Bewegliche Schlüssel und Schlösser |
04.06.2001 00:00 Uhr |
PHARMACON MERAN
Die Barrieren, die den Körper vor schädlichen Fremdstoffen schützen, sind auch für niedrig dosierte Arzneistoffe ein unüberwindliches Hindernis. Beim Design neuer Wirkstoffe hat sich daher die "rule of five" bewährt, erklärte Folkers. Die fünf einfachen Regeln geben vor, welche chemischen Eigenschaften ein Molekül aus pharmakokinetischer haben muss, damit es relativ leicht die Barrieren überwinden kann. Der Wirkstoff wird demnach schlecht resorbiert, wenn er mehr als fünf Wasserstoffbrücken-Donatoren sowie mehr als zehn Wasserstoffbrücken- Akzeptoren besitzt, das Molekulargewicht 500 übersteigt und der Verteilungskoeffizient (logP) über 5 liegt. Diese Regeln gelten allerdings nicht für Wirkstoffe, die aktiv in ein Kompartiment transportiert werden.
Aussagekräftiger als der Verteilungskoeffizient ist der Diffusionskoeffizient logD. Er berücksichtigt nicht nur das statische Verteilungsverhältnis eines Wirkstoffs zwischen lipophiler und hydrophiler Phase, sondern auch den jeweils herrschenden pH-Wert. So wird beispielsweise eine Säure, die zunächst den sauren Magen ungeladen passiert, im neutralen Milieu des Dünndarms nicht gut resorbiert, da das geladene Molekül nur schlecht durch die Membran diffundiert. Als Paradebeispiel nannte Folkers das Antirheumatikum Diclofenac. Der Wirkstoff hat bei pH 5,2 einen Diffusionsquotienten von 1,5, bei pH 7,4 liegt dieser Wert jedoch bei 13,4.
Die "rule of five" erfüllen heute über 90 Prozent aller neu entwickelten Arzneistoffe, berichtete der pharmazeutische Chemiker. Bei ihrer Suche nach dem perfekten Kandidaten müssten Forscher aber auch sämtliche Wechselwirkungen des Moleküls mit seinem Target berücksichtigen. Zwar entstünde heute kein neues Arzneimittel mehr ohne solche Erkenntnisse aus den Struktur-Wirkungsbeziehungen, die Interpretation der Strukturen falle aber noch ausgesprochen schwer, schränkte der pharmazeutische Chemiker ein.
Folkers verdeutlichte diesen Sachverhalt am berühmten Schlüssel-Schloss-Prinzip. Sowohl Schlüssel als auch Schloss einer Haustür sind statisch, im Organismus könne jedoch sowohl das Target - also zum Beispiel ein Rezeptor oder Enzym - als auch der Wirkstoff jederzeit seine räumliche Struktur verändern. Als weiteren Aspekt nannte er den so genannten pKa-Shift: Im Inneren eines Proteins herrschen nicht immer die gleichen Bedingungen wie im wässrigen Milieu, auf das sich der pKa bezieht. "Es reicht also nicht, nur auf die Strukturformeln zu schauen. Struktur-Wirkungsbeziehungen sind eben immer abhängig vom Kontext", betonte der Referent.
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