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Adefovirdipivoxil

19.04.2004  00:00 Uhr
Arzneistoffprofil

Adefovirdipivoxil

von Anja Friederike Hofner*, Maximiliansau

*) unter Mitarbeit von Hartmut Morck, Thilo Bertsche, Martin Schulz, Rolf Thesen und Petra Zagermann-Muncke

Das Nukleotid-Analogon Adefovirdipivoxil (Hepsera®) ist nun seit einem Jahr zur Behandlung der chronischen Hepatitis B in Deutschland zugelassen. Die ursprünglich zur HIV-Therapie entwickelte Substanz hemmt kompetitiv und irreversibel virale DNA-Polymerasen und ist auch bei Lamivudin-Resistenz und bei Patienten mit Mutationen im Precore-Gen wirksam.

Der Begriff Hepatitis umfasst alle hepatozellulären Erkrankungen, die mit einer akuten oder chronischen Entzündung der Leber einhergehen. Die größte Bedeutung haben dabei trotz zahlreicher anderer möglicher Ursachen Virusinfektionen wie etwa mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV) (1). Während die meisten Patienten unter der akute Form der Krankheit leiden, die als vergleichsweise unproblematisch gilt und meist spontan ausheilt, entwickelt sich bei 5 bis 10 Prozent der Erkrankten eine chronische Hepatitis B mit schweren Komplikationen wie Leberfunktionsstörungen, Zirrhosen und Karzinomen. Weltweit gesehen ist die chronische Hepatitis B die Hauptursache für Leberkarzinome und steht mit über 520.000 Toten an zehnter Stelle der häufigsten Todesursachen (2).

Übertragen wird das mehrhüllige DNA-Virus auf parenteralem Weg. Dabei beeinflussen Art und Zeitpunkt der Ansteckung die Chronifizierungswahrscheinlichkeit, die bei perinataler Infektion bei über 90 Prozent liegt, bei Erkrankung im Erwachsenenalter dagegen nur bei etwa 5 Prozent. Serologisch sind für die chronische Hepatitis B das Oberflächenantigen HbsAg und über mehr als sechs Monate im Serum nachweisbare HBV-DNA typisch (2). Zudem ist anfänglich immer ein weiteres Antigen, das Hepatitis-B-Antigen vom Typ e (HBeAg), nachweisbar.

 

Arzneimittelprofil Die flachen, runden Hepsera-Tabletten (Gilead Sciences) sind weiß bis grauweiß mit abgeschrägtem Rand.

Eine Tablette enthält 10 mg Adefovirdipivoxil, entsprechend 5,45 mg Adefovir. Weitere Bestandteile sind vorverkleisterte Stärke, Croscarmellose-Natrium, Laktose, Talkum und Magnesiumstearat.

 

Im Verlauf der Krankheit sinken zunächst die viralen DNA-Spiegel, während gleichzeitig die Aminotransferasen-Spiegel (ALT und AST) ansteigen, die als Marker für die Schädigung der Leberfunktion gelten (immunoaktive Phase). Es folgt die nicht- beziehungsweise niedrig-replikative Phase, in der die Virusreplikation auf einem niedrigen Niveau sistiert. Bei 50 bis 70 Prozent der Patienten kommt es dabei zu einer spontanen Serokonversion zu anti-HBe, entweder durch Ausheilung oder durch die Entstehung e-Antigen-negativer Virusmutanten (1 bis 5 Prozent der Patienten). In diesem Fall kann die Krankheitsaktivität mit einer hohen Virusreplikationsrate wiederaufflammen, ohne dass HBeAg nachweisbar ist. Dementsprechend werden nach dem HBeAg-Status (HBeAg+ oder HBeAg-) zwei Verlaufsformen der chronischen Hepatitis B unterschieden. Bei HBeAg-negativen Patienten treten häufiger stark variierende Verlaufsformen mit schwankenden DNA- und Aminotransferasespiegeln sowie schwere Nekrosen und Zirrhosen auf (2).

