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Zielmoleküle des 21. Jahrhunderts

31.10.2005  00:00 Uhr
Kinasen

Zielmoleküle des 21. Jahrhunderts

von Brigitte M. Gensthaler, München

Hemmstoffe bestimmter Enzyme sind als Arzneistoffe heute unverzichtbar, man denke nur an die bewährten ACE-Hemmer oder die Statine. Eine relativ junge Klasse sind die Kinase-Inhibitoren, die in der Tumortherapie eingesetzt werden. Mit Imatinib kam der erste Vertreter 2001 auf den deutschen Markt. Das Interesse der Pharmaforscher an Kinasen als Zielmoleküle für Arzneistoffe ist riesig.

Bei allen fundamentalen Prozessen der Zelle, zum Beispiel Genexpression, Wachstum, Differenzierung und Apoptose, sind Kinasen beteiligt, denn diese Enzyme spielen eine entscheidende Rolle in der Signaltransduktion. Störungen in diesem System können daher massive pathophysiologische Auswirkungen haben. Mehr als 400 Krankheiten sollen mit Kinasen zusammenhängen und viele dieser Enzyme werden von Protoonkogenen codiert. So verwundert es nicht, dass das Produkt des ersten, 1978 identifizierten Krebsgens eine Proteinkinase ist. 1984 wurden erstmals Proteinkinase-Hemmer beschrieben; es waren Isochinolin-Sulfonamide.

Der erste gezielt entwickelte Tyrosinkinase-Hemmstoff Imatinib ist heute aus der Therapie von Patienten mit chronisch-myeloischer Leukämie oder fortgeschrittenen gastrointestinalen Stromatumoren nicht mehr wegzudenken. Vor wenigen Wochen wurde Erlotinib in der EU zugelassen.

Seit etwa zehn Jahren erleben Kinasen einen ungeheuren Boom als Zielstrukturen für Arzneistoffe, berichtete Professor Dr. Stefan Laufer vom Pharmazeutischen Institut der Universität Tübingen bei der Jahrestagung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft in Mainz. Sie seien die »drug targets des 21. Jahrhunderts«.

Laufer beschrieb die Enzyme als »wichtigste Schalter in der Phosphorylierung von Proteinen«. Sie übertragen einen Phosphatrest von Adenosintriphosphat (ATP) auf eine Hydroxylgruppe in einem Substratprotein. Auf diese Weise werden Tyrosin-, Threonin- und Serin-Reste in Proteinen phosphoryliert, was deren katalytische Aktivität beeinflusst. In der Folge werden weitere Enzyme aktiviert; man spricht von einer Signaltransduktionskaskade. Auf diese Weise werden Reize, die außen an einer Zelle ankommen, ins Zellinnere übertragen und bis in den Zellkern hinein weitergeleitet, wo sie die Genexpression steuern.

Hoch konservierte Bindestelle

Im Humangenom wurden mehr als 500 Gene für Proteinkinasen entdeckt (»Kinom«). Da jedes Gen etwa fünf Varianten liefert, wird die Gesamtzahl auf 2500 Kinasen geschätzt, die in 57 Subklassen unterteilt werden, berichtete Laufer. Klassifiziert werden sie nach der Phosphorylierungsstelle am Substrat; man unterscheidet Rezeptor-Tyrosinkinasen, Serin/Threonin-Kinasen und zytoplasmatische Tyrosinkinasen.

Alle Kinasen haben die gleiche Tertiärstruktur und ihre ATP-Bindungsstelle ist hoch konserviert, das heißt sie unterscheidet sich bei einzelnen Kinasen kaum. Außerdem muss ein Inhibitor mit der hohen intrazellulären ATP-Konzentration konkurrieren. All das erschwert es enorm, selektive Arzneistoffe gegen einzelne Kinasen zu entwickeln. Wie dies trotzdem gelingt, zeigte Laufer an Beispielen auch aus seiner eigenen Forschung.

Die so genannten p38-MAP-Kinasen aus der Familie der Serin/Threonin-Kinasen sind entscheidend an der Expression von proinflammatorischen Zytokinen wie Interleukin 1 und Tumornekrosefaktor alpha bei entzündlichen Erkrankungen beteiligt. Tatsächlich waren Inhibitoren in Arthritis-Tiermodellen hoch wirksam. Der Prototyp SB 203580 war »erstaunlich selektiv«, obwohl er an die ATP-Bindungsstelle der Kinase andockt. Röntgenkristallstrukturdaten zeigten jedoch, dass es an der Bindungsstelle variable Bereiche gibt, die ATP nicht besetzt, die aber ein gezielt entwickelter Inhibitor nutzen und damit ATP verdrängen kann. Bei weiterer Forschung wurden zwei hydrophobe Regionen in der ATP-Bindetasche entdeckt. Diese »Selektivitätstaschen« werden von neueren Inhibitoren gezielt gefüllt; die Verbindungen waren in Zellsystemen im nanomolaren Bereich wirksam, berichtete der pharmazeutische Chemiker.

Selektivitätstasche nutzen

Als attraktive Targets für Antitumor-Wirkstoffe gelten auch die Cyclin-abhängigen Kinasen (CDK) im Zytoplasma, die wichtige Schaltstellen in der Regulation des Zellzyklus darstellen. Sie sind bei fast allen Tumorarten falsch reguliert, zum Beispiel überexprimiert, genmutiert oder -amplifiziert. Als Prototyp eines CDK-Hemmers wurde Flavopiridol entwickelt, das eine gute Antitumor-Aktivität zeigte, aber zu wenig selektiv war. Die Entwicklung des synthetischen Flavons wurde daher eingestellt. Puromycin, ein Inhibitor der Proteinbiosynthese, diente als Leitstruktur für substituierte Purine wie Purvalanol B, das relativ gezielt die CDK 2 blockiert. Weitere Naturstoffe wurden optimiert zur Verbindung NU 6102.

»Diese Arzneistoffe stoßen in Bereiche vor, die ATP nicht ausfüllt«, sagte Laufer. Für die initiale Bindung der Hemmstoffe an die Kinase könne man die hoch konservierte Region nutzen; die synthetischen Stoffe müssten dann aber die Selektivitätstaschen füllen. Neue Untersuchungen zur Sequenzhomologie haben ergeben, dass sich diese zwei hydrophoben Flächen bei einzelnen Kinasen unterscheiden. Ein Screening von 70 Verbindungen an den 15 wichtigsten Kinasen habe gezeigt, dass bei geschickter Molekülvariation eine deutliche Selektivität für einzelne oder mehrere Kinasen erzielt werden kann.

Auf Grund der Bedeutung der Kinasen für das Leben jeder Zelle sind sie viel versprechende Zielmoleküle für Arzneistoffe. 20 bis 30 Prozent der Arzneistoff-Entwicklungsprogramme in pharmazeutischen Firmen betreffen Kinase-Inhibitoren und mehr als 3000 Stoffe sind heute verfügbar, sagte Laufer. Mehr als 60 Verbindungen befänden sich in klinischer Entwicklung, vor allem zur Behandlung von Krebs (45 Stoffe) und Entzündung, vier sind in Deutschland bereits zugelassen. Top

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