Pharmazeutische Zeitung online

Pränatale Gabe mindert verbalen IQ

22.11.2004  00:00 Uhr

Valproinsäure

Pränatale Gabe mindert verbalen IQ

von Georg Krampitz, Bonn

Die Einnahme von Valproinsäure während der Schwangerschaft kann beim Embryo Gehirn- und Nervenschäden hervorrufen, die erst im Schulalter manifest werden. Neurologen fordern daher, die Wirkung von Antiepileptika auf die kognitive Entwicklung zu prüfen.

Eine Reihe von Medikamenten zur Behandlung der Epilepsie sind potenziell fruchtschädigend. Dennoch werden sie auch im Verlauf der Schwangerschaft verordnet, da das Risiko einer Verletzung durch unkontrollierte Krampfanfälle sowohl für den Fetus als auch die Mutter noch größer ist.

Valproinsäure, die zusammen mit Carbamazepin als Goldstandard in der Epilepsiebehandlung gilt, kann Neuralrohrdefekte hervorrufen, die sich in anatomischen Anomalien wie Schädeldeformationen, Wirbelsäulenschäden und Zystenbildungen äußern. Das teratogene Risiko wird auf 1 bis 2 Prozent aller behandelten Schwangerschaften geschätzt. Doch jetzt deuten mehrere Studien darauf hin, dass Valproat auch die kognitive Entwicklung während der Kindheit beeinträchtigen kann. Dabei kann das äußere Erscheinungsbild normal sein, so dass unmittelbar nach der Geburt keine Auffälligkeiten registriert werden.

In einer retrospektiven Studie untersuchte das Team von Naghme Adab vom Centre for Neurology and Neurosurgery, Liverpool, 249 Kinder im Alter von 6 bis 16 Jahren, deren Mütter während der Schwangerschaft entweder mit Valproat, Carbamazepin oder Phenytoin behandelt worden waren (1). Über Interviews und unter Zuhilfenahme des so genannten Wechsler-Intelligenztests, der in einen Gesamt-, Verbal- und Handlungsteil untergliedert ist, konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass die sprachliche Kompetenz der Kinder aus der Valproat-Gruppe erheblich beeinträchtigt war: 42 Prozent hatten einen Verbal-IQ von 79 und weniger, etwa jeder Fünfte einen Wert unter 69. Im Handlungsteil des Wechsler-Tests hingegen waren keine signifikanten Defizite feststellbar. Carbamazepin hatte den Untersuchungen zufolge insgesamt keinen schädigenden Einfluss auf die Intelligenzentwicklung. Die IQ-Werte aller beteiligten Mütter entsprachen den Normwerten.

Zu ähnlichen Resultaten kommt Eija Gaily von der Universitätsklinik in Helsinki in seiner kürzlich publizierten Prospektivstudie mit 323 Teilnehmerinnen (2). Auch hier fielen diejenigen Kinder, die pränatal mit Valproat in Kontakt kamen, durch deutliche Schwächen in der verbalen Intelligenz auf. In Übereinstimmung mit der Liverpool-Studie konnten auch hier für Carbamazepin keine negativen Effekte diagnostiziert werden.

Auf Alternativen ausweichen

Die Ursachen für die neurologischen Störungen sind nicht genau bekannt. Adab schließt sich der gängigen These an, dass Valproinsäure mit dem Folsäure-Stoffwechsel interferiert. Dies wiederum würde die DNA- und RNA-Synthese beeinträchtigen. Deshalb verschreiben heute viele Ärzte Schwangeren begleitend zur Antiepileptika-Therapie zusätzlich Folat, um anatomischen Missbildungen vorzubeugen. Ob damit jedoch auch Intelligenzschwächen im Kindesalter vermieden werden können, vermag Adab an Hand der Datenlage nicht abzuschätzen.

Soweit möglich, rät er deshalb, Alternativpräparate zu verwenden und verweist zum Beispiel auf Carbamazepin, das sich in den Tests als unproblematisch erwiesen hat. Er fügt allerdings hinzu, dass Valproinsäure bei idiopathisch generalisierten Anfällen als Mittel der ersten Wahl gilt, das sich bei speziellen Epilepsieformen nicht ohne weiteres durch andere Medikamente ersetzen lässt. Bei myklonischen Anfällen und Absencen könne Carbamazepin den Zustand eher noch verschlechtern.

Weiterhin empfiehlt er Lamotrigin, das als ein sicheres Präparat für Schwangere gilt. Kürzlich berichtete auch Privatdozentin Dr. Bettina Schmitz von der Charité in Berlin, dass bei diesem Präparat bislang keine teratogenen Wirkungen bekannt geworden seien. Adab merkt allerdings an, dass es für Lamotrigin noch keine Untersuchungen hinsichtlich der kognitiven Entwicklung gibt. Vor dem Hintergrund der bisherigen Ergebnisse hält er es daher für unerlässlich, alle neu eingeführten sowie etablierten Antiepileptika in prospektiven Studien auf ihre teratogene Langzeitwirkung zu prüfen.

 

Literatur

  1. Adab, N. et al., The longer term outcome of children born to mothers with epilepsy: J Neurol Neurosurg Psychiatry, Band 75 (2004) 1575-1583
  2. Gaily, E. et al., Normal intelligence in children with prenatal exposure to carbamazepine: Neurology, Band 62 (2004) 28-32

   Top

© 2004 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa