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So wünschen sich Patienten ihre Packungsbeilage

29.04.2002  00:00 Uhr

Umfrage

So wünschen sich Patienten ihre Packungsbeilage

von Jörg Fuchs, Jena, Marion Hippius und Marion Schaefer, Berlin

Die Packungsbeilage von Arzneimittel ist zu unverständlich und muss dringend übersichtlicher gestaltet werden, so das Urteil von 855 Verbrauchern bei einer Befragung in einer öffentlichen Apotheke.

Inhalt und Gestaltung der Packungsbeilagen stehen seit Jahren in der Kritik. Gleichzeitig gibt es Bemühungen, entsprechende Informationen patientengerechter zu vermitteln, ohne die haftungsrechtlichen Aspekte außer acht zu lassen. Derartige Initiativen gehen sowohl von der pharmazeutischen Industrie als auch von den Behörden aus und sind zumindest in Ansätzen in Gesetzesänderungen eingeflossen (1 - 3). Untersuchungen zu Fragen der Verständlichkeit von Packungsbeilagen durch die Patienten haben sich bisher meist auf die Lesbarkeit konzentriert. Eine Bewertung und Gewichtung von arzneimittelrelevanten Informationen durch die Patienten selbst hat hingegen bisher kaum stattgefunden. Die vorliegende Studie widmet sich dieser Problematik.

Die Packungsbeilage hat in Deutschland im Gegensatz zu den angloamerikanischen Ländern eine lange Tradition. 1973 auf freiwilliger Basis durch den Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie eingeführt, wurde sie 1978 durch das Arzneimittelgesetz (AMG) für zugelassene Arzneimittel vorgeschrieben. Durch die Zweite Novelle des AMG erfolgte 1987 eine Trennung in die heute gebräuchliche Packungsbeilage und die Fachinformation. Auf europäischer Ebene regelt die Council Directive 92/27/EEC, wie eine Packungsbeilage erstellt werde soll. Eine weiterführende Diese Vorschrift wurde im Januar 1999 "Guideline of Readability of the Label and Package Leaflet of Medicinal Products for Human Use" ausgestaltet (4).

Die ideale Beilage gibt es nicht

Ungeachtet aller Bemühungen zur Optimierung der Packungsbeilage sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene wird immer wieder Kritik laut. Bemängelt werden vor allem die Verständlichkeit, Lesbarkeit und die Fülle der Informationen (5, 6). Häufig wird dafür die Pharmazeutische Industrie oder die zuständige Behörde, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), verantwortlich gemacht. Institutionen und Industrie sind aber an eine Vielzahl gesetzlicher, nationaler und europäischer Vorgaben gebunden, die auch Fragen des Haftungsrechts berühren.

Den geltenden gesetzlichen Vorgaben zur Gestaltung der Packungsbeilage stehen aber nicht selten anders gerichtete Patientenbedürfnisse gegenüber. Sie reichen vom Wunsch nach inhaltlich verkürzten bis zu ausführlicheren Packungsbeilagen, wobei das jeweilige Alter und der Bildungsstand der Patienten von Bedeutung ist. Eine für alle Beteiligten optimale Packungsbeilage kann und wird es daher nicht geben.

Um die optimale Lösung zu finden, ist es wichtig, auch auf die Interessen und Wünsche der Patienten einzugehen. Erste Untersuchungen dazu sind aber zehn Jahre und älter (7, 8). Begrüßenswert ist deshalb die Initiative der Europäischen Kommission III/E/3. Sie empfiehlt in einer Richtlinie die Durchführung von Lesbarkeitstests (4). Einige Pharmazeutische Unternehmer haben diese Empfehlungen bereits in Zusammenarbeit mit öffentlichen Apotheken und der ABDA umgesetzt (siehe Kasten) (9).