Derzeit besteht die Behandlung einer chronischen Hepatitis B in der Gabe von Interferon-a-2a/2b oder von Lamivudin, wobei die Anwendung von Interferon-a durch die subcutane Applikationsart und das Nebenwirkungsprofil eingeschränkt wird. Das Nukleosid-Analogon Lamivudin, das die Virusreplikation hemmt, kann oral verabreicht werden. Allerdings entstehen bei längerer Therapiedauer auf Grund von Mutationen häufig Lamivudin-resistente Virusstämme (bei 30 Prozent der Patienten nach einem Jahr, 50 Prozent nach zwei Jahren, 67 Prozent nach vier Jahren (3)).

Ein Konsensus-Papier der EASL (European Association for the Study of the Liver) empfiehlt bei Patienten mit kompensierter Lebererkrankung zunächst die mehrmonatige Therapie mit Interferon-a, der eine Langzeitbehandlung mit Lamivudin, Adefovir oder einer Kombination aus beiden Substanzen folgen sollte (2). Gefährdete Personen, darunter auch neugeborene Kinder HBV-positiver Mütter, sollten präventiv geimpft werden.

Chemische Klassifikation

Adefovirdipivoxil (9-[2-(Bispivaloyl-oxymethyl-phosphonyl-methoxyethyl]-adenin) gehört zur Substanzklasse der Nukleotid-analogen DNA-Polymerase-Hemmstoffe. Die Substanz ist ein Prodrug von Adefovir, einem azyklischen Analogon von Adenosinmonophosphat, und wurde zugelassen zur systemischen Anwendung als Virustatikum. Der ATC-Code ist J05.

Indikationen und Anwendung

Adefovirdipivoxil dient zur Behandlung der chronischen Hepatitis B bei Erwachsenen mit dekompensierter Lebererkrankung und kompensierter aktiver Lebererkrankung (4). Die Aktivität der Erkrankung wird mithilfe von HBV-DNA-Serumtiter als Nachweis aktiver Virusreplikation, kontinuierlich erhöhten ALT-Werten sowie histologischem Nachweis einer aktiven Leberentzündung und Fibrose belegt.

Unter der Therapie nehmen die Patienten einmal täglich eine Tablette à 10 mg Adefovirdipivoxil peroral ein. Keinesfalls dürfen höhere Dosen angewandt werden. Für Patienten über 65 Jahre liegen bisher keine Dosierungsempfehlungen vor. Bei Niereninsuffizienz wird das Dosierungsintervall verlängert, das heißt, Patienten mit einer Kreatinin-Clearance von 20 bis 49 ml/min erhalten alle zwei Tage eine Tablette, Erkrankte mit einer Kreatinin-Clearance von 10 bis 19 ml/min alle drei Tage. Hämodialyse-Patienten nehmen alle sieben Tage jeweils nach der Dialyse eine Tablette ein. Für Patienten mit einer Kreatinin-Clearance von unter 10 ml/min ohne Hämodialyse liegen keine Daten vor. Eine Dosisanpassung für Leberfunktionsstörungen ist nicht erforderlich.

Die Behandlung ist als Langzeittherapie angelegt und sollte mindestens bis zur Serokonversion erfolgen. Nachgewiesen wird diese mit dem Fehlen des HBe- beziehungsweise HBs-Antigens und der HBV-DNA in zwei aufeinanderfolgenden Serumproben, die in einem Abstand von mindestens drei Monaten entnommen wurden. Bei Wirksamkeitsverlust kann ein Absetzen des Medikaments erwogen werden, was bei Patienten mit dekompensierter Leberkrankheit oder Zirrhose allerdings generell nicht empfohlen wird.

