Wundheilung durch thrombozytäre Wachstumsfaktoren |
24.05.2004 00:00 Uhr |
Der Prozess der Wundheilung ist nach wie vor ein wichtiges Feld der medizinischen Forschung. Trotz zahlreicher Innovationen ist die Therapie von Verletzungen immer noch unzureichend. Der Einsatz von Wachstumsfaktoren soll nun die konventionelle Therapie ergänzen und maßgeblich verbessern.
Eine Wunde verheilt schnell und ohne Narbenbildung, sofern die Wundränder glatt und nah zusammenliegend sind und keine Kontamination mit Mikroorganismen erfolgt. Dabei ist der Heilungsprozess durch die gleichzeitige Neubildung von Bindegewebe und Kapillaren gekennzeichnet, die das Gewebe hervorragend mit Sauerstoff versorgen. Erst zum Schluss proliferieren die Keratinozyten der Epidermis und bilden von den Wundrändern her eine schützende neue Barriere aus.
Sind die Wundränder allerdings stumpf und ungerade, viele Blutgefäße zerstört oder erfolgt eine Kontamination der Wunde, findet eine verzögerte sekundäre Wundheilung unter Narbenbildung statt. Der Wundraum wird zunächst mit einem roten, feucht-glänzenden und locker verbundenen Granulationsgewebe ausgefüllt, das eine mechanische Barriere und einen Kontaminationsschutz bildet und ein wundheilungsförderndes Mikroklima schafft. Die eigentliche Heilung wird durch die Akkumulation von Thrombozyten an den verletzten Gefäßwänden und im umliegenden Wundareal eingeleitet, da diese zahlreiche wundheilungsmodulierende Wachstumsfaktoren ausschütten.
Sekretion von Wachstumsfaktoren
Wachstumsfaktoren werden auch von allen anderen aktivierten Zellen im Wundareal freigesetzt und wirken synergistisch (Tabelle 1). Sie fördern den Heilungsprozess, indem sie Effektorzellen zum Wachstum und zur Einwanderung in das Wundareal veranlassen. Insofern sind chronische Wundheilungsstörungen oft durch eine verminderte Sekretion gekennzeichnet (1).
Tabelle1: Synthese und Effekte wichtiger Wachstumsfaktoren im Wundareal (32)
Faktor Sekretion von Effekte auf Zielzellen
Wachstumsfaktoren vermitteln Zielzellen ihre vielfältigen wundheilungsfördernden Signale durch Bindung an membranständige Rezeptoren mit Tyrosinkinase-Aktivität (2, 3). Autophosphorylierungen bilden Erkennungsstellen für eine Vielzahl von Adapterproteinen mit Kinaseaktivität, die Zielgenen die vielfältigen Signale der Wachstumsfaktoren vermitteln. So aktivieren fast alle Wachstumsfaktoren Promotoren oder Transkriptionsfaktoren und steigern somit die Expression von Proteinen, die Zellen zur Proliferation anregen. Den wichtigsten wachstumsfördernden Signalweg stellt die Mitogen-aktivierte Protein Kinase (MAPK)-Kaskade dar (4, 5).
Des Weiteren rekrutieren Wachstumsfaktoren epidermale und dermale Zellen sowie Immunzellen in das Wundareal, Migrationsprozesse vermitteln die Rekonstitution und Dekontamination des verletzten Gewebes. Wandernde Zellen erscheinen durch Umstrukturierungen des Zytoskeletts flach und lang gestreckt, richten sich auf den chemotaktischen Gradienten hin aus und entwickeln füßchenartige Ausstülpungen, so genannte Lamellopodien (6).
Auch das Expressionsmuster der verschiedenen a- und b-Untereinheiten der heterodimeren transmembranären Integrin-Rezeptoren wird durch Wachstumsfaktoren stark verändert. Jedes Integrin vermittelt spezifisch die Adhäsion einer Zelle an Proteine der extrazellulären Matrix (ECM) (7). Diese bildet ein Netz aus, in das die Zellen eingebettet sind. Durch Wachstumsfaktoren werden adhärente Zellen von der ECM abgelöst, dafür kommt es zur starken Expression von Integrinen, die an Komponenten der provisorischen Matrix im Wundraum binden. Der eigentliche Migrationsvorgang ist durch Kontraktionen gekennzeichnet, die Zellen bei konstanter Anheftung zu den ECM-Proteinen hinziehen (8).
