Der Feigenkaktus Nopal als Antidiabetikum |
05.07.2004 00:00 Uhr |
Der Nopalkaktus wird in Mexiko nicht nur als Salat genossen, sondern ist auch in der dortigen Volksmedizin etabliert. Zwar geben tierexperimentelle Studien und Patientenberichte Anhaltspunkte für eine hypoglykämische Wirkung, doch reicht das für den therapeutischen Einsatz bei Patienten mit Diabetes?
Sowohl bei gesunden als auch bei Tieren mit experimentell induziertem Diabetes mellitus stellten Forscher nach peroraler Gabe von Nopal-Zubereitungen hypoglykämische Wirkungen fest (1). Der postprandiale Blutzuckerspiegel sowie der HbA1C-Wert konnten in synergistischer Weise mit Insulin in Tiermodellen gesenkt werden. Dabei liefern Studien an pankreasektomierten Tieren Anhaltspunkte dafür, dass die hypoglykämische Wirkung nicht an die Anwesenheit von Insulin gekoppelt ist (2). In Untersuchungen bei Ratten beeinflusste Nopal die Blutglucose-, Gesamtcholesterol- oder HDL-Cholesterolspiegel zwar nicht, der LDL-Cholesterolspiegel reduzierte sich jedoch um bis zu 34 Prozent (3). Am Menschen soll Nopalextrakt die postprandiale Hyperglykämie ohne akutes hypoglykämisches Risiko senken (4).
Als Branntwein und Feuerschutz
Der Feigenkaktus Nopal, auch Indische Feige oder Feigendistel genannt, wird botanisch als Opuntia streptacantha bezeichnet und gehört zur Familie der Cactaceae. Die Opuntien stellen mit über 200 Arten die größte Gattung innerhalb der Unterfamilie der Opuntioideae beziehungsweise der Familie der Cactaceae dar. Mexikaner kultivieren den Nopal in der Landwirtschaft oder ernten den Kaktus als Wildform, um ihn als Lebensmittel, Viehfutter, zur Farbstoffproduktion und in der Medizin einzusetzen. Der Feigenkaktus ist deshalb für die Wirtschaft bestimmter Regionen von großer Bedeutung.
Kenner essen traditionell die Früchte roh, die Blattsprosse hingegen gebraten, gekocht, geschmort oder als Salat zubereitet. Aus der Feige werden weitere Produkte wie Säfte, Käse, Honig, Gelees, Wein, Branntwein, Keimöl oder Alkohol hergestellt. Außerdem nutzen Mexikaner Nopal auch als Viehfutter, Brennmaterial sowie zur Farbstoffgewinnung. Die lebende Pflanze dient als Zier- und Zimmergewächs, als Erosionsschutz, zur Einzäunung oder als Feuerschutz (5).
Von Wasser bis β-Sitosterin
Wasser- und Fettgehalt sowie der Anteil an Kohlenhydraten in Kaktusfeigen entsprechen den Werten anderer bekannter Früchte. Sowohl der Roheiweiß- als auch der Glucosegehalt sind hingegen verhältnismäßig hoch. Bei den Mineralstoffen fällt vor allem der relativ hohe Anteil an Magnesium und Calcium auf. Auch der Vitamin C-Gehalt ist beträchtlich. Ferner zählen Kalium, Silicium, Natrium sowie geringe Mengen an Eisen, Aluminium und Mangan zu den Inhaltsstoffen des Feigenkaktus. Zudem sollen sekundäre Pflanzeninhaltstoffe wie Flavonoide vorkommen. Die für die Früchte und Blüten charakteristischen Farbstoffe sind Betaxanthine. Der β-Sitosterin-Gehalt könnte zu einer möglichen Wirkung bei Restharnbildung etwa bei einer benignen Prostatahyperplasie (BPH) beitragen (5 -7).
Nopal als Insulinsensitizer?
Die Wirkmechanismen des Feigenkaktus sind noch nicht abschließend geklärt (8). Nopal soll einen hohen Anteil an Carbohydratfasern enthalten, die nach Kontakt mit Flüssigkeit im Gastrointestinaltrakt zu einem Gel quellen. Pektin unterstützt als weiterer Inhaltsstoff diese Gelbildung. Die nach oraler Einnahme entstandene hochviskose Flüssigkeit soll die Schleimhaut des GI-Traktes schützen, aber auch gegen einen entzündeten Hals oder das Reizdarmsyndrom wirksam sein. Auf Grund seiner gelbildenden Eigenschaften soll Nopal jedoch vor allem die Absorption von Fetten und Zucker aus der Nahrung verringern (9). Darüber hinaus wird Nopal wegen seiner adsorptiven Eigenschaften auch bei Diarrhöen empfohlen. Adstringierende Eigenschaften sollen schließlich für eine topische Anwendung beispielsweise bei Verbrennungen, Verletzungen oder Sonnenbrand gut sein. Im Hinblick auf eine mögliche antidiabetische Wirksamkeit wird auch über eine Steigerung der Insulinsensitivität spekuliert (10, 11).
