Neue Waffen gegen Lungentumoren |
11.11.2002 00:00 Uhr |
von Brigitte M. Gensthaler, München
Das Pleuramesotheliom ist ein seltener bösartiger Tumor, der fast immer von Asbestfasern ausgelöst wird. Die Prognose für die Patienten ist schlecht. Das neue Antifolat Pemetrexed konnte in Kombination mit Cisplatin die Überlebenszeit allerdings deutlich verlängern.
Derzeit wird in Deutschland jährlich bei etwa 600 Patienten ein malignes Pleuramesotheliom als Berufskrankheit nach Asbestexposition anerkannt. Auch andere biobeständige Fasern bestimmter Länge scheinen den Tumor im Brustfell auslösen zu können. Das Mesotheliom kann die Lunge regelrecht einmauern, die umgebenden Organe infiltrieren und Metastasen setzen.
Da der Tumor erst Jahrzehnte nach dem Asbestkontakt auftritt, ist in den nächsten Jahren mit einer gewaltig steigenden Inzidenz zu rechnen, berichtete der Onkologe Professor Dr. Axel-Rainer Hanauske vom Hamburger St. Georg-Krankenhaus bei einem Symposium von Lilly in München. „Mit maximalen Erkrankungszahlen rechnen wir in den Jahren 2012/13. Dann erkranken mehr Menschen an einem Pleuramesotheliom als am Ovarialkarzinom.“
Pemetrexed hat viele Ziele
„Die Chemotherapie beim Pleuramesotheliom ist keine Erfolgsgeschichte“, stellte Professor Dr. Christian Manegold von der Thoraxklinik in Heidelberg fest. Die derzeitigen Möglichkeiten mit Operation, Bestrahlung und Chemotherapie seien unbefriedigend. Nach Studien der Phase I bis III hoffen Experten nun auf den Wirkstoff Pemetrexed (Alimta™).
Pemetrexed ist ein Antimetabolit, der intrazellulär mehrere Enzyme der Pyrimidin- und Purinsynthese hemmt und damit DNA-Synthese und Zellproliferation bremst. Man spricht auch von einem „Multi-targeted Antifolate“ (MTA). In Phase-I-Studien wurden 600, später aus Verträglichkeitsgründen nur 500 mg/m2 als 10-Minuten-Infusion alle drei Wochen gegeben.
Längeres Überleben
In einer randomisierten Phase-III-Studie war die Kombination von Pemetrexed (500 mg/m2) plus Cisplatin (75 mg/m2) der Cisplatin-Monotherapie deutlich überlegen, berichtete der Onkologe. Eingeschlossen waren rund 450 Patienten mit Pleuramesotheliom. Die Überlebenszeit stieg von 9,3 auf 12 Monate; die Zeit bis zur Progression war mit 6,1 Monaten doppelt so lange wie unter Cisplatin-Monotherapie. Außerdem besserte sich die Lungenfunktion deutlich. Damit sei erstmals eine signifikante Lebensverlängerung bei diesem Tumor nachgewiesen worden, sagte Hanauske.
Die schwerste dosislimitierende Nebenwirkung des Antimetaboliten ist seine Knochenmarkstoxizität, messbar als Neutropenie. Diese konnte durch niedrig dosierte Folsäure und Vitamin B12 erheblich reduziert werden. Die tägliche Substitution ermöglichte sechs Therapiezyklen, während die Patienten ohne Vitamingabe nur zwei Zyklen vertrugen. Die prophylaktische Gabe von Dexamethason konnte Arzneimittelexantheme und Erbrechen zurückdrängen.
Hilfreich bei vielen Tumoren
Im aktuellen Studienprogramm wird auch die Kombination mit Carboplatin sowie die Pemetrexed-Monotherapie bei Patienten mit Mesotheliom untersucht. Pemetrexed ist als Monotherapie bei vielen anderen soliden Tumoren klinisch aktiv. Zudem ist es „vermutlich mit allen bekannten Zytostatika kombinierbar“, folgerte Hanauske aus zahlreichen Studien. So wurde der Antimetabolit eingesetzt bei Patienten mit nicht kleinzelligem Bronchialkarzinom, Brustkrebs oder gastrointestinalen Tumoren. Für eine Studie, die Gemcitabin mit Pemetrexed kombiniert, werden derzeit Pankreaskarzinom-Patienten rekrutiert.
PKC-Blockade bei Lungenkrebs
Ein anderes Molekül aus der Forschungs-Pipeline von Lilly und Isis Pharmaceuticals soll ebenfalls bei Lungenkrebs helfen. Der Proteinkinase-Ca-Inhibitor LY 900003 wird derzeit in Phase-III-Studien beim nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom, dem häufigsten bösartigen Tumor der Lunge, geprüft.
Der Arzneistoff, der unter dem Namen Affinitac® auf den Markt kommen soll, gehört zur Gruppe der Antisense-Nukleotide und besteht aus einer Abfolge von 20 Nukleotiden, die an die mRNA für die humane PKC-a bindet. Damit wird die Translation und in der Folge die Synthese des PKC-a-Proteins gebremst. Diese Enzymfamilie spielt eine große Rolle in der Regulation von Zellprozessen wie Apoptose oder Proliferation, berichtete Dr. Johannes Blatter von Lilly. In Zellkulturen nahm die Apoptoserate unter LY 900003 zu.
Man vermutet, dass die PKC-Blockade die Zellen empfindlicher macht für eine folgende Zytostatika-Therapie. Allerdings braucht dies Zeit. In Studien dauerte es circa drei Tage, bis die PKC-a-Spiegel deutlich abfielen.
Antisense stoppt Translation Mit der Antisense-Technik soll die Bildung eines Proteins in der Zelle gezielt unterdrückt werden. Dazu werden kurze RNA- oder DNA-Stränge, die zu einem bestimmten Abschnitt der für das Protein codierenden mRNA komplementär sind, also gegensinnig oder „antisense“ sind, in die Zelle eingeschleust. Die Wirkstoffe binden an die mRNA und unterbrechen an dieser Stelle die Translation der mRNA in das Protein.
Fomivirsen wurde im Jahr 2000 als erstes Antisense-Arzneimittel zur Behandlung von Cytomegalie-Virusinfektionen bei Aids-Patienten in Deutschland zugelassen.
In der Praxis müssen die Patienten etwa eine Woche vor der Chemotherapie mit LY 900003 behandelt werden, berichtete Blatter. In einer Studie erhielten sie täglich 0,5 bis 3,0 mg/kg Körpergewicht über 21 Tage als Dauerinfusion. Diese martialisch anmutende Therapie, die auch ambulant erfolgen kann, akzeptieren und vertragen die Patienten relativ gut, ergänzte Manegold aus seiner Erfahrung. Als dosislimitierende Nebenwirkungen sind Fatigue, Neutro- und Thrombozytopenie beschrieben.
Derzeit laufen zwei Phase-III-Studien mit Patienten mit nicht
kleinzelligem Bronchialkarzinom. Getestet wird der Nutzen des
Antisense-Moleküls in Kombination mit Paclitaxel/Carboplatin oder mit
Gemcitabin/Cisplatin. Auf die letztgenannte Kombination sprachen in einer
Phase-II-Studie 87 Prozent der schwerkranken Patienten an. Nach Angaben
von Lilly soll demnächst die Evaluierung bei gynäkologischen Tumoren
beginnen. Noch ist vieles offen: „Studien müssen zeigen, wie lange und in
welcher Dosierung wir vorbehandeln müssen und welche Kombination die
besten Ergebnisse bringt“, dämpfte Blatter überzogene Hoffnungen.
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