Die Immunabwehr umdirigieren |
11.08.2003 00:00 Uhr |
Eine fehlgesteuerte Immunabwehr scheint bei der Schuppenflechte die Wurzel des Übels zu sein. Das Ziel neuer Therapieansätze ist ein gezielter Eingriff in immunologische Prozesse – in der Hoffnung, dadurch weniger Nebenwirkungen als mit herkömmlichen Wirkstoffen hervorzurufen.
Rote Flecken, Schuppenbildung und unerträgliches Jucken – diese Symptome kennen die Betroffenen nur allzu gut. Rund zwei Prozent der mitteleuropäischen Bevölkerung leiden an Schuppenflechte. Zwar ist die chronische Hauterkrankung nicht lebensbedrohend, doch sie erfordert eine lebenslange Behandlung, da eine echte Heilung gegenwärtig nicht möglich ist.
Die unangenehmen Symptome beruhen zumindest teilweise darauf, dass Keratinozyten zu schnell proliferieren. Normalerweise überleben Keratinozyten rund vier Wochen, bis sie vom Körper abgestoßen werden. Bei der Schuppenflechte läuft dieser Prozess deutlich schneller ab. Die Folge: Eine massive Schuppung, die der Krankheit ihren Namen verliehen hat. Bei der Behandlung von Krankheitsschüben werden Vitamin-D-Derivate sowie Salben mit Dithranol oder Retinoiden eingesetzt. Diese Wirkstoffe zügeln die Teilung und Differenzierung der Keratinozyten.
Angriffspunkt Immunsystem
Bei schwereren Verläufen setzen Dermatologen traditionell Wirkstoffe ein, die das Immunsystem unterdrücken. Zur immunsuppressiven Therapie eignen sich Wirkstoffe wie Methotrexat und Ciclosporin. Die Erfolge mit diesen Substanzen lassen vermuten, dass das Immunsystem eine bedeutende Rolle bei der Pathogenese der Schuppenflechte spielt. Demzufolge hat sich in den letzten Jahren die Auffassung durchgesetzt, dass die schnelle Epidermisbildung nur ein Symptom der Krankheit ist. Denn wenngleich noch nicht vollständig geklärt ist, was die Keratinozyten zu solch krankhaften Höchstleistungen antreibt, sind vermutlich einwandernde Zellen eines fehlgeleiteten Immunsystems die Ursache.
Nach neuerer Auffassung handelt es sich bei der Schuppenflechte um eine Autoimmunreaktion, bei der Leukozyten über spezifische entzündlich-immunologische Faktoren, in erster Linie proinflammatorische und proliferationsfördernde Eikosanoide, Zytokine und Wachstumsfaktoren, die typische Symptomatik auslösen: Die Haut rötet sich, schwillt an und juckt. Verantwortlich hierfür ist eine bestimmte Subpopulation weißer Blutzellen, der so genannten Th1-Lymphozyten, die die Immunreaktion vermitteln und eine Schlüsselrolle im Entzündungsprozess spielen (1).
Einige Erkenntnisse sprechen eindeutig für diese Theorie: Wissenschaftler konnten T-Zellen in psoriatischen Plaques nachweisen. Zudem stellten sie fest, dass ein selektives Abtöten der T-Zellen zu einer deutlichen Linderung der Symptome führt und die Injektion von T-Lymphozyten in symptomfreie, auf Mäuse übertragene menschliche Haut die Bildung psoriatischer Plaques auslöst. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Immunsuppressiva wie Ciclosporin das Hautbild anhaltend verbessern können.
Remittierende Therapie mit Biologika
Die Anwendung dieser Substanzen weist allerdings eine Kehrseite auf: Sie legen die gesamte Immunabwehr lahm und bergen daher das Risiko schwerer Nebenwirkungen. Mit neuen Strategien wollen Forscher eine längere Symptomfreiheit mit weniger Nebenwirkungen erreichen. Die so genannten Biologika – oder Neudeutsch biologicals – greifen im Gegensatz zu dem bisherigen Goldstandard Dithranol im Sinne des Wortes tiefer ein: Nicht die Keratinozyten, sondern T-Lymphozyten und Zytokine, die das Ausmaß der Entzündung bestimmen, sind die Zielstrukturen (2).