 

Sind deutsche Beipackzettel lesbar?Sandra Himstedt und Martin Schulz, Eschborn  Seit 1998 wird von der Europäischen Kommission in der "Guideline on the readability of the label and package leaflet of medicinal products for human use" empfohlen, Lesbarkeitstestungen im Rahmen des dezentralen europäischen Zulassungsverfahrens durchzuführen. In diesem Zusammenhang wurde auch in Deutschland bereits zweimal von der Firma Bayer Vital und dem Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis" (ZAPP) der ABDA gemeinsam mit öffentlichen Apotheken (Adler-Apotheke, Hamburg, und Linner-Apotheke, Krefeld) die Lesbarkeit der Packungsbeilage geprüft. In jeweils zwei Interviewrunden mit potenziellen Patienten konnte dabei sowohl in der Adler-Apotheke (Beipackzettel für Moxifloxacin, 23 Probanden) als auch in der Linner-Apotheke (Beipackzettel für Vardenafil, 32 Probanden) (9) untersucht werden, inwieweit der Textinhalt und der Aufbau beziehungsweise das Layout der jeweiligen Packungsbeilage es dem Patienten ermöglicht, Informationen schnell wiederzufinden und zu verstehen. Zudem fragte man in Krefeld, welche Zusatzinformationen Patienten bei der Abgabe von Arzneimitteln von ihrer Apotheke erwarten.

Auf Grund des positiven Verlaufs dieser Lesbarkeitstests in öffentlichen Apotheken wollen Bayer Vital und die ABDA auch in Zukunft zusammenarbeiten. Alle Beteiligten waren und sind davon überzeugt, dass dieser Lesbarkeitstest optimalerweise in der öffentlichen Apotheke erfolgt. Das ZAPP der ABDA (zapp@abda.aponet.de) bietet pharmazeutischen Unternehmen im Rahmen der Neuzulassung oder Verlängerung der Zulassung hiermit eine Kooperation auf diesem Gebiet an.

 

Wie Patienten die Packungsbeilage bewerten

Im November 2001 fand dazu in einer Jenaer Apotheke eine Patientenbefragung statt. Diese sollte klären, wie wichtig den Patienten verschiedene Abschnitte Packungsbeilagen sind, und welche konkreten Wünsche und Meinungen sie haben.

Hierzu entwickelte man einen Fragebogen, der sich zunächst in umfangreichen Vortest bewähren musste. Jeder Patient, der die Apotheke aufsuchte, wurde gebeten, sich an der Studie zu beteiligen. Insgesamt gab man 1500 Fragebögen aus.

Die Befragten wurden gebeten, die laut § 11 AMG vorgeschriebenen Abschnitte der Packungsbeilage aus ihrer Sicht mit folgenden Prädikate zu bewerten: unwichtig, wenig wichtig, wichtig, sehr wichtig, das Wichtigste. Zusätzlich sollten Patienten ihre Wunschgliederung der Packungsbeilage nennen. Um Verständnisprobleme zu vermeiden, wurden schwer verständliche Worte wie "Gegenanzeigen" erläutert.

In einem zweiten Teil des Fragebogens bat man die Patienten, Wünsche zu Inhalt und Umfang einer zukünftigen Packungsbeilage zu äußern. Im letzten Teil konnte jeder Befragte persönliche Anregungen geben und Meinungen zur Packungsbeilage äußern. Nach Codierung der quantifizierbaren Angaben wurden die jeweiligen Mediane berechnet (10).

Anwendungsgebiete und Warnhinweise sind für Verbraucher sehr wichtig

855 ausgefüllte Fragebögen (Rücklaufquote: 57 Prozent) standen für die Auswertung zur Verfügung. Zum Zeitpunkt der Befragung waren die beteiligten Patienten 13 bis 89 Jahre alt. Das mittlere Alter betrug 50 Jahre. 85 Prozent gaben an, in Jena zu wohnen. Zwei Drittel waren Frauen. Die Befragten bewerteten die Abschnitte der Packungsbeilage aus ihrer persönlichen Sicht anhand der fünf möglichen Prädikate mit sehr wichtig, wichtig und wenig wichtig. Die Mediane dieser 3 Bewertungsgruppen unterschieden sich hoch signifikant (Vorzeichentest p < 0,001, siehe Tabelle 1). [Tabellen 1 und 2 stehen als pdf-Datei zur Verfügung - 93 kB]

Die Rubriken Anwendungsgebiete, Dosierungsanleitung, Gegenanzeigen, Vorsichtsmaßnahmen und Warnhinweise, Wechselwirkungen, Nebenwirkungen und Hinweise auf Anwendungsfehler waren den Befragten sehr wichtig. Auffällig ist, dass die Angaben zum pharmazeutischen Unternehmer und Hersteller als wenig wichtig bewertet wurden.

Die Tabelle 1 verdeutlicht, dass Informationen, die den Befragten sehr wichtig sind, nach § 11 AMG eher im hinteren Teil der Packungsbeilage aufgeführt werden müssen. Dagegen sind Informationen, die die Patienten eher als unwichtig einstufen, (zum Beispiel der Name des pharmazeutischen Unternehmers und Herstellers, die Darreichungsform und Menge, in der das Arzneimittels im Handel ist) am Anfang der Packungsbeilage genannt.

Gliederung entspricht nicht den Erwartungen

Abschnitte, die den Befragten sehr wichtig sind, sollten ihrer Meinung nach in der Regel zu Beginn in der Packungsbeilage aufgeführt werden, die unwichtigeren entsprechend im hinteren Teil der Packungsbeilage zu finden sein (Tabelle 2). Die ermittelten Daten belegen, dass die momentan im §11 AMG vorgeschriebene Gliederung der Packungsbeilage nicht dem entspricht, was Patienten erwarten. [Tabellen 1 und 2 stehen als pdf-Datei zur Verfügung - 93 kB]

73,4 Prozent der Befragten wünschen sich eine kompaktere Packungsbeilage. 76,3 Prozent wollen, dass der Inhalt der zukünftigen Packungsbeilage auf das Wichtigste begrenzt wird. Das hoch signifikante Ergebnis steht im Gegensatz zum Bestreben des Gesetzgebers, lückenlos möglichst alle zum Arzneimittel vorhandene Informationen in der Packungsbeilage unterzubringen.

Zu viele Fremdwörter

197 Befragte (23,0 Prozent) äußerten zusätzlich Wünsche zur Gestaltung des Beipackzettels. Davon bemängelten 51,8 Prozent die schlechte Verständlichkeit der Packungsbeilage. Die Hauptkritik galt dabei der Fülle der enthaltenen Fremdwörter. Am zweithäufigsten kritisierten die Befragten den Umfang der Packungsbeilage (18,8 Prozent). Die schlechte Lesbarkeit rangierte auf Platz 3 (14,7 Prozent), wobei vorwiegend die zu kleine Schrift kritisiert wurde.

Immerhin 11,2 Prozent der 197 Personen, die zusätzliche Angaben gemacht hatten, fühlten sich durch die derzeitige Packungsbeilage verunsichert. Die Ergebnisse der vorgestellten Befragung verdeutlichen, dass bei Gestaltung der Packungsbeilage Optimierungsbedarf besteht. Informationen über die Stoff- und Indikationsgruppe, den pharmazeutischen Unternehmer und Hersteller sowie Darreichungsform und Menge, in der das Arzneimittel im Handel ist, sollen laut § 11 AMG an vorderster Stelle in der Packungsbeilage aufgeführt werden. Gerade diese Abschnitte interessieren den Patienten aber anscheinend am wenigsten. Sie möchten diese Informationen lieber ans Ende der Packungsbeilage verbannen. Hier stimmen die derzeitigen Vorgaben zur Gestaltung in keiner Weise mit den Wünschen der Patienten überein. Auch der europäische Gesetzgeber wird mit seiner Council Directive 92/27/EEC dem Patientenwunsch zur Reihenfolge der Gliederung nicht gerecht.

Allerdings kann und darf nicht jeder Patientenwunsch Anlass für eine sofortige Umsetzung sein. Aus Gründen der Arzneimittelsicherheit sind Angaben zu Gegenanzeigen unbedingt am Anfang einer Packungsbeilage aufzuführen. Vorsichtsmaßnahmen und Warnhinweise müssen vor den Empfehlungen zur Dosierung stehen, so dass der Patient das Arzneimittel nicht vor dem Lesen dieser wichtigen Informationen anwendet. Aus diesen Gründen wird die im Kasten dargestellte Gliederung für die Packungsbeilage vorgeschlagen. Sie trägt einerseits der Arzneimittelsicherheit Rechnung, und berücksichtigt andererseits die von den Patienten geäußerten Wünsche.

 

Gliederung der Packungsbeilage

  • Name des Arzneimittels
  • Zusammensetzung
  • Anwendungsgebiete
  • Gegenanzeigen
  • Vorsichtsmaßnahmen und Warnhinweise
  • Dosierungsanleitung
  • Hinweise bei Anwendungsfehlern
  • Wechselwirkungen
  • Nebenwirkungen
  • Stoff- und Indikationsgruppe
  • Darreichungsform und Menge, in denen das Arzneimittel im Handel ist
  • Vorschriften zur Aufbewahrung
  • Name des pharmazeutischen Unternehmers und Herstellers
  • Datum der Fassung der Packungsbeilage

 

Gesetzliche Grundlage überdenken

Mängel aus Patientensicht in der derzeitigen Gestaltung der Packungsbeilage sind meist nicht dem pharmazeutischen Unternehmen oder dem BfArM als zuständige Behörde anzulasten, da sie die Vorgaben der Gesetzgeber einzuhalten haben. Eine Überprüfung der derzeit bestehenden gesetzlichen Grundlagen ist daher dringend notwendig, zumal Varianten einer sinnvolleren Gliederung nahe liegen. Andererseits dürfte die Korrektur der Reihenfolge der Gliederung nicht das Haftungsrecht tangieren.

Parallel dazu sollte geprüft werden, ob die bei der Befragung gewonnenen Erkenntnisse zur patientengerechteren Gestaltung der Packungsbeilagen nicht für die Entwicklung von schriftlichen Patienteninformationen über bestimmte Arzneimittel genutzt werden können. Derartige Informationsblätter könnten dann zusätzlich zur Packungsbeilage im Rahmen der Pharmazeutischen Betreuung an Patienten ausgehändigt werden. Technisch gesehen, müssten solche Informationsblätter deshalb in die Softwaremodule zur Pharmazeutischen Betreuung integriert werden um sie bei Bedarf auszudrucken. Durch diese zusätzliche Information lässt sich die Compliance der Patienten günstig beeinflussen, was nicht zuletzt ein wichtiger Aspekt bei der bevorstehenden Einführung von Disease Management Programmen darstellt.

 

Danksagung

Die Autoren danken allen Mitarbeitern der Apotheke am Nollendorfer Hof in der Dornburger Straße 17 in Jena für ihr Engagement bei der Verteilung der Fragebögen. Weiterer Dank gebührt Herr Dr. Vollandt für seine Beratung zu statistischen Fragen sowie Frau Schleußner und Herr Professor Dr. Steyer für die Anregungen zur Entwicklung des Fragebogens (alle Mitarbeiter der FSU Jena).

 

Literatur

  1. Walluf-Blume, D., et al., Neue Empfehlungen zur Gestaltung von Packungsbeilagen. Pharm. Ind. 63 (2001) 1213 - 1222.
  2. N.N., Klare Worte statt Fachchinesisch. Pharm. Ztg. 4 (2001) 26 - 27.
  3. N.N., Neuer Text für Packungsbeilage. Dtsch. Apo. Ztg. 3 (2001) 26
  4. European Commission (ed.), A Guideline on the Readability of the Label and Package Leaflet of Medicinal Products for Human Use III/5218/97.
  5. Ehring, F. et. al., Über die "Nebenwirkungen" der Gebrauchsinformation. Arzneimittel-, Therapie-Kritik (Beilage zur Folge 2) (1997) 1 - 31.
  6. Zuck, R., Das Bei-Pack. Dtsch. Apo. Ztg. 42 (1999) 77 - 79.
  7. Miselli, M., et al., What information for the patient? Large scale pilot study on experimental package inserts giving information on prescribed and over the counter drugs. BMJ 301 (1990) 1261 - 1265.
  8. Rupf, R., Evaluation patientengerechter Arzneimittel-Information: Die Beurteilung von Packungsprospekten und das Therapieverhalten von ambulanten Patienten. Dissertation, Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Basel (1991).
  9. Brockmeyer, R., et al., Testing of the readability of package inserts at a community pharmacy. Pharm. Ind. 63, 2 (2001) 114 - 119.
  10. Bühl, A., et al., SPSS Version 10 - Einführung in die moderne Datenanalyse unter Windows. Addison Wesley Verlag, München (2000) 121 - 124.

 

Für die Verfasser:
Jörg Fuchs
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