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Miglustat bei Morbus Gaucher

11.04.2005  00:00 Uhr
Arzneistoffprofile

Miglustat bei Morbus Gaucher

von Thilo Bertsche, Heidelberg, und Martin Schulz*, Berlin

In Deutschland leiden schätzungsweise 2000 bis 4000 Menschen an Morbus Gaucher. Als Mittel der Wahl gilt immer noch die lebenslange Substitution des Enzyms Glucocerebrosidase, doch kann diese nicht bei allen Patienten angewendet werden. Für diese steht mit Miglustat (Zavesca®) ein Alternativtherapeutikum zur Verfügung.

*) unter Mitarbeit von Hartmut Morck, Rolf Thesen und Petra Zagermann-Muncke

Die bisherige Klassifikation des Morbus Gaucher (ausgesprochen: goschee) umfasste drei Typen, die sich hinsichtlich des Zeitpunkts der Erstmanifestation, der Beteiligung des ZNS und der Lebenserwartung unterschieden. Viele Verläufe entsprechen jedoch intermediären Formen und sind keinem definierten Typ zuzuordnen. Deshalb spricht man heute von akut (ehemals Typ 2) oder chronischen neuronopathischen (ehemals Typ 3) Verläufen oder nicht neuronopathischen Formen (ehemals Typ 1) (1-3).

Erbliche Lipid-Speicherkrankheit

Morbus Gaucher ist eine autosomal rezessiv vererbte Lipid-Speicherkrankheit (Sphingolipidose), als deren Ursache eine Vielzahl von Mutationen identifiziert werden konnten. Dabei liegt eine Funktionsstörung des lysosomalen Enzyms β-Glucocerebrosidase vor, das für die hydrolytische Spaltung von Glucosylceramid in Glucose und Ceramid verantwortlich ist. Glucosylceramide sind nicht ernährungsabhängige Lipide, die in Makrophagen und anderen weißen Blutzellen vorkommen. Infolge der Störung des abbauenden Enzyms werden die Glucocerebroside vermehrt gespeichert. Es kommt zur Einlagerung großer Mengen in den phagozytären Zellen des retikuloendothelialen Systems (RES). Dadurch sind verschiedene Enzym-Aktivitäten im Serum deutlich erhöht, sodass regelmäßige Enzym-Messungen zur Bewertung des Krankheitsverlaufs und Therapieerfolgs herangezogen werden können. Die Messung der Chitotriosidase, ein Enzym, das von den Speicherzellen in großen Mengen produziert wird, ist besonders gut geeignet, um den Erfolg der Therapie zu überwachen, da die Konzentration dieses Enzyms in Verlaufsuntersuchungen die Gesamtmenge der im Körper gespeicherten Glucocerebroside widerspiegelt (1-3).

Symptomatik

Zu Beginn der Erkrankung leiden viele Patienten nur unter geringen subjektiven Beschwerden und werden meist keiner geeigneten Diagnostik zugeführt. Später zeigt sich die Erkrankung in einer Vergrößerung von Leber und Milz mit den Symptomen eines Hypersplenismus, einer Überfunktion der Milz, die zu Anämie und Thrombopenie führt. Auf Grund der Anämie treten häufig Erschöpfungszustände und Kreislaufstörungen auf. Durch die Infiltration des Knochenmarks mit Speicherzellen, den so genannten Gaucher-Zellen, kommt es zu Störungen am Skelettsystem. Nur selten manifestiert sich der Morbus Gaucher in den Lungen. In circa 5 bis 10 Prozent der Fälle kommt es zu einer Beteiligung des Zentralnervensystems (ZNS). Der Zeitpunkt der klinischen Manifestation variiert von der frühen Kindheit bis hin zum Erwachsenenalter. In der Kindheit stehen oft Wachstumsstörungen oder eine ossäre Symptomatik im Vordergrund (2, 3).

Komplikationen und Prognosen

Gaucher-Patienten sind vor allem durch Blutungskomplikationen und Milzrupturen gefährdet. Auch ein gehäuftes Auftreten von Tumoren wird diskutiert. Die Lebensqualität der Typ-1-Patienten ist besonders durch die Knochen- und Gelenkveränderungen reduziert, manche von ihnen sind im Laufe der Zeit auf den Rollstuhl angewiesen. Unbehandelt nimmt die Erkrankung bei nahezu allen Patienten einen progredienten Verlauf.

Der akut neuronopathische Typ ist durch schwere neurologische Komplikationen charakterisiert, die in der Regel innerhalb der ersten zwei Lebensjahre zum Tode führen. Der nicht neuronopathische Morbus Gaucher hat einen chronischen Verlauf, der vor allem durch Leber- und Milzvergrößerung, Knochenbefall und hämatologische Veränderungen gekennzeichnet ist. Die chronisch neuronopathische Form weist zwar eine geringere Progredienz auf, aber auch diese Patienten haben wahrscheinlich eine eingeschränkte Lebenserwartung (2, 3).

Miglustat bei Gaucher-Krankheit

Miglustat hemmt das Enzym Glucosylceramidsynthase, das für den ersten Schritt in der Synthese der meisten Glycolipide verantwortlich ist. Diese hemmende Wirkung bildet die Grundlage für eine Substratgleichgewichtstherapie bei der Gaucher-Krankheit.

 

Medikamentöse Therapie des Morbus Gaucher Während bis 1991 in der Therapie des Morbus Gaucher nur auf symptomatische Maßnahmen zurückgegriffen werden konnte, existiert seitdem durch die intravenöse, lebenslange Substitution des Enzyms Glucocerebrosidase eine kausale Behandlung. Das zu Beginn aus menschlicher Plazenta gewonnene Alglucerase (Ceredase®) wurde bald durch die gentechnisch hergestellte Imiglucerase (Cerezyme®) mit gleicher Wirksamkeit abgelöst. Die individuell dosierte Enzymersatztherapie führt bei frühzeitigem Beginn und adäquater Dosis meist zur kompletten Rückbildung der intestinalen, ossären und laborchemischen Veränderungen. Dadurch wird der Zustand des Patienten erheblich verbessert. Allergische bis hin zu anaphylaktischen Reaktionen und die Bildung von neutralisierenden Antikörpern gegen die Glucocerebrosidase, die selten mit einer Verminderung der klinischen Wirksamkeit verbunden sein kann, sind allerdings möglich. Bei nicht rechtzeitiger Enzymsubstitution sind orthopädische Schädigungen, insbesondere an der Hüfte möglich. Bevor hier prothetische und rekonstruktive Maßnahmen durchgeführt werden, wird empfohlen, zunächst eine Verbesserung der Knochenstruktur durch eine ausreichend hohe und lange applizierte Enzymersatztherapie zu erreichen. Biphosphonate und physikalische Therapie können helfen, die Knochenfunktionen zu verbessern. Epileptische Anfälle bei neuronopathischen Formen lassen sich nach Meinung von Experten gut mit Clonazepam (zum Beispiel Rivotril®) und Piracetam (zum Beispiel Nootrop®) in hoher Dosis therapieren. In der Entwicklung befindet sich die Gentherapie, bei der durch Einschleusung geeigneter Gensequenzen aktive Glucocerebrosidase wieder vom Körper selbst gebildet wird (2, 3).

 

Miglustat ist als Zavesca® zugelassen für die orale Behandlung der leichten bis mittelschweren Form der Gaucher-Krankheit des Typs 1 (nicht neuronopathische Form). Es darf nur zur Behandlung von Patienten verwendet werden, für die eine Enzymsubstitutionstherapie (Imiglucerase, Cerezyme®) nicht infrage kommt.

Miglustat kann mit den Mahlzeiten oder unabhängig von ihnen eingenommen werden. Die empfohlene Anfangsdosis liegt bei einer Kapsel (100 mg), die dreimal täglich eingenommen wird. Bei manchen Patienten ist es auf Grund des Auftretens von Durchfall erforderlich, die Dosis auf eine Kapsel (100 mg) ein- oder zweimal täglich zu reduzieren.

Die gleichzeitige Anwendung von Miglustat und Imiglucerase zeigte in kleineren Pilotuntersuchungen eine Verringerung der Cmax und AUC von Miglustat (4).

Besondere Patientengruppen

Es gibt keine Erfahrungen bezüglich einer Behandlung mit Miglustat bei Patienten unter 18 Jahren und über 70 Jahren. Bei Patienten mit einer Kreatinin-Clearance von 50 bis 70 ml/min sollte die Gabe von Miglustat mit einer Dosis von 100 mg zweimal täglich beginnen. Bei Patienten mit einer Kreatinin-Clearance von 30 bis 50 ml/min sollte mit einer Dosis von 100 mg täglich begonnen werden. Die Behandlung von Patienten mit schwer eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance unter 30 ml/min) wird nicht empfohlen. Miglustat wurde nicht an Patienten mit Leberfunktionsstörungen untersucht.

Das Arzneimittel soll nicht während der Schwangerschaft und Stillzeit eingenommen werden. Eine Empfängnisverhütung ist unbedingt notwendig. Da Miglustat in Studien an Ratten negative Auswirkungen auf die Spermatogenese zeigte, sollten auch Männer während der Behandlung eine zuverlässige Methode der Empfängnisverhütung anwenden. Bevor eine Schwangerschaft angestrebt wird, sollten auch männliche Patienten die Einnahme von Miglustat einstellen und während der drei auf die Behandlung mit diesem Arzneimittel folgenden Monate eine zuverlässige Empfängnisverhütung durchführen (4).

Sehr oft Magen-Darm-Beschwerden

Bei mehr als 80 Prozent der Patienten wurden in Studien Auswirkungen auf den Magen-Darm-Trakt beobachtet. Zum Beispiel traten Durchfall, abdominelle Schmerzen, Blähungen, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen auf. Als Ursache wird eine Hemmung der Disaccharidasen im Magen-Darm-Trakt vermutet. Diese Nebenwirkungen waren entweder zu Beginn der Behandlung oder phasenweise während der Behandlung zu beobachten. Die Beschwerden klangen überwiegend von allein oder nach einer Verringerung der Dosis ab. Der Durchfall ist mit Loperamid (zum Beispiel Imodium®) gut beherrschbar.

Bei etwa 60 Prozent der Patienten wurde ein Gewichtsverlust beobachtet. Ungefähr 30 Prozent der Patienten berichteten von Tremor oder einer Verschlimmerung eines bereits bestehenden Tremors während der Behandlung, der eine Dosisreduzierung, in einigen Fällen auch das Einstellen der Behandlung erforderte.

Häufig sind außerdem zentrale Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Sehstörungen und Schwindel. Außerdem treten nicht selten Muskelkrämpfe auf.

Bei Patienten, die Symptome wie Taubheitsgefühl und Kribbeln aufweisen, sollte das Nutzen-Risiko-Verhältnis sorgfältig auch im Hinblick auf einen Abbruch der Therapie neu beurteilt werden.

Miglustat wird schnell resorbiert, wobei die gleichzeitige Einnahme einer Mahlzeit den resorbierten Anteil senkt. Maximale Plasmakonzentrationen werden ungefähr zwei Stunden nach Einnahme erreicht. Das scheinbare Verteilungsvolumen liegt bei 83 l. Miglustat bindet nicht an Plasmaproteine. Die Ausscheidung erfolgt hauptsächlich über die Nieren. Die scheinbare orale Clearance liegt bei 230 ± 39 ml/min. Die durchschnittliche Halbwertszeit beträgt sechs bis sieben Stunden. Die Pharmakokinetik ist von demographischen Variablen wie Alter, Body-Mass-Index (BMI), Geschlecht oder Rasse unabhängig (4, 5).

Leber- und Milzvolumen gesenkt

18 erwachsene Patienten mit Morbus Gaucher aus zwei spezialisierten Zentren wurden in einer offenen sechsmonatigen Studie (6) mit 50 mg Miglustat dreimal täglich behandelt. Anschließend wurde, um die Therapieantwort zu verbessern, in einem der Behandlungszentren die Dosierung auf 100 mg dreimal täglich gesteigert. 17 Patienten konnten über die gesamte Studienphase von sechs Monaten ausgewertet werden. 16 führten die Therapie länger als sechs Monate fort, 13 waren nach 12 Monaten auswertbar. Das Lebervolumen wurde nach sechs Monaten unter Therapie um 5,9 Prozent (p = 0,007), das Milzvolumen um 4,5 Prozent (p = 0,025) und der Chitotriosidasespiegel um 4,6 Prozent (p = 0,039) gesenkt. Hämoglobin und Blutplättchen wurden nicht erhöht. Nach 12 Monaten waren für die noch auswertbaren Patienten im Mittel weitere Veränderungen in Bezug auf die Eingangsuntersuchung zu beobachten.

Eine Dosisabhängigkeit in Bezug auf klinische Parameter des Morbus Gaucher wurde gezeigt. Die Ergebnisse aus der Fortführungsphase, in der einige Patienten eine höhere Dosierung erhielten, legen nahe, dass 100 mg dreimal täglich die zu bevorzugende Startdosis für Patienten mit symptomatischem Typ-1-Morbus-Gaucher ist.

