Pharmazeutische Zeitung online

Mut zu neuen Behandlungsstrategien

26.09.2005  00:00 Uhr
Hirntumor

Mut zu neuen Behandlungsstrategien

von Sabine Schellerer, München

Jeder zweite neudiagnostizierte Glioblastom-Patient stirbt innerhalb eines Jahres. Therapiestandard ist derzeit die Operation mit nachfolgender Bestrahlung. Der neue Wirkstoff Temozolomid läutet Experten zufolge jedoch einen Paradigmenwechsel in der Primärbehandlung des aggressiven Tumors ein.

Evidenzbasierte Standards für die Glioblastombehandlung beschränken sich zurzeit noch auf die Operation, gefolgt von einer Bestrahlung. Während eine »Wait-and-see«-Strategie für symptomfreie Patienten mit optimaler Prognose gerechtfertigt scheint, ist die bedeutende Rolle der Bestrahlung bei malignen Gliomen hingegen unbestritten. Durch postoperative Bestrahlung verdoppelt sich das mediane Überleben von vier bis fünf auf neun bis zwölf Monate. Die Patienten erhalten einmal täglich 1,8 bis 2 Gy bis zu einer Gesamtdosis von 60 Gy in sechs Wochen. Dosiseskalationen erzielen dabei keinen gesicherten Vorteil.

»Da hinreichende Phase-III-Daten fehlen, sollten Mediziner eine Chemotherapie derzeit nur im Rahmen klinischer Studien testen«, mahnte Professor Dr. Rolf-Dieter Kortmann von der Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radioonkologie der Universitätsklinik Leipzig. In diesem Bereich tut sich allerdings im Moment viel, Experten rechnen in Kürze mit aussagekräftigen Ergebnissen. So soll eine Studie der amerikanischen RTOG (Radiation Therapy Oncology Group) beantworten, welchen Nutzen eine zusätzliche PCV-Chemotherapie aus Procarbazin, Lomustin und Vincristin, kombiniert mit einer Bestrahlung, bringt. Die NOA-04-Studie der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), die Patienten mit anaplastischen Oligodendrogliomen, Oligoastrozytomen oder Astrozytomen einschließt, untersucht, ob eine Primärbehandlung mit PCV oder Temozolomid vor der Bestrahlung das progressionsfreie Überleben im Gegensatz zur traditionellen Abfolge (Strahlentherapie vor Chemotherapie) steigert. Erste Resultate sollen 2006 vorgestellt werden. »Prinzipiell ist die Prognose der malignen Gliome schlecht. Umso mehr müssen wir die Grundlagenforschung in Verbindung mit der klinischen Forschung vorantreiben«, forderte Kortmann.

Viel versprechende Ergebnisse präsentierte Professor Dr. Michael Weller von der Neurologischen Klinik der Universität Tübingen. Die randomisierte multinationale Phase-III-Studie EORTC 26981/22981/NCIC CE nannte er einen Meilenstein in der Therapie des Glioblastoms, bahne sich doch durch sie ein Paradigmenwechsel in der Behandlung an. In der Studie erhielt eine Gruppe der 573 Gliom-Patienten sechs Wochen lang täglich 75 mg/m2 Temozolomid kombiniert mit einer fraktionierten Radiotherapie. Nach einer vierwöchigen Einnahmepause folgte eine Monotherapie mit täglich 150 bis 200 mg/m2 Wirkstoff an fünf aufeinander folgenden Tagen über sechs Zyklen, die je 28 Tage umfassten. Die Vergleichsgruppe unterzog sich einer Standardradiotherapie mit 30-mal 2 Gy. Bei guter Verträglichkeit betrug die mediane Überlebenszeit im Kombinationsarm 15 versus 12 Monate, die progressionsfreie Überlebenszeit 6,9 versus 5 Monate. Die 2-JahresÜberlebensrate erhöhte sich auf 27 Prozent versus 10 Prozent.

Therapien maßschneidern

Das Zytostatikum Temozolomid ist seit 1999 zur Behandlung des rezidivierten oder progredienten Glioblastoms und des anaplastischen Astrozytoms nach Standardtherapie zugelassen. Seit Anfang Juni 2005 schließt die Indikation auch die Primärtherapie bei neu diagnostiziertem Glioblastom ein. Nach Resorption wird Temozolomid sofort in die eigentliche Wirkform MTIC (Monomethyl-Triazeno-Imidazol-Carboxamid) umgewandelt.

Patienten, die in der Lage sind, die Promoter-Region des Gens für die O6-Methylguanin-DNA-Methyltransferase (MGMT) im Tumor zu methylieren, sprechen besonders gut auf die Kombinationsbehandlung an. Der Tumor kann so das Enzym nicht mehr bilden. MGMT ist maßgeblich daran beteiligt, DNA-Schäden, die Alkylantien in entarteten Zellen verursachen, zu beheben. Im Gegensatz zu anderen Enzymen verbraucht sich MGMT mit der Zeit. Wird infolge des Gendefektes MGMT nach Entleerung aller Pools nicht mehr nachproduziert, kann sich das Zytostatikum voll entfalten. »Bei alternativen Therapieschemata mit einer prolongierten Tumorzellexposition überwindet Temozolomid sozusagen selbst seinen wichtigsten Resistenzmechanismus«, erklärte der Mediziner. Somit könnte der MGMT-Status ein wichtiger Prädiktor sein, ob ein Patient auf Temozolomid anspricht.

»Würden eine Reihe von Therapieschritten optimiert, wäre ein Zweijahres-Langzeitüberleben von bis zu 50 Prozent mittlerweile auch bei malignen Gliomen denkbar«, so Professor Dr. Ulrich Bogdahn, neurologische Klinik der Universität Regensburg. Der Onkologe plädierte dafür, die Chemotherapie im Erfolgsfall nicht nach sechs Zyklen zu unterbrechen. Seine Beobachtungen zeigten bei exzellenter Verträglichkeit und gutem Toxizitätsprofil sowohl in der First-line- als auch in der Second-line-Therapie mit Temozolomid deutliche Überlebensvorteile, wenn sich die Behandlungsdauer über 13 beziehungsweise 14 Zyklen erstreckt.

 

Hirntumoren 2 Prozent aller Tumoren sind Hirntumoren. Das Robert-Koch-Institut geht in Deutschland von jährlich 8000 Neuerkrankungen aus. Etwa jeder zweite Hirntumor ist ein Gliom. Dabei handelt es sich um hirneigene Tumoren, die vom Stützgewebe des Gehirns, der Glia, ausgehen. Das Astrozytom entstammt vermutlich entarteten Zellen (Astrozyten) dieses Stützgewebes. Die Weltgesundheitsorganisation teilt alle Gliome entsprechend ihrem Gewebetypus in vier Grade ein: Grad I (benigne), Grad II (noch benigne), Grad III (bereits maligne) und Grad IV (maligne). Das Glioblastom ist das bösartigste höhergradige Gliom. Aus dem Grad der Bösartigkeit ergeben sich auch Therapie und Prognose. Betroffen sind vor allem Männer in mittleren und höheren Lebensjahren. Je nach Lokalisation des Tumors leiden die Patienten an Sehstörungen, Krampfanfällen, Kopfschmerzen oder Lähmungen.

  Top

© 2005 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa