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Wirkung von Paracetamol entschlüsselt

08.03.2004  00:00 Uhr

Wirkung von Paracetamol entschlüsselt

von Peter Imming und Tobias Rogosch, Marburg

Obwohl Paracetamol weltweit zu den am häufigsten verwendeten Arzneistoffen gehört, ist sein molekularer Wirkungsmechanismus bislang ungeklärt. Neuste Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass der Metabolit AM-404 die wirksame Komponente und zudem ein Cannabis- und Vanilloid-Rezeptor-Ligand ist.

Paracetamol – oder Acetaminophen, wie es im englischsprachigen Raum genannt wird – ist ein bewährtes Analgetikum und Antipyretikum. Es ist einer der drei verbliebenen Wirkstoffe aus der Zeit der „Veredlung durch Acetylierung“. Zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde entdeckt, dass man durch Acetylierung von Morphin, Salicylsäure und Aminophenol Wirkstoffe mit veränderter, in gewisser Hinsicht verbesserter Wirkung erhält, nämlich Diamorphin (Heroin), Acetylsalicylsäure (ASS) und Paracetamol. Zwar gehört letzteres weltweit zu den am häufigsten verwendeten Arzneistoffen, jedoch war sein molekularer Wirkungsmechanismus bislang ungeklärt.

Im vergangenen Jahr kam die Spekulation auf, es könnte eine Isoform der Cyclooxygenase (COX) – die COX-3 – hemmen, die in Hundehirnen gefunden wurde. Allerdings ist die Aktivität der COX-3 im menschlichen Gehirn zu gering und auch aus anderen Überlegungen heraus scheint die COX-3-Hypothese bereits wieder überholt zu sein, wie in einem Artikel des Fachmagazins „Lancet“ schon im vorigen Jahr ausgeführt wurde (1). Nun ist im Rahmen einer Patentanmeldung eine neue Hypothese postuliert worden, die sehr viel plausibler ist und auch durch experimentelle Funde gestützt wird (2).

Paracetamol wird oft zusammen mit den nicht steroidalen Antirheumatika genannt oder abgehandelt, obwohl es keine entzündungshemmende Wirkung aufweist. Manchmal wird diese Stoffklasse auch als „periphere Analgetika“ bezeichnet, was wiederum für Paracetamol nicht zutreffend ist, da es zentral analgetisch und antipyretisch wirkt. Diese Besonderheiten werden durch die neuen Befunde gut erklärt. Hinsichtlich seiner akut toxischen Wirkungen ist schon länger bekannt, dass diese nicht auf Paracetamol selbst zurückgehen, sondern auf einen seiner Metabolite, ein Chinonimin. Paracetamol ist insofern ein „Protoxikon“ oder Prodrug.

Dies scheint auch im Hinblick auf seine Wirkungen der Fall zu sein: Wie in der Patentschrift ausgeführt, wird 4-Aminophenol in vivo, genauer gesagt im ZNS, wieder von Arachidonsäure acyliert.

Dies geschieht nur im ZNS, weil nur dort die Aktivität der Fettsäureamidhydrolase ausreicht, bei entsprechendem Substratangebot (hier: 4-Aminophenol) die Reaktion in Richtung dieses Amids zu katalysieren. Die Verbindung war unter dem Kürzel AM-404 bereits bekannt und wird in der Endocannabinoid- und Vanilloid-Forschung seit einigen Jahren als pharmakologisches „Tool“ benutzt (3).

Pharmakokinetische Unterschiede

Wie unterscheiden sich nun AM-404 und Paracetamol pharmakokinetisch? AM-404 hemmt die COX-1 und COX-2 in Konzentrationen, die im ZNS nach der Gabe üblicher Dosen von Paracetamol erreicht werden. Paracetamol selbst hemmt die COX-1 und COX-2 erst in Konzentrationen, die in vivo nicht erreicht werden. Dies bedeutet „in Zahlen“, dass die IC50-Werte (Konzentration, bei der die Enzymaktivität zu 50 Prozent gehemmt wird) für Paracetamol gegen COX-1 und -2 im millimolaren Bereich liegen, die für AM-404 dagegen im mikromolaren (2, 4). AM-404 ist zudem ein Ligand an Cannabis- und Vanilloid-Rezeptoren, was auf seiner Strukturverwandtschaft mit dem endogenen Cannabisrezeptor-Ligand Anandamid beruht.