Wachstumsfaktoren steigern zudem erheblich die Expression zellulärer Proteasen (3, 9, 10). Diese reinigen die Wunde, lösen darüber hinaus ECM-Integrin-Bindungen auf und degradieren hinderliche Matrixproteine, sodass eine Wanderung der Zellen in tunnelartigen Strukturen erfolgt (11). Ubiquitäre Plasminogenaktivatoren (uPA) setzen als Serinproteasen nach der Bindung an ihre Rezeptoren inaktives Plasminogen zu matrixspaltendem Plasmin um. Als endogener, gemeinsam mit uPA sekretierter Hemmstoff verhindert der Plasminogen-Aktivator-Inhibitor (PAI) eine zu weitläufige Gewebsschädigung (12). Die zweite degradierende Klasse stellen die etwa 24 verschiedenen Matrixmetalloproteasen (MMPs) dar (13). Auch sie werden gemeinsam mit endogenen, als Gewebs-Inhibitoren oder TIMPs (tissue inhibitors) bezeichneten (14) Hemmstoffen sekretiert, die die Degradation lokal begrenzen. Chronische Wunden zeigen häufig zu hohe MMP- oder zu niedrige TIMP-Spiegel (15).
Exsudative Phase der Wundheilung
Die verzögerte sekundäre Wundheilung wird in verschiedene Phasen unterteilt. Im Zuge der exsudativen Phase kommt es in den ersten Minuten zum Einstrom von gerinnendem Blut aus verletzten Gefäßen in den Wundraum, das zu einer provisorischen Matrix, dem so genannten Wundschorf, erhärtet und einen mechanischen und Kontaminationsschutz sowie ein heilungsförderndes, feuchtes Mikroklima bildet. Enthalten sind Thrombozyten und lösliche Plasmaproteine, vor allem Fibrin, das Thrombozyten und Proteine verbindet, stark kontrahiert und die Wundränder straff zusammenzieht. Die an die verletzten Gefäßwände und im Wundschorf akkumulierten Thrombozyten sezernieren bereits in den ersten Minuten eine Vielzahl von Wachstumsfaktoren (16), die Neutrophile, gefolgt von Monozyten, in den Wundraum rekrutieren. Während Neutrophile das Wundareal nur wenige Tage infiltrieren, sind Makrophagen während des ganzen Heilungsprozesses vorhanden und sekretieren wiederum zahlreiche Wachstumsfaktoren.
Resorptive Phase der Wundheilung
Zwischen erstem und drittem Tag beginnt die resorptive Phase der Wundheilung. Sie ist gekennzeichnet durch die von dermalen intakten Kapillarsprossen ausgehende Bildung eines Granulationsgewebes. Dieses besteht wiederum aus Plasmaproteinen, Thrombozyten und vielen Makrophagen, daneben treten vermehrt Leukozyten auf. Die verschiedenen Immunzellen "resorbieren" den Wundschorf bis auf Rudimente, das Granulationsgewebe übernimmt seine Funktionen. Vom Beginn der Granulierung an vermitteln TGF-b und PDGF die Einwanderung von Fibroblasten und regen diese zum explosionsartigen Wachstum an (17). Wachstumsfaktoren fördern außerdem die Synthese sowie Sekretion verschiedener ECM-Proteine, die das Granulationsgewebe bis zum Erreichen eines faserreichen, stabilen und kontraktilen Bindegewebes modulieren. Bei vielen chronischen Wundheilungsstörungen wird die Ausbildung eines Narbengewebes durch die zu große Aktivität von Proteasen und die resultierende starke Zersetzung der neugebildeten ECM erschwert (15). Wichtigste strukturgebende Komponente der ECM sind die Collagene, die sich zu reißfesten Fasern zusammenlagern. Nektine (Vitronektin, Fibronektin, Osteonektin, Tenascin, Thrombospondin) und Laminine sind unlösliche globuläre Strukturglykoproteine mit erhöhtem Zuckeranteil. Beide Familien verbinden als Ankerproteine die Collagenfasern zu Netzen, integrieren Zellen in die ECM und sind sehr stark an migratorischen Prozessen beteiligt (18).
