Neuer Wirkstoff in der Hepatitis-B-Therapie |
24.03.2003 00:00 Uhr |
Zur Behandlung von Hepatitis-B-Infektionen steht ein neuer Arzneistoff zur Verfügung: Die Europäische Kommission ließ das Nucleotid-Analogon Adefovir-Dipivoxil (Hepsera®) in allen 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu. Grundlage dieser Zulassung sind zwei internationale Phase-III-Studien, die in der Fachzeitschrift The New England Journal of Medicine, Ausgabe vom 27. Januar, veröffentlicht sind.
Obwohl seit fast 20 Jahren eine effektive Schutzimpfung gegen das Hepatitis-B-Virus (HBV) existiert, ist die Infektion immer noch stark verbreitet. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit etwa 400 Millionen Menschen chronisch mit HBV infiziert. In Deutschland geht das Robert-Koch-Institut von derzeit rund 500.000 Betroffenen aus. Die chronische HBV-Infektion führt bei einem Drittel bis einem Viertel der Patienten zu einer progressiven Lebererkrankung – Leberzirrhose, Leberversagen bis hin zu Leberkarzinomen können die Folgen sein.
Ziel der HBV-Therapie ist daher, die Entzündung und Nekrose des Lebergewebes zu verhindern, was nur über eine dauerhafte Unterdrückung der Virus-Replikation erreicht werden kann. Substanzen für die Langzeittherapie von chronischen HBV-Infektionen sollten sicher und effektiv sein und nicht zur Resistenzbildung führen. Die bisherigen Therapieoptionen, Interferon-alpha und Lamivudin, erfüllen allerdings nicht alle diese Anforderungen.
So kann die Behandlung mit Interferon-alpha zu Nebenwirkungen wie Grippesymptomen, Anorexie oder Depressionen führen. Außerdem muss der Wirkstoff subkutan injiziert werden und ist verhältnismäßig teuer. Das oral zu applizierende, gut verträgliche Nucleosid-Analogon Lamivudin unterdrückt die HBV-Replikation effektiv und verbessert die Leber-histologischen Befunde, hat allerdings einen entscheidenden Nachteil: Es führt relativ häufig zu Resistenzen. Bei über 30 Prozent der mit Lamivudin therapierten Patienten traten noch im ersten Behandlungsjahr Resistenzen gegen den Wirkstoff auf, berichten die Autoren einer der beiden Veröffentlichungen im New England Journal of Medicine (2).
Neue Hoffnung für Patienten mit chronischer Hepatitis B bringt das neu zugelassene Adefovir-Dipivoxil: In zwei klinischen placebokontrollierten Phase-III-Studien zeigte sich die Substanz effektiv und sicher, wobei keinerlei Resistenzbildung zu beobachten war. Der peroral einzunehmende Wirkstoff ist ein Prodrug von Adefovir – einem Analogon zu Adenosin-Monophosphat. Der aktive intrazelluläre Metabolit, Adenosin-Diphosphat, inhibiert die virale DNA-Polymerase bei sehr viel niedrigeren Konzentrationen, als sie zur Hemmung der humanen DNA-Polymerase nötig sind. Er stoppt somit ausschließlich die Synthese der viralen DNA.
Leberhistologie verbessert
Eine der beiden Studien (2) umfasste insgesamt 515 Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion und chronischer HBV-Infektion, die das virale Hepatitis-B-e-Antigen im Blut aufwiesen, also HBeAg-positiv waren (siehe Kasten). Diese Patienten erhielten entweder 10 mg Adefovir-Dipivoxil, 30 mg der Substanz oder Placebo. Primärer Endpunkt war die Verbesserung der Leber-histologischen Befunde. Nach 48 Wochen Therapie zeigten signifikant mehr Patienten unter Adefovir-Dipivoxil eine deutliche Verbesserung ihrer Leberhistologie als Patienten unter Placebo: 59 Prozent in der 30-mg-Gruppe, 56 Prozent in der 10-mg-Gruppe gegenüber 25 Prozent in der Kontrollgruppe. Weiterhin sank bei 39 Prozent der Patienten aus der 30-mg-Gruppe und bei 21 Prozent der Patienten aus der niedrig dosierten Gruppe der HBV-DNA-Level im Serum unter die Nachweisgrenze. Dies war bei keinem Studienteilnehmer unter Placebo der Fall.
