Orale fluorierte Pyrimidine |
21.06.1999 00:00 Uhr |
Der Fluoropyrimidinantimetabolit Fluorouracil (5-FU) ist bis heute die am meisten beschriebene und verwendete Substanz zur Behandlung von Kolorektalkarzinomen, und das sowohl in der adjuvanten Chemotherapie bei Hochrisikopatienten nach Operation als auch in der Palliativmedizin bei Patienten mit bereits metastasierender Erkrankung.
Die Standardtherapie mit 5-Fluorouracil verzögert die Zeit bis zur Progression und verlängert die Überlebenszeit. Wissenschaftler untersuchten bereits diverse Regime mit intravenös appliziertem 5-FU. In vorklinischen und klinischen Untersuchungen konnte gezeigt werden, daß die biochemische Modulation mit Calciumfolinat zu höheren Ansprechraten führt. Neuerdings hat sich die kontinuierliche Infusion durch nachgewiesene Erhöhung der Wirksamkeit und kalkulierbare Toxizität als die bevorzugte Verabreichungsmethode herauskristallisiert. Bereits in den 70er Jahren begann die Erforschung von peroral applizierbaren 5-FU-Prodrugs, die eine kontinuierliche i.v.-Applikation nachahmen und diese möglicherweise ersetzen können. Durch lange und kontinuierlich hohe Plasmaspiegel ohne Spitzenkonzentrationen können bekannte Nebenwirkungen wie Diarrhöe, Mukositis und Neutropenie, die nach 5-FU-Bolusgaben häufig auftreten, eingedämmt werden.
In Japan werden die peroralen Arzneiformen bereits häufig eingesetzt und befinden sich jetzt auch in den Vereinigten Staaten in vorklinischen und klinischen Untersuchungen. Dabei handelt es sich einerseits um Substanzen, die durch eine Hemmung des Enzyms Dihydropyrimidin-Dehydrogenase den Abbau von 5-FU hemmen, andererseits um Prodrugs, die erst im Tumor und weniger im gesunden Gewebe zur eigentlichen zytotoxischen Wirksubstanz metabolisiert werden und dadurch eine gewisse Tumorselektivität besitzen.
Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD) ist das Schlüsselenzym bei der Regulation der 5-FU-Katabolisierung und damit verantwortlicher Faktor für dessen Bioverfügbarkeit. Unterschiedliche pharmakokinetische Daten des 5-FU, wie die Halbwertszeit und Clearance sind direkt auf die unterschiedlichen Bioverfügbarkeiten von DPD zurückzuführen. Auch die circadiane Bioverfügbarkeit von 5-FU ist abhängig von der des DPD. Vermutlich sind auch unterschiedliche Tumoransprechraten von 5-FU direkt auf unterschiedliche Verfügbarkeiten des DPD zurückzuführen. So resultiert höchstwahrscheinlich eine Tumorresistenz gegen 5-FU aus erhöhten DPD-Spiegel im resistenten Tumor.
Von einer DPD-Hemmung versprichen sich Mediziner eine bessere 5-FU- Bioverfügbarkeit, eine Überwindung der Tumorresistenz und weniger 5-FU- Toxizitäten.
Grundprinzip für den Einsatz der DPD-Inhibitoren ist zunächst eine 5-FU-Quelle, und zwar entweder 5-FU direkt oder ein Prodrug (zum Beispiel Tegafur), das erst durch Umwandlung in 5-FU aktiviert wird. Die DPD-Hemmung führt zu einem verlangsamten Abbau von 5-FU und erhöhten Plasmaspiegeln, wodurch eine protrahierte Dauerinfusion nachgeahmt wird.
Tegafur und Uracil
UFT ist ein antineoplastischer Wirkstoff vom Typ der Antimetaboliten, der Tegafur und Uracil im molaren Verhältnis von 1:4 enthält. Das antineoplastisch wirksame Tegafur (Ftorafur) wurde erstmals 1966 synthetisiert und ist eine Vorläufersubstanz von 5-FU, die in vivo nach und nach in 5-FU umgewandelt wird. Uracil, ein Bestandteil der Nukleinsäure, besitzt selbst keine pharmakologische Aktivität, konkurriert aber mit dem allmählich aus Tegafur gebildeten 5-FU um DPD.
Der Überschuß von Uracil führt zu einem geringeren und verlangsamten Abbau des 5-FU. Die Pharmakokinetik ähnelt der einer Dauerinfusion. Präklinische Studien haben gezeigt, daß die Kombination von Tegafur mit Uracil im molaren Verhältnis von 1:4 den Katabolismus von 5-FU hemmt, die Spiegel dieser antineoplastischen Substanz im Tumor selektiv erhöht und dadurch ihre Wirksamkeit verstärkt.