Durch verschiedene Wachstumsfaktoren, besonders durch TGF-b, werden Fibroblasten in kontraktile, morphologisch an glatte Muskelzellen erinnernde Myofibroblasten umgewandelt (19, 20). Mit ihrer großen Anzahl intrazellulärer Aktinfilamente ziehen sie das Granulationsgewebe stark zusammen. Nach dem kompletten Wundverschluss kommt es durch apoptotische Prozesse und die Umwandlung von Myofibroblasten in Fibrozyten wieder zur Entspannung des Gewebes. Umgekehrt sind Fibrosen infolge überschießender Wachstumsfaktoraktivitäten neben einer großen Anzahl proliferierender Fibroblasten und einer verstärkte Collagendeposition auch durch eine zu große Myofibroblastenkontraktilität gekennzeichnet (21).
Angiogenese
Ein äußerst wichtiger Prozess zur Wiederherstellung eines funktionsfähigen Gewebes und zur Versorgung der proliferierenden und aktivierten Zellen ist die auch als (Neo-)Vaskularisierung oder Angiogenese bezeichnete Bildung neuer Blutgefäße, ausgehend von bestehenden Kapillaren. Nach der Embryogenese teilen sich ruhende kapilläre Endothelzellen nur etwa alle drei Jahre, sind aber durch thrombozytäre und endotheliale Wachstumsfaktoren aktivierbar. Der vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktor (VEGF) hat die größte Bedeutung und wirkt spezifisch auf Endothelzellen migrationsfördernd, proliferativ und antiapoptotisch, dilatiert außerdem Gefäße und erhöht ihre Permeabilität (22). Eine Hochregulierung von MMPs und PAs durch Wachstumsfaktoren führt zur Degradation der endothelialen Basalmembran und ECM, es folgt die Migration von „Vorläufer“-Endothelzellen in Richtung des angiogenen Stimulus (3, 7). Die nachfolgenden Endothelzellen weisen eine erhöhte Teilungsaktivität und verringerte Apoptoserate auf und bilden eine röhrenförmige Struktur von der Kapillare bis ins Granulationsgewebe (22). Durch die Absenkung der Proteaseaktivität (3) und die gesteigerte ECM-Synthese bilden Endothelzellen eine neue Basalmembran aus, und das Gefäß wird durch rekrutierte glatte Muskelzellen erneut in der Umgebung verankert.
Reepithelialisierung
Der Prozess der Reepithelialisierung regeneriert die Oberfläche verwundeter Gewebe. Er stellt somit einen vollen Kontaminations- und mechanischen Schutz her und erfordert von den Wundrändern aus die Migration und Proliferation der Keratinozyten. Besonders aktivierend auf diese Zellen wirken EGF, TGF-b, der Heparin-bindende epidermale Wachstumsfaktor HB-EGF und der Keratinozyten-Wachstumsfaktor KGF. Die Migration beginnt einige Stunden nach der Verletzung, die explosionsartige Proliferation im Laufe desselben Tages.
In unverletzter Haut sind basale Keratinozyten durch Desmosomen sehr fest verbunden und außerdem mit einer Basalmembran verankert, die überwiegend aus Collagen IV und Laminin 5 zusammengesetzt ist. Die Haftpunkte von Keratinozyten an die Basalschicht werden durch Integrine und Ankerfilamente im Innern von Halbdesmosomen gebildet (23). Zur Migration lösen sich Keratinozyten aus dem Zellverband und verlieren die Adhäsion an die Basalmembran. Entsprechend kommt es zum Untergang der Halbdesmosomen und zur Verlagerung der Integrine in Ausrichtung auf den migratorischen Stimulus (24). Das Zytoskelett wird neu formiert und um zahlreiche Aktinfilamente ergänzt. Darüber hinaus werden bestimmte migrationsfördernde Integrine erstmals exprimiert (25). Starke migratorische Signale empfangen Keratinozyten nach ihrer Adhäsion an Collagen I (26) und IV (27) sowie die verschiedenen Nektine (28, 29). Migrierende Keratinozyten steigern die Synthese von uPA und bestimmten MMPs, um sich durch Degradationsprozesse den Weg durch die Wundmatrix zu bahnen.
