Pharmazeutische Zeitung online

Abgabe von Galega-Präparaten ist fraglich

05.04.2004  00:00 Uhr

Abgabe von Galega-Präparaten ist fraglich

von Stefan Wulle, Braunschweig

Der Geißraute wird nachgesagt, dass sie eine hypoglykämische Wirkung aufweise und insofern sinnvoll bei Diabetes mellitus eingesetzt werden könne. Allerdings ist bislang weder der therapeutische Nutzen noch die Sicherheit einer Anwendung beim Menschen wissenschaftlich belegt.

Im Gegensatz zu anderen Heilpflanzen finden sich in der antiken Literatur keine Hinweise auf die medizinische Verwendung der in Europa verbreiteten Geißraute. Erst im 16. Jahrhundert wird sie erstmalig in den Kräuterbüchern erwähnt (1, 2). Galega wurde zu dieser Zeit bei Schlangenbissen, Fieber oder der Pest sowie als Diuretikum, Diaphoretikum und Galaktagogum angewendet (1, 2, 6). Die häufig zitierte Aussage, dass Galega im mittelalterlichen Europa bei Diabetes mellitus eingesetzt wurde, entbehrt jeder sachlichen Grundlage (3, 4, 5).

Die Droge geriet dann im Laufe der Zeit beinahe in Vergessenheit. Umfassende pharmakognostische Nachschlagewerke des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts berichten lediglich knapp über die Heilpflanze oder enthalten sie bezeichnenderweise gar nicht (6, 7, 8, 9). Lediglich in der Volksheilkunde hatte sie einen gewissen Stellenwert.

Nach der Isolierung des Alkaloids Galegin aus den Samen (durch Charles Tanret 1914) erfuhr die Erforschung der biologischen Wirksamkeit der Geißraute einen bedeutenden Aufschwung. Galegin ist ein Guanidin-Derivat und gilt als wichtigster Inhaltsstoff der Pflanze. Eine Reihe von pharmakologischen und toxikologischen Studien legten die Anwendung des Geißrautenkrautes als unterstützendes Mittel bei Diabetes mellitus nahe (2, 10). Vor allem in den 30er- und 40er-Jahren machte die Droge mit dieser Indikation „von sich reden“. Aber schon zu dieser Zeit gab es auch kritische Stimmen: „Es würde ein großer Rückschritt sein, wenn wir die heute auf großer Höhe befindliche Insulin-Diätbehandlung des Diabetes mellitus durch die Verwendung dieser Droge einzuschränken suchten“ schrieb F. Weiss bereits vor 60 Jahren (11).

Nachfolgende Untersuchungen lieferten zusätzliche Kenntnisse über die Inhaltsstoffe. Neben Galegin sind weitere Guanidin-Derivate, Alkaloide (Peganin), Steroide und Flavonoide isoliert worden (12). Klinische In-vitro-Studien und tierexperimentelle Studien wurden zur Blutglucosesenkung, laktagogen Wirkung, Thrombozytenaggregationshemmung und Gewichtsreduktion durchgeführt.

Widersprüchliche Ergebnisse

Zur besonders interessierenden hypoglykämischen Wirkung sind widersprüchliche Ergebnisse veröffentlicht worden: Trockenextrakte, die mit verschiedenen Extraktionsmitteln hergestellt wurden, aber auch ethanolische und wässrige Extrakte aus dem frischen oder getrockneten Kraut zeigten teilweise keine oder aber statistisch nicht signifikante Effekte im Tierversuch (12). Eine Arbeit aus dem Jahr 1995 konnte allerdings bei einem oralen Glucose-Toleranz-Test an Mäusen zeigen, dass ein wässriger Extrakt aus getrocknetem Geißrautenkraut den Glucoseanstieg im Vergleich zu einer Kontrollgruppe drastisch unterdrückte (13). Befunde einer neueren Arbeit unterstützen dies (14). Eine ausführliche zusammenfassende Darstellung, in der die Literatur bis 1996 ausgewertet ist, findet sich in der Monographie der HagerROM2003 (12).

Weder ein therapeutischer Nutzen, noch die Sicherheit einer arzneilichen Anwendung am Menschen ist wissenschaftlich belegt: Die Negativ-Monographie der Kommission E geht in ihrer Beurteilung zwar von einer hypoglykämischen Wirkung des Inhaltsstoffes Galegin aus, aber “eine therapeutische Anwendung der Droge bei Diabetes mellitus ist jedoch angesichts ihrer unsicheren Wirkung, der Schwere der Erkrankung und der therapeutischen Alternativen nicht zu vertreten“ (15). Ihre Darreichung – etwa als Tee – ist daher keinesfalls zu empfehlen (16).

