Therapie mit Radionukliden |
28.04.2003 00:00 Uhr |
Im Deutschen und im Europäischen Arzneibuch sind viele therapeutische und diagnostische Einsatzgebiete für radioaktive Arzneimittel aufgeführt. Darüber hinaus hat die Anwendung natürlicher Radionuklide eine lange Tradition.
Seit mehr als 20 Jahren steht eine weitere Therapie zur Verfügung. Bei der Radiosynoviorthese zur Behandlung bestimmter rheumatischer Erkrankungen und der Osteoarthritis (7) werden b-Strahler eingesetzt, deren Reichweite im Gewebe einige Millimeter beträgt: Yttrium-90 (Knie), Rhenium-186 (Schulter, Handgelenk) oder Erbium-169 (kleine Gelenke). Ziel der Behandlung ist es, die chronische Entzündung der Gelenkinnenhaut zu stoppen, die durch Makrophagen in Gang gehalten wird.
Diese radioaktiven Nuklide werden als feinste Partikel in den Gelenkspalt injiziert. Bei dem Versuch, die Partikel zu phagozytieren, nehmen die Makrophagen die Radionuklide auf und werden durch deren b--Strahlung zerstört. Die freigesetzten Elektronen stammen nicht aus der Elektronenhülle, sondern aus dem Kern. Dort zerfällt ein Neutron in ein Elektron und ein Proton. Da somit die Protonenzahl um 1 steigt, steht das durch b-Strahlung entstandene neue Element eine Stelle rechts vom ursprünglichen Nuklid.
Es gibt allerdings auch radioaktive Nuklide, bei denen die Elektronen aus der Elektronenhülle stammen; man spricht von Konversionselektronen. Der Kern gibt seine Anregungsenergie nicht in Form von g-Quanten ab, sondern überträgt diese Energie auf ein Hüllenelektron, vorzugsweise der K-Schale, die dem Kern am nächsten ist. Im Gegensatz zu b--Teilchen aus dem Kern sind Konversionselektronen monoenergetisch.
Schließlich gibt es die so genannten Auger-Elektronen (französische Aussprache). Man versteht darunter die (praktisch) gleichzeitige Ablösung von zwei Elektronen aus nur einem Atom. Im ersten Schritt wird ein Elektron aus einer kernnahen Bahn (wie bei den Konversionselektronen) herausgeschossen. Im zweiten Schritt fällt ein Elektron aus einer kernfernen Bahn in die kernnahe Lücke; die frei werdende Energiedifferenz wird nicht als Röntgenquant abgegeben, sondern im dritten Schritt als ein weiteres Elektron, das das Atom verlässt. Die Auger-Elektronen besitzen eine relativ niedrige Energie (10 eV bis 1,5 keV).
Baden in Radionukliden
Im Gegensatz zur therapeutischen und diagnostischen Verwendung künstlicher radioaktiver Nuklide hat die Behandlung mit natürlichen Radionukliden in der Medizin eine lange Tradition. Weit verbreitet sind Radon-Therapien durch Einatmen, Trinkkuren und Bäder gegen chronisch-degenerative und chronisch-entzündliche Krankheiten der Wirbelsäule, besonders bei Morbus Bechterew, Arthrosen der großen und kleinen Gelenke, psoriatischer Arthritis, Gicht und Weichteilrheumatismus. Bekannte Badeorte sind Bad Kreuznach in Rheinland-Pfalz, Bad Schlema in Sachsen, Neualbenreuth in Bayern, Badgastein in Österreich oder Jachymov/St. Joachimsthal in der Tschechischen Republik.
Radon-222 (Rn) ist ein lipidlösliches Edelgas (VIII. Gruppe), das daher beim Baden in radonhaltigem Wasser auch über die Haut aufgenommen wird. In diesem Zusammenhang sind die Begriffe der physikalischen und der biologischen Halbwertszeit wichtig. Die physikalische Halbwertszeit (t1/2) gibt an, nach welcher Zeit die Hälfte eines Nuklids zerfallen ist. Dies ist chemisch nicht zu beeinflussen. Dagegen gibt die biologische Halbwertszeit an, nach welcher Zeit die Hälfte der fraglichen, nicht-radioaktiven Substanz den Organismus verlassen hat. Aus der Kombination von physikalischer und biologischer Halbwertszeit ergibt sich die effektive Halbwertszeit. Cäsium aus der I. Gruppe im Periodensystem der Elemente (Beispiel: Cs-137 nach dem Tschernobyl-Unglück mit einer physikalischen Halbwertszeit von 30 Jahren) wird ähnlich wie Kalium ausgeschieden. Das führt beim Menschen zu einer effektiven Halbwertszeit von etwa 100 Tagen.
Ähnliches gilt für Radon-222: Die physikalische Halbwertszeit beträgt 3,8 Tage. Da es als Edelgas schnell abgeatmet wird, ist seine effektive Halbwertszeit viel kürzer und beträgt je nach Patient 20 bis 30 Minuten. Radon-222 zerfällt über mehrere a- und b-Zerfälle über Polonium, andere Blei-Isotope und Wismut schließlich zu Blei-206, einem nicht-radioaktiven Isotop des natürlichen Blei-207.
Radon wird oft - besonders in der Laienpresse - verwechselt mit dem Gemisch aus 222Rn und seinen Zerfallsprodukten Polonium, Wismut und Blei. Daher wird gern auf die Belastung des Organismus mit diesen Schwermetallen verwiesen, ohne deren Mengen und die Halbwertszeiten zu berücksichtigen.
Radium-224 gegen Morbus Bechterew
Wegen seiner vergleichsweise großen Masse kann ein a-Teilchen (es ist ein Helium-Kern 42He2+) nur sehr oberflächlich in Gewebe (Wasser) eindringen; die Reichweite in Luft beträgt knapp 4 cm, in Wasser 0,04 mm (8). Das a-Teilchen verliert auf diesem sehr kurzen Weg seine gesamte kinetische Energie, die dabei zu chemischen Reaktionen verwendet wird: insbesondere entstehen Radikale (9). Die Ionisationsdichte (Konzentration an Ionen pro Wegstrecke) ist deshalb viel höher als die eines b--Teilchens (Elektrons), das auf Grund seiner winzigen Masse (etwa 1/2000 eines Protons) sehr viel tiefer eindringt, seine Energie auf einem längeren Weg verliert und demnach eine viel geringere Ionisationsdichte hat. Die hohe Ionisationsdichte von a-Strahlern macht sie gefährlich, wenn sie inkorporiert und im Organismus gebunden werden. 222Rn hat hier dank seiner kurzen biologischen Halbwertszeit einen Vorteil.
Ebenfalls ein a-Strahler ist Radium-224, das zur Schmerztherapie bei Morbus Bechterew empfohlen wird (10). Die Strahlung von 224Ra reduziert die krankhaft gesteigerte Knochenbildung und hemmt weitgehend die örtlichen entzündlichen Aktivitäten. Die Therapie ist wegen des erhöhten Risikos maligner Knochentumoren viele Jahre nach der Behandlung umstritten (11).
Die Strahlenschutzkommission kommt in ihrer Stellungnahme vom April 1998 (12) zum Ergebnis, „dass die erhöhte Inzidenz von Knochentumoren, anderen soliden Tumoren (Mamma) und Leukämien primär als Folge der initial benutzten hohen Dosierung bei vorwiegend jugendlichen Patienten angesehen werden kann“. Sie stellt fest, dass die Therapie mit 224Ra unter strikten Bedingungen erfolgen kann:
Weiterhin soll die Therapie an speziell qualifizierten Behandlungszentren vorgenommen werden, die ein Nachsorgeregister aufbauen müssen. Die Strahlenschutzkommission hält es schließlich für notwendig, die Voraussetzungen für eine prospektive epidemiologische Studie zu schaffen.
Das Isotop 224Ra (t1/2 88 Stunden) darf nicht mit dem zur Tumorbestrahlung verwendeten 226(!)Ra verwechselt werden, das eine Halbwertszeit von 1600 Jahren hat. Mutschler und Mitarbeiter (13) weisen auf Knochenmarkschäden und Osteosarkome hin, die selbst bei Mikrogramm-Mengen von 226Ra entstehen können.
Literatur zu Teil 1 und 2
Anschrift der Verfasser:
Professor Dr. Wolfgang Wiegrebe
Pharmazeutische Chemie I
Institut für Pharmazie der Universität
93040 Regensburg
wolfgang.wiegrebe@chemie.uni-regensburg.de
Professor Dr. Bernd Johannsen
Forschungszentrum Rossendorf
Institut für Bioanorganische und Radiopharmazeutische Chemie
Postfach 51 01 19
01314 Dresden
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