Botox entspannt verkrampfte Muskeln |
24.05.2004 00:00 Uhr |
Das Nervengift Botox könnte eine neue, nichtoperative Option in der Behandlung von Kindern mit Zerebralparese sein, berichten amerikanische Wissenschaftler auf der Jahrestagung der Akademie für Kinderheilkunde in San Francisco.
Botulinumtoxin A ist das stärkste bekannte Bakteriengift. In geringer Dosis ist das vom Bakterium Clostridium botulinum produzierte Nervengift jedoch therapeutisch wirksam. Gezielt in einen Muskel gespritzt, bewirkt es dort eine wochenlang anhaltende Lähmung. Diese lähmende Wirkung wird in Deutschland seit 1996 genutzt, um Patienten mit schmerzhaften Muskelkrämpfen Linderung zu verschaffen, etwa beim Lid-, Halsmuskel- (Schiefhals) und Gesichtsmuskelkrampf.
Neuerdings wird das Nervengift auch bei Kindern mit spastischen Lähmungen eingesetzt. Andrew Koman und seine Kollegen vom Baptist Medical Center der Wake Forest University haben hierzu kürzlich eine Studie abgeschlossen, deren Ergebnisse sie in San Francisco präsentierten.
Die Ärzte injizierten 73 Kindern mit infantiler Zerebralparese eine Spritze Botox® oder ein Placebo in die Muskulatur der oberen Extremitäten. Bereits ein bis zwei Tage nach Verabreichung der Injektion machte sich die Wirkung bemerkbar. Die Muskeln in Armen und Händen entspannten sich und ermöglichten es den Patienten, nach Objekten zu greifen, sich die Zähne zu putzen und sogar Sport zu treiben. Im Vergleich zur Kontrollgruppe verbesserte sich unter Botulinumtoxin die funktionelle Fähigkeit um das Dreifache.
Die Wirkung hielt drei bis sechs Monate an, je nach Schweregrad der Erkrankung. Danach musste die Behandlung wiederholt werden. Einige der jungen Patienten brauchten im Laufe der Zeit immer seltener eine Spritze, die Zwischenräume verlängerten sich und einige benötigten am Ende gar keine Wiederholungsspritzen mehr, berichtete Koman. Zudem sei die Behandlung gut mit anderen Therapien kombinierbar. So könnten die Kinder, wenn sich die Muskeln entspannt haben, mit einer entsprechenden Bewegungstherapie beginnen, um ihre schwachen Muskeln langsam wieder aufzubauen. Nebenwirkungen zeigten sich bis auf leichte Schmerzen an der Einstichstelle keine. „Dies ist eine sichere, selektive und reversible Behandlungsoption, die gut mit anderen Therapien kombinierbar ist“, resümierte Koman.
Bislang werden die Kinder mit infantiler Zerebralparese je nach Schwere des Krankheitsbildes mit einer speziellen Krankengymnastik auf neurologischer Basis sowie mit einer Ess- und Sprachtherapie und medikamentös behandelt. Hier stehen Antispastika, Myotonolytika und Anticholinergika zur Behandlung der spastischen Komponente zur Verfügung sowie Tranquilizer und Psychopharmaka bei begleitenden psychischen Störungen und Unruhezuständen. 20 Prozent der Betroffenen profitieren von operativen Eingriffen wie Sehnenverlängerung, Nervendurchtrennung und Knochenumstellung.
Rund 0,2 Prozent aller geborenen Kinder – in Deutschland etwa 1600 Kinder jährlich – sind von einer Zerebralparese betroffen. Als Folge der Verletzung des zentralen Nervensystems sendet das Gehirn falsche Signale an die Arm- und Beinmuskeln, sodass diese sich versteifen und kontrahieren. Die Spastiken stören komplexe Bewegungsmuster und machen Alltagsaufgaben wie Anziehen und Zähneputzen schwierig, wenn nicht gar unmöglich.
© 2004 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de