Tierversuche und Messungen an Patienten bestätigen das 1:4 Verhältnis von Tegafur und Uracil als optimal, um hohe Konzentrationen von 5-FU über längere Zeiträume aufrechtzuerhalten. UFT zeigt antineoplastische Wirksamkeit in der Behandlung von Colon-, Rectal-, Mamma-, Magen-, Kopf/Hals-, Leber-, Gallenblasen-, Gallengang-, Pankreas-, Blasen- und Zervixkarzinomen und ist bisher in Argentinien als UFTâ zugelassen. Im Handelspräparat Orzel® wird UFT kombiniert mit peroralem Leucovorin.
Eniluracil
Eniluracil, ein irreversibler Hemmstoff von DPD, wird peroral in Kombination mit 5-FU angewendet. Normalerweise ist die Resorption von 5-FU aus dem Magen-Darm-Trakt völlig unberechenbar, da die DPD-Spiegel in der gastrointestinalen Mukosa sehr variieren können. Durch die irreversible Hemmung des DPD im Magen-Darm-Trakt kommt es durch die Kombination aber zu einer kontinuierlichen gastrointestinalen 5-FU-Resorption. Die renale Ausscheidung wird darüber hinaus zur überwiegenden Eliminationsroute des 5-FU.
Noch einen Schritt weiter geht eine Entwicklung aus Japan: Bei S-1 handelt es sich um eine Kombination aus Tegafur, CDHP und Kaliumoxonat. Aus Tegafur wird dabei kontinuierlich 5-FU freigesetzt, 5-Chlor-2,4-Dihydroxypyridin (CDHP) hemmt das Enzym DPD, und Kaliumoxonat (Oxo) verringert die Umwandlung von 5-FU zu 5-Fluoro-Uridin-5´-Monophosphat (FUMP) durch die Pyrimidin-Phosphatribosyl-Transferase im Darm, und senkt theoretisch die gastrointestinale Toxizität.
Mit BOF-A2 befindet sich eine weitere Kombination in der Entwicklung. Dabei wird aus dem Prodrug 1-Ethoxymethyl-5-FU (EMFU) kontinuierlich 5-FU freigesetzt. Der Kombinationspartner 3-Cyano-2,6-Dihydropyrimidin (CNDP) ist Hemmstoff des DPD.
Capecitabin
Capecitabin (Xeloda®) gehört zwar in die Gruppe der peroral applizierbaren Prodrugs, die 5-FU freisetzen, ist jedoch kein DPD-Hemmstoff. Die Substanz wird erst im Tumor aktiviert. Dabei wird Capecitabin zunächst zum 5´-Desoxy-5-Fluorocytidin metabolisiert, dann durch eine Deaminase zum Doxifluridincytidin und letztlich durch das Enzym Thymidinphosphorylase zum 5-FU. Thymidinphosphorylase kommt in Tumoren in deutlich höheren Konzentrationen als im normalen Gewebe vor, so daß höhere 5-FU-Konzentrationen im Tumor als im übrigen Gewebe erreicht werden.
In Phase-I-Studien prüfen Wissenschaftler kontinuierliche und intermittierende Schemata, teilweise auch in Kombination mit Leukovorin. Randomisierte Phase-II-Studien haben Responderraten von 21 bis 24 Prozent gezeigt; eine Kombination mit Leukovorin brachte keine Vorteile. Die Zeit bis zur Progression betrug durchschnittlich 4,6 bis 7,7 Monate, wobei beste Ergebnisse mit intermittierenden Schemata erreicht wurden. Als unerwünschte Nebenwirkungen traten Diarrhöe, Übelkeit und das Hand-Fußsyndrom schmerzhafte Schwellungen der Extremitäten - auf.
Weitere Studien zu diesen Fluorouracilderivaten sind sicher noch abzuwarten, um den endgültigen Stellenwert und ihre Effektivität beurteilen zu können. Als potentielle Vorteile gelten jedoch sicher die Bequemlichkeit für den Patienten, größere Schemataflexibilität, weniger Toxizität und damit eine günstigere Begleittherapie. Nachteilig wirken sich dagegen die unwägbare Patientencompliance und die hohen Arzneimittelkosten aus. Außerdem bleibt zu prüfen, inwieweit die Kombinationen mit Irinotecan oder Oxaliplatin zu verbesserten Ansprechraten oder einer Verlängerung der Zeit bis zur Progression führen können.
Ethynyluracil (GW776C85; Eniluracil)von Glaxo Wellcome
S1 von Taiho und Bristol-Myers Squibb
BOF-A2 von Otsuka
Capecitabin ( Xeloda®) ist ebenfalls ein peroral applizierbares Fluoropyrimidin aber kein DPD-Hemmstoff.
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