Die Patienten sollten alle sechs Monate auf biochemische, virologische und serologische Hepatitis-B-Marker untersucht werden. Zudem muss bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion oder einer Medikation mit potenziell nierenschädigenden Arzneimitteln die Nierenfunktion engmaschig überwacht werden. Bei Patienten ohne einschlägig erhöhtes Risiko genügt die dreimonatliche Kontrolle von Serumkreatininspiegel und Kreatininclearance. Zirrhose-Patienten müssen während der Behandlung und insbesondere nach einem Absetzen der Medikation gründlich überwacht werden, da spontane Exazerbationen der Erkrankung häufig sind. Bei Anzeichen einer Lactatazidose, wie einem raschen Anstieg der Aminotransferasenwerte, progressiver Hepatomegalie oder erhöhten Serumlactatwerten, vor allem in Zusammenhang mit gastrointestinalen Symptomen wie Bauchschmerzen und Übelkeit, sollte die Behandlung mit Adefovir unterbrochen werden.

Wirkung und Wirkmechanismus

Nach der aktiven Aufnahme von Adefovirdipivoxil in Säugetierzellen werden die Dipivoxil-Gruppen enzymatisch abgespalten und Adefovir zur Wirkform Adefovirdiphosphat phosphoryliert. Der nachfolgende kompetitive Einbau in die DNA anstelle von ATP (Adenosintriphosphat) führt zum Kettenabbruch. Obwohl für die Blockade der humanen DNA-Polymerasen a, b und g eine nur 12-, 700- beziehungsweise 10fach höhere Konzentration nötig ist, wirkt die Substanz genügend selektiv, um praktisch ausschließlich die virale DNA-Synthese zu inhibieren (4). Die intrazelluläre Halbwertszeit von Adefovirdiposphat beträgt bei aktivierten und ruhenden Lymphozyten 12 bis 36 Stunden. Adefovir ist in vitro aktiv gegen Hepadna-Viren, einschließlich aller im Allgemeinen auftretenden Formen Lamivudin-resistenter HB-Viren (4).

Unerwünschte Wirkungen

Die Beurteilung der Nebenwirkungen beruht auf den Daten von 522 im Rahmen der Zulassungsstudien mit 10 mg Adefovirdipivoxil behandelten Patienten (4). Die Therapiedauer betrug bei den Patienten mit chronischer Hepatitis B und kompensierter Lebererkrankung bis zu 109, median 49 Wochen. Die häufigste Nebenwirkung war Asthenie (13 Prozent), häufig (1 bis 10 Prozent) wurde auch über Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Übelkeit, Flatulenz, Diarrhö und Dyspepsie berichtet.

Adefovirdipivoxil verursachte keine klinisch relevanten Laborwert-Abweichungen. Ein leichter bis mäßiger Anstieg des Serumkreatinins trat bei Patienten mit kompensierter Lebererkrankung nur gelegentlich bei längerer Therapiedauer im zweiten Behandlungsjahr auf (2 von 214 Patienten, also < 1 Prozent). Bei beiden Patienten normalisierte sich der Serumkreatininwert von selbst beziehungsweise nach Therapieabbruch. Bei 228 Patienten vor (n = 128) und nach (n = 100) einer Lebertransplantation wurden zusätzlich wesentliche urogenitale Nebenwirkungen berichtet. Neben sehr häufigen (> 10 Prozent) Erhöhungen des Kreatininwertes kam es häufig (1 bis 10 Prozent) zu Niereninsuffizienz und vereinzelt zu Nierenversagen. In der Regel betraf dies Patienten mit mehreren Risikofaktoren hinsichtlich der Nierenfunktion, wie etwa bei gleichzeitiger Einnahme von Ciclosporin und Tacrolimus.

So konnte der Hersteller Gilead auch die ursprüngliche Indikation von Adefovirdipivoxil zur Therapie der HIV-Infektion nicht weiter verfolgen. Die für diese Indikation erforderliche Dosierung von 30 mg täglich erwies sich als zu nephrotoxisch. Generell muss bei Nukleotid-Analoga mit einem erhöhten Risiko für eine Lactatazidose gerechnet werden.