Anders als die ungeordnete Migration von Fibroblasten und Immunzellen im Wundbett vollzieht sich die Wanderung der Keratinozyten in den ersten Tagen zwischen intakter Dermis beziehungsweise Granulationsgewebe und Schorf. So wird die Reepithelialisierung an der Wundoberfläche sichergestellt. Sobald die Wunde vollständig mit einer einzelligen Schicht von Keratinozyten bedeckt ist, wird, ausgehend von den Wundrändern, eine neue Epidermis aufgebaut. Hierzu sekretieren Keratinozyten Proteine der Basalmembran und bilden Halbdesmosomen aus. Sobald die Verankerung wiederhergestellt ist, proliferieren Keratinozyten, und jeweils eine Tochterzelle wandert in Richtung der Hautoberfläche (30). Durch die Synthese neuer Desmosomen bilden die Keratinozyten einen mehrschichtigen Zellverband, die Epidermis, aus, an deren Oberfläche tote Korneozyten in eine multilamellare Lipidmatrix eingebettet werden.
Am Ende des Wundheilungsprozesses entsteht eine Narbe, die die umliegende Haut überragt und durch die starke Neovaskularisierung rötlich erscheint. Durch die zunehmende Straffung des Bindegewebes geht die Durchblutung allerdings zurück, die Narbe sinkt ein und wird blass. Ins Narbengewebe werden keine Haare, Talg- und Schweißdrüsen oder pigmentgebenden Melanozyten eingelagert, und es finden noch viele Jahre lang Umstrukturierungen des Gewebes statt.
Thrombozytäre Wachstumsfaktoren Chronische, schlecht heilende Wunden bilden kaum Granulations- oder gar Bindegewebe aus, weisen nur sehr niedrige Spiegel von Wachstumsfaktoren auf und werden als Ulcera bezeichnet. Beispiele sind die Dauerdruckbelastung von verletzten Geweben bei Liegepatienten mit resultierender Dekubitusbildung oder die Mangelversorgung von Körperregionen mit Sauerstoff bei Insuffizienz des Kreislaufsystems und diabetischer Mikroangiopathie genannt. Bei Letzterer sind die das Wundgebiet durchziehenden Gefäße nicht in der Lage, in ausreichendem Maße zu dilatieren und ihre Permeabilität zu erhöhen. Infolgedessen treten wundheilungsfördernde Zellen und Faktoren nur noch vermindert in das verletzte Gewebe über. Bei Diabetespatienten beeinträchtigt zudem die verringerte Proteinbiosynthese die Wundheilung. Aus kleinsten Rhagaden können große chronische Ulcera entstehen, die sich leicht unter Abszessbildung infizieren, oftmals zu Amputationen führen und somit ein erhebliches sozialmedizinisches Problem darstellen.
Die konventionelle Therapie solcher Wunden setzt sich zusammen aus der Ursachenbehandlung (häufiger Lagewechsel, Geh- und Muskeltraining, Gabe vasodilatativer Substanzen, Kompressionsverbände, Diabeteseinstellung) und einer ergänzenden regelmäßigen Wundversorgung. Essenziell ist das Debridement, das heißt, die Entfernung von infiziertem und nekrotischem Gewebe. Dieses kann mit einer chirurgischen Revaskularisierung und Sauerstoffsättigung der Wunde über 30 mmHg kombiniert werden. Antiseptikagetränkte Verbände und eine lokale oder systemische Antibiotikatherapie sollen Kontaminationen vorbeugen, mit Ringerlösung getränkte und Fettgaze bedeckte Auflagen im Sinne der feuchten Wundbehandlung ein wundheilungsförderndes Mikroklima schaffen.
Die gezielte Zufuhr von Wachstumsfaktoren soll nun diese Therapie ergänzen (1). Die US-amerikanische Firma CT (Curative Technologies) vertreibt seit 1990 die so genannte Wundheilungssuppe PDWHF (Platelet Derived Wound Healing Formula). Dabei handelt es sich um ein Gemisch aus verschiedenen thrombozytären Wachstumsfaktoren, die gezielt in die Wunde eingebracht werden, um die körpereigene Produktion zu ergänzen. An erster Stelle ist PDGF enthalten, daneben auch TGF-b, EGF und IGF. Auch Albumin, Fibronektin, Fibrinogen und andere Matrixproteine werden in der Mischung belassen. Allerdings sind weder die Effekte dieses Stoffgemisches noch das vermutlich synergistische Zusammenspiel der enthaltenen Komponenten geklärt. Entsprechend ist weder die Wirksamkeit wissenschaftlich gesichert, noch das Nebenwirkungsspektrum absehbar. Bislang wurden zwar nur Hautreizungen und Hyperkeratosen beobachtet, dennoch könnten die proliferativen Eigenschaften des Stoffgemisches das Krebsrisiko erhöhen. Unter Sicherheitsaspekten wäre der Einsatz einer Einzelsubstanz mit bekannten Eigenschaften dem PDWHF-Gemisch vorzuziehen.
