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Der Club der noblen Denker

12.07.1999  00:00 Uhr

-PharmazieGovi-Verlag

Der Club der noblen Denker

von Ulrich Brunner, Lindau

Stolz sind die Lindauer auf ihre Tagung. Und das zurecht: Seit fast 50 Jahren lockt das Organisationskomitee die wohl berühmtesten Wissenschaftler der Welt an den See. Zur 49. Tagung vom 27. Juni bis 2. Juli kamen 16 Preisträger, vornehmlich aus den Bereichen Medizin und Physiologie, darunter auch fünf Deutsche.

Als "unnachahmlich offen" bezeichnete der bayerische Justizminister Alfred Sauter die Atmosphäre der Nobelpreisträgertagung in seien Grußworten zur Eröffnung. In Lindau greife keine fachliche und menschliche Enge um sich, wie es sonst so oft passiere, wenn Fachleute unter sich sind. Maßgeblich verantwortlich für diese ungezwungene und lockere Stimmung war sicherlich die gelungene Mischung des Publikums. Wie schon in den Vorjahren hatte das Kuratorium unter Vorsitz der Gräfin Sonja Bernadotte 400 Studenten, Stipendiaten und Nachwuchswissenschaftler aus 25 Ländern eingeladen. Die Preisträger referierten jeweils vormittags über ihre Arbeitsschwerpunkte um dann nachmittags dem jungen Fachpublikum in Diskussionsforen Rede und Antwort zu stehen.

Die Tagung diene vor allem dem Dialog der Generationen. Die jungen Menschen sollten von der Faszination der Wissenschaft und dem Durst nach mehr Wissen angesteckt werden, betonten die Laureaten immer wieder. "Knöpfen sie sich uns vor", munterte der 80jährige Chirurg Joseph Murray aus Wellesly Hills, USA, in seinem Eröffnungsreferat das Auditorium auf. Eher auf die heitere Art beschrieb es der englische Chemiker Max Perutz in seiner traditionellen Maikäferrede bei der Rundfahrt auf dem Bodensee: Wie die Mona Lisa, sei auch er ein beliebtes Fotomotiv. Je öfter er nach Lindau käme, desto häufiger wollten die Studenten mit ihm aufs Bild. "Ich fühle mich wie Mona Lisa. Zwar nicht ganz so hübsch, aber genauso gefragt."

Joseph E. Murray

1954 gelingt dem amerikanischen Chirurgen Professor Dr. Joseph E. Murray die erste Nierentransplantation. Er überträgt das Organ zwischen zwei eineiigen Zwillingen. Das Zwillingspaar erfreue sich noch heute bester Gesundheit und die beiden Frauen seien damit weltweit die längstlebenden Nierentransplantierten, berichtete der Mediziner in seinem Referat zur Rolle des Chirurgen im wissenschaftlichen Fortschritt.

Alles Wissen sei grundlegend, ob es am Krankenbett oder am Labortisch entstehe. Deshalb könnten nicht nur die Grundlagenarbeiten als "reine und höherstehende Forschung" bezeichnet werden, mahnte Murray in Lindau. Wissenschaft und dessen Anwendung hingen zusammen wie die Frucht und der Baum, der sie getragen hat. Für seine bahnbrechenden Leistungen auf dem Gebiet der Organ- und Zelltransplantation erhielt der Amerikaner 1990 den Nobelpreis für Medizin.

Rolf Zinkernagel und Peter Doherty

Zum ersten Mal kamen der schweizer Mediziner, Molekularbiologe und Immunologe Professor Rolf Zinkernagel und der Mediziner Professor Peter Doherty, Memphis (USA) zur Nobelpreisträgertagung. Beide beschäftigen sich seit Beginn der siebziger Jahre mit Infektionskrankheiten und der zellulären Immunabwehr. In ihren Vorträgen berichteten Zinkernagel und Doherty, wie Tumorzellen das körpereigene Immunsystem überrumpeln. In Untersuchungen konnten sie zeigen, daß der Körper nur auf Krebszellen reagiert, wenn diese in das Lymphsystem gelangen. Damit seien die Lymphknoten der Schlüssel bei der Tumorgenese. Kanzerogene Zellen oder Antigene, die das Lymphsystem jedoch umgingen, oder sich nur in festem Gewebe ausbreiteten, würden vom Körper nicht erkannt und lösten dann Krebs aus.

Zinkernagel und Doherty entdeckten, daß T-Zellen nicht nur einen Virus erkennen, sondern auch als Killerzellen infizierte Zellen zerstören können und erhielten dafür 1996 gemeinsam den Medizin-Nobelpreis. Das Geschäft sei aber bei weitem noch nicht fertig. "Wir wissen über das Immunsystem fast nichts", sagte Zinkernagel.

