Allergie-Check mit CAVE |
31.05.2004 00:00 Uhr |
Ergänzend zur Aufarbeitung von Literaturdaten zu Fertigarzneimitteln hat ABDATA Pharma-Daten-Service einen Ansatz zur Systematisierung von Arzneistoff-Allergien entwickelt, der die Qualität von Kreuzreaktivitäten zwischen Allergenen neu bewertet. In diesem Beitrag soll am Beispiel der Sulfonamide das Struktur-basierte Verfahren zur Ermittlung der antigenen Determinante (Epitop) veranschaulicht werden.
Kaum eine Substanzklasse hat so viele Wirkstoffe in den verschiedensten Indikationsbereichen hervorgebracht wie die Sulfonamide. In der chemischen Nomenklatur werden sie als Benzolsulfonsäureamide bezeichnet. Neben in den nach ihnen benannten Antiinfektiva kommen sie auch in den Sulfonylharnstoffen (orale Antidiabetika), den Carboanhydratasehemmern (Ophthalmika), diversen COX-2-Inhibitoren (Antiphlogistika), zahlreichen Thiaziden (Diuretika), dem Antiepileptikum Sultiam und dem Urikosurikum Probenecid sowie in Hilfsstoffen vieler Fertigarzneimittel vor.
Vor dem Hintergrund, dass Arzneistoff-Allergien mehr oder weniger nicht vorhersagbar sind, stellt sich die Frage, wie Einzelfallbeschreibungen in der wissenschaftlichen Literatur und die Angaben aus den Fachinformationen der Arzneimittelhersteller für eine systematische Strategie der Allergievermeidung (Allergen-Karenz) herangezogen werden können. Wenn – wovon die Schulmedizin ausgeht – die Wirkung eines Arzneistoffs in seiner chemischen Struktur begründet ist, gilt dies auch für seine Nebenwirkungen. Da auch allergische Reaktionen zum Nebenwirkungsprofil eines Arzneistoffes gehören, muss der Frage nachgegangen werden, ob es eine eindeutige Korrelation zwischen der auftretenden Allergie und der chemischen Struktur eines Wirkstoffs gibt. Die für die Allergenität verantwortliche Struktur eines Arzneistoffs ist die antigene Determinante, auch Epitop genannt. Sollte es möglich sein, Epitope zu charakterisieren und mit diesen bestimmte allergische Ereignisse zu verbinden, wäre ein Ansatz zur Vermeidung des Auftretens von Allergien geschaffen. Vorausgesetzt wird allerdings die Kenntnis, dass der Patient ein Sulfonamid-Allergiker ist. Da eine Sulfonamid-Allergie eine relativ häufig auftretende schwere Arzneistoff-Allergie ist, wäre mehr Sicherheit bei der Verordnung erstrebenswert.
Ermittlung der Epitope
Zunächst wurden die Arzneistoffe ermittelt, die als Strukturelement ein Benzolsulfonsäureamid-Grundgerüst beinhalten. Zu diesen wurden die allergischen Reaktionen, die die Haut und den Respirationstrakt betreffen oder einen systemischen Verlauf haben, erfasst. Im Einzelnen sind dies: Exantheme, Erytheme, Urtikaria, Pruritus, Photosensibilität (beziehungsweise photoallergische Reaktionen), Lyell Syndrom, Stevens-Johnson Syndrom, Quincke Ödem, Bronchospasmen und anaphylaktischer Schock.
Die in deutschen Fertigarzneimitteln verwendeten Wirkstoffe sind nach der Indikation gruppiert aufgelistet. Die fünf größeren Gruppen sind Ophthalmika, Diuretika, Antidiabetika, Antiinfektiva und Antiphlogistika. Zwischen diesen Gruppen finden sich das Antihypertonikum Diazoxid, das Urikosurikum Probenecid und das Antiepileptikum Sultiam. Diese sind alleinige Vertreter einer Indikation und wurden entsprechend ihrer chemischen Struktur in der Tabelle [nur in der Druckausgabe] platziert. In der Abbildung [nur in der Druckausgabe] ist jeweils ein typischer Vertreter aus den verschiedenen Indikationen mit seiner chemischen Struktur gezeigt. Die in allen Stoffen blau markierten Epitope entsprechen den in der Tabelle gesetzten Kreuzen. Wenn innerhalb einer Arzneistoffklasse ein allergisches Merkmal mit mindestens 50 Prozent vertreten ist, wurde als Gruppeneigenschaft eine blau schraffierte Fläche gezeichnet. Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass eine Aminofunktion, die in para-Stellung eines Benzolsulfonsäureamids gebunden ist, ein weiteres Epitop darstellt (siehe Abbildung). Dies betrifft einige Sulfonamid-Antiinfektiva, unter anderem Sulfamethoxazol. Die in der Abbildung rot markierten Molekülteile in Glibenclamid, Parecoxib und Sulfamethoxazol sind Substrukturen, die das pseudo-allergische Analgetika-Asthma verursachen. Bei diesen Reaktionen handelt es sich um eine durch den Wirkmechanismus bedingte Nebenwirkung. Arzneistoffe, die dieses Strukturelement beinhalten, wurden in der Tabelle entsprechend mit einem rot schraffierten Bereich versehen. In der Tabelle wurden beim COX-2-Hemmer Parecoxib Kreuze in Klammern gesetzt, da diese noch nicht in den Herstellerangaben gelistet sind. Parecoxib wird als Prodrug nahezu vollständig in Valdecoxib verstoffwechselt, von daher sind die Wirkprofile und Nebenwirkungen ähnlich. Das abgebildete miotisch wirkende Dorzolamid beinhaltet einen schwefel-haltigen Thiophenkern. Dieser ist pharmakologisch äquivalent mit einem Benzolring (Bioisosterie).
Epitop-Allergie-Betrachtung
Aus der Struktur-basierten Allergenitätsbetrachtung der Sulfonamide aus den einzelnen Wirkstoffklassen lassen sich eindeutig allergische Struktur-Nebenwirkungs-Beziehungen ableiten. Sofort ersichtlich ist, dass innerhalb einer Wirkstoffgruppe für einen Indikationsbereich, wie zum Beispiel innerhalb der Diuretika, Antiinfektiva und der Antiphlogistika, die Nebenwirkungsprofile ein hohes Maß an Übereinstimmung aufweisen.
Beim Vergleich der verschiedenen Wirkstoffklassen untereinander ist deutlich zu sehen, dass eine Verschiebung des Schwerpunktes der allergischen Ereignisse eintritt. Erytheme und vor allem Exantheme treten bei den Antiinfektiva und den Antiphlogistika in den Hintergrund, dagegen treten schwer wiegende allergische Ereignisse wie das Lyell Syndrom und das Stevens-Johnson Syndrom auf, wie auch bei den Ophthalmika. Diese beiden Erkrankungen treten bei den oralen Antidiabetika und den Diuretika selten auf. Ein deutlicher Zusammenhang ist auch zwischen der chemischen Struktur und dem Quincke Ödem bei den Antiphlogistika und den Antiinfektiva zu erkennen. Bei den Diuretika spielt das Quincke Ödem in der Praxis eine untergeordnete Rolle.
Ein eindeutiger Zusammenhang besteht zwischen dem Auftreten eines Bronchospasmus und der chemischen Struktur. Dieser tritt vorwiegend bei den Antiphlogistika auf. Dieses Ereignis wurde in der Tabelle [nur in der Druckausgabe] rot schraffiert, weil es auf eine indikationsbezogene Nebenwirkung in diesen Verbindungen – wie auch in Glibenclamid weiter unten aufgezeigt – zurückgeführt werden kann. Die Abbildung macht deutlich, dass in den benannten Verbindungen zwei räumlich voneinander getrennte Strukturmerkmale vorliegen. Dabei zeigt es sich, dass nicht immer eine absolute strukturelle Identität gegeben sein muss. So sind zum Beispiel der Salicylat-Rest in Glibenclamid und der Isoxazol-Rest in Parecoxib und in Sulfamethoxazol (beide rot markiert) biologisch äquivalent. Das so genannte Analgetika-Asthma kann sowohl bei den Coxiben als auch bei den Salicylaten auftreten. Dies ist auch einleuchtend, da beide Arzneistoffe dieselbe antiphlogistische Wirkung über die Hemmung der COX-2 haben. Die rot schraffierten Felder in der Tabelle deuten an, dass ein pseudo-allergisches Ereignis auch aus dem Salicylat-Rest resultieren kann.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Benzolsulfonsäureamid ein Epitop darstellt, das in Arzneistoffen sehr unterschiedlicher Indikation vorkommt. Die Ausprägung von leichteren oder schwer wiegenderen allergischen Ereignissen hängt des Weiteren von den übrigen Substituenten des Benzolsulfonsäureamids ab.