Erwartungsgemäß kam es nach Absetzen der Therapie klinisch zu Exazerbationen der Hepatitis, die anhand von Laborwerten bestätigt wurden. Bei Überdosierung (500 mg täglich über zwei Wochen beziehungsweise 250 mg täglich über zwölf Wochen) traten die oben genannten gastrointestinalen Beschwerden und zudem Erbrechen und Anorexie auf. Im Falle einer Überdosierung sollte der Betroffene auf Anzeichen einer Toxizität beobachtet werden, um gegebenenfalls unterstützende Standardmaßnahmen einzuleiten. Durch Hämodialyse kann Adefovir mit einer medianen Clearance-Rate von 104 ml/min aus dem Organismus entfernt werden (4).

Kontraindikationen

Bei Patienten unter 18 und über 65 Jahren liegen keine Erfahrungen vor, weshalb von einer Anwendung abzuraten ist. Liegt zur HB- eine HIV-Infektion vor, ist zu berücksichtigen, dass Adefovirdipivoxil in höheren Dosen (30 mg/d) antiretroviral wirksam ist, die Tagesdosis von 10 mg für HIV-Infektionen jedoch im subtherapeutischen Bereich liegt und der Wirkstoff nicht zur Behandlung einer HIV-Infektion eingesetzt werden darf. Bisher ist zwar noch keine Entwicklung einer Kreuzresistenz gegen andere antivirale Arzneimittel bekannt, für eine abschließende Beurteilung liegen jedoch nicht genügend Daten vor.

Während der Schwangerschaft muss auf Grund einer im Tierexperiment beobachteten Reproduktionstoxizität (nur bei intravenöser, nicht aber bei oraler Anwendung) eine detaillierte Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen. Da nicht bekannt ist, ob der Wirkstoff in die Muttermilch übergeht, dürfen stillende Mütter Adefovir nicht erhalten.

Wechselwirkungen

Da Adefovirdipivoxil nur sehr wenig an Plasmaproteine gebunden und nicht über Cytochrom-P-450 verstoffwechselt wird, sind relevante pharmakokinetische Wechselwirkungen eher unwahrscheinlich. In Kombination mit Lamivudin, Trimethoprim/Sulfamethoxazol, Paracetamol oder Ibuprofen veränderte sich die Pharmakokinetik dieser Stoffe nicht signifikant. Mit den untersuchten Virustatika Zidovudin, Nelfinavir, Nevirapin, Indinavir, Efavirenz, Delavirdin oder Lamivudin traten bei Einmalgabe einer hohen Dosierung von Adefovirdipivoxil (120 mg/d) keine klinischen Wechselwirkungen auf (5).

Pharmakokinetik

Die Bioverfügbarkeit nach peroraler Applikation einer Dosis von 10 mg liegt bei 59 Prozent. Maximale Plasmaspiegel werden nach Einmalgabe von 10 mg im Mittel nach 1,75 Sunden erreicht, was durch Einnahme zu einer fetthaltigen Mahlzeit ohne Einfluss auf die AUC um zwei Stunden verzögert wird. Die Plasmaproteinbindung liegt unter 4 Prozent. Die höchsten Gewebekonzentrationen wurden in den Nieren, der Leber und in der Darmmukosa nachgewiesen, wo der Wirkstoff aktiv aufgenommen wird.

45 Prozent der Dosis werden in unveränderter Form innerhalb von 24 Stunden renal ausgeschieden, und zwar sowohl per glomerulärer Filtration als auch über aktive tubuläre Sekretion. Die mediane Clearance beträgt beim Nierengesunden 211 ml/min, also etwa das Doppelte der Kreatininclearance. Die biexponentielle Plasmaspiegelabnahme erfolgt mit einer medianen terminalen Eliminations-Halbwertszeit von 7,22 Stunden (4,72 bis 10,70 Stunden). Dass trotzdem nur eine tägliche Applikation nötig ist, liegt an der längeren Halbwertszeit von 12 bis 36 Stunden am Wirkort im Zellinneren. Da die Substanz auch in hohen Dosen nicht über das Cytochrom-P-450–System verstoffwechselt wird, bleiben die pharmakokinetischen Parameter bei Leberfunktionsstörungen unverändert. Bei Niereninsuffizienz sind entsprechend der verringerten renalen Clearance Plasmaspiegelmaxima und AUC erhöht.