Robert Huber

"Die Natur spielt mit den ihr zur Verfügung stehenden Molekülen und bringt dabei erstaunliches hervor." In seinem Vortrag beschrieb der Chemiker Professor Robert Huber, der bereits seit 1972 das Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München leitet, welche enorme Vielfalt an Proteinasen verschiedene Organismen im Laufe der Evolution entwickelt haben. Heute könnten Wissenschaftler dank kristallographischer Untersuchungen deren Struktur aufklären, und dann spezifische Inhibitoren entwickeln. Insbesondere ging Huber auf die Enzymgruppe der Metallomatrixproteinasen ein. Sei deren physiologisches Gleichgewicht gestört, könnten diese Proteinasen gefährliche Krankheiten auslösen.

1988 wurde Huber und seinen Kollegen Johann Deisendorfer und Hartmut Michel der Nobelpreis für Chemie verliehen. Sie hatten die dreidimensionale Struktur eines Proteinkomplexes in der Zellmembran aufgeklärt, der an der Photosynthese beteiligt ist.

Erwin Neher und Bert Sakmann

Nervenendigungen des selben corticalen Neurons können an den Synapsen unterschiedlicher Zielzellen sowohl eine Depression, als auch eine Bahnung bedingen. In Untersuchungen fand der Göttinger Physiologen Professor Erwin Neher heraus, daß der Abstand der Calcium-freisetzenden Vesikel zu den Calciumkanälen entscheidend ist. Liegen die Kanäle relativ nah neben den Viskeln, können die Ionen leichter durch den Kanal diffundieren. Ist der Abstand jedoch größer, können in den Zellen enthaltene Verbindungen die Ionen abfangen und die Reizweiterleitung bleibt aus, berichtete er in seinem Vortrag. Neher erkärt sich so die mal bahnenden und dann hemmende Reizweiterleitung in den Neuronen, durch die das Gehirn in der Lage ist, gewisse Signale auszufiltern, andere dagegen zu verstärken.

Der Heidelberger Mediziner Professor Bert Sakmann stellte in Lindau ein neues Modell vor, mit dem er an verschiedenen Bereichen einer Pyramidenzelle die Reizleitung messen kann. Pyramidenzellen in der sogeannten Schicht 5 der Hirnrinde können gleichzeitig elektrische Signale in verschiedenen Hirnschichten erkennen und weiterverarbeiten. Der zelluläre Mechanismus der gleichzeitigen Detektion könnte erklären, warum das Gehirn in der Lage ist simultane Sinneseindrücke parallel zu verarbeiten, so Sakmann.

Bereits in den achtziger Jahren entwickelten Neher und Sakmann die Patch-Clamp-Technik. Bei diesem Verfahren wird ein winziger Membranabschnitt einer Nervenzelle in eine Glaselektrode gesogen und dann das Potential spannungsabhängiger Ionenkanäle in diesem Bereich gemessen. Die Forscher erhielten dafür 1991 den Nobelpreis für Medizin.

Sir Andrew Huxley

Knapp dreißig Jahre früher (1963) ging der Preis an den englischen Physiologen Professor Sir Andrew Huxley. Ihm gelang es gemeinsam mit Allan L. Hodgkin schon 1939, erstmals Aktionspotentiale von Nervenfasern abzuleiten und darzustellen. Nach dem Krieg entwickelten die Forscher eine biophysikalische Meßmethode, um den Ionenaustausch an Nervenzellmembranen und elektrische Membraneigenschaften zu registrieren. Damit zeigten sie, daß die Reize durch Ionenverschiebungen an den Membranen ausgelöst und weitergeleitet werden.

Edmond H. Fischer

Die Enzymgruppe der Kinasen überträgt Phosphatreste auf Proteine und ist damit an diversen Steuerungsprozessen in der Zelle beteiligt. Diese Phosphatreste können dann von Phosphatasen wieder abgespalten werden. Solche Enzyme seien aber nicht nur simple "Abspalter", stellte Professor Dr. Edmond H. Fischer von der Washington-University in Seattle in seinem Vortrag klar. Phosphatasen wirkten auch direkt hemmend oder aktivierend auf die Kinasen. Dabei sei nicht nur die katalytische Aktivität des Enzyms für die Regulierung entscheidend, sondern vielmehr spezielle Genabschnitte, die an- oder abgeschaltet werden, so Wissenschaftler.