Wissenschaftler verfolgen bei der Behandlung der Schuppenflechte seit einigen Jahren vier verschiedene Strategien (siehe Kasten). Kennzeichen der hier verwendeten biologischen Wirkstoffe ist, dass sie körpereigenen Biomolekülen entsprechen oder zumindest ähneln. Physiologisch gesehen handelt es sich bei den üblicherweise auf gentechnologischem Wege produzierten Wirkstoffen um Verbindungen wie Antikörper, Fusionsproteine oder Zytokine. Derartige Ansätze gelten als viel versprechend und haben sich teilweise schon bei der Therapie anderer entzündlicher Krankheiten wie bei der rheumatoiden Arthritis bewährt.
Biologische Strategien zur Behandlung der Schuppenflechte
Da es sich um sehr empfindliche Eiweiße handelt, werden sie nach peroraler Gabe rasch durch Proteasen des Magen-Darm-Trakts abgebaut. Die Wirkstoffe werden daher üblicherweise subkutan, intramuskulär oder intravenös injiziert, wobei die Verabreichung von zweimal wöchentlich bis einmal alle acht Wochen reichen kann.
Der TNF-alpha-Blocker Etanercept (Enbrel®) ist ein humaner TNF-Rezeptor, der das Fusionsprodukt der beiden natürlicherweise vorkommenden TNF-Rezeptoren ist. Der chimäre Zytokin-Rezeptor bindet TNF-alpha mit hoher Affinität und verringert so das Ausmaß der Entzündung (siehe Tabelle). Etanercept ist zurzeit für die Behandlung der Psoriasis-Arthritis zugelassen, einer bei 5 bis 10 Prozent der Psoriatikern auftretenden chronischen Gelenkerkrankung. Aber auch bei Plaque-Psoriasis ist der Einsatz des TNF-alpha-Blockers Erfolg versprechend. In einer Phase-II-Studie zeigte sich bei mehr als der Hälfte der Patienten nach sechs Monaten eine deutliche Besserung des Hautbefunds (3).
Neue Kandidaten zur Therapie der Psoriasis
Wirkstoff wirkt auf Effekt Etanercept TNF-alpha hemmt Entzündungsaktivität Infliximab TNF-alpha hemmt Entzündungsaktivität Efalizumab T-Zell-Oberflächenprotein T-Zell-Aktivierung und –Migration gehemmt Alefacept T-Zell-Oberflächenprotein Anzahl der Th1-Lymphozyten reduziert Interleukin-4 T-Lymphozyten Th2-Phänotyp induziert
Infliximab (Remicade®) ist ein monoklonaler Antikörper, der wie Etanercept an das proinflammatorische Zytokin TNF-alpha bindet und dieses damit neutralisiert. Zudem hemmt der Antikörper die Freisetzung weiterer proinflammatorischer Botenstoffe sowie die Leukozyteninfiltration in das entzündete Gewebe. Auf Grund der entzündungshemmenden Eigenschaften verwenden Mediziner Infliximab bereits in der Behandlung von Patienten mit Morbus Crohn und rheumatoider Arthritis.
Auch bei Psoriasis könnte der Einsatz von Infliximab sinnvoll sein. In einer klinischen Studie zur Evaluation von Nutzen und Nebenwirkungen des Antikörpers erhielten 33 Patienten mit mittlerer bis schwerer Plaque-Psoriasis randomisiert intravenös 5 mg/kg Körpergewicht Infliximab, 10 mg/kg Körpergewicht oder Placebo. In der Gruppe mit der niedrigeren Dosierung sprachen neun von elf Psoriatikern (82 Prozent) im PASI-Index (Psoriasis-Schweregrad-Index, siehe Kasten) gut bis exzellent an – die Effloreszenzen verschwanden. Dieses Ergebnis wurde im Gegensatz dazu nur bei zwei von elf Patienten (18 Prozent) in der Placebo-Gruppe erzielt. In der Gruppe mit der höheren Dosierung von Infliximab beobachteten die Dermatologen sogar bei zehn von elf Psoriatikern eine deutliche Besserung des Hautbefundes (4).
