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Doping für die Wunde

06.09.1999  00:00 Uhr

- Pharmazie Govi-Verlag FORTBILDUNG

Doping für die Wunde

von Ulrich Brunner, Wuppertal

Zwar sorgte der britische Mediziner Georg Winter bereits 1962 mit einer Arbeit im Wissenschaftmagazin Nature für einen Paradigmenwechsel in der Wundversorgung: Er konnte damals nachweisen, dass Wunden im feuchten Milieu besser heilen. Nach Meinung von Experten wird in der Ambulanz und auf Station aber noch heute einiges falsch gemacht. Viele Mediziner beherzigten bis dato den überholten Lehrsatz: Verbinde trockene Wunden trocken, und feuchte Wunden feucht. Um ihre Mitglieder auf den neusten Stand der Dinge zu bringen, widmetet die Landesapothekerkammer Nordrhein ihre große zentrale Fortbildung am 29. August in Wuppertal unter anderem dem modernen Wundmanagement.

"Überschüssiges Sekret muss raus aus der Wunde. Wir brauchen keine Stauung oder Traumatisierung durch Kompressen", mahnte Dr. Peter Wassel, Arzt am Bundeswehrkrankenhaus Ulm und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Wundbehandlung. Heute verstehe man die einzelnen Heilungsphasen genauer und könne die Regeneration von Gewebe und Haut unterstützen. Aus Unkenntnis oder Kostendruck würden aber gerade in kleinen Krankenhäusern und Ambulanzen immer noch chronische Wunden falsch behandelt.

Im Sekret chronischer Wunden schwimmen relativ viele aggressive Substanzen wie Interleukine und der Tumornekrosefaktor (TNF) a. Sie strömen in das verletzte Gewebe ein, um Zelltrümmer, Keime und Noxen zu beseitigen. Durch dicht schließende Verbände sinkt der Sauerstoffpartialdruck in der Verletzung und Exudat kann nicht abfließen. Beim Verbandwechsel wird das empfindliche Gewebe dann erneut traumatisiert. Die Folge: Immer mehr Sekret verzögert den Wundverschluss, mehr Eiter wird gebildet und die Durchblutung sinkt. Zum Beispiel sei die Konzentration von TNF a in chronischen Wunden um ein Drittel höher als in akuten, so Wassel.

Eine chronische Wunde müsse daher phasengerecht versorgt werden. Zunächst sollten nekrotisiertes Gewebe, Eiter und Beläge chirurgisch entfernt werden. Die frische Wunde müsse dann schonend gereinigt und physiologisch verbunden werden, sagte Wessel. In der Exudationsphase muss der Verband die Flüssigkeit bis auf eine Restfeuchtigkeit von der Oberfläche entfernen. Während der Granulationsphase verlange die Wunde dagegen ein "satt-feuchtes" Milieu.

Nur ein optimales Mikroklima auf der Wundoberfläche könne man als physiologisch bezeichnen. Idealer Weise sollte ein Verband möglichst viel Sekret aufnehmen, optimalen Gastausch ermöglichen und Wasserdampf durchlassen. Die besten Dienste bei chronischen Wunden leiste die sogenannte Vakuumversiegelung (siehe Kasten). Wessel berichtete von den guten Erfahrungen, die er in Ulm bislang mit dem neuen Verfahren gemacht hat. Zwar sei diese Therapie zunächst nicht preiswert, vermeide aber hohe Folgekosten durch schlecht heilende Wunden. Weiterhin geeignet sind nach Meinung Wessels Polyacrylate, Polyurethan-Schaumstoffe, Alginate, Hydrokolloide und -gele.

Da eine chronische Wunde den Patienten stark belastet, sollte der Arzt bei Therapieresistenz zudem rechtzeitig die Methode wechseln und bei erneutem Versagen an eine radikale und chirurgische Lösung denken.

Viele Wundtherapeutika entsprechen nicht den Anforderungen. Nach welchen Kriterien Apothekerinnen und Apotheker geeignete Wundauflagen und Antiseptika auswählen sollten, erklärte Dr. Wiltrud Propst, Krankehausapothekerin im Kreiskrankenhaus Heidenheim.

Neben chirurgischen Eingriffen mit Skalpell und Schere leisteten auch Spülungen und enzymatisches Débridement bei der Wundsäuberung wertvolle Dienste. Probst empfahl zur Spülung Ringer-Lösung. "Die zusätzlich enthaltenen Calcium- und Kaliumionen fördern die Wundheilung." Die Zubereitung sei inzwischen auch als Irriclens® Spray oder Tenderwet-Solution®  in handlichen Gebinden für die Ambulanz auf dem Markt. Wasserstoffperoxid sollte nur kurzfristig und gezielt angewendet werden. Gerade bei schmierigen eitrigen Wunde sprenge die Lösung den Belag gut ab, die desinfizierende Wirkung sei jedoch zu vernachlässigen. "H2O2 gehört jedoch nicht auf sauber granulierende Wunden oder Wundhöhlen", mahnte Probst.

Enzympräparate seien meist zu teuer und spalteten nur ganz spezifisch denaturierte Gewebebestandteile. Sie unterstützten die Feinarbeit nach dem chirurgischen Eingriff. Produkte wie Fibrolan®, Novuxol® oder Varidase® dürfen nur auf feuchte Wunden aufgetragen werden, da die Enzyme erst nach Kontakt mit Flüssigkeit aktiv werden. Eine klare Absage erteilte Probst dem Präparat Iroxol®. Die Zubereitung enthalte Chloramphenicol, das die Granulation hemmt. Zwar habe der Hersteller im Nachfolgeprodukt Novuxol® auf den Zusatz verzichtet, konsequenterweise sollte er aber das alte Präparat vom Markt nehmen, kritisierte sie.

Lokale Antibiotika obsolet

"Wenden sie Antiseptika prinzipiell nur kurzfristig an", sagte die Apothekerin. Besonders geeignet sei Octenidin (Octenisept®), das einzige Wunddesinfektionsmittel mit Zulassung. Das Präparat wirke gegen ein breites Erregerspektrum, sei farblos, gut verträglich und störe nicht die natürliche Wundheilung. Ethacridinlactat (Rivanol®) werde dagegen häufig falsch eingesetzt. Probst empfahl das Arzneimittel lediglich für oberflächliche Spülungen im Urogenitalbereich. PVP-Jod-haltige Zubereitungen gehörten nicht auf frisch blutende Wunden, denn Plasma und Eiter hemmten ihre Wirkung.

Sowohl lokale Antibiotika, Quecksilber-haltige Antispetika als auch Farbstofflösungen wie Pyoktanin und Brilliantgrün haben nach Meinung Probst ihren Stellenwert in der modernen Wundversorgung verloren. Schließlich empfahl sie, nie Puder oder Salben direkt auf offene Wunden aufzutragen. "Sie fördern nur den Okklusionseffekt und lassen sich später schlecht entfernen." Top

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