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Systemische Enzyme gegen alles und für jeden?

12.05.1997  00:00 Uhr

- Pharmazie

  Govi-Verlag

Systemische Enzyme gegen alles und für jeden?

 

Fauler Zauber, Wundermittel oder wissenschaftlich begründbares Therapieprinzip? Was ist dran am viel diskutierten, zum Teil heftig umstrittenen Einsatz systemisch wirkender Enzyme pflanzlichen oder tierischen Ursprungs? Von den einen gelobt als "fast nebenwirkungsfreie" Therapiealternative bei einem unglaublich erscheinenden Krankheitsspektrum, das von Autoimmunerkrankungen und Entzündungen bis hin zu Tumoren reicht; von den anderen abgetan als unnötige Geldausgabe für den gutgläubigen Patienten. Wer hat recht, Gegner oder Befürworter oder vielleicht beide ein bißchen?

Zunächst zu den Fakten: Enzyme sind Eiweißmoleküle, die die lebensnotwendigen physiologischen Prozesse steuern und an fast allen Stoffwechselvorgängen im Körper beteiligt sind. Die Zahl der menschlichen Enzyme wird auf mehrere Tausend geschätzt, hinsichtlich ihrer Funktion genau identifiziert sind bislang rund 2500. Außerhalb des menschlichen Körpers finden sich hohe Enzymkonzentrationen, beispielsweise pflanzliche Proteasen, unter anderem in frischen Feigen, Ananas oder Papaya.

Bereits in grauer Vorzeit empirisch in der Heilkunde, zum Beispiel zur Wundbehandlung, eingesetzt, werden die Enzyme seit Anfang dieses Jahrhunderts auch wissenschaftlich untersucht. Während im Hinblick auf mögliche Anwendungsgebiete zahlreiche Anhaltspunkte existieren, sind die Wirkmechanismen noch nicht im Detail geklärt. "Auch in puncto Verstoffwechselung und Bioverfügbarkeit besteht noch eine Black-Box", räumte Dr. Rudolf Inderst, Leiter des Arbeitskreis Pro Enzyme (APE), aus München am 26. April bei einem Seminar im Rahmen des 34. DAV-Wirtschaftsforums in Baden-Baden ein. Allerdings gebe es Nachweise für die orale Verfügbarkeit von systemischen Proteasen.

Man geht heute davon aus, daß der Enzymbedarf bei chronischen und akuten Entzündungsprozessen, Verletzungen, Gefäß- und Tumorerkrankungen sowie Virusinfektionen erhöht ist. Das für systemische Enzympräparate postulierte Indikationsspektrum reicht daher von Entzündungen, Autoimmunerkrankungen, Rheuma und viralen Infekten bis hin zu Venen- und Gefäßerkrankungen, Traumen oder Tumoren.

Neueren Erkenntnissen zufolge hätten systemische Enzyme entscheidende Auswirkungen auf die richtige Kommunikation zwischen den körpereigenen Abwehrzellen, führte Inderst aus. In einem Forschungsprojekt an der Universität Heidelberg werde zur Zeit ihr Einfluß auf Adhäsionsmoleküle im Endothel untersucht. Adhäsionsmoleküle sind bei chronischen Erkrankungen in erhöhter Konzentration nachweisbar. Durch Papain, Bromelain oder Trypsin (mit abnehmender Effektivität) ließen sie sich reduzieren, so der Mediziner. Seine Hypothese: Bestätigen sich diese Beobachtungen, könnten bestimmte chronische Erkrankungen vielleicht durch Enzyme geheilt werden.

Enzympräparate wirken in erster Linie antiödematös, erst in zweiter Linie analgetisch, betonte er. Im Tierversuch an gequetschten Rattenpfoten habe sich mit täglich 60mg Bromelain/kg Körpergewicht intraduodenal eine vergleichbare Ödemreduktion erreichen lassen, wie mit 30mg Indometacin, 600mg Acetylsalicylsäure oder 110mg Oxyphenbutazon.

