die Durchführung von HIV-Tests sowie der Vertrieb von Kondomen gefördert.

Die Bekämpfung von Aids soll als "Querschnittsaufgabe" in bestehenden Projekten zu anderen Themen weiter verankert werden, heißt es unter anderem in dem Antrag von SPD und Grünen. Die CDU-Abgeordnete Erika Reinhardt forderte, dass den Absichtserklärungen im Antrag Taten in Form stärkerer finanzieller Unterstützung folgen müssten. Einen "entscheidenden Schritt zur Aids-Bekämpfung" vermisst sie völlig: die Förderung der Impfstoff-Forschung. Ende vergangenen Jahres sei die Bundesförderung für die Aids-Impfstoff-Forschung ausgelaufen, die Entscheidung für eine erneute Förderung aus Bundesmitteln liege bislang nicht vor.

Impfstoff-Forschung weit gediehen

Ähnlich äußerte sich auch Professor Hans Wolf, Direktor des Institutes für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universität Regensburg. Das BMZ investiere in zu viele kleine Programme und ginge zuwenig große Projekte an. Wolf, gleichfalls als Sachverständiger zur Anhörung geladen, ist wissenschaftlicher Sekretär der Deutschen Aids-Gesellschaft, zudem arbeiten er und sein Mitarbeiter Dr. Ralf Wagner als einzige Deutsche an dem europäischen Impfstoffprogramm EuroVac mit. EuroVac ist in Wolfs Augen ein Beispiel für ein förderungswürdiges Großprojekt.

Mit EuroVac werde erstmals in Europa "Cluster-Forschung" betrieben, erklärte Wolf. Nicht mehrere Spezialisten eines Fachgebietes kooperieren, sondern wie in einer "virtuellen Firma" seien die zur Impfstoff-Forschung notwendigen Wissenschaftler mehrerer Fachgebiete sowie einige Firmen unter einem straffen Management zusammengefasst worden. So könnten zum Beispiel mehrere Impfstoff-Prototypen (synthetische Virus-DNA und Chimären aus HIV- und Pocken-DNA) in verschiedenen Vektoren unter gleichen Bedingungen parallel getestet werden. Die Wissenschaftler hätten die präklinischen Arbeiten an rund einem Dutzend Impfstoffe inzwischen erfolgreich abgeschlossen und könnten mit klinischen Versuchen beginnen, wenn ausreichend Geld vorhanden wäre, sagte Wolf. Die Kosten für die ausstehenden Studien schätzt er auf 600 bis 700 Millionen US-Dollar.

Für einzelne pharmazeutische Unternehmen sei die Impfstoffentwicklung wirtschaftlich nicht interessant genug. Sie werden dennoch beteiligt, weil EuroVac auf deren Erfahrung und Logistik angewiesen sei, sagte Wolf. Auch die Zusammenarbeit mit Einrichtungen wie der GTZ wäre hilfreich. Denn dann könnte EuroVac für die Organisation von Kühlketten, Blutentnahmen oder Testlabors bestehende Strukturen in Entwicklungsländern nutzen. Da HIV regional in verschiedenen Stämmen und Subtypen vorkommt, müssen Impfstoffe in verschiedenen Erdteilen getestet werden. Wahrscheinlich werde in China mit klinischen Versuchen begonnen, sagte Wolf.

Dr. Stephan Norley vom Robert-Koch-Institut in Berlin räumt den Untersuchungen von EuroVac "im Vergleich zu anderen geplanten Phase-I-Studien bessere Chancen ein". Die Wirksamkeit der Aids-Impfstoffe könne letztlich aber erst nach Abschluss der Phase-III-Studien beurteilt werden. Viele halten Aids-Impfstoffe langfristig für den einzigen Weg aus der Krise. Da aber die Impfstoffentwicklung auch im besten Fall noch fünf bis zehn Jahre dauern wird, können Behandlung und Prävention nicht vernachlässigt werden.

Gallopierende Entwicklung in Osteuropa

Während in Afrika verzweifelt versucht wird, ein Großfeuer zu löschen, flammt in den osteuropäischen Staaten ein neuer Brandherd auf. Während Ende 1999 in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion 420.000 HIV-Infizierte lebten, waren es Ende vergangenen Jahres bereits 700 000. In keiner anderen Region der Welt habe sich die Immunschwäche in den vergangenen Jahren so schnell ausgebreitet, hieß es auf dem 8. Deutschen Aids-Kongress vergangene Woche in Berlin. Die Dunkelziffer ist zudem sehr hoch. Vor allem Drogenkonsum und Prostitution trügen zur Verbreitung bei. Am Beispiel Litauen, Polen und Tschechien habe sich allerdings auch in Osteuropa erneut gezeigt, dass durch gezielte staatliche Präventionsprogramme die Verbreitung des Virus verlangsamt werden könne.