Klinische Prüfung

Adefovirdipivoxil wurde in einer dreiarmigen placebokontrollierten Studie bei Patienten mit HBeAg-positiver kompensierter Lebererkrankung untersucht (6), in der jeweils etwa 170 Patienten Placebo, 10 mg oder 30 mg Adefovirdipivoxil erhielten. Primäres Studienziel waren Veränderungen in der Leberhistologie, zu deren Beurteilung Leberbiopsien vor Behandlungsbeginn und nach 48 Therapiewochen entnommen wurden. In den Gewebeproben bestimmten die verblindeten Prüfer der Entzündungsgrad nach dem Knodell-Entzündungs-Score sowie die Fibrosierung anhand der Knodell-Fibrose-Skala. Histologische Besserung, definiert als eine Verbesserung um mindestens zwei Punkte im Entzündungs-Score ohne gleichzeitige Verschlechterung im Fibrose-Score, wurde bei 59 Prozent beziehungsweise 53 Prozent der Verumpatienten, aber nur 25 Prozent der Placebopatienten (p < 0,001) festgestellt.

Als sekundäre Studienendpunkte dienten serologische Parameter der Viruslast. In beiden Verumarmen wurde eine vergleichbare Wirksamkeit bei allen untersuchten Parametern deutlich, während Placebo keine Wirkung zeigte. Die Menge an HBV-DNA im Serum, welche die Anzahl sich aktiv replizierender Viren wiedergibt, konnte im Vergleich zu Placebo um drei bis vier Zehnerpotenzen gesenkt werden (p < 0,001). Bei 39 Prozent der Hochdosispatienten und 21 Prozent der Patienten unter 10 mg Adefovir fiel der HBV-DNA-Wert in 48 Wochen sogar unter die Nachweisgrenze von 400 Kopien/ml, was unter Placebo keinmal geschah (p < 0,001). Zudem kam es bei 14 Prozent und 12 Prozent in den Verumgruppen zur HBe-Ag-Serokonversion, verglichen mit nur 6 Prozent unter Placebo (p < 0,05). Auch die biochemischen Parameter, in diesem Fall die Reduktion der Alanin-Amino-Transferase-Spiegel (ALT, GPT), sanken von ursprünglich median 95 IU/l um 54 beziehungsweise 51 IU/l gegenüber 17 IU/l unter Placebo (p < 0,001).

Die Nebenwirkungen waren in der 10-mg-Gruppe in etwa mit denen im Placeboarm vergleichbar. Lediglich Asthenie (25 versus 19 Prozent) und Durchfall (13 versus 8 Prozent) wurden vermehrt beobachtet. Patienten, die 30 mg Adefovirdipivoxil erhielten, litten darüber hinaus häufiger an Anorexie (10 Prozent) und Pharyngitis (40 Prozent). Zudem stieg der Serumkreatininspiegel um durchschnittlich 18 µmol/l. ALT-Anstiege auf über das Zehnfache des oberen Normwerts waren in beiden Adefovir-Gruppen nur halb so häufig wie bei Placebo (10 versus 19 Prozent), zudem normalisierten sich die ALT-Werte in den Verumgruppen häufiger (55 beziehungsweise 48 versus 16 Prozent).

