Stufenschema überdenken |
02.04.2001 00:00 Uhr |
Die nicht steroidalen Antirheumatika prinzipiell während des gesamten Stufenschemas mitzuschleppen, ist nicht mehr up to date", sagte Dr. Gerhard Müller Schwefe, Leiter des Schmerztherapeutischen Kollquiums, auf dem Deutschen Schmerztag. Neue Erkenntnisse der Gundlagenforschung und die Entwicklung moderner Arzneistoffe zwingen besonders bei Senioren zum Umdenken. Das Stufenschema der WHO war zu einer Zeit, in der Opioide - wenn überhaupt - allenfalls im Endstadium einer Tumorerkrankung gegeben wurden, hilfreich, wertete er. Es empfiehlt auf Stufe I zunächst Analgetika und nicht steroidale Antirheumatika (NSAR). Dann sollen schwach wirksame Opioide eingesetzt werden (Stufe II). Wirken diese nicht (mehr), greifen Mediziner auf Stufe III zu den stärksten Waffen - den stark wirksamen Opioiden.
Müller-Schwefe prangerte an, dass die Verordnungszahlen von NSAR nicht Hand in Hand gehen mit der Zahl entzündlich degenerativer Erkrankungen. Für alles und für jeden scheinen Cyclooxygenasehemmer verschrieben zu werden. Der Mediziner forderte deshalb seine Kollegen auf, vor jede pharmakologische Therapie eine exakte Schmerzanalyse zu setzen. NSAR seien schließlich nur dann indiziert, wenn eine Entzündung im Schmerzgeschehen eine Rolle spielt. "Ist es dagegen im Rahmen der Neuroplastizität - ohne weiteres Bestehen entzündlicher Ursachen - zu spinalen oder kortikalen Lernvorgängen gekommen, sind sofort Opioide einzusetzen", sagte Müller-Schwefe. Auch neuropathische Schmerzen seien mit Opioiden häufig gut in den Griff zu bekommen. Während Opiate die Unterhaltung des Schmerz-Inputs drosselten, seien Substanzen wie Flupirtin eher geeignet, die neuronale Aktivität herunterzuregeln, führte der Referent aus. Flupirtin stabilisiert dazu die Membranen von Nervenzellen im Gehirn. Es drosselt den Calciumionen-Influx am NMDA-Rezeptor und die spannungsabhängige Auslösung von synaptischen Potenzialen.
Besonders auf ältere Schmerzpatienten könne sich der leichtfertige Einsatz von NSAR fatal auswirken. Nach einer aktuellen Untersuchung sind NSAR für jährlich 3000 Todesfälle bei überwiegend älteren Patienten in Deutschland auf Grund von Magen-Darm-Blutungen verantwortlich. Das liege zum Beispiel an häufiger eingenommenen zusätzlichen Medikamenten wie Corticoiden oder Antikoagulantien. Nebenwirkungen auf Nieren, ZNS, Blutbildung und -gerinnung seien weitere Faktoren, die die generelle Empfehlung von NSAR als Eingangsstufe eines medikamentösen Therapieschemas gerade bei älteren Patienten als Risiko erscheinen lassen, meinte Müller-Schwefe.
Kommen Opioide zum Einsatz, sind im fortgeschrittenen Lebensalter einige Besonderheiten zu beachten, sagte Dr. Roland Hardt aus Trier. So sollten Monosubstanzen bei Älteren nicht bis zu ihrer Maximaldosis ausgereizt werden, da ihre emetogene Wirkung mit der Dosis zunimmt. Besser sei es, im Vorfeld verschiedene Wirkprinzipien miteinander zu kombinieren, beispielsweise bei aktivierter Arthrose COX-II-Hemmer mit Opioidanalgetika. Da Ältere vermehrt unter Verstopfung leiden, empfahl Hardt begleitend Magrogole.
In der Stufe III riet Hardt zu retardierten Opioiden, die aktiven Metabolite wie Morphin bilden. Nach seinen Erfahrungen würden geriatrische Patienten besonders Oxycodon und Hydromorphon gut vertragen; beide erlaubten eine wirksame Schmerzkontrolle. Hardt: "Ocycodon besitzt eine rund zweifach stärkere Wirkpotenz als Morphin, Hydropmorphon in retardierter Zubereitung ist 7,5-fach stärker als Morphin. Bei zweimal täglicher Gabe lassen sich stabile Plasmaspiegel erreichen." Besonders bei Arthrose und neuropathisch bedingte Schmerzen haben sich die beiden Substanzen bewährt.
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