Für die angenommene laktagoge Wirkung gibt es keinen statistisch signifikanten Beleg (12). Eine aggregationshemmende Wirkung ist in vitro nachgewiesen worden (12), In-vivo-Belege oder gar Untersuchungen am Menschen fehlen.

Eine vergleichsweise aktuelle Arbeit von 1999 berichtet über eine Gewichtsreduktion nach Gabe von Geißraute bei übergewichtigen Mäusen (17), wobei die Mäuse allerdings nur über einen Zeitraum von 28 Tagen beobachtet wurden. Eine Übertragung dieser tierexperimentellen Studie auf den Menschen ist nicht möglich. Kontrollierte klinische Studien am Menschen gibt es bislang hierzu nicht.

Risiken sind nicht auszuschließen

Bei höherer Dosierung sind Risiken nicht auszuschließen, die vor allem durch die enthaltenen Guanidinderivate verursacht werden können (16). Bei Weidetieren, vor allem Schafen, wurden zum Teil letale Vergiftungen durch Geißraute beobachtet (12, 16). Da keines der beanspruchten Anwendungsgebiete am Menschen wissenschaftlich belegt ist und zudem Bedenken bezüglich der Toxizität bestehen, muss von der Abgabe von Galega-Präparaten abgeraten werden.

 

Literatur

  1. Kroeber, L., Das neuzeitliche Kräuterbuch. Band 2, 3. Auflage, Hippokrates, Stuttgart (1947) 89 - 91.
  2. Madaus, G., Lehrbuch der biologischen Heilmittel, Abt. Heilpflanzen. Band 2, Thieme, Leipzig (1938) 1402 -1407.
  3. www.vrp.com/art/765.asp am 24.3.2004.
  4. Oubre, A. Y. et al., From plant to patient: an ethnomedical approach to the identification of new drugs for the treatment of NIDDM. Diabetologia 40 (1997) 614 - 617.
  5. Bailey, C. J.; Day, C., Traditional plant medicines as treatments for diabetes. Diabetes Care 12 (1989) 553 - 64.
  6. Zörnig, H., Arzneidrogen, Teil 2: Die in Deutschland, Österreich und der Schweiz gebräuchlichen nicht offizinellen Drogen. Klinkhardt, Leipzig (1911), S. 306.
  7. Thoms, H. (Hrsg.), Handbuch der praktischen und wissenschaftlichen Pharmazie, Band 5: Botanik und Drogenkunde. Urban & Schwarzenberg, Berlin (1931) 1170 - 1171.
  8. Flückiger, F. A., Pharmakognosie des Pflanzenreiches. 2. Aufl., Gaertner, Berlin (1883).
  9. Tschirch, A., Handbuch der Pharmakognosie. Band 1 - 3, Tauchnitz, Leipzig (1909 – 1927).
  10. Berger, F., Handbuch der Drogenkunde. Band 4: Herbae, Maudrich, Wien (1954) 237 - 241.
  11. Weiss, R. F., Die Pflanzenheilkunde in der ärztlichen Praxis. Marquardt, Stuttgart (1944) 175 - 176.
  12. HagerROM2003, Einträge unter Galega L. oder Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis. 5. Auflage, Springer-Verlag (1998), 741 ff.
  13. Neef, H. et al., Hypoglycaemic Activity of Selected European Plants. Phytotherapy Research 9 (1995) 45 - 48.
  14. Osmanova, N. A.; Prjakhina, N. I., Some pharmacological properties of above-ground parts of Galega officinalis L. and G. orientalis lam. Rastitel’nye Resursy 39 (2003) 119 - 129.
  15. Kommission E des BGA, Negativ-Monographie „Galegae officinalis herba“. Bundesanzeiger Nr. 180 vom 24.9.1993.
  16. Wichtl, Max: Teedrogen und Phytopharmaka. 4. Aufl. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft (2002) 235 - 236.
  17. Palit, P. et al., Novel weight-reducing activity of Galega officinalis in mice. Journal of Pharmacy and Pharmacology, 51 (1999) 1313 - 1319.

  Top

© 2004 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa