Infliximab, Lamivudin, Moxifloxacin, Oxaliplatin, Palivizumab, Tasonermin |
04.10.1999 00:00 Uhr |
Die Reihe der im September neu eingeführten Arzneistoffe ist lang. Moxifloxacin erweitert die Palette der Gyrasehemmer. Neu sind zwei monoklonale Antikörper: Mit Infliximab können Morbus-Crohn-Patienten behandelt werden; Palivizumab schützt Säuglinge vor Infektionen mit dem Respiratory Syncytial Virus.
Ebenfalls gegen Viren richtet sich Lamivudin, das jetzt auch bei Hepatitis B eingesetzt wird. Oxaliplatin, nach Cis- und Caboplatin das dritte Platinderivat, ist zugelassen bei metastasierendem kolorektalen Karzinom. Patienten mit Weichteilsarkomen können mit dem rekombinanten Tumornekrosefakor Tasonermin behandelt werden.
Am 13. August erhielt der monoklonale TNF-a-Antikörper die Zulassung von der europäischen Arzneimittelbehörde. Infliximab ist indiziert zur Behandlung eines schwergradigen aktiven Morbus Crohn und bei Crohn-Patienten mit Fisteln, die auf eine konventionelle Behandlung nicht ansprechen (Remicade® 100mg, Essex Pharma).
Infliximab ist eine Chimäre: Sein konstanter Teil besteht aus einem menschlichen IgG1-Anteil, die variablen Regionen sind von einem Mausantikörper abgeleitet. Der Antikörper bindet hochselektiv an den humanen Tumornekrosefaktor (TNF) a. Als Folge werden die Freisetzung von pro-inflammatorischen Zytokinen wie Interleukin 1 und 8, die Expression von endothelialen Adhäsionsmolekülen und somit das Einwandern von Leukozyten verhindert. Außerdem fördert Infliximab eine Lyse von TNF-a-exprimierenden Zellen.
In einer 12-wöchigen doppelblinden Studie mit 108 Patienten mit moderatem bis schwerem Morbus Crohn wurden unterschiedliche Dosen Infliximab (5 mg, 10 mg oder 20 mg/kg KG) gegen Placebo geprüft. Durchschnittlich sprachen 64 Prozent der Patienten nach vier Wochen auf die einmalige Infusion an; in der Gruppe, die 5 mg Infliximab pro kg Körpergewicht erhalten hatte, waren es 81 Prozent; unter Placebo nur 17 Prozent. 48 Prozent erreichten eine Remission (4 Prozent unter Placebo). Der Effekt hielt bei knapp der Hälfte der Patienten zwölf Wochen an.
In einer weiteren Studie erhielten 94 Crohn-Patienten mit abdominalen oder perianalen Fisteln drei Infusionen mit Infliximab oder Placebo. Bei 68 Prozent der Verumpatienten nahm die Zahl der sekretfördernden Fisteln um mindestens die Hälfte ab; bei 55 Prozent verschlossen sie sich komplett (unter Placebo bei 26 sowie 13 Prozent). Dieser Erfolg hielt im Mittel über drei Monate an.
Nebenwirkungen wurden bei 53 Prozent der Verumpatienten gegenüber 31 Prozent unter Placebo beobachtet. Häufig betroffen waren Respirationstrakt und Haut. Wegen einer möglichen verzögerten Überempfindlichkeitsreaktion wird eine wiederholte Anwendung nach einem 15-wöchigen Intervall ohne Infliximab-Gabe nicht empfohlen
Das Nukleosid-(Deoxycytidin-)Analogon ist ein alter Bekannter: Als Hemmstoff der Reversen Transkiptase wird es in der HIV-Therapie eingesetzt (Epivir®). Neu ist die Zulassung zur Behandlung von Erwachsenen mit chronischer Hepatitis B bei nachgewiesener Virusreplikation (Zeffix®, GlaxoWellcome). Lamivudin ist das erste zugelassene perorale Medikament gegen Hepatitis B.
HBV ist kein Retrovirus, sondern ein DNA-Virus aus der Familie der Hepadnaviren. Dennoch ist die reverse Transkription - die "Umschreibung" von RNA in DNA - ein wichtiger Schritt im Lebenszyklus des Virus. Lamivudin wird intrazellulär phosphoryliert zur Wirkform Lamivudin-Triphosphat. Dieses wirkt als Substrat für die HBV-Polymerase, wird in die DNA-Kette eingebaut und führt als "falscher Baustein" zum Kettenabbruch. Damit wird die Bildung der viralen DNA und die Virusreplikation blockiert.
In placebokontrollierten Studien bei HBeAg-positiven Patienten wurde die HBV-DNA-Replikation durch eine einjährige Lamivudin-Behandlung signifikant unterdrückt, eine HBeAg-Serokonversion induziert, Leberenzymwerte (Alaninaminotransferase) normalisiert, die Histologie verbessert und das Fortschreiten einer Fibrose verzögert. Eine mehrmonatiger Kombination von Lamivudin mit Interferon, dem derzeitigen Standardmedikament, ergab keinen signifikanten Zusatznutzen. Lamivudin unterdrückt die Virusreplikation auch bei Lebertransplantat-Empfängern und bei HIV-positiven Patienten (nur Kombi-Therapie).