Hepatitis-B-e-Antigen Das Hepatitis-B-e-Antigen (HBeAg) ist ein Protein, das in den Wirtszellen durch alternative Prozessierung des viralen Core-Gens entsteht und ins Blut sezerniert wird. Es wird nur bei einer hohen viralen Replikationsrate gebildet und gilt daher als Marker für die Vermehrung des Erregers. HBeAg-positive chronisch Infizierte weisen eine hohe Replikationsrate auf. Patienten, die trotz hoher HBV-DNA-Last keine nachweisbaren HBeAg-Spiegel aufweisen, sind mit einer mutierten Variante des Virus infiziert und haben eine besonders schlechte Prognose.
Die Nebenwirkungen unter Adefovir-Dipivoxil waren mit denen unter Placebo vergleichbar. Da in der 30-mg-Gruppe unerwünschte Wirkungen wie Schwäche, Kopf- und Darmschmerzen, Übelkeit und Durchfall, aber vor allem auch Nierenfunktionsstörungen häufiger auftraten als in der 10-mg-Gruppe, empfehlen die Autoren die niedrigere Dosierung.
In der gleichen Ausgabe des New England Medical Journal berichten Stephanos Hadziyannis und seine Kollegen von einer weiteren Adefovir-Dipivoxil-Studie (1). Die insgesamt 185 HBeAg-negativen Patienten mit chronischer Hepatitis B erhielten über 48 Wochen entweder 10 mg Adefovir-Dipivoxil oder Placebo. Primärer Endpunkt war wie in der oben beschriebenen Studie die Verbesserung der Leberhistologie. Diese trat bei 64 Prozent der Patienten unter Adefovir-Dipivoxil (77 aus 121 Patienten), dagegen nur bei 33 Prozent der Patienten unter Placebo (19 aus 57 Patienten) ein. Auch die Hepatitis-B-Virus-Last im Serum reduzierte sich unter der Therapie im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich: Sie sank bei 51 Prozent der Patienten in der Adefovir-Dipivoxil-Gruppe von über 1000 auf unter 400 DNA-Kopien pro Milliliter, während dies bei keinem der Patienten aus der Placebogruppe erreicht wurde. Das Nebenwirkungsprofil der Substanz entsprach in etwa dem von Placebo. In dem bisher untersuchten Zeitraum von 48 Wochen wurden keinerlei Anzeichen für eine Resistenzbildung beobachtet – weder bei HBeAg-positiven noch bei HBeAg-negativen Patienten.
Wie das Unternehmen Gilead Sciences aus dem kalifornischen Foster City meldet, erteilte die Europäische Komission Adefovir-Dipivoxil Anfang März in allen 15 EU-Mitgliedstaaten die Zulassung. Die Substanz ist in Europa zur Behandlung von chronischer Hepatitis B bei Erwachsenen mit kompensierter Lebererkrankung, mit Anzeichen einer aktiven Virenreplikation, dauerhaft erhöhtem Serumalanin-Amintransferase-Spiegel und histologischen Anzeichen einer aktiven Leberentzündung und Fibrose beziehungsweise mit dekompensierter Lebererkrankung zugelassen. Die US-amerikanische Food and Drug Administration gab den Wirkstoff bereits September 2002 zur Vermarktung in den Vereinigten Staaten frei. In Kanada, Australien, in der Türkei und der Schweiz laufen weitere Zulassungsanträge, meldet das Pharmaunternehmen.
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