Deshalb ist in Deutschland PDWHF nicht als Arzneistoff zugelassen, darf aber seit 1998 als Individual-Rezeptur mit voller Haftung des Arztes zur Behandlung diabetischer, venöser und arterieller Ulcera und Dekubitus verschrieben werden. Die PDWHF-Behandlung sollte nur dann als ursächliche Begleittherapie stattfinden, wenn die konventionelle Therapie über mindestens acht Wochen erfolglos war. Vor Behandlungsbeginn werden 150 ml Blut des Patienten per Kühlkette zu CT geschickt, wo die Thrombozyten isoliert und die Wachstumsfaktoren separiert werden. Sofort im Anschluss an das Debridement und die chirurgische Sauerstoffsättigung wird ein mit PDWHF getränkter Mullstreifen in die Wunde eingeführt, mit Vaselingaze eine feuchte Kammer geschaffen und der Verband 12 Stunden belassen. Ein Wechsel erfolgt anschließend alle 12 Stunden, wobei bislang keine Daten zur optimalen Dosis und Intervalldauer vorliegen.
Die bislang durchgeführten klinischen Studien weisen kontroverse Ergebnisse auf. Die erste Studie erfolgte 1986 durch Knighton und war sehr viel versprechend. 49 Patienten mit verschiedenen chronischen und seit mindestens 200 Wochen therapieresistenten Wunden wurden mit PDWHF wie beschrieben behandelt. Wöchentlich erfolgten ein Debridement und die Wundklassifizierung. Die morphologischen Eigenschaften, Wundausmaß, -tiefe, -infektions- und -granulationsgrad wurden in einem Punktesystem bewertet, in das auch das Wundumfeld (Infektionen, ödematöse Schwellungen, Röte, Fibrinbeläge) sowie das Gesamtbefinden (Leukozytosen, Fieber) mit einbezogen wurden. In nahezu allen Fällen fand eine vollständige Abheilung der Wunde nach 10,6 Wochen statt.
Dieses Ergebnis konnte zwar in zwei doppelblinden Studien reproduziert werden, in einer dritten jedoch nicht. Alle Studien zeigten eine Verbesserung der Wundheilung in der Placebogruppe, die aus der ausgezeichneten Wundversorgung resultiert, die mit der PDWHF-Behandlung einhergeht.
Darüber hinaus wurde ein Monopräparat entwickelt, das sich in klinischen Prüfungen als sicher und wirksam erwies. Der rekombinante humane thrombozytäre Wachstumsfaktor (PDGF)-BB Becaplermin (Regranex®, Janssen-Cilag) erhielt 2000 die Zulassung zur Behandlung tiefer neuropathischer chronischer, diabetischer Ulcera. Es konnte belegt werden, dass PDGF von allen in PDWHF enthaltenen Komponenten am Wirksamsten ist. Die gentechnische Gewinnung gewährleistet Reinheit, Sterilität und Hypoallergenität.
PDGF vermittelt seine vielfältigen Effekte durch Bindung an Tyrosinkinase-gekoppelten Rezeptoren, die als PDGFR-a- und -b-Isoformen an der Zelloberfläche vorliegen. Auch das Glykoprotein PDGF selbst bildet durch die Disulfidbrücken-Verbindung zweier als A- und B-Kette bezeichneten Proteinsequenzen unterschiedliche Isoformen aus, nämlich die homodimeren Formen PDGF-AA und -BB sowie das überwiegend von Thrombozyten gebildete Heteromer PDGF-AB. Die verschiedenen PDGF-Formen binden bevorzugt an verschiedene Rezeptorsubtypen. Offenbar beruht die hohe Potenz von PDGDF-AB auf seinen vielfältigen und besonders starken Rezeptor-Wechselwirkungen. Bislang ist es allerdings nur gelungen, das homodimere PDGF-BB durch Insertion des die B-Kette kodierenden Gens in den Hefepilz Saccharomyces cerevisiae zu synthetisieren.