Fischer teilte sich den Medizin-Nobelpreis 1992 gemeinsam mit Edwin Krebs. Beide hatten seinerzeit erstmalig die reversible Proteinphosphorylierung als entscheidenden biologischen Regulierungsmechanismus beschrieben.

Andrew Schally

Er war an der Entwicklung synthetischer LH-RH-Analoga wie Cetrorelix maßgeblich beteiligt. Professor Andrew Schally, der heute in New Orleans (USA) lebt, beschrieb schon in den sechziger Jahren die Regulationsprozesse zwischen Hypophyse, Hypothalamus und peripheren Organen. Gemeinsam mit Roger Guillemin erhielt er dafür 1977 den Nobelpreis für Medizin. Heute bereichern die LH-RH-Agonisten sowie spezifische Antagonisten die Krebstherapie. Schally empfahl in seinem Referat die Antagonisten zur Behandlung gutartiger gynäkologischer Erkrankungen und der gutartigen Prostatahyperplasie. Bei fortgeschrittenem androgen-abhängigen Prostatakrebs setzten Medizner bislang noch LH-RH-Agonisten in Depotform ein. Inzwischen habe man aber auch Antagonisten wie Cetrorelix erfolgreich getestet. Wahrscheinlich sei die Gabe von Antagonisten auch bei Brustkrebs, sowie Eierstock- und Uteruskrebs besser geeignet, betonte Schally. Einen weiteren Fortschritt für die Onkologie verspricht sich der Chemiker von zytotoxischen LH-RH-Analoga.

Ivar Giaver

Richtig musizieren ließ der Physiker Professor Ivar Giaver, Troy (USA), Zellkuturen und spielte seinem Auditorium eine Kostprobe aus dem Repertoire der Krebszellen vor. Er züchtete Zellkulturen auf kleinen Goldfilmelektroden und bestimmte dann bei Stromstärken von 1 mA deren Widerstand. Die Zellen breiten sich zunächst auf der Elektrode aus. Als gute Isolatoren zwingen sie den Strom unter oder zwischen sich hindurch, was zu Impendanzschwankungen führt, die man sicht- und hörbar machen kann. Diese Schwankungen geben Auskunft über die Zellmotilität und indirekt über den Stoffwechsel, beschrieb Giaever. "Wir können so Veränderungen in Echtzeit messen, und zwar äußerst empfindlich." Einsatzmöglichkeiten für das sogeannte ECIS-Verfahren sieht der Forscher bei In-vitro-Untersuchungen zur Toxikologie, Pharmakologie neuer Arzneistoffe, aber auch für die Analytik.

Der gebürtige Norweger Giaever beschäftigte sich erst seit den siebziger Jahren mit biologischen Problemstellungen. Den Nobelpreis für Physik erhielt er bereits 1973 zusammen mit Leo Esaki und B. Josephson. Mit Experimenten beschrieb der Physiker, wie thermisch angeregte Elektorden dünne Isolatorschichten aus Metalloxid durchdringen.

Walter Gilbert

Gemeinsam mit den Biochemikern Frederick Sanger aus Großbritannien entwickelte der Physiker und Molekularbiologe Professor Walter Gilbert ein Verfahren, um die Postition und Reihenfolge von Nukleotiden auf der DNA zu bestimmen. Mit Restriktionsenzymen zerschnitten sie die DNA-Helix in kleinere Stücke, markierten die Enden radioaktiv. Nach weiterer Zerlegung und chemischem Abbau waren sie dann in der Lage, die exakte Lage jedes einzelnen Nukleotids zu definieren. Heute kann die Postition von Genen auf der DNA dank dieser Methode sicher analysiert werden. Das Nobelkomitee belohnte diesen Durchbruch in der Molekularbiologie 1980 mit dem Preis für Chemie. Gilbert teilte sich die Auszeichnung mit Frederick Sanger (GB) und Paul Berg (USA).

In seinem Vortrag in Lindau warnte Gilbert vor einer regelrechten "Informationsexplosion". Schon heute widmete sich mehr als 1 Prozent der Bevölkerung der Wissenschaft. Dadurch jage eine neue Erkenntnis die andere, und kaum ein Mensch sei heute noch in der Lage, alle Wissensgebiete zu überschauen. "Früher war Information experimentell begründet, heute wird sie experimentell angegangen."