Lamivudin wird gut resorbiert (orale Bioverfügbarkeit 80 bis 85 Prozent) und kann unabhängig von der Mahlzeit eingenommen werden. Die Tagesdosis beträgt 100 mg einmal täglich (zum Vergleich: HIV-Therapie zweimal 150 mg). Es wird renal unverändert ausgeschieden; die Dosis muss bei niereninsuffizienten Patienten (Kreatinin-Clearance unter 50 ml/min) reduziert werden. Die Therapie wird relativ gut vertragen.
Mehr über die Therapie von Virushepatitiden lesen Sie im Titelbeitrag der PZ 19/99. Informationen zu Lamivudin in der HIV-Behandlung finden Sie in Ausgabe 50/97 ab Seite 36
Am 1. September hat Bayer den Gyrasehemmer Moxifloxacin eingeführt. Avalox® ist zugelasssen zur Behandlung bakterieller Infektionen der Atemwege, wie akute Exazerbationen chronischer Bronchitis, ambulant erworbene Pneumonie und akute Sinusitis. Mit dem Fluorochinolon der vierten Generation können aber auch unkomplizierte, ambulant erworbene Wundinfektionen der Weichteile und der Haut therapiert werden. Die Substanz wirkt gegen ein breites Spektrum von grampositiven und gramnegativen Erregern, Anaerobiern, säurefesten Bakterien und atypischen Keimen wie Mycoplasmen, Chlamydien und Legionellen.
Moxifloxacin hemmt die bakteriellen Topoisomerasen II und IV. Diese Enzyme spielen eine essentielle Rolle bei der Replikation, Transkription und Reparatur der bakteriellen DNA. Im Gegensatz zu den Makroliden hemmt Moxifloxacin nicht nur das Wachstum der Erreger, sondern tötet sie ab. Die minimale bakterizide Konzentration liegt im Bereich der minimalen Hemmkonzentration (MHK).
Inzwischen liegen Daten aus 15 Phase-III-Studien mit mehr als 8000 Patienten vor. Die klinische Erfolgsrate bei 700 Patienten mit einer ambulant erworbenen Pneumonie, die einmal täglich 400 mg Moxifloxacin über zehn Tage erhielten, betrug 94,4 Prozent und war mit der von Clarithromycin (zweimal täglich 500mg, 92,9 Prozent) und Amoxicillin (dreimal täglich 1g, 87 Prozent) vergleichbar. Auch bei der Therapie akuter Exazerbationen oder akuter Sinusitis wirkte Moxifloxacin vergleichbar wie Clarithromycin und Cerfuroxim.
Vorteile versprechen sich Experten vom neuen Fluorochinolon, da die Substanz nur einmal täglich eingenommen werden muss. Im Gegensatz zu den älteren Chinolonen wirkte Moxifloxacin in den Studien nicht phototoxisch. Auch ein hepatotoxischer Effekt, der bei Trovafloxacin zum Vertriebsstopp führte, konnte bislang nicht beobachtet werden. Als typische Nebenwirkungen treten Übelkeit und Erbrechen auf. Moxifloxacin interagiert nicht mit Theophyllin, Coffein, Digoxin, Ranitidin oder oralen Kontrazeptiva. Die Substanz sollte jedoch nicht gleichzeitig mit Antacida eingenommen werden, da sich Komplexe besonders mit höherwertigen Kationen wie Calcium, Magnesium und Aluminium bilden.
Nach Cisplatin und Carboplatin erhielt im Juli 1999 ein weiteres Platin-haltiges Zytostatikum die europäische Zulassung. Oxaliplatin, Eloxatin® von Sanofi Winthrop, ist in Kombination mit 5-Fluorouracil (5-FU) und Folinsäure als First-line-Therapeutikum zur Behandlung metastasierender kolorektaler Karzinome zugelassen.
Wie die anderen Platinderivate reagiert Oxaliplatin mit DNA-Einzelsträngen. Obwohl der Wirkmechanismus noch nicht restlos aufgeklärt ist, geht man davon aus, dass die Substanzen mit der DNA interagieren und Intra- beziehungsweise Interstrang-Quervernetzungen bilden. Dies führt zum Abbruch der DNA-Synthese.
Bei Patienten mit fortgeschrittenem Kolonkarzinom, die Oxaliplatin in Kombination mit 5-FU und Folinsäure intravenös erhielten, verdoppelte sich die Remissionsrate auf 50,7 Prozent gegenüber 22,3 Prozent unter Monotherapie mit 5-FU. Die progessionsfreie Zeit betrug 35 Wochen statt 24 Wochen. Als wesentliche Nebenwirkungen traten Durchfall, Erbrechen, Stomatitis und Neutropenien auf.