Klinische Studie in Lancet

In einer klinischen Studie (7) wurden 28 Erwachsene, davon sieben mit früherer Milzentfernung, für eine einjährige offene Studie aus spezialisierten Behandlungszentren rekrutiert, die nicht bereit oder in der Lage waren, eine Enzymtherapie zu erhalten. Die Patienten erhielten zu Beginn 100 mg Miglustat oral dreimal täglich. Nach 12 Monaten waren die Leber- und Milzvolumina signifikant im Mittel um 12 beziehungsweise 19 Prozent erniedrigt (jeweils p < 0,001). Hämatologische Parameter verbesserten sich leicht. Die mittleren Organvolumina und Blutzellzahlen verbesserten sich innerhalb von sechs bis 12 Monaten kontinuierlich. Die mittleren Chitotriosidase-Konzentrationen wurden über 12 Monate um 16,4 Prozent gesenkt (p < 0,0001). Sechs Patienten setzten die Behandlung ab: zwei wegen gastrointestinaler Beschwerden, zwei aus persönlichen Gründen und zwei wegen schwerer Vorerkrankung. Häufigste beobachtete Nebenwirkung war Diarrhö, die bei 79 Prozent der Patienten kurz nach Beginn der Therapie auftrat.

  

Wertende Zusammenfassung Miglustat (Zavesca®) ist als Orphan drug zugelassen für die orale Behandlung der leichten bis mittelschweren Form der Gaucher-Krankheit des Typs 1 (nicht neuronopathische Form).

Miglustat hemmt das Enzym Glucosylceramidsynthase, wodurch die Synthese des für Morbus Gaucher verantwortlichen Glucosylceramid verringert wird. Miglustat stellt somit einen neuartigen Therapieansatz dar, da nicht das fehlende Enzym (β-Glucocerebrosidase) substituiert, sondern die Synthese des gespeicherten Lipids verringert wird.

Obwohl bislang keine direkten Vergleiche mit der Enzymsubstitutionstherapie bei behandlungsnaiven Patienten durchgeführt wurden, scheint die Zeitdauer bis zur Erreichung einer Wirkung mit Miglustat länger zu sein. Eine bessere Wirksamkeit oder Verträglichkeit gegenüber Imiglucerase konnte bislang nicht nachgewiesen werden.

Die gleichzeitige Anwendung von Miglustat und Imiglucerase zeigte in kleineren Pilotuntersuchungen eine Verringerung des im Körper verfügbaren Miglustat.

Als kausale Therapie ist die Enzymsubsitution mit Imiglucerase heute Therapie der Wahl. Miglustat stellt jedoch für die so nicht behandelbaren Patienten eine wichtige Therapieoption dar.

 

Literatur

  1. Hollak, C. E., et al., Marked elevation of plasma chitotriosidase activity. A novel hallmark of Gaucher disease. J. Clin. Invest. 93 (1994) 1288-1292.
  2. Leitlinien Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Leitlinien zum Morbus Gaucher, letzte Aktualisierung: 3. November 1997; unter www.leitlinien.net, Stand 6. März 2005.
  3. Niederau C., et al., Diagnose und Therapie des Morbus Gaucher: Aktuelle Empfehlungen der Deutschen Therapie-Zentren im Jahre 2000, GGD ­ Gaucher Gesellschaft Deutschland; unter www.ggd-ev.de/html/frames.html, Stand 6. März 2005.
  4. Zavesca® 100 mg Hartkapseln ­ Fachinformation. Actelion, Oktober 2003, unter www.fachinfo.de, Stand 6. März 2005.
  5. Drugdex® System. Thomson Micromedex, Greenwood Village, Colorado (2. Auflage 2005).
  6. Heitner, R, et al., Low-dose N-butyldeoxynojirimycin (OGT 918) for type I Gaucher disease. Blood Cells Mol. Dis. 28 (2002) 127-133.
  7. Cox, T., et al., Novel oral treatment of Gaucher's disease with N-butyldeoxynojirimycin (OGT 918) to decrease substrate biosynthesis. Lancet. 355 (2000) 1481-1485.

 

Anschrift der Verfasser:
Dr. Thilo Bertsche
Universitätsklinikum Heidelberg
Medizinische Klinik (Krehl-Klinik)
Abteilung Innere Medizin VI
Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie
Im Neuenheimer Feld 410
69120 Heidelberg

Dr. Martin Schulz
Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) der ABDA
Jägerstraße 49/50
10117 Berlin
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