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Wie groß ist der Nutzen für die Patienten?

23.02.2004  00:00 Uhr
Klinische Studien

Wie groß ist der Nutzen für die Patienten?

von Holger Neye, Hannover

Für die Beurteilung und Zulassung neuer Therapien werden in der Regel randomisierte klinische Studien herangezogen. Bei ihrer Interpretation lassen sich Effekte herausarbeiten, die in der Werbung effektvoll bis täuschend eingesetzt werden können. Was bedeutet zum Beispiel, dass das relative Risiko, innerhalb von fünf Jahren einen Herzinfarkt zu erleiden, um 30 Prozent gesenkt werden konnte?

Üblicherweise findet man in Originalarbeiten drei Kenngrößen, anhand derer sich der wirkliche Nutzen für den einzelnen Patienten abschätzen lässt. Dabei handelt es sich um:

  • die relative Risikoreduktion (RRR),
  • die absolute Risikoreduktion (ARR)
  • die Number Needed to Treat (NNT), die Anzahl der Patienten, die behandelt werden müssen, um ein klinisches Ereignis innerhalb eines Zeitraums zu verhindern.

So ist zum Beispiel das Ergebnis einer klinischen Studie, dass das kardiovaskuläre Risiko durch die fünfjährige Einnahme eines bestimmten Arzneimittels von 36 auf 24 Prozent gesenkt werden konnte. Das heißt, wenn einhundert Patienten fünf Jahre behandelt werden, erkranken durchschnittlich 24, ohne Behandlung 36 Personen. Die relative Risikoreduktion (RRR) von 36 auf 24 Prozent beträgt 33 Prozent [(36 - 24) : 36]. Wird ein Risiko von 9 auf 6 Prozent oder von 1,5 auf 1 Prozent gesenkt, errechnet sich ebenfalls eine RRR von 33 Prozent (Tabelle 1).

 

Tabelle 1: Vergleich der Ereignisraten und Risikoreduktionen dreier fiktiver Therapieansätze, die alle zu einer relativen Risikoreduktion von 33 Prozent führen

Ereignisraten (%) Risikoreduktion (%) NNT* Kontrolle
(CER) Experiment
(EER) absolut
(ARR) relativ
(RRR)   36 24 12 33 9 9 6 3 33 34 1,5 1 0,5 33 200

CER: Ereignisrate der Kontrolle, EER: Ereignisrate im Experiment (mit Behandlung), AAR: absolute Risikoreduktion, RRR: relative Risikoreduktion, NNT: Number Needed to Treat.

 

Welchen Vorteil der einzelne Patient jedoch durchschnittlich von einer Behandlung hat, zeigt sich erst in der absoluten Risikoreduktion. Im ersten Fall profitieren von der Behandlung 12 (36 - 24) von 100 Patienten. 64 Patienten, bei denen (durchschnittlich) kein Ereignis eintritt, profitieren nicht von der Behandlung. Bei 24 Patienten wird trotz der Therapie eine Komplikation eintreten. Die absolute Risikoreduktion (ARR) beträgt hier 12 Prozentpunkte. Um den Unterschied zur relativen Risikoreduktion deutlich zu machen, wird bei der ARR häufig von Prozentpunkten gesprochen.

Im zweiten Fall profitieren 3 von 100 Patienten [ARR: (9 - 6) = 3 Prozentpunkte], 91 werden unnötig behandelt und 6 tragen trotz Behandlung keinen Benefit davon. Und im dritten Fall müssten durchschnittlich 197 Patienten unnötig behandelt werden, damit ein Patient profitieren könnte. Das Beispiel zeigt deutlich, dass hinter einer Risikoreduktion von 33 Prozent sehr unterschiedliche Therapieeffekte stehen können.

Die Anzahl der Patienten, die behandelt werden müssen, um ein Ereignis zu verhindern, ist die so genannte Number Needed to Treat (NNT). Sie lässt sich unter Kenntnis der absoluten Risikoreduktion leicht berechnen: NNT = 100 : ARR. So müssen im ersten Fall 100 : 12 = 9 Patienten behandelt werden, um ein Ereignis zu verhindern, im zweiten Fall schon 34 (100 : 3) und im dritten Fall 200 (100 : 0,5) Patienten; jeweils über die hier angenommene Therapiedauer von fünf Jahren und immer bei gleicher relativer Risikoreduktion von 33 Prozent.

Ab wann lohnt sich eine Therapie?

Bisher gibt es keine Angaben darüber, bei welcher NNT eine Therapie sinnvoll ist. Das hängt zudem von der Art und Schwere der Erkrankung, den unerwünschten Wirkungen sowie Therapiekosten und Einstellung des Patienten ab. Aus einer Untersuchung, die im „British Medical Journal“ veröffentlicht wurde, geht hervor, dass Fachärzte, Allgemeinmediziner und Patienten mit einer NNT von 100, 50 beziehungsweise 32 (pro Behandlungsjahr) eine ganz andere Auffassung davon haben, wann sich eine Therapie lohnt (1).

Eine Umfrage in England zur Risikoreduktion mit Lipidsenkern kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Patienten, die zum Teil gerade aus der Kardiologie entlassen worden waren, würden durchschnittlich einen Lipidsenker über fünf Jahre zur Prävention einnehmen, wenn damit eine absolute Risikoreduktion von 20 bis 30 Prozentpunkten verbunden wäre (2).

 

Tabelle 2: Beispiele für die Risikoreduktion und Number Needed to Treat (NNT) aus der Literatur

Fragestellung Risikoreduktion (Prozent) NNT/(Jahre) Literatur Kontrolle Behandlung Senkt Artovastatin in der Primärprävention im Vergleich zu Placebo das Herzinfarktrisiko? 2,7 1,7 100/3,3 ASCOT, Lancet 361 (2003) 1149 - 1158 beziehungsweise das Schlaganfallrisiko? 2,4 1,7 143/3,3 siehe oben Kann Finasterid bei benigner Prostatahyperplasie im Vergleich zu Placebo die Notwendigkeit einer chirurgischen Behandlung verhindern? 10,1 4,6 18/4 McConnel, NEJM 338 (1998) 557 - 63 Führt bei Typ-2-Diabetes Metformin im Vergleich zur konventionellen Therapie zu weniger Herzinfarkt? 18 11 16/10 UKPDS, Lancet 352 (1998) 1557 Wird durch den Verzicht auf das Rauchen die Mortalität nach einem Herzinfarkt gesenkt? 20 12,3 13/zeitungsabhängig Wilson, Arch Intern Med 160 (2000) 939 - 944

 

In Tabelle 2 sind einige Beispiele für die NNT bei einzelnen Interventionen angegeben. Der Patient sollte über den Effekt einer Therapie aufgeklärt werden. Einen für Laien verständlichen Ansatz bietet das in Marburg entwickelte ARRIBA-Herz-Konzept, mit dessen Hilfe der Patient in die Entscheidung, eine Therapie durchzuführen, einbezogen wird (3).

 

Fazit Mit steigenden Anforderungen der amerikanischen und europäischen Zulassungsbehörden ist die Qualität klinischer Studien in den letzen Jahrzehnten immer besser geworden (4). Relative und absolute Risikoreduktion und die Number Needed to Treat lassen sich aus den Studien zumindest herauslesen und können für die Beurteilung der klinischen Relevanz einer neuen Therapie herangezogen werden. Diese Kennzahlen sollten zumindest bei Berichten über neue Arzneimittel oder Therapien genannt werden. Üblicherweise wird jedoch ausschließlich mit der relativen Risikoreduktion geworben, die, wie dargestellt, als alleiniger Wert sehr wenig aussagt.

 

Literatur

  1. Steel, N., Thresholds for taking antihypertensive drugs in different professional and lay groups: questionnaire survey. BMJ 320 (2000) 1446 - 1447
  2. Trewby, P. N., et al., Are preventive drugs preventive enough? A study of patients' expectation of benefit from preventive drugs. Clinical Medicine 2:6 (2002) 527 -533
  3. Donner-Banzhoff, N., ARRIBA-Herz Absolutes und Relatives Risiko – Individuelle Beratung in der Allgemeinarztpraxis, Universität Marburg
  4. Nuovo, J., et al., Reporting number needed to treat and absolute risk reduction in randomised controlled trials. JAMA 287 (2002) 2813 - 2814

 

Anschrift des Verfassers:
Dr. Holger Neye
Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen
Berliner Allee 22
30175 Hannover
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