Struktur-basierte Betrachtung
Aus der beschriebenen Vorgehensweise der Epitop-Ermittlung ergeben sich einige Konsequenzen. Die Methode bietet die Möglichkeit, allergische Ereignisse aus Einzelfallberichten miteinander zu vergleichen, indem sie an die in Frage kommenden antigenen Determinanten geknüpft werden. Da es für die auftretende Allergie unerheblich ist, gegen welche Erkrankung ein Arzneistoff gegeben wurde, reduziert sich die Gesamtzahl der für Arzneistoffe insgesamt beschriebenen Allergien erheblich. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass der Begriff der Kreuzallergie im Zusammenhang mit Arzneimittel-Allergien oftmals nicht zutrifft, da er lediglich auf die Indikation des Arzneistoffes Bezug nimmt. Das allergische Ereignis ist jedoch unabhängig von der Indikation. Die „Kreuzallergie“ zwischen Diuretika und Antiinfektiva lässt sich – wie oben gezeigt – auf ein gemeinsames Strukturmerkmal zurückführen, damit wird der Begriff in dieser konkreten Betrachtung unnötig. Anders ist es natürlich bei Arzneistoffen, die kein offensichtlich gemeinsames Epitop haben, hier muss weiterhin von einer Kreuzreaktivität gesprochen werden. Wo jedoch ein gemeinsames Epitop ermittelt werden kann, sollte dies vermieden werden, um die Datenlage zu systematisieren und kausal zu fundieren.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist noch eine Betrachtung zum Verhältnis von Pharmakophor (das für die Wirkung eines Arzneistoffes wesentliche Strukturmerkmal) und Epitop (das für die Allergenität eines Arzneistoffes wesentliche Strukturmerkmal). Wie in der Abbildung an Glibenclamid zu ersehen ist, liegt das Epitop (blau markiert) innerhalb der für die Wirkung benötigten Sulfonylharnstoff-Struktur (durch einen Kasten markiert). Anders ist es bei Parecoxib. Hier liegen die für die COX-2-Hemmung verantwortliche rot hervorgehobene Substruktur und das Epitop Benzolsulfonsäureamid getrennt nebeneinander vor. Beim Hydrochlorothiazid ist das Epitop eingebunden in ein bicyclisches System, das für die diuretische Wirkung verantwortlich zeichnet. An diesen Beispielen kann also gezeigt werden, dass Pharmakophor und Epitop in einem Molekül in unterschiedlicher Weise nebeneinander vorliegen können. Der Grund für das Einbringen von zusätzlichen Strukturmerkmalen in einen Wirkstoff liegt oft in der mangelnden Bioverfügbarkeit eines „nackten“ Pharmakophors und in vielen Fällen wird dadurch überhaupt erst eine Substrat- oder Rezeptorspezifität und -selektivität erreicht.
Fazit
Abschließend zu diesen Betrachtungen von Allergien auf molekularer Grundlage ist zu erwähnen, dass eine praktische Nutzung dieser Erkenntnisse für den Apotheker möglich ist. ABDATA Pharma-Daten-Service hat mit CAVE ein Datenmodul auf Basis der ABDA-Datenbank entwickelt, das eine Patienten-individuelle Risiko-Prüfung unter anderem auf mögliche Arzneimittel-Allergien erlaubt. Dazu wurden sehr umfassend die für allopathisch wirkenden Fertigarzneimittel beschriebenen Allergien ermittelt und systematisch wie oben beschrieben aufgearbeitet. Mittels Codierung eines Patienten beispielsweise als Sulfonamid-Allergiker kann vom Computersystem eine Warnung vor einem allergischen Risiko bei der Abgabe eines Fertigarzneimittels ausgegeben werden. Der Risiko-Check auf Allergien beinhaltet neben Wirkstoffen auch Hilfsstoffe, hier wäre zum Beispiel das Sulfonamid Saccharin zu nennen.
Literatur
Anschrift des Verfassers:
Dr. Carsten D. Siebert
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