Um eine Resistenzentwicklung beim Virus abzuschätzen, wurden nach 48 Wochen Mutationen an der Polymerase/reverse-Transkriptase- Domäne der HBV-Polymerase untersucht. Mit 1,6 Prozent entsprach die Mutationshäufigkeit der spontanen Mutationsrate unter Placebo, wobei die Mutanten Adefovir-sensitiv blieben. (6)

Die Wirksamkeit des Nukleotid-Analogons aus den Zweijahresergebnissen zu beurteilen, ist problematisch, da die Behandlungsgruppen nach Ablauf eines Jahres verändert wurden. So wurde die Dosierung von 30 mg wegen der erhöhten Serumkreatininwerte aufgegeben und alle Patienten mit Placebo weiterbehandelt. Die Patienten der anderen Therapiearme wurden erneut randomisiert. Der in den Studienergebnissen ausgewiesene weitere Behandlungserfolg kann insofern nicht eindeutig einer späteren nachhaltigen Wirksamkeit der Substanz zugeordnet werden, da alle mit 10 mg Adefovir behandelten Patienten gemeinsam beschrieben wurden (7).

Eine parallel angelegte Studie mit 185 HBeAg-negativen Patienten (123 erhielten 10 mg Verum, 62 Placebo) kam zu vergleichbaren Ergebnissen (8). Der Unterschied in der DNA-Titersenkung war mit 51 versus 0 Prozent sogar noch ausgeprägter. Die ALT-Spiegel sanken bei 72 Prozent der Verumpatienten, aber nur bei 29 Prozent der Placebopatienten in den Normbereich (p < 0,001) (8). Auch in dieser Studie wurde nach dem ersten Behandlungsjahr von Placebo auf Verum umgestellt und die Verumgruppe randomisiert (9). Dabei zeigte sich, dass Adefovirdipivoxil als Dauertherapie beibehalten werden muss, selbst wenn der HBV-DNA-Titer unter die Nachweisgrenze von 103 Kopien/ml gefallen ist. Denn bei der auf Placebo umgestellten Behandlungsgruppe flammte die Erkrankung wieder auf, wohingegen die ehemaligen Placebopatienten von der Verumbehandlung profitierten. Erfreulicherweise verbesserten sich die Leberhistologie-Werte in der Gruppe der konstant mit Verum behandelten Patienten auch noch im zweiten Behandlungsjahr deutlich (Knodell-Score) (9). Beide Studien werden aktuell als Langzeitbeobachtung bis zu einer fünfjährigen Behandlungsdauer weitergeführt.

Auch bei 324 Lebertransplantations-Patienten mit Lamivudin-resistenten Virus-Stämmen erwies sich die Substanz, die entweder zur bestehenden Lamivudin-Medikation zugesetzt oder als Monotherapie verabreicht wurde, als wirksam. Die durchschnittliche Senkung der Viruslast um vier Zehnerpotenzen war mit histologischen Verbesserungen und erhöhter Überlebenswahrscheinlichkeit assoziiert (3).

Bei HIV-1-infizierten Patienten, die an Lamivudin-resistenter chronischer Hepatitis B als Co-Infektion litten, war in einer offenen Studie mit 35 Patienten die Substanz wirksam, ohne das Ansprechen oder die Verträglichkeit der antiretroviralen Regime zu beeinflussen. Über 48 Wochen konnte die Viruslast um durchschnittlich vier Zehnerpotenzen von 108 auf 104 Kopien HBV-DNA/ml gesenkt werden (10). Im zweiten Behandlungsjahr konnte der Virustiter nochmals um eine Zehnerpotenz reduziert werden, bei 8 der 35 Patienten (23 Prozent) sogar unter die Nachweisgrenze von 102,6 DNA-Kopien/ml (11).

