Sorafenib greift von zwei Seiten an |
31.10.2005 00:00 Uhr |
Krebsmedikamente stoppen die vermehrte Zellteilung oder hemmen die Blutversorgung von Tumoren. Der orale Multi-Kinase-Hemmer Sorafenib wirkt auf beiden Wegen. Die Substanz steht kurz vor der Zulassung für das fortgeschrittene Nierenzellkarzinom, weitere Indikationen sollen folgen.
Kinasen spielen in vielen Zellabläufen eine wichtige Rolle. Sind sie bei bestimmten Tumoren überaktiv, können spezifische Hemmstoffe wie Cetuximab, Imatinib oder Erlotinib die Enzyme besetzen und damit die entgleiste Zellteilung stoppen.
Auf diesem Weg wirkt auch der Multi-Kinase-Inhibitor Sorafenib, der Serin/Threonin- und Rezeptor-Tyrosinkinasen hemmt. Er greift in den bei vielen Tumoren gesteigerten RAS-Signaltransduktionsweg ein, indem er die RAF-Kinase, eine Serin/Threonin-Kinase, hemmt. Auf diese Weise vermindert der Arzneistoff die Proliferation von Tumorzellen. Darüber hinaus kappt er, ähnlich wie Bevacizumab, den Tumor von der Nährstoffversorgung ab. Denn auch Sorafenib hemmt den VEGF-Rezeptor (vascular endothelial growth factor rezeptor), genauer: die VEGF-Rezeptor-Tyrosinkinase in den Blutgefäßzellen. Damit verebbt das intrazelluläre Signal für die Angiogenese und dem Tumor fehlt die für sein Wachstum nötige Blutversorgung.
In Tiermodellen konnten Forscher eine breite Antitumorwirkung für Sorafenib nachweisen, etwa bei Brust-, Dickdarm-, Lungen- oder Bauchspeichelkarzinomen, sagte Dr. Dimitris Voliotis von Bayer Healthcare bei einer Veranstaltung im Pharmazentrum von Bayer Healthcare, Wuppertal. Phase-III-Studien laufen derzeit bei metastasiertem Nierenkrebs, fortgeschrittenem Leberkarzinom sowie beim Malignen Melanom, hier in Kombination mit Paclitaxel und Carboplatin. Im Juli beantragte der Hersteller die Zulassung in der Behandlung des metastasierten Nierenzellkarzinoms bei der amerikanischen Arzneimittelbehörde, im September bei der EMEA. Bei positiver Bewertung wird die Zulassung im kommenden Jahr erwartet.
Progression signifikant verzögert
Bereits in einer kleinen doppelblinden Phase-II-Studie mit 166 Patienten, die an fortgeschrittenem Nierenkrebs litten, hatte die Behandlung mit dem neuen Kinase-Hemmer viel versprechende Ergebnisse geliefert. So kam es in einer zwölfwöchigen Run-in-Phase mit dem Verum bei 71 Prozent zu einer Tumorreduktion oder einer Stabilisierung der Erkrankung. Bei 36 Prozent hatte sich der Tumor sogar um mehr als ein Viertel des Ausgangsvolumens verkleinert; sie erhielten daraufhin weiterhin Sorafenib open Label. Die Patienten, deren Tumor dagegen um mehr als 25 Prozent gewachsen war, wurden nicht weiter mit Sorafenib therapiert und schieden ebenfalls aus der Studie aus. Die übrigen 65 Patienten erhielten randomisiert entweder Verum oder Placebo. Nach weiteren drei Monaten waren 16 und damit die Hälfte der Patienten in der Sorafinib-Gruppe progressionsfrei, verglichen mit sechs im Placebo-Arm. »Sorafenib erzielte eine viermal längere progressionsfreie Überlebenszeit«, sagte der Onkologe. Sie betrug unter Placebo im Mittel sechs, unter dem Kinase-Inhibitor 24 Wochen und war damit hoch signifikant verlängert.
Der Vorteil im progressionsfreien Überleben konnte in der zulassungsrelevanten Phase-III-Studie mit 884 Patienten bestätigt werden. In die bisher größte Studie zum Nierenzellkarzinom waren Patienten eingeschlossen, die eine nicht resezierbare und/oder metastasierte Erkrankung hatten und in den vorangegangenen acht Monaten erfolglos systemisch therapiert worden waren. Sie erhielten randomisiert und doppelblind entweder zweimal täglich 400 mg Sorafenib peroral oder Placebo. Endpunkte waren das progressionsfreie Überleben sowie das Gesamtüberleben, zu dem die Daten noch ausstehen.
Laut einer auf dem amerikanischen Krebskongress (ASCO) präsentierten Analyse von 672 Patienten konnte zwar nur bei 2 Prozent der Sorafinib-Gruppe (Placebo: 0 Prozent) eine partielle Remission, das heißt eine Tumorverkleinerung auf weniger als die Hälfte, bestätigt werden. Bei 78 Prozent stabilisierte sich jedoch die Erkrankung (Placebo: 55 Prozent), wobei sich der Tumor bei den meisten mit Verum Behandelten verkleinerte. Zudem kam es unter Placebo dreimal häufiger zur Progression. Das progressionsfreie Überleben konnte mit dem Kinase-Inhibitor verdoppelt werden (24 versus 12 Wochen), was mit einem p-Wert von 0,000001 »höchst signifikant« war. »Alle Untergruppen profitierten«, fügte Voliotis hinzu.
Häufigste Nebenwirkung der Therapie war Hautausschlag, eine Hand-Fuß-Hautreaktion, trockene Haut oder Rötung. Häufiger kam es auch zu Durchfall und Hypertonie, was laut Voliotis jedoch gut behandelbar war. Typische, die Lebensqualität beeinträchtigende Nebenwirkungen wie Fatigue und Haarausfall traten im Vergleich zu anderen Chemotherapien deutlich seltener und zumeist schwach ausgeprägt auf.
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