Neue Wirkstoffe sollen Teufelskreis durchbrechen |
23.07.2001 00:00 Uhr |
NEURODERMITIS
Immerhin 12 Prozent aller Kinder im Vorschulalter und drei Prozent aller Erwachsenen leiden in Deutschland an Neurodermitis. Für die auch unter den Synonymen Atopische Dermatitis, Atopisches oder Endogenes Ekzem bekannte chronisch rezidivierende entzündliche Hauterkrankung stehen bis heute lediglich symptomatische Therapieansätze zur Verfügung.
Die Betroffenen haben neben einer atopischen Familien- und Eigenanamnese typischerweise eine erhöhte Hautirritabilität. Die klinische Ausprägung des Krankheitsbildes kann von Patient zu Patient stark variieren, die Verteilung der Ekzeme ist jedoch in der Regel altersabhängig. Bei Säuglingen und Kleinkindern zwischen zwei und achtzehn Monaten sind meist der Kopf, insbesondere die Wangen, sowie die Leistengegend betroffen. Älteren Kindern haben die Ekzeme vorwiegend an den Beugeseiten der großen Gelenke, um Mund und Augen sowie an Hals und Nacken.
Die Pathogenese der Neurodermitis lässt sich am besten mit einem multifaktoriellen Modell beschreiben werden. Den Kern bildet die atopische Veranlagung, die sich in einer erhöhten Reaktionsbereitschaft der Haut ausdrückt. Zahlreiche Faktoren können den akuten Krankheitsschub auslösen oder zur Chronifizierung der entzündlichen Hautreaktion beitragen, zum Beispiel ausgeprägte Hauttrockenheit, Kratzen, Wärme und Schwitzen, Allergien, psychische Belastungen, Infekte oder chemische Noxen. Nicht alle dieser Faktoren sind für jeden Betroffenen wichtig, die Bedeutung variiert von Patient zu Patient und ändert sich zudem im Laufe der Zeit.
Juckreiz quält anfallsartig
Die Lebensqualität des Neurodermitis-Patienten wird durch den quälenden Juckreiz stark beeinträchtigt. Er tritt in der Regel anfallsartig auf und führt zu regelrechten Kratzexzessen, die willentlich nicht oder kaum mehr zu durchbrechen sind. Die Anfälle dauern oft so lange, bis die Haut völlig aufgekratzt ist. Die Patienten beschreiben den Schmerz, der durch diese massive Beschädigung der Haut hervorgerufen wird, als besser erträglich als den Juckreiz.
Früher galt der Juckreiz als eine Art unterschwellige Schmerzempfindung ist. Inzwischen ist aber bekannt, dass Juckreiz und Schmerz gleichzeitig empfunden und offensichtlich über eigene Nervenbahnen weitergeleitet werden. Neben Histamin, dem klassischen Mediator des Juckreizes, können auch andere endogene Substanzen wie Bradykinin, Substanz P, Neurotensin, Endorphine und Eicosanoide Juckreiz auslösen.
Meist entwickelt sich ein aufschaukelnder "Juck-Kratz-Teufelkreis". Die mechanische Reizung der Haut durch das Kratzen führt zur Sekretion von TNF-a und anderen proinflammatorischen Zytokinen, die wiederum ihrerseits die Sekretion juckreizstimulierender Mediatoren bewirken. Die oft ausgedehnten entzündeten Hautflächen sind dann besonders anfällig für Infektionen mit Bakterien, Pilzen und Viren. Eine generalisierte Herpesinfektion ist besonders gefürchtet.
Aber auch die nicht infizierte Haut des Neurodermitikers beherbergt einen Mikroorganismus in hoher Kolonienzahl: Staphylococcus aureus. Der Keim sezerniert eine Gruppe von Toxinen, sogenannte Superantigene, die die Aktivierung von T-Lymphozyten und Makrophagen stimulieren und somit eine Entzündung initiieren, unterhalten und verstärken können.
Basisprogramm und Hautpflege
Therapeutische Ansätze umfassen ein Basisprogramm für das akute und das chronische Stadium der Erkrankung. Zunächst sollten die Neurodermitiker bekannten Triggerfaktoren aus dem Weg gehen. Aber auch die Hautpflege mit geeigneten Salben oder Cremes steht im Vordergrund.
Inzwischen wurden auch weitere therapeutische Ansätze nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin bewertet. Die Wissenschaftler werteten dabei ausschließlich kontrollierte klinische Studien zu einer Therapierichtung aus.
Positiv bewerteten die Forscher bei den adjuvanten Behandlungsformen sowohl die Phototherapie (Hochdosis UV-A1 oder UV-B) als auch psychologische Ansätze wie beispielsweise Entspannungstechniken. Keine Evidenz konnte dagegen für diätetische Ansätze mit verschiedenen Ölen (Fischöl, Nachtkerzenöl), Vitamin E oder Zink gefunden werden.
Makrolide vielversprechend
Bei den Pharmakotherapien gab es weder für Antihistaminika oder Mastzellenstabilisatoren noch für antimikrobielle oder antiseptische Substanzen Evidenz für eine Verbesserung des Krankheitsbildes. Positiv bewertet wurden dagegen systemische immunmodulierende Ansätze mit Cyclosporin A, Interferon-g und - eingeschränkt auf Grund erst geringen Erfahrungen - Immunglobulinen. Auch Topika mit antiinflammatorischen beziehungsweise immunmodulatorischen Substanzen können den Krankheitsverlauf eindeutig positiv beeinflussen. Hier spielen neben den klassischen Glucocorticoiden zunehmend immunsuppressive Makrolide eine Rolle.
Wichtigster Vertreter dieser Substanzklasse ist Tacrolimus (FK506, Prograf®). Mit der Substanz dürfen bislang in Deutschland nur Patienten nach einer Nieren- und Lebertransplantation behandelt werden. Eine Zulassung für eine Indikation in der Dermatologie hat der Wirkstoff noch nicht. Dennoch belegen zahlreiche klinische Studien die gute topische Wirksamkeit bei Neurodermitis. Ein anderes Makrolid, Sirolimus (Rapamycin, Rapamune®) hat gerade die europäische Zulassung zur Therapie nach Nierentransplantationen erhalten. Auch das Makrolid Ascomycin (ASM981, Pimecrolimus) hat sich bereits in mehreren klinischen Studien bei Neurodermitikern bewährt. Aber auch diese Substanz ist bei uns für diese Indikation noch nicht zugelassen.
Alle drei genannten Makrolide beeinflussen die Genexpression von Cytokinen, insbesondere von Interleukin-2. Dazu binden sie an das intrazelluläre Protein FKBP-12 (FK506-bindendes Protein 12). Der Makrolid-Proteinkomplex hemmt die Aktivität der Calmodulin-abhängigen Phosphatase Calcineurin, die einen Kernfaktor (NF-AT) dephosphoryliert. Dieser Kernfaktor kann nur im dephosphorylierten Zustand in den Zellkern gelangen und die Genexpression von Cytokinen initiieren. Während der FKBP-12 Komplex mit Tacrolimus und Ascomycin direkt Calcineurin beeinflusst, hat man für Sirolimus einen etwas anderen Wirkmechanismus gefunden. Der Sirolimus-FKBP-12 Komplex interagiert mit einem Protein, das als "mammalian target of rapamycine (mTOR)" bezeichnet wird. Letztendlich wird durch diese Wechselwirkung der Zellzyklus der aktivierten T-Lymphozyten beeinflusst.
*) Quelle: Referat anlässlich einer DPhG-Veranstaltung am 26. Juni 2001 an der Universität Würzburg
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