Pharmakologen halten Verkaufsstopp für voreilig |
27.08.2001 00:00 Uhr |
"Wir brauchen eine Auswahl an Statinen, denn nicht jeder Patient verträgt jedes Medikament", sagt beispielsweise Professor Dr. Joachim Fauler von der Universität Dresden. Auch sein Kollege Professor Dr. Jürgen Frölich, Pharmakologe an der Medizinischen Hochschule Hannover, hält den Rückzug des Konzerns für voreilig: "Es gibt Medikamente, die sind viel gefährlicher".
Für Bayer war das Hauptproblem ein erhöhtes Nebenwirkungsrisiko, wenn Lipobay zusammen mit Gemfibrozil verschrieben wurde. Warum einige Ärzte trotz einer ausdrücklichen Warnung auf die Lipobay-Dosis noch Gemfibrozil draufsetzten, ist unbekannt. Zudem wurden möglicherweise von den Ärzten Vorerkrankungen ihrer alten und infarktgefährdeten Patienten nicht ausreichend berücksichtigt. Insbesondere bei Nierenschäden hätte die Cerivasatin-Dosis drastisch reduziert werden müssen.
"Da wir als Unternehmen nicht ausschließen können, dass manche Ärzte an ihrer gewohnten Verordnungspraxis festhalten, haben wir uns entschlossen, das Präparat freiwillig vom Markt zu nehmen, begründete Pharma-Geschäftsbereichsleiter David Ebsworth den Vermarktungsstopp. Weniger gravierend als der Crash der Aktie sind die Folgen für die bislang sechs Millionen Anwender. Sie müssen nur auf ein anderes Präparat umsteigen.
Auch nach dem Bayer-Debakel halten einige Mediziner an dieser Einschätzung fest. "52 mutmaßliche Todesfälle bei sechs Millionen Anwender ist sehr wenig", betont Frölich. "In Studien hatte Lipobay ein exzellentes Sicherheitsprofil", sagt Fauler.
Professor Dr. Ulrich Klotz von der Universität Stuttgart hält zwar bis zur Klärung des tatsächlichen Risikos einen Verkaufsstopp für angebracht. Er sei aber ziemlich sicher, dass die schweren Zwischenfälle nicht ausschließlich Cerivastatin anzulasten sind. Man müsse eben wie immer Nutzen gegen Risiken abwägen.
Alle Lipidsenker können in seltenen Fällen zu Muskelschmerzen führen. Ein Risiko von 1 zu 100.000 Anwendungen ist bei den klinischen Studien vor Marktzulassung mit maximal 5000 Probanden statistisch kaum erfassbar.
Von jahrelangen Langzeitanwendungen vor der Zulassung hält der
Hannoveraner Pharmakologe Frölich nichts. "Dazu bräuchte man 800.000
weitere Patienten und das würde die Pharmaindustrie hoffnungslos
überfordern." Dann sei Schluss mit pharmakologischen Innovationen.
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