Bewertungsindex für die Schuppenflechte Als klinisches Maß für die für den Schweregrad der Psoriasis ziehen Mediziner üblicherweise den PASI-Wert (psoriasis area and severity index) heran (8). Dieser 1978 eingeführte Bewertungsmaßstab hat zunächst vor allem in der klinischen Forschung Anwendung gefunden, dringt aber mittlerweile auch in den dermatologischen Alltag vor.
Der PASI-Wert ergibt sich aus der klinischen Manifestation in vier Körperregionen: dem Kopf, dem Rumpf, den Armen und den Beinen. In diesen Bereichen wird der Schweregrad der psoriatischen Läsionen auf einer Skala von 0 bis 4 bewertet (von 0 = keine bis 4 = stark). Im Einzelnen beurteilt der Dermatologe dabei die Hautrötung (Erythem, E), die Dicke des Psoriasisherdes (Infiltration, I) und die Schuppung (Desquamation, D). Der Kopf (K) wird mit 0,1, die Arme (A) mit 0,2, der Rumpf (R) mit 0,3 und die Beine (B) mit 0,4 gewichtet. Anschließend wird das Ergebnis mit der betroffenen Fläche (A) multipliziert.
Demnach berechnet sich der PASI-Wert für die unterschiedlichen Körperregionen folgendermaßen:
Man erhält den PASI-Score, indem man die Ergebnisse der einzelnen Körperregionen addiert, wobei sich maximal ein Wert von 72 ergibt. Dies ermöglicht die Dokumentation des individuellen Krankheitsverlaufs sowie den Vergleich mit anderen Patienten.
Sowohl Infliximab als auch Etanercept stellen interessante Therapieoptionen dar. Da beide TNF-alpha-Blocker bereits seit Jahren bei anderen entzündlichen Indikationen eingesetzt werden, liegen mehr Langzeitdaten bezüglich potenzieller Nebenwirkungen vor als bei neu entwickelten Wirkstoffen. Dennoch sind sich Wissenschaftler bei der Bewertung des Gefahrenpotenzials von TNF-alpha-Blockern nicht einig. In den Augen der Kritiker wirken die Substanzen nicht spezifisch genug, bergen das Risiko einer generellen Immunsuppression und erhöhen dadurch die Anfälligkeit für Infekte.
Angriff auf T-Zellen
Andere Strategien richten sich direkt gegen T-Lymphozyten. Efalizumab (Raptiva®) ist ein gegen das Leukozyten-Oberflächenprotein CD11a gerichteter humanisierter monoklonaler Antikörper. Die Bindung von Efalizumab an CD11a bewirkt, dass sich T-Lymphozyten nicht an die Blutgefäßwandung heften und ins Gewebe einwandern können. Zudem hemmt der Wirkstoff dadurch auch die Aktivierung der Immunzellen, so dass weniger proinflammatorische Zytokine ausgeschüttet werden. Dies bestätigten mehrere klinische Studien: Die Anzahl von epidermalen und dermalen T-Lymphozyten nahm ab und die Epidermismorphologie normalisierte sich.
Eine Phase-III-Studie untermauerte jüngst die Effizienz des monoklonalen Antikörpers zur Therapie der mittleren bis schweren Plaque-Psoriasis. Im Vergleich zur Placebo-Gruppe zeigte sich bei Patienten, die 1 oder 2 mg/kg Körpergewicht Efalizumab subkutan erhielten, eine deutliche Besserung von PASI-Wert und Lebensqualität (5). Die Dermatologen beobachteten dabei keinerlei Anzeichen für einen Anstieg opportunistischer Infektionen, Hepatotoxizität oder Nephrotoxizität.
Seit Januar 2003 ist der Arzneistoff Alefacept (Amevive®) zur Behandlung der mittelschweren bis schweren Psoriasis vulgaris in den USA zugelassen. Das dimere Fusionsprotein aus der Leukozyten-Bindungskomponente LFA-3 (leukocyte function-associated antigen type 3) und der Fc-Domäne des Immunglobulins IgG1 greift T-Zellen in der Haut an und reduziert deren Anzahl. Dabei richtet sich die Wirkung ganz spezifisch gegen jene Th1-Lymphozyten, die in der Entstehung der Psoriasis die Schlüsselrolle spielen.