Effekte auf Cholesterin und Glucose
In drei kleinen klinischen Untersuchungen gingen Forscher dem postulierten blutzuckersenkenden Effekt von Nopal nach (12). Zum einen nahmen zehn Patienten mit Diabetes mellitus in einem Crossover-Design jeweils 30 Kapseln einer Nopalzubereitung sowie Placebo in kurzer Abfolge ein. Die Serumglucose-Werte wurden jeweils über drei Stunden gemessen. Zum anderen wurde bei zehn klinisch gesunden Probanden ein oraler Glucosetoleranztest vorgenommen, nachdem diese zuvor 30 Nopal- oder Placebokapseln eingenommen hatten. In einer einfach verblindeten Crossover-Studie erhielten schließlich 14 diabetische Patienten und fünf Probanden über eine Woche jeweils zehn Nopal- oder Placebokapseln dreimal täglich anstelle ihrer Therapie mit oralen Antidiabetika. Dabei wurden Serumglucose-, Cholesterin- und Triglyceridspiegel vor und nach der Behandlungswoche gemessen.
In der Probanden-Gruppe verursachten Nopal-Kapseln keine Hypoglykämien und beeinflussten den oralen Glucosetoleranztest nicht. Während bei Diabetikern unter Placebo Serumglucose-, Cholesterin- und Triglyceridspiegel stiegen, blieben diese unter dem Kaktusprodukt stabil. Bei Gesunden veränderte Nopal die Blutglucosespiegel nicht, während Cholesterin und Triglyceride abnahmen (p < 0,01 versus Placebo). Die Einnahme von täglich 30 Nopal-Kapseln senkte bei Patienten mit Diabetes mellitus zwar in geringem Maß die Blutglucose- und Cholesterinwerte. Nicht zuletzt wegen der unpraktikablen Dosierung empfehlen die Autoren Nopalkapseln allerdings nicht zur Behandlung eines manifesten oder latenten Diabetes mellitus.
Nur bei Diabetes wirksam
Noch eine weitere Studie beleuchtete den akuten hypoglykämischen Effekt von Nopal bei diabetischen Patienten und klinisch gesunden Freiwilligen (8). Hier wurden 500 g eines Nopalstammes (Opuntia streptacantha) jeweils 14 Probanden und Patienten mit Typ-2-Diabetes gegeben. Serumglucose- und Insulinspiegel wurden 0, 60, 120 und 180 Minuten nach Nopalgabe untersucht, wobei die Einnahme von 400 ml Wasser als Kontrolle diente. Verglichen mit den Basalwerten reduzierte Nopal in der Diabetes-Gruppe nach 180 Minuten die Serumglucose- (n = 14) und Insulinkonzentrationen (n = 7) signifikant (p < 0,001). Bei den Gesunden wurden keine Veränderungen festgestellt. Akute blutzuckersenkende Effekte von Nopal waren demnach nur bei Patienten mit Diabetes, nicht jedoch bei gesunden Probanden zu erkennen.
Wirkung ist dosisabhängig
Eine ältere Publikation beschreibt die Dosis-Wirkungs-Beziehung eines möglichen blutzuckersenkenden Effekts an acht Patienten mit Typ-2-Diabetes (13). Diese erhielten entweder a) 400 ml Wasser (Placebo), b) 100 g, c) 300 g oder d) 500 g eines Opuntia-Stammes. Serumglucosespiegel wurden nach 0, 60, 120 und 180 Minuten gemessen. Die maximale Abnahme der Serumglucose beobachteten die Studienleiter nach 180 Minuten und zwar mit Abnahmen von a) 2,3 (nicht signifikant), b) 10,0 (p < 0,05), c) 30,1 (p < 0,001) und d) 46,7 mg/dl (p < 0,001). Damit korrelierte die Dosis direkt mit dem antidiabetischen Effekt.
Wiederholung lohnt sich nicht
In drei Tests mit acht Typ-2-Diabetikern und sechs gesunden Probanden wurde untersucht, ob eine wiederholte Gabe von Opuntia streptacantha die hypoglykämische Wirkung verstärken kann (9). Im Fall A nahmen die Studienteilnehmer im Abstand von zwei Stunden zweimal 500 g eines Nopalstammes ein. Im Fall B erhielten sie nur die Initialdosis, im Fall C lediglich Wasser als Kontrolle. Serumglucosewerte und C-Peptid – das in äquimolaren Mengen neben Insulin aus Proinsulin freigesetzt wird und daher ein Marker für die Insulinausschüttung ist – wurden bis sechs Stunden nach Beginn alle zwei Stunden gemessen.
Bei den Patienten mit Diabetes nahm der Serumglucosespiegel auf 41 bis 46 Prozent unter den Ausgangwerten und im Vergleich zur Kontrolle signifikant ab (p < 0,01). Zwischen den Versuchsanordnungen A und B ergaben sich keine Unterschiede. Der Spiegel an C-Peptid war in keinem Fall verändert. Bei den Probanden waren in Bezug auf Serumblutglucose und C-Peptid keinerlei Unterschiede in den Testserien zu verzeichnen. Eine zweite Dosierung von Opuntia streptacantha konnte die blutzuckersenkende Wirkung somit nicht verbessern.
