Auf der Suche nach neuen Analgetika |
17.03.2003 00:00 Uhr |
Ein Allheilmittel gegen Schmerzen wird es wohl in absehbarer Zukunft nicht geben. Doch es gibt eine ganze Vielzahl von Ansätzen für neue Analgetika, die gezielt in das Schmerzgeschehen eingreifen. Die Forschung zielt dabei nicht nur auf Wirkstoffe, die Schmerzen lindern, sondern auch auf solche, die eine Chronifizierung verhindern.
Ähnlich wie die Krebsforschung schreitet auch die Schmerzforschung derzeit in kleinen Schritten voran: „Es steht nicht zu erwarten, dass wir bald einen Pille gegen alle Schmerzen entwickeln können. Aber so wie durch die moderne Krebsforschung bestimmte Tumore heilbar geworden sind, so werden wohl auch bestimmte Schmerzformen künftig sehr viel besser behandelbar werden“, erklärte Professor Dr. Jürgen Sandkühler, Wien, auf dem Deutschen Schmerztag in Frankfurt am Main.
Große Hoffnungen setzen die Forscher unter anderem auf die Entwicklung von Substanzen, die an den so genannten NMDA-Rezeptor binden und dadurch hemmend auf die Aktivität von Neuronen wirken. Eine weitere Zielstruktur für die Entwicklung neuer Analgetika ist nach Professor Dr. Walter Zieglgänsberger, München, der Vanilloid-Rezeptor, eine Art „Schmerzfühler“, der auf Hitze und auf Capsaicin, den Inhaltsstoff im Chili, reagiert. Wirkstoffe, die diesen Rezeptor blockieren, mindern nach Zieglgänsberger nicht nur die Empfindlichkeit auf Hitzereize, sondern auch eine Hyperalgesie, also eine Überempfindlichkeit auf Schmerzreize.
Speziell bei neuropathischen Schmerzen versuchen die Forscher über trophische Faktoren, die die Signalübertragung über die Nervenzellen beeinflussen, voranzukommen. So ist denkbar, dass Hemmstoffe des Nervenwachstumsfaktors (NGF) neuroplastische Reaktionen verhindern und neuropathische Schmerzen lindern können.
Interesse an Cannabis
Auch die Cannabinoide stellen nach Zieglgänsberger ein hoch interessantes Forschungsgebiet dar. So hat der Mediziner zeigen können, dass der Rezeptor für Cannabinoide auf Nervenzellen eine entscheidende Rolle bei der Erinnerung an Schmerzreize und damit bei der Chronifizierung von Schmerz spielt. Denn Knock-out-Mäuse ohne diesen nervalen Rezeptor reagieren auf unangenehme Reize deutlich länger mit ängstlichem Verhalten als Artgenossen mit funktionsfähigem Rezeptor. Substanzen, die diesen Rezeptor beeinflussen, könnte daher das Schmerzgedächtnis bei chronifizierten Schmerzen modulieren.
Ein völlig neues Forschungsfeld beschrieb Sandkühler in Frankfurt:
Kürzlich entdeckten Forscher eine Gruppe von Nervenzellen, die sich in der
oberflächlichen Schicht des Rückenmarks, der Lamina 1, befindet, den
Rezeptor für Substanz P trägt und zum Gehirn projiziert. Diese Zellen
machen nur rund fünf Prozent der Nervenzellen aus, haben aber
wahrscheinlich eine zentrale Funktion. Werden sie zerstört, entwickeln die
Versuchstiere nach Operationen oder Traumen keine Hyperalgesie mehr. Es
scheint sich somit um genau jene Zellen zu handeln, die für die Ausbildung
des Schmerzgedächtnisses verantwortlich sind, erklärte Sandkühler. Das
eröffnet den Schmerzforschern völlig neue Möglichkeiten, Strategien zu
entwickeln, um Chronifizierungen abzuwenden. Sandkühler: „Wir haben damit
offensichtlich eine Nadel im Heuhaufen gefunden“.
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