Nur als Begleittherapie

Empfohlen werden Enzympräparate in der Regel als Co-Medikation zur normalen Standardtherapie - nicht als Ersatz für diese, betonte Inderst. Gute Anwendungsmöglichkeiten sieht er bei chronischen Entzündungen im Hals-Nasen-Ohrentrakt: Bei Sinusitiden oder Rhinitiden komme nicht nur die abschwellende Wirkung der Enzyme zum Tragen, sondern auch die ihnen nachgesagte Vehikelfunktion für gleichzeitig angewandte Antibiotika, deren lokale Konzentration am Entzündungsherd sie erhöhen sollen.

Da für Enzyme außerdem eine Verbesserung der Fließeigenschaften des Blutes postuliert wird, sei ihr Einsatz auch bei Venenerkrankungen empfehlenswert - zusätzlich zur Kompressionstherapie. Positive Effekte hätten sich auch bei der Behandlung und Prophylaxe von Sportverletzungen gezeigt. Bei Entzündungen im Harnwegstrakt ist nach seiner Erfahrung der Einsatz dagegen sorgfältig abzuwägen. "Auf keinen Fall bei Glomerulonephritis, Vorsicht bei Niereninfekten", warnte er.

Trotz ihrer allgemein guten Verträglichkeit rät Inderst von einem unkritischen Einsatz der Enzympräparate ab. Auch hier gebe es Risiken und Kontraindikationen zu beachten, allen voran das durch die Zufuhr systemischer Proteasen erhöhte Allergierisiko für prädisponierte Personen. Für Asthmatiker, Atopiker und andere zu Allergien neigende Personen ist die Anwendung von Enzympräparaten daher kontraindiziert. Als Kontraindikationen gelten weiterhin das erste und dritte Schwangerschaftstrimenon, Hämophilie und gerinnungshemmende Therapien (zum Beispiel mit Marcumar), Dialyse oder fortgeschrittene Leber- und Nierenleiden.

PZ-Artikel von Bettina Schwarz, Baden-Baden

Was ist der APE?

"Das Wissen über Enzyme und ihre therapeutischen Einsatzmöglichkeiten voranzubringen, Erfahrungen und Forschungsergebnisse auszutauschen sowie die breite Öffentlichkeit zu informieren", das ist laut Horst H. Wurm, Professor für Kommunikation an der Fachhochschule Mainz und Kaufmännischer Leiter des Arbeitskreis Pro Enzyme (APE), die selbstgesteckte Aufgabe des 1991 gegründeten Interessenverbandes aus Naturwissenschaftlern, Ärzten und Apothekern. Ansprechpartner sind neben den Fachkreisen Patienten und interessierte Laien.

Das Informationsangebot des APE reicht von Beiträgen in Fach- und Publikumsmedien über Vorträge für Laien bis hin zu Seminaren und Fortbildungsveranstaltungen für Heilberufler. "Der APE empfiehlt und verkauft keinerlei Präparate", betonte Wurm. Zu den Zielen für 1997 gehört nach seinen Worten unter anderem eine verstärkte Integration der Apotheke in den Kommunikationsprozeß des APE mit dem Verbraucher. Eine erste Maßnahme auf diesem Weg sei das APE-Seminar beim DAV-Wirtschaftsforum, geplant seien weitere Vorträge bei Regionalverbänden. Darüber hinaus werde kostenlos Informationsmaterial zur Auslage in Apotheken bereitgestellt. Durch den direkten Kontakt zum Kunden in der Apotheke verspreche man sich eine qualitativ hochwertige Aufklärung des Patienten zur Enzymtherapie, so Wurm.

Kostenlose Unterlagen über Enzyme, beispielsweise Verbraucher-Basisbroschüren zu einzelnen Anwendungsgebieten, können über das Infotelefon (089/29160115) oder schriftlich angefordert werden, für Fachleute ist wissenschaftliches Material erhältlich. Unterstützt wird der Arbeitskreis von der Mucos GmbH sowie von zwei Schweizer Herstellerfirmen.

   

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