Blutzuckersenkende Phytotherapien
Ein systematischer Review, der 108 Studien mit 36 Pflanzen (Monopräparate oder Kombinationen) und neun Vitamin-Mineralstoff-Supplementen berücksichtigt, untersuchte Wirksamkeit und Sicherheit dieser Therapien zur Glucosekontrolle bei Patienten mit Diabetes (14, siehe Tabelle). Insgesamt waren 4565 Patienten mit Diabetes oder mit beeinträchtigter Glucosetoleranz in die Studien eingeschlossen, wobei Patienten mit Typ-2-Diabetes überwogen. Die Heterogenität und die geringe Anzahl der Studien für die Supplementierung schloss eine systematische Meta-Analyse aus.
Tabelle: Übersicht über die in (14) bewerteten Studien mit Nopal
DesignPatienten Studienmedikation (Verum)KontrolleErgebnis UAWReferenz Offen, crossover 14 DM-T-2, Diät oder AntidiabetikumDM-T-2: Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2
44 der 58 kontrollierten Studien (76 Prozent) belegten einen blutzuckersenkenden Effekt der eingesetzten Therapien, die nur von sehr geringen Nebenwirkungen begleitet wurden. Aus dieser Meta-Analyse lässt sich jedoch keine ausreichende Evidenz ableiten, um die Wirksamkeit von speziellen Pflanzen oder Supplementen für Diabetes abschließend bewerten zu können. Mögliche positive Effekte lassen sich besonders sich für Coccinia indica und den Amerikanischen Ginseng erkennen. Chrom ist das am meisten untersuchte Supplement. Andere Supplemente mit positiven Anhaltspunkten enthalten Nopal, Aloe vera, Gymnema silvestre, Vanadium oder Momordica charantia. Für Nopal vergeben die Autoren den Evidenzgrad III beziehungsweise C, das heißt Evidenz auf Grund gut angelegter, nicht experimenteller, deskriptiver Studien (wie Vergleichs-, Korrelations-, Fall-Kontrollstudien) (15).
Bewertendes Fazit
Trotz einiger Anhaltspunkte, die für blutzucker- und lipidsenkende Eigenschaften von Nopal sprechen, ist derzeit eine therapeutische Anwendung bei Diabetes mellitus außerhalb von klinischen Studien aus folgenden Gründen nicht zu empfehlen:
Weitere wissenschaftliche Untersuchungen erscheinen lohnenswert, aber auch notwendig, um den therapeutischen Stellenwert nach wissenschaftlichen Kriterien beurteilen zu können. Inwieweit aus Nopal zubereitete Speisen als Bestandteil einer gesunden Ernährung empfohlen werden können, ist derzeit nicht zu beantworten. Bei Verzehr großer Mengen ist aber insbesondere bei Patienten mit Diabetes Vorsicht angebracht. Auf jeden Fall sprechen zahlreiche mexikanische Rezepte dafür, dass Nopal-Gerichte recht schmackhaft sein können – und schöne Zierpflanzen sind Opuntien auf jeden Fall.
Literatur
Nopal lindert den „Kater“ Für einen Alkohol-Hangover sind unter anderem Entzündungsprozesse verantwortlich. Da Nopal antientzündliche Effekte besitzen soll, wurde in einer doppelblinden placebokontrollierten Crossover-Studie an 64 freiwilligen jungen Probanden untersucht, ob die Gabe eines Opuntia-ficus-Extrakts fünf Stunden vor exzessivem Alkoholkonsum einen Einfluss auf den Alkohol-Hangover hat. Während vier Stunden konsumierten die Probanden bis zu 1,75 g Alkohol pro Kilogramm Körpergewicht. Die Schwere des Hangovers bewertete das Studienteam anhand von Symptomen und der Gesamtbefindlichkeit und nahm zudem Blut- und Urinproben von den Freiwilligen. 55 Probanden schlossen die Studie ab.
Drei der neun Symptome – Übelkeit, trockener Mund und Appetitlosigkeit – wurden durch den Extrakt gebessert (p < 0,05). Ebenso reduzierte Nopal das Risiko eines schweren Alkohol-Hangovers (p = 0,02). C-reaktives Protein, ein mit der Schwere des Hangover korrelierender Entzündungsmarker, war unter Verum um 40 Prozent geringer als unter Placebo. Allerdings wird in der Studie nicht beschrieben, dass der Extrakt den Alkoholabbau beeinflusst. Auf Grund dieser kleinen Untersuchung ist eine Einnahmeempfehlung zur Vorbeugung eines „Katers“ unseres Erachtens nicht gerechtfertigt.
Quelle: Wiese, J., et al., Effect of Opuntia ficus indica on Symptoms of the Alcohol Hangover. Arch. Intern. Med. 164 (2004) 1334 - 1340.
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