Enfuvirtid als HIV-Türstopper |
05.09.2005 00:00 Uhr |
Resistenzen und sekundäres Therapieversagen limitieren den Erfolg der antiviralen HIV-Behandlung. Dies änderte sich mit Enfuvirtid. Da der erste Fusionshemmer vor allem multiresistenten Patienten therapeutischen Fortschritt bringt, wurde die Substanz 2003 mit dem Innovationspreis der Pharmazeutischen Zeitung ausgezeichnet.
Mit Enfuvirtid wurde ein neuer Ansatz in der Behandlung der HIV-1-Infektion realisiert. Der Wirkstoff greift extrazellulär an und verhindert das Andocken an die menschliche Zielzelle und somit den Eintritt des Viruskapsids in die Zelle. Daher der Name »Entry-Inhibitor« oder Fusionshemmer. Bisherige Wirkstoffe wie Proteaseinhibitoren oder Reversetranskriptasehemmer hemmen die Vermehrung des Virus erst nach Befall der Zielzellen.
Wie üblich in der Anti-HIV-Therapie wird Enfuvirtid mit anderen antiretroviralen Arzneistoffen kombiniert. Es ist bei Patienten indiziert, die auf die bislang verfügbaren Arzneistoffe nicht mehr ansprechen oder diese nicht vertragen. Der Fusionshemmer hat einen klaren klinischen Nutzen für die Patienten. Zulassungsstudien mit insgesamt rund 1000 mehrfach vortherapierten Patienten mit Multiresistenzen haben gezeigt, dass Enfuvirtid in Kombination mit einer optimierten Basistherapie einen größeren Nutzen als die Basistherapie allein hat. Die Viruslast konnte erheblich gesenkt werden und die CD4-Zellzahlen nahmen signifikant zu. Der positive Effekt hielt noch nach 48 Wochen an.
Allerdings ist wegen der peptidischen Struktur auch mit dieser Substanz keine vollständige Eradikation des Virus aus dem Körper möglich. Interessant: Das wuchtige Peptid aus 36 Aminosäuren ist eines der komplexesten Medikamente, das je von der Pharmaindustrie in so großem Maßstab produziert wurde. Allein zur Herstellung des Wirkstoffes sind 106 Produktionsschritte erforderlich rund das Zehnfache der Herstellung eines Proteasehemmers.
Das Protein mit dem Fertigarzneimittelnamen Fuzeon® wird als Pulver plus Wasser für Injektionszwecke zur Herstellung einer Infusionslösung angeboten. 1 ml dieser Lösung enthält 90 mg Wirkstoff. Diese Dosis wird zweimal täglich subkutan injiziert. Und so gehören denn auch lokale Reaktionen an der Einstichstelle zu den wichtigsten Nebenwirkungen. Fast alle Patienten klagen über Erytheme, Verhärtungen oder Knoten meist in der ersten Therapiewoche.
Die Zubereitung der Injektionslösung ist nicht ganz einfach und bedarf einer intensiven Schulung des Patienten. Eine Aufgabe, mit der sich der Apotheker profilieren kann. So darf die zubereitete Infusionslösung nicht geschüttelt oder umgedreht werden, da sonst viel Schaum entstehen kann. Des Weiteren sollte der Patient darüber informiert werden, dass es bis zu 45 Minuten dauern kann, bis das Pulver vollständig gelöst und die Lösung klar und frei von Bläschen ist. Tipp: Die fertige Lösung bleibt 24 Stunden im Kühlschrank (Lichtschutz) stabil. Der Patient kann deshalb die beiden Tagesdosen gleichzeitig zubereiten.
Enfuvirtids großer Pferdefuß: Es kommt etwa achtmal häufiger zu bakteriellen Pneumonien als bei der Therapie mit den bisherigen Medikamenten. Die Gründe dafür sind bislang unklar. Und auch gegen den neuen Arzneistoff entwickeln sich relativ rasch Resistenzen. Eine Studie zeigt, dass 2 von 16 HIV-Patienten innerhalb von 14 Tagen resistent sind. Deshalb gilt: Enfuvirtid sollte erst dann zum Zuge kommen, wenn die antiretroviralen Kombinationstherapien bereits ausgereizt sind.
Eines dürfte seit der Markteinführung von Fuzeon bis heute klar geworden sein: Enfuvirtid ist kein Arzneistoff, der für alle HIV-Patienten geeignet ist. Dafür ist die Compliance zu schlecht, sind die unerwünschten Wirkungen, die Kosten und die Resistenzentwicklungen zu hoch. Dennoch gilt Enfuvirtid als Prototyp für weitere in der Pipeline der Pharmaindustrie befindliche Entry-Inhibitoren.
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