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Kampf gegen das große Vergessen

17.12.2001  00:00 Uhr
ALZHEIMER-FORSCHUNG

Kampf gegen das große Vergessen

von Ulrich Brunner, Eschborn

Am 26. November 1901 diagnostizierte der Irrenarzt Alois Alzheimer erstmals bei seiner Patientin Auguste D. den Untergang von Nervenzellen. Hundert Jahre später bangen Alzheimer-Forscher um ihre Jobs. Dank intensiver Forschung gelang es in den letzten Jahren, Stück für Stück das Puzzel des Pathomechanismus der Demenzerkrankung zusammenzusetzen. Neue Therapieansätze scheinen zum Greifen nahe. Verschiedene Pharmakonzerne aber auch kleine Forschungslabore hoffen in den nächsten fünf Jahren auf den entscheidenden Durchbruch.

Mindestens 17 Millionen Menschen leiden weltweit unter der Alzheimer-Demenz, schätzt Dr. Christian Haass vom Labor für Alzheimer-Forschung an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Doch zumindest für Patienten in frühen Stadien der neurodegenerativen Erkrankung besteht Hoffnung. In den vergangenen Jahren konnten Forscherteams rund um den Globus entscheidende Schritte im Pathomechanismus aufklären. "In fünf Jahren wissen wir spätestens, ob die neuen Therapieansätze auch am Menschen funktionieren", hofft der Molekularbiologe.

Dass die Alzheimer-Forschung erst in den letzten Jahren neue Impulse bekam, schreibt Haass einem Paradigmenwechsel zu. Bis dahin waren sich die Wissenschaftler einig, dass das für die Krankheit verantwortliche Amyloid-Peptid bA42 nur im Gehirn von Alzheimer-Patienten entsteht. "Dieses Dogma hat die Forschung jahrelang in die falsche Richtung gelenkt", erklärte Haass kürzlich bei einem Symposium in Frankfurt am Main. In jedem menschlichen ZNS entstehe neben kürzeren und ungefährlichen Peptiden auch bA42, allerdings sei die Menge entscheidend. Produziert der Organismus zuviel des extrem schlecht löslichen bA42, verklumpt das Peptid zu Plaques, die letztlich zum Untergang der Neuronen führen. Die Gehirne der Alzheimer-Patienten zeigen besonders in der Hippocampus-Region erheblich mehr Plaques und Neurofibrillenbündel als die gesunder Menschen vergleichbaren Alters.

Vorstufe aller b-Amyloide ist das so genannte b-Amyloid-Percursor-Protein (bAPP). Es wird durch verschiedene membranständige Proteasen wie die a, b- und g-Sekretase in kürzere Peptide zerschnitten. Bislang konnten sich die Wissenschaftler aber nicht erklären, wie diese Proteasen in der lipophilen Membran arbeiten, da die Enzyme zum Abspalten der Peptidketten Wasser benötigen. Höchstwahrscheinlich schlängelt sich die Sekretase mehrfach durch die Membran und bildet so eine Röhre, in die sich dann das Substrat bAPP einlagert, erklärt Haass.

Zwei Risikofaktoren

Für die Überproduktion der klumpenden Variante des Eiweißes macht der Molekularbiologe zwei Risikofaktoren verantwortlich: Alter und eine genetische Prädisposition. Im Gehirn jedes zweiten Menschen über achtzig Jahren findet man erste Anzeichen für Amyloid-Ablagerung. Personen, bei denen dagegen eine Mutation im Erbgut vorliegt, erkranken meist viel früher. Die Forscher vermuten, dass entsprechende Defekte auf verschiedenen Genen lokalisiert sein können, darunter auf den Abschnitten im Erbgut, die für die Proteine Presenilin 1 und 2 codieren. Alleine für das Persenilin-1- und -2-Gen wurden inzwischen 100 Mutanten beschrieben. Die genetischen Defekte identifizierten die Forscher auf vier verschiedenen Chromosomen. Fehler in den APP-, PS-1- und PS-2-Genen auf den Chromosomen 21, 14 und 1 führen bei den entsprechenden Mutationsträgern in jedem Fall zum Ausbruch der Alzheimer-Krankheit.

Die b- und g-Sekretasen schneiden aus APP den 42 Aminosäuren langen Abschnitt heraus, der so leicht verklumpt. Die Forscher versuchten daher zunächst gezielt die Enzyme zu blockieren, indem sie unter anderem das Presenilin-Gen ausschalteten, das für die g-Sekretase codiert. Laut Haass testeten bereits mehrere Pharmakonzerne entsprechende Inhibitoren in klinischen Studien. Doch leider ist das Presenilin-Gen nicht nur für die vermehrte Produktion der schwerlöslichen Eiweiße verantwortlich, sondern übernimmt wichtige Aufgaben bei der Zelldifferenzierung. Blockiert man das Presenilin-Gen, so werden in Versuchstieren beispielsweise in großen Mengen baugleiche Zellen produziert. Die Genblockade kann also fatale Folgen haben. "Viele Pharmafirmen sind daher aus der Forschung bereits ausgestiegen", berichtet der Münchener Wissenschaftler.

Da die b-Sekretase vermutlich keine physiologischen Funktionen hat, suchen die Alzheimer-Forscher nun fieberhaft nach Substanzen, die dieses Enzym blockieren. Laut Haas bislang allerdings noch ohne Erfolg.

Anderer Ansatz

Einen anderen Therapieansatz verfolgen Claudio Soto und Céline Adessi vom Genfer Forschungslabor des Pharmakonzerns Serono. Sie fanden bereits Moleküle, die die ungewollte Faltung und Verklumpung des Proteins verhindern beziehungsweise rückgängig machen. Da diese Substanzen die pathologische Konformationsänderung der Eiweiße blockieren können, werden sie auch als "b-Sheet-Breaker-Peptides" bezeichnet. Erfolgreiche Experimente liefen bislang allerdings nur im Reagenzglas. Ob die neuen Wirkstoffe auch im Hirn ihren positiven Effekt entfalten, ist unklar. Bei Serono hofft man allerdings auf erste präklinische Studien ab 2002. Gelingt es, entsprechende Substanzen zu synthetisieren, könnte das nicht nur die Therapie von Morbus Alzheimer revolutionieren. Denn mittlerweile scheint klar, dass falsch gefaltete und aggregierte Proteine nicht nur für die Demenz, sondern auch für die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung verantwortlich sind.

Vielleicht gelingt es in naher Zukunft sogar, mit Hilfe von Antikörpern die Produktion der Amyloid-Plaques einzudämmen. Im Tiermodell habe man bereits durch Injektion mit b-Amyloiden die Bildung spezifischer Antikörper angekurbelt, so Haass. Und tatsächlich scheinen diese voluminösen Proteine auch die Blut-Hirn-Schranke passieren zu können. Bei Menschen konnten allerdings bis dato noch keine Antikörper-Reaktionen ausgelöst werden, bedauert der Münchener Forscher.

Haass ist dennoch überzeugt, dass spätestens in fünf Jahren mit einem der zahlreichen Ansätze der entscheidende Durchbruch gelingt. Haass: Dann müssten sich allerdings weltweit Hunderte von Wissenschaftlerteams nach einem neuen Forschungsgebiet umschauen. Top

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