Verabreicht wird Alefacept einmal wöchentlich entweder intravenös oder intramuskulär, wobei sich ein Behandlungszyklus über zwölf Wochen erstreckt (6). In verschiedenen klinischen Studien waren zahlreiche Teilnehmer im Anschluss an die Therapie mehrere Monate lang beschwerdefrei. Ähnlich wie Efalizumab erwies sich Alefacept als sehr gut verträglich: Bislang beobachteten Mediziner keinerlei Zeichen für einen Anstieg opportunistischer Infektionen. Nur bei etwa 2 Prozent der Studienteilnehmer traten Nebenwirkungen wie Kopfschmerz, Übelkeit, Benommenheit, Juckreiz, Schüttelfrost, Muskelschmerzen und Schmerzen an der Einstichstelle auf.
Mit Interleukin-4 umpolen
Eine andere Therapiestrategie haben die Forscher um Martin Röcken von der Universität Tübingen verfolgt. Sie untersuchten, ob sich das humane Immunsystem mit Hilfe des Zytokins Interleukin-4 so umpolen lässt, dass die Krankheitssymptome ausbleiben, ohne dabei die Immunabwehr generell zu schwächen. Das Zytokin beeinflusst das Verhältnis von proinflammatorischen Th1- zu antientzündlichen Th2-Zellen. Die Psoriasis gilt als Prototyp einer Th1-assoziierten Autoimmunerkrankung. Th1-Zellen wandern in die psoriatischen Plaques ein und produzieren dort entzündungsfördernde Mediatoren wie Interferon-g. Die Wissenschaftler wollten nun das Verhältnis von Th1- zu Th2-Zellen in Richtung Th2 verschieben – eine Strategie, die zuvor im Tierversuch zu einer deutlichen Linderung der Symptome führte.
Die Ergebnisse einer Studie mit 20 Patienten mit chronischer Schuppenflechte sind viel versprechend: Die Forscher beobachteten, dass sich die entzündungsfördernde in eine antientzündliche Immunantwort umwandelte. Als Reaktion auf Interleukin-4-Injektionen bildete der Körper geringere Konzentrationen proinflammatorischer Interleukine. Folglich verbesserte sich bei allen behandelten Patienten die Symptomatik deutlich: Innerhalb von sechs Wochen sank der PASI-Wert bei allen Patienten, bei 15 von ihnen konnten die Dermatologen sogar eine Reduktion des PASI-Index um mehr als 68 Prozent beobachten. Zudem lassen die Studienergebnisse für die klinische Anwendung nur geringe Nebenwirkungen wie zum Beispiel Kopfschmerzen befürchten (7).
„Die Effizienz der Interleukin-4-Therapie war vergleichbar mit der Photochemotherapie, die neben dem Einsatz von Methotrexat die wirksamste Therapie bei Schuppenflechte darstellt“, so Röcken. Derweil müssen die Forscher noch die Ergebnisse weiterer Studien abwarten. Diese sind geplant, die Finanzierung ist allerdings noch nicht gesichert, da der Patentschutz abgelaufen ist. Wenn sich die Ergebnisse bestätigen, könnten Mediziner mit einer derartigen Therapie möglicherweise auch andere Autoimmunerkrankungen behandeln, darunter rheumatoide Arthritis, Multiple Sklerose und Typ-I-Diabetes.
Hohe Kosten
„Biologika ist ein ‚magic name’“, konstatiert Röcken. Zurzeit werde in derartige Medikamente sehr viel Hoffnungen gesetzt. Zugleich warnt der Tübinger Forscher aber vor überzogenen Vorstellungen, da derartige Wirkstoffe es auf Grund der hohen Kosten auf dem Markt schwer haben werden.
Letztlich entscheidet immer die Kosten-Nutzen-Abwägung. Und so ist auch bei der Psoriasis zu befürchten, dass die Biologika – wie bei der Indikation rheumatoide Arthritis – erst dann eingesetzt werden, wenn andere Basistherapeutika nicht zum Erfolg führen. Von Vorteil ist jedoch, dass sie im Vergleich zu den klassischen Immunsuppressiva wie Ciclosporin und Methotrexat die Immunabwehr spezifischer abschwächen. Röcken zeigt sich daher vorsichtig optimistisch: „Wenn sie preiswerter werden, glaube ich, haben sie eine Chance – es gibt einige klar umrissene Indikationen“.
Literatur
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