Max Ferdinand Perutz

Nur dem Kraftakt einer internationalen Kooperation von 61 Forscher an acht Universitäten sei es zu verdanken, daß heute die Struktur des Gens aufgeklärt ist, das die Stoffwechselkrankheit Korea Huntington bedingt, berichtete der 80jährige Forscher aus dem englischen Cambridge. Damals entdeckten die Wissenschaftler ein Gen, das für ein Protein aus 3140 Aminosäuren codiert. Perutz fand in dem Protein eine lange Kette aneinandergereihter Glutamine und brachte sie mit der Krankheit in Verbindung. Die lange Glutaminkette lagert sich wie ein Reißverschluß aneinander und sorgt so für regelrechte Proteinklumpen im Zellkern von Hirnzellen. Sein Postulat, die Zahl der Glutaminwiederholungen korreliere mit Wahrscheinlichkeit der Huntington-Krankheit, gilt heute als bestätigt. Inzwischen bringe man sieben weitere Erbkrankheiten mit Glutaminwiederholungen in Verbindung,. "Herauszufinden, wie wir diese Aggregationen verhindern können, ist eine lohnende Aufgabe für junge Wissenschaftler", motivierte Perutz den Nachwuchs in seinem Referat.

Perutz, der älteste in Lindau anwesende Laureat, wurde 1962 zusammen mit John C. Kendrew mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Die Forscher hatten die Struktur des Hämoglobin-Moleküls aufgeklärt.

Hamilton Othanel Smith

Im Jahr 2001 wollen die Mitarbeiter des amerikanischen Unternehmens Celera das menschliche Genom vollständig aufgeklärt haben und damit dem Human Genom Project der staatlichen Behörden NIH (National Institut of Health) und DOE (Department of Energy) ein Schnippchen schlagen. Die Firma betreibe das größte Sequenzierungslabor der Welt, berichtete Smith. Zur Zeit noch 80, sollen bald 300 Maschinen rund um die Uhr arbeiten und täglich die Sequenzen von 100 Millionen Basenpaaren liefern. Die Datenflut bewältige dann ein Großrechner mit 15 Terrabyte Speicherkapazität. (Die Homepage www.ncbi.nlm.nih.gov informiert tagesaktuell über den Stand des Humanen Genom Projekts.)

Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Genomsequenzierung dürften uns aber noch bevorstehen, sagte Smith. Nur 40 Prozent aller Gene konnten Forscher bislang eine spezifische Funktion zuordnen. Neben einer Grundausstattung ergänze das Genom aber vielleicht auch ein Repertoire an Genen, mit denen der Organismus auf Umweltveränderungen reagieren kann.

Schon in den siebziger Jahren entdeckte der Mediziner gemeinsam mit Ann Arbor und Daniel Nathans spezielle Restriktionsenzyme, die bestimmte DNA-Nukleotidsequenzen erkennen und dort den Strang zerschneiden. Dafür erhielt das Team 1978 den Nobelpreis für Medizin.

Eric F. Wieschaus

Die Fruchtfliege Drosophila melanogaster begleitet den Biologen Professor Eric Wieschaus aus Princeton, USA, seit Jahrzehnten. Gerade an frühen embryonalen Entwicklungsstadien der Fruchfliege ließe sich die Keimentwicklung optimal verfolgen, beschrieb der Forscher. Veränderungen der Zygote liefen im Minutentakt ab, seien leicht reproduzierbar und lokal isoliert. "Man sieht, wo die Mitose abläuft, und kann so die Genetik gut studieren", berichtete Wieschaus in seinem Vortrag. Genau zu beobachten, sei dabei das A und O für erfolgreiche die Forschungsarbeit. "Ihr Gehirn und ihre Augen leisten mehr, als jedes Werkzeug im Labor", so seine Botschaft an die jungen Forscher.

Für seine Studien früher embryonaler Stadien erhielt Wieschaus gemeinsam mit Christiane Nüsslein-Volhard und dem 30 Jahre älteren Genetiker Edward B. Lewis 1995 den Medizinnobelpreis.

Das Erbe Alfred Nobels

Seit 1901 zeichnet das Nobelkomitee herausragende Arbeiten aus den Bereichen Physik, Chemie, Physiologie und Medizin, Literatur und Frieden mit dem Nobelpreis aus. Die wahrscheinlich bedeutendste Auszeichnung der Welt setzte der 1896 verstorbene Erfinder und Industrielle Alfred Nobel in seinem Testament fest. Die Zeremonie der Preisverleihung findet alljährlich zum Todestag Nobels am 10. Dezember in Stockholm und Oslo (Friedenspreis) statt. Seit 1969 ergänzt ein Nobelpreis für Ökonomie, initiiert von der Schwedischen Reichsbank, die Palette der Auszeichnungen.

Inzwischen können Interessierte auch ein virtuelles Museum der Nobelstiftung besuchen. Die Homepage http://www.nobel.de informiert über die Zeremonie der Preisverleihung, das Erbe Nobels und stellt alle Preisträger seit 1901 vor.Top

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