In der Zubereitung Regranex ist Becaplermin (100 µg/g) in ein nicht-steriles, konserviertes Gel mit der Trägersubstanz Carmellose-Natrium eingebettet. Dieses Gel wird maximal 20 Wochen lang einmal täglich mit einem Spatel in einer durchgängigen dünnen Schicht auf die ulcerierte Fläche aufgetragen und mit einer mit Kochsalzlösung getränkten Auflage im Sinne einer feuchten Wundbehandlung abgedeckt. Andere Medikamente dürfen lokal nicht eingebracht werden.
Abkürzungen ECM extrazelluläre Matrix
Die Behandlung muss von einer guten Wundbehandlung begleitet, eine Infektion der Wunde muss durch eine effiziente Antibiotikagabe vollständig unterdrückt werden. Die Therapie ist bei nachträglicher Wundinfektion auszusetzen. Vor Behandlungsbeginn werden eine ulcusbedingte Osteomyelitis, eine eventuelle arterielle Verschlusskrankheit und durch eine transcutane Sauerstoffmessung eine Ischämie der Wunde (Sauerstoffgehalt < 30 mmHg) ausgeschlossen, da diese Symptome absolute Kontraindikationen für die Gabe von Becaplermin sind. Gleiches gilt für maligne Erkrankungen, diabetische Folgeschäden oder gleichzeitige Strahlen- Chemo-, Corticoid- oder Immunsupprssiva-Therapie. Hier sind mögliche Wechselwirkungen mit PDGF noch nicht abzusehen. Erkenntnisse zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bei Kindern und Jugendlichen sowie Schwangeren und Stillenden liegen noch nicht vor.
1989 wurden von Pierce et al. die ersten Tierversuche mit Becaplermin durchgeführt (31). Sie brachten PDGF versus Placebo, aufgetragen auf ein Collagenvlies, in standardisierte Wunden von Ratten ein. Nach verschiedenen Zeitintervallen wurde tensiometrisch die Reißfähigkeit der entstehenden Narben gemessen und das Narbengewebe histologisch untersucht. Die einmalige Gabe von 2 µg PDGF steigerte die Narbenfestigkeit im Vergleich zur Kontrolle nach fünf Tagen um 212 Prozent und blieb 21 Tage lang bestehen.
Vier große klinische Studien belegten die Wirksamkeit und Verträglichkeit und wurden von der EMEA einer Meta-Analyse unterzogen, die zur Zulassung führte. Das Ergebnis war jedoch weniger viel versprechend als erwartet, da eine 20-wöchige Gabe von Becaplermin (100 µg/g) lediglich eine um 10 Prozent bessere Wundheilung bewirkte als die Trägersubstanz allein. Auch hier zeigte sich, dass die Heilungsrate allein durch eine sorgfältige feuchte Wundbehandlung mit regelmäßigen chirurgischen Reinigungen deutlich ansteigt. Hierbei ist die psychologische Komponente einer sorgfältigen Wundbehandlung nicht zu unterschätzen. Offenbar fördert Becaplermin die Heilung besonders effizient, wenn die Ulcera kleinflächig sind und noch nicht lange bestehen. Der Nutzen ist bei tiefen, bereits die Subcutis angreifenden Wunden am größten. Niedrigere Konzentrationen als 100 µg/g erwiesen sich nicht als signifikant wirksamer als die reine Placebobehandlung. Folglich erging die Zulassung der EMEA für chronisch-neuropathische, diabetische tiefe Ulcera in einer Größe bis zu 5 cm2. Basierend auf den Ergebnissen der klinischen Prüfung wurde eine große Arzneimittelsicherheit erwartet, denn der Wirkstoff wird kaum aus der Wunde resorbiert, bildet kein Wirkstoffgemisch mit Interaktionspotenzial und besitzt kein kanzerogenes Risiko. Tatsächlich sind bislang keine Arzneimittelzwischenfälle aufgetreten. Becaplermin dürfte also bald in größerem Maßstab für die Therapie eingesetzt werden.
Literatur bei den Verfassern
Anschrift der Verfasser:
Dr. Bettina Sauer
Privatdozent Dr. Burkhard Kleuser
Institut für Pharmazie
Freie Universität Berlin
Königin-Luise-Straße 2+4
14195 Berlin
Dr. Rüdiger Vogler
Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände
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