Nanozellen nehmen Kurs auf Tumoren |
15.08.2005 00:00 Uhr |
Erst dem Tumor die Blutversorgung »abdrehen«, um ihn dann mit langsam freigesetzten Zytostatika zu bekämpfen: Diese Strategie verfolgen amerikanische Wissenschaftler. Sie entwickelten innovative Nanopartikel, die in Tierversuchen beeindruckende Erfolge zeigen.
»Ein Ballon innerhalb eines Ballons«, so beschreibt Dr. Shiladitya Sengupta vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) die von seinem Team entwickelten winzigen Partikel. Der Kern dieser Nanozellen besteht aus einem festen bioabbaubaren Polymer, an das das Zytostatikum Doxorubicin gebunden ist. Umgeben ist er von einer Schicht pegylierter Lipide. Darin gelöst befindet sich Combrestatin, eine Substanz, welche die Blutversorgung von Tumoren unterbindet.
Durch die Lipidschicht maskiert ähneln die Nanozellen echten Zellen und entgehen so dem Angriff des Immunsystems. Sie passen mit einem Durchmesser von 180 bis 200 nm nur durch die »löchrigen« Blutgefäße, die Tumoren versorgen. Für normale Blutgefäße sind die Partikel zu groß. Dadurch können sie nicht in andere Gewebe gelangen, sondern reichern sich spezifisch in Tumoren an. Dort angelangt, wird innerhalb von zwölf Stunden beim Abbau der Lipidschicht das antiangiogenetisch wirkende Combrestatin freigesetzt und die den Tumor versorgenden Blutgefäße degenerieren. Dadurch wird einerseits die Nährstoffversorgung der Tumorzellen gekappt, andererseits können die eingeschlossenen Nanozellen das Tumorgewebe nicht mehr verlassen. Dort kommt es dann zum weiteren Abbau der Partikel und zur Freisetzung des darin enthaltenen Doxorubicins über einen Zeitraum von 15 Tagen.
Mäuse leben doppelt so lange
Im Tierversuch haben sich die Hoffnungen der Wissenschaftler bestätigt, mit den Nanozellen eine schonendere und wirksamere Krebstherapie entwickelt zu haben. Sie testeten die Strategie an Mäusen, die an Melanomen oder einer Form von Lungenkrebs erkrankt waren. Ohne Therapie starben die Mäuse nach 20 Tagen. Gaben die Wissenschaftler Combrestatin und Doxorubicin gleichzeitig, überlebten die Tiere 30 Tage lang. Erhielten sie jedoch die Arzneistoffe in Form der Nanozellen, so verdoppelte sich die Überlebenszeit auf 60 Tage. 80 Prozent der so behandelten Nager waren sogar noch nach 65 Tagen am Leben. Zudem zeigten die Nanozellen im Vergleich zu den einzeln oder in Kombination gegebenen Arzneistoffen die geringste Toxizität. Veröffentlicht haben die Wissenschaftler ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift »Nature« (436 (2005) 568-572).
Insgesamt war die Therapie bei Melanomen wirksamer als bei Lungenkrebs. Offensichtlich muss die Strategie an bestimmte Tumortypen angepasst werden. »Wir werden auf diesem Konzept aufbauen«, schreibt Professor Ram Sasisekharan, Leiter des Forschungsteams, in einer Pressemitteilung des MIT.
Therapieprobleme umgangen
Der Kombinationstherapie aus Angiogenesehemmstoff und Zytostatikum scheinen die neuen Nanozellen deutlich überlegen. Denn mit der Anreicherung der Nanozellen in Tumoren und der schrittweisen Freisetzung der beiden Substanzen schlagen die Forscher gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Klassische Zytostatika wie Doxorubicin wirken auf alle sich teilenden Zellen im Körper. Die daraus resultierenden, oft schweren Nebenwirkungen limitieren Dosis und Häufigkeit der Therapie. Mit Hilfe der Nanozellen wirkt Doxorubicin jedoch vorwiegend in den Tumoren.
Auch der Einsatz von antiangiogenetisch wirkenden Substanzen birgt nach Ansicht vieler Wissenschaftler Risiken. So gibt es Hinweise darauf, dass der durch die verringerte Blutversorgung entstehende Sauerstoffmangel Tumoren zu invasiverem Wachstum und Metastasenbildung anregt. Derzeit werden antiangiogenetisch wirkende Medikamente meist in Kombination mit anderen Präparaten eingesetzt. Allerdings hat auch die Kombinationstherapie Nachteile. Denn zytostatisch wirkende Medikamente erreichen den Tumor kaum noch, sobald die Blutversorgung beeinträchtigt ist. Auch diese Probleme haben die Wissenschaftler mit ihren Nanozellen elegant umgangen. Zudem fanden sie bei den mit Nanozellen behandelten Mäusen keine Hinweise darauf, dass Sauerstoffmangel zu Veränderungen der Tumorzellen geführt hatte.
Die deutliche Verlängerung der Überlebenszeit könne man jedoch nicht direkt auf den Menschen übertragen, gibt Professor David Mooney von der Harvard-Universität in Cambridge, USA, in einem Kommentar zu der Veröffentlichung zu bedenken (Nature 436 (2005) 468-469). Viele antiangiogenetisch wirkende Substanzen benötigten eine längere Exposition im Gewebe, um die Blutversorgung von Tumoren zu unterbinden. Mit den Nanozellen sei dies nicht möglich. Allerdings könne man das innovative System schließlich an unterschiedliche Anforderungen anpassen, so Mooney.
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