In Deutschland hingegen wird eine "neue Sorglosigkeit" beim Umgang mit der Krankheit beobachtet. Die heterosexuelle Übertragung nimmt zu. Untersuchungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zufolge stagniert die Zahl Jugendlichen, die Kondome benutzen, oder geht sogar leicht zurück. Auf Grund der medizinischen Erfolge sei das Damoklesschwert des drohenden Todes nicht mehr sichtbar, meinte der Berliner Professor Manfred L'age, Ehrenpräsident des Deutschen Aids-Kongresses. Die Präventionsstrategien müssten diesem "New Aids" angepasst werden. Dr. Keikawus Arastéh, Vizepräsident des Kongresses, Berlin, hofft, dass die derzeitigen Therapien den Patienten für fünf bis zehn Jahre eine gute Lebensqualität ermöglichen und die Zeit bis zur Entwicklung neuer Medikamente überbrücken.

Accelerated Access Initiative

Im Mai vergangenen Jahres formulierten private Unternehmen und internationale staatliche Organisationen eine gemeinsame Absichtserklärung, um den Zugang zu Prävention und Behandlung von HIV-Infektionen in Entwicklungsländern zu beschleunigen. Beteiligt an dieser Private-Public-Partnership sind die Behörde der Vereinten Nationen zur Aids-Bekämpfung (UNAIDS), die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Weltbank, Unicef, und der United Nations Population Fund (UNFPA), außerdem die Unternehmen Boehringer Ingelheim, Bristol-Myers Squibb, GlaxoSmithKline, Merck und Hoffmann-La Roche. Die Firma Bristol-Myers Squibb verpflichtete sich unter anderem, Medikamente gegen Aids unter dem Produktionspreis abzugeben, berichtete Dr. Amadou Diarra auf einer Pressekonferenz des Unternehmens in Berlin. Die Initiative muss von den betroffenen Ländern ausgehen. Die Preise werden zwischen Regierungen und Unternehmen ausgehandelt. 12 Staaten werden bereits unterstützt, darunter Senegal, Marokko, Chile und Rumänien, 24 Staaten haben entsprechende Aidsprogramme ausgearbeitet um Hilfe beantragen zu können.

Einige Firmen sind an weiteren Projekten beteiligt oder haben eigene ins Leben gerufen. Das größte Engagement eines einzelnen Unternehmens reklamiert Bristol-Myers Squibb für sich. Für die nächsten fünf Jahre wurden für das Projekt "Secure the Future" 100 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt.

Weltweiter Aids-Fonds

Die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen (UN) haben sich Ende Juni in einer dreitägigen Sondersitzung in New York auf ein gemeinsames Strategiepapier für den Kampf gegen Aids geeinigt. Mit dieser Deklaration verpflichten sich die Mitglieder der UN gemeinsam und mit klaren Vorgaben gegen den Aids-Erreger vorzugehen. Zudem soll ein globaler Aids Fonds geschaffen werden. In diesen, von UN-Generalsekretär Kofi Annan angeregten Fonds, sollen jährlich sieben bis zehn Milliarden Dollar fließen. Kanada, Großbritannien, Frankreich und die USA brachten bisher rund 600 Millionen Dollar auf. Die Höhe des deutschen Beitrages soll noch im Juli bekannt gegeben werden. Auch die Entwicklungsländer selbst, sowie Stiftungen und Unternehmen sollen einzahlen.

Einige der weltweit größten Wirtschaftsunternehmen gaben auf dem UN-Sondergipfel bekannt, künftig als Globaler Wirtschaftsrat (Global Buisiness Council on HIV/Aids, GBC) eigene Programme aufzustellen.

 

Die Welt kann diesen Betrag doch wohl aufbringen Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte am 26. Juni einen Beitrag des Generalsekretärs der Vereinten Nationen Kofi Annan:

..."In Abuja, Nigeria, habe ich fünf vordringliche Ziele für den weltweiten Kampf gegen Aids vorgestellt: Erstens müssen wir die weitere Ausbreitung der Epidemie verhindern, vor allem durch die Aufklärung junger Menschen. Zweitens müssen wir der grausamsten aller Infektionsformen Einhalt gebieten: der Mutter-Kind-Übertragung. Drittens müssen wir Pflege und Behandlung in Reichweite aller Infizierten bringen. Das ist keine Alternative zur Prävention, sondern eine entscheidende Ergänzungsmaßnahme. Denn Menschen, die wissen, dass es für sie eine Hoffnung auf Behandlung gibt, sind eher bereit, sich einem HIV-Test zu unterziehen. Viertens müssen wir die wissenschaftliche Forschung beschleunigen, bei der Suche nach einem Impfstoff wie nach einer Heilungsmethode. Und fünftens müssen wir jene schützen, die durch Aids besonderen Gefahren ausgesetzt sind, allen voran die Aids-Waisen."

Diese fünf Aktionsziele seien mit jährlich sieben bis zehn Milliarden Mark erreichbar, schreibt Annan. "Wir sprechen hier vom Fünffachen des Betrages der heute aufgewendet wird, der aber nur ein Viertel des Haushalts der Stadt New York ausmacht. Die Welt kann diesen Betrag doch wohl aufbringen!"...

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