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Nachts gut schlafen, tagsüber fit

18.08.2003  00:00 Uhr
Interview

Nachts gut schlafen, tagsüber fit

von Helga Vollmer, München

Melatonin wird in den Medien als Schlaf- und Wundermittel gelobt. In Deutschland ist es als Arzneimittel eingestuft, bislang für keine Indikation zugelassen und kann nur über Direktimport bezogen werden. Wie Melatonin wirkt und welche Anwendungen sich daraus ergeben könnten, erklärt Dr. Jan-Dirk Fauteck.

PZ: Melatonin beeinflusst die Chronobiologie des Menschen, das heißt seinen Schlaf-Wach-Rhythmus. Welche Erkenntnisse haben Sie dazu bislang gewonnen?

Fauteck: Melatonin ist das einzige Hormon, das vorwiegend nachts ausgeschüttet wird. Wichtig ist nicht nur, wie viel produziert wird, sondern auch, dass dies in einem bestimmten Rhythmus geschieht, nämlich alle 24 Stunden (circadianer Rhythmus). Melatonin senkt die Körpertemperatur, wodurch der gesamte Stoffwechsel verlangsamt wird und der Mensch schlafen kann. Seine Gegenspieler sind die Stresshormone Cortisol und Adrenalin, die eine rhythmische Ausschüttung von Melatonin verhindern, woraus Schlafstörungen resultieren.

 

Dr. med. Jan-Dirk Fauteck, Geschäftsführer bei Proverum (Münster) und General Manager des Bereiches Medical Affairs, beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Zirbeldrüsenhormon. In dem Auftragsunternehmen für klinische Forschung und Entwicklung hat er zusammen mit italienischen Kollegen Melachron® entwickelt, die erste Melatonin-Tablette mit nahezu physiologischer Freisetzung.

 

PZ: Heute leben Menschen selten nach einem regelmäßigen Rhythmus. Sie sind abhängig von Beruf, Lebensgewohnheiten und vielem mehr. Wie stark wirkt sich das auf die Melatoninausschüttung aus?

Fauteck: Neben dem Tag-Nacht-Rhythmus sind wir auch einem jahreszeitlichen Rhythmus unterworfen. Rhythmuswechsel wie Nacht- und Schichtarbeit, Interkontinentalflüge und bestimmte Lebensgewohnheiten beeinflussen die Melatoninsynthese und -ausschüttung. So leiden etwa 35 Prozent der Erwachsenen und sogar bis zu 80 Prozent der über 60-Jährigen unter Schlafstörungen.

Einer der Hauptgründe für Schlafstörungen ist der durch einen Mangel an Melatonin gestörte circadiane Rhythmus. Melatonin bildet sich in mehreren enzymatischen Reaktionsschritten aus Serotonin. Diese Melatoninsynthese und -ausschüttung wird bei Licht gehemmt und durch Dunkelheit stimuliert. Empfängt die Retina Licht, melden Nervenfasern dies an den Nervenknoten Cervicalis superior, der daraufhin der Zirbeldrüse signalisiert, kein Melatonin zu produzieren. Fällt kein Licht auf die Retina, wird die Epiphyse über sympathische Nervenfasern unter Freisetzung von Noradrenalin zur Melatoninproduktion angeregt und der Mensch kann schlafen.

PZ: Zurzeit gibt es in Europa kein zugelassenes Melatonin-Präparat, weshalb sich zum Beispiel USA-Reisende oft mit Melatonin aus dem Supermarkt eindecken. Die einen schwärmen dann vom Wundermittel gegen Jetlag und Schlafstörungen, andere dagegen sind maßlos enttäuscht. Woran liegt das?

Fauteck: Ich kann nur davon abraten, in einem ausländischen Supermarkt Melatonin-Präparate gegen Jetlag oder Schlafstörungen zu kaufen. Melatonin ist ein Hormon, seine Einnahme eine Hormonersatztherapie (HRT) wie die von Östrogenen oder Testosteron. Eine HRT sollte nur unter der Regie eines Arztes durchgeführt werden. Frei verkäufliche Melatonin-Präparate weisen zum einen unterschiedliche Formulierungen wie „fast released“ und „slow released“ Melatonin (schnell und langsam verfügbar), außerdem häufig Verunreinigungen auf.

PZ: Worin unterscheidet sich die von Ihnen entwickelte, neue Darreichungsform von anderen Melatonin-Präparaten?

Fauteck: Melatonin hat eine sehr kurze Halbwertszeit von nur etwa 30 Minuten und daher eine Wirkdauer von circa zwei Stunden. Zur Therapie von Einschlafstörungen ist also ein schnell freisetzendes Präparat geeignet, das jedoch nicht bei Durchschlafstörungen oder verfrühtem Aufwachen hilft, Störungen also, bei denen der Melatoninspiegel zu früh auf ein niedriges Niveau fällt.

In der neuen Formulierung wurde eine spezielle Mischung von schnell freisetzendem und langsam verfügbarem Melatonin entwickelt, die nahezu den physiologischen Verhältnissen entspricht: Ungefähr eine halbe Stunde nach Einnahme wird ein Drittel der Menge sofort freigesetzt, um das Einschlafen zu fördern. Die übrigen zwei Drittel werden langsam freigesetzt, so dass ein ungestörter Schlaf von sechs bis acht Stunden garantiert ist und etwa acht Stunden nach der abendlichen Einnahme wieder physiologische Tageswerte erreicht werden.

PZ: Eignet sich die neue Präparation auch zur Therapie eines Jetlag?

Fauteck: Die Milderung des Jetlags ist nicht einfach. Sie hat nur Erfolg, wenn sowohl Dosierung als auch Einnahme-Zeitpunkt richtig gewählt werden, am besten von einem chronobiologisch weitergebildeten Endokrinologen. Je nach Flug - Ost-West oder umgekehrt - sollte man den gewohnten Schlafzeiten entsprechend Melatonin einnehmen.

PZ: Melatonin werden neben der Regulierung des circadianen Rhythmus eine Reihe von „wunderbaren“ Eigenschaften zugeordnet. Was ist wahr daran?

Fauteck: Leider wurden in der Vergangenheit Ergebnisse von Tierstudien auf den Menschen übertragen. Melatonin wirkt jedoch beim Tier völlig anders als beim Menschen, da die Melatonin-Rezeptoren anders platziert sind. Man denke nur an den Winterschlaf mancher Tiere oder die nächtliche Aktivität von Ratten. Beim Menschen hemmt nicht nur Licht die Melatonin-Produktion, sondern auch Stresssituationen oder Medikamente wie Antidepressiva, gewisse Schlafmittel auf Benzodiazepinbasis sowie Präparate, die in den Serotoninstoffwechsel eingreifen, und Beta-Blocker.

Erforscht wird zurzeit der Einfluss von Melatonin auf Erkrankungen des ZNS, zum Beispiel bei bestimmten Formen der kindlichen Epilepsie, oder bei Erkrankungen, die mit dem circadianen Rhythmus zusammenhängen, wie Diabetes. Top

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