Oxaliplatin ist kontraindiziert in der Stillzeit, bei schweren Nierenfunktionsstörungen oder wenn die Patienten unter einer Myelosuppression beziehungsweise peripheren sensorischen Neuropathie leiden.
Die Substanz sollte nur unter Aufsicht eines onkologisch qualifizierten Arztes verabreicht werden. Die empfohlene Dosierung beträgt 85 mg/m2 Körperoberfläche intravenös über zwei bis sechs Stunden alle zwei Wochen. Der Wirkstoff muss immer vor 5-FU gegeben werden. Mehr Informationen zu Oxaliplatin finden Sie in PZ 37/99 auf Seite 40.
Die europäische Zulassung von Palivizumab liegt seit 13. August vor. Zum 1. September führte Abott den monoklonalen Antikörper unter dem Handelsnamen Synagis in Deutschland ein. Neugeborene, die in der 35. Schwangerschaftswoche oder früher geboren wurden und zu Beginn der RSV-Saison jünger als sechs Monate sind, sowie Kleinkinder unter zwei Jahren, die innerhalb der letzen sechs Monate wegen bronchopulmonaler Dysplasie behandelt wurden, können mit der Substanz präventiv behandelt werden. Die RSV-Saison beginnt in der nördlichen Hemisphäre meist im November und dauert bis Ende April.
Palivizumab ist ein humanisierter monoklonaler IgG1K-Antikörper, der an das Fusionsprotein von RSV bindet. Er setzt sich aus 95 Prozent humanen und 5 Prozent murinen Sequenzen zusammen. Palivizumab wirkt neutralisierend und fusionshemmend auf die beiden RSV-Subtypen A und B.
In einer placebokontrollierten Studie erhielten 1502 Risikokinder alle 30 Tage über fünf Monate eine intramuskuläre Injektion mit 15 mg/KG Palivizumab (1002) oder Placebo (500). Eingeschlossen waren Frühgeborene (35. Woche) oder Kleinkinder unter zwei Jahren, die an einer bronchopulmonalen Dysplasie litten. Die kleinen Patienten aus der Verumgruppe mussten signifikant seltener stationär behandelt werden. 4,8 Prozent der Kinder, die Palivizumab erhalten hatten, mussten in die Klinik eingeliefert werden, im Vergleich zu 10,6 Prozent aus der Placebogruppe.
In der Untersuchung vertrugen die Kinder die Therapie gut. Mitunter litten die Patienten jedoch unter Fieber, Nervosität, Reaktionen an der Injektionsstelle, Exanthemen, Durchfall oder Infektionen der oberen Atemwege. Wechselwirkungen mit anderen Arzneistoffen konnten die Mediziner bislang nicht beobachten.
Für eine relativ enge Indikation wurde Tasonermin, ein rekombinanter Tumornekrosefaktor TNF a-1a, im April von der europäischen Arzneimittelagentur zugelassen. Beromun® (Boehringer Ingelheim) wird bei nicht resezierbaren Weichteilsarkomen der Extremitäten in Kombination mit dem Zytostatikum Melphalan (Alkeran®) eingesetzt, um eine Amputation zu vermeiden oder hinauszuzögern oder zur palliativen Behandlung.
Da TNF a für eine systemische Anwendung viel zu toxisch ist, wird das Präparat über eine isolierte Extremitäten-Perfusion (ILP) unter Vollnarkose gegeben. Diese Behandlung ist nur in Spezialkliniken möglich. Dabei werden oberhalb der je nach Lokalisation des Tumors ausgewählten Gelenkbeuge zu- und abführende Blutgefäße abgeklemmt und Tasonermin zunächst alleine, dann kombiniert mit Melphalan in die isolierte Extremitätenzirkulation injiziert. Die Perfusion dauert insgesamt 90 Minuten. Abfließendes venöses Blut wird über einen Oxygenator wieder der abgetrennten Hauptarterie zugeführt. Während der ILP wird eine Reihe weiterer Arzneimittel routinemäßig eingesetzt. Durch die Abtrennung des Kreislaufs in der Extremität werden hier etwa 200mal höhere TNF-Konzentrationen erreicht als im Körperkreislauf.
Das Zytokin TNF a hemmt die Tumorzellproliferation, schädigt das Tumorgefäßsystem, fördert die Infiltration des Tumors mit Lymphozyten, Monozyten und Granoluzyten und wirkt direkt und indirekt immunmodulierend. Grundlage für die Zulassung waren vier klinische Studien mit 260 Patienten mit nicht resezierbaren Weichteilsarkomen. Da alle anderen Behandlungsmethoden versagt hatten, war eine Amputation geplant. Bei 80 Prozent der Patienten konnten die Gliedmaßen dauerhaft gerettet werden. Das Tumorgewebe reagierte innerhalb von 2 bis 30 Tagen auf die ILP mit hämorrhagischen Nekrosen und dem Verschwinden der Tumorblutgefäße. Bei 70 Prozent der Patienten schrumpfte der Tumor um mehr als die Hälfte.
Das Präparat ist sehr teuer und wird nur über Krankenhaus-versorgende oder Krankenhausapotheken abgegeben.
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