Die Entdeckung, dass ein einfacher Fettsäureabkömmling wie Anandamid Neurotransmittercharakter hat, überraschte 1992 noch sehr. Inzwischen finden sich immer mehr Beispiele von Fettsäureabkömmlingen, die nicht Brenn- oder Bau-, sondern Botenstoff sind. So wirkt zum Beispiel Ölsäureamid schlafanstoßend und Oxylipine als Strukturanaloga von Prostaglandinen haben in Pflanzen Botenstoffcharakter, indem sie bei Befall mit Insekten produziert werden und Abwehrreaktionen der Pflanzen triggern (6, 7). Erstaunlicherweise möchten sich die Autoren des genannten Patentes in einer weiteren Patentanmeldung (8) prinzipiell die Suche nach Fettsäurekonjugaten als Screening-Methode für bioaktive Stoffe schützen lassen - dabei ist das eine Methode, die schon längst angewandt wird und nicht jetzt als „geistiges Eigentum“ deklariert werden kann.

Anandamid ist das Ethanolamid der Arachidonsäure, die von der COX zu potenten Gewebshormonen (Prostaglandine, Leukotriene) verstoffwechselt wird. Bekannte Antiphlogistika vom Profen- und Fenac-Typ wie Indometacin, Diclofenac und Ibuprofen entfalten ihre Wirkung auf molekularer Ebene nach gegenwärtigem Kenntnisstand durch Hemmung der COX. Damit sind jedoch nicht alle ihre Wirkungen erklärbar. Deshalb untersucht unsere Arbeitsgruppe, ob die Ethanolamide dieser Antiphlogistika eine Affinität zu Cannabis- und Vanilloid-Rezeptoren haben. Die Arbeitsgruppe von Fowler zeigte bereits, dass Ibuprofen die Fettsäureamidhydrolase (FAAH), die Anandamid abbaut, hemmt (9). Ibuprofen ist somit zusätzlich ein indirektes Cannabimimetikum. Womöglich könnte dies auch bei Paracetamol, genauer gesagt bei AM-404, der Fall sein.

Gegenwärtig ist es jedoch auf Grund der komplexen Verschaltung dieser und verwandter Rezeptoren nicht möglich, eine klinische Wirkung vorauszusagen, wenn ein Stoff an diesen Rezeptoren und Enzymen als (teilweiser) Agonist, Antagonist oder Inhibitor wirkt. Insofern bleibt vorerst sowohl für Ibuprofen als auch für Paracetamol in Form seines Metaboliten AM-404 die COX-Hemmung als die wesentliche molekulare Ursache für die klinischen Wirkungen bestehen.

Fazit: Paracetamol ist ein Prodrug für einen COX-Inhibitor – das Arachidonylamid AM-404. Dieses entsteht nur im ZNS und bindet auch an Cannabis- und Vanilloid-Rezeptoren. Somit ist die eingangs genannte „Veredlung“ durch Acetylierung sowohl bei Heroin und ASS als auch bei Paracetamol eine pharmakokinetische; denn bei Heroin ist es das Mono- und Bisdesacetylierungsprodukt, das wirkt, und bei ASS ist abgesehen von der Thrombozytenaggregationswirkung hinsichtlich Wirkungen und Nebenwirkungen kein Unterschied zu Salicylsäure feststellbar (10).

 

Literatur

  1. Schwab, J. M., Schluesener, H. J., Laufer, S., COX-3: just another COX or the solitary elusive target of paracetamol? Lancet 361 (2003) 981 - 982.
  2. Högestätt, E., Zygmunt, P., Congeners of acetaminophen and related compounds as substrates for fatty acid conjugation and their use in treatment of pain, fever and inflammation. WO 03/007875 A2, International Publication Date 30. January 2003.
  3. Zygmunt, P. M., et al., The anandamide transport inhibitor AM404 activates vanilloid receptors. Eur. J. Pharmacol. 396 (2000) 39 - 42.
  4. Oullet, M., Percival, M. D., Mechanism of acetaminophen inhibition of cyclooxygenase isoforms. Arch Biochem Biophys 387 (2000) 273 - 280.
  5. Devane WA, et al., Mechoulam R. Isolation and structure of a brain constituent that binds to the cannabinoid receptor. Science 258 (1992) 1946 - 9.
  6. Fowler, C. J., Oleamide: a member of the endocannabinoid family? Br. J. Pharmacol. 141 (2004) 195 - 196.
  7. Bergey, D. R., Howe, G. A., Ryan, C. A. Polypeptide signaling for plant defensive genes exhibits analogies to defense signaling in animals. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 93 (1996) 12053 - 12058.
  8. Högestätt, E., Zygmunt, P., Fatty acid conjugation as a method for screening of potentially bioactive substances. WO 03/008632 A1, International Publication Date 30. January 2003.
  9. Fowler, C. J., Possible involvement of the endocannabinoid system in the actions of three clinically used drugs. Trends Pharmacol Sci 25 (2004) 59 - 61.
  10. Brune, K., Egger, T., Pharmazie Unserer Zeit 31 (2002) 133 - 139.

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