Eine Metaanalyse der durchgeführten Studien auf Resistenzentwicklung ergab, dass von 629 mit Adefovirdipivoxil behandelten genotypisierten Patienten im ersten Jahr keiner und zwei von 124 genotypisierten Patienten (1,6 Prozent) im Laufe des zweiten Behandlungsjahres Adefovir-resistente Mutanten entwickelten, die aber gegenüber Lamivudin sensitiv waren (12). Insgesamt wurden der Substanz in der Dosierung von 10 mg gute Wirksamkeit und Verträglichkeit bescheinigt. Leider fehlt noch ein direkter Vergleich gegen Lamivudin oder Interferon-a, ebenso wie Daten über Langzeiterfahrungen, die aber innerhalb der nächsten beiden Jahre publiziert werden sollen.

 

Wertende Zusammenfassung Adefovirdipivoxil eröffnet eine neue Option in der Therapie der chronischen Hepatitis B, insbesondere bei Lamivudin-resistenten Patienten. Das peroral einzunehmende Arzneimittel zeichnet sich durch hohe und anhaltende Wirksamkeit aus. Histologische Verbesserungen sind auch im zweiten Behandlungsjahr sichtbar, bei einem zweistelligen Prozentsatz der Patienten kam es sogar zur Serokonversion. Beachtlich ist auch, dass zumindest bislang keine relevante Resistenzentwicklung beobachtet wurde. Ob dies durch die flexible azyklische Bindung des Moleküls systematisch bedingt ist oder bei großen Patientenzahlen doch revidiert werden muss, bleibt ebenso abzuwarten wie aussagefähige Langzeitdaten zu Wirksamkeit und Verträglichkeit.

 

Literatur

  1. Thews, Mutschler, Vaupel: Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen, Wiss. Verlagsgesellschaft Stuttgart, 5. Auflage, 1999.
  2. The EASL JURY, Consensus Statement, EASL International Consensus Conference on Hepatitis B. J Hepatol 38 (2003) 533 - 540.
  3. Schiff, E., et al., Safety and efficacy of Adefovirdipivoxil for the treatment of lamivudine resistant HBV in patients post liver transplantation. Hepatology, 34 (2001) 446 A.
  4. Fachinformation Hepsera® 10 mg Tabletten, Gilead Sciences, Cambridge, UK, Stand März 2003.
  5. Kahn, J., et al., Efficacy and Safety of Adefovir Dipivoxil with Antiretroviral Therapy. A Randomized Controlled Trial. JAMA 282 No. 24 (1999) 2305 - 2312.
  6. Marcellin, P., et al., Adefovir Dipivoxil for the Treatment of Hepatitis B e Antigen-positive Chronic Hepatitis B. N Engl J Med, 348 (2003) 808 - 816.
  7. Marcellin, P., et al., Adefovir Dipivoxil 10 mg for the Treatment of Patients with HbeAg+ Chronic Hepatitis B: Continued Efficacy Beyond 48 Weeks. Hepatology 36 (Pt 2) (2002) 373 A
  8. Hadziyannis, S. J., et al., Adefovirdipivoxil for the treatment of hepatitis B e antigen-negative chronic hepatitis B. N Engl J Med 348 (2003) 800 - 807
  9. Hadziyannis, S. J., et al., Two Year Results from a Double-Blind, Randomized, Placebo-Controlled Study of Adefovir Dipivoxil for Presumed Precore Mutant Chronic Hepatitis B (0-96 weeks). Oral presentation at the 38th EASL Congress, Istanbul, Turkey, 2003.
  10. Benhamou, Y., et al., Safety and efficacy of adefovirdipivoxil in patients co-infected with HIV-l and lamivudine-resistant hepatitis B virus: an open-label pilot study. Lancet 358 (2001) 718 - 723.
  11. Benhamou, Y., et al., Safety and efficacy of long-term adefovirdipivoxil for lamivudine-resistant HBV in HIV infected patients. Poster No. 245, EASL Congress, Madrid, Spain, 2002.
  12. Xiong, S., et al., Resistance Surveillance of HbeAg- Chronic Hepatitis B Patients Treated for Two Yeras with Adefovir Dipivoxil. Poster at The 38th EASL Congress, Istanbul, Turkey, 2003. J Hepatol 38 (